„Die globale Geopolitik ausbalancieren”
G7-Außenminister kündigen weitere Verschärfung der Russland-Sanktionen an. Brasiliens Präsident Lula dringt auf Verhandlungslösung – mit Unterstützung aus dem Globalen Süden.
BERLIN/KARUIZAWA/BRASÍLIA (Eigener Bericht) – Die Außenminister der G7-Staaten kündigen eine weitere Verschärfung ihrer Maßnahmen gegen Russland an und geraten in immer stärkeren Gegensatz zu mehreren Staaten des Globalen Südens, die Friedensgespräche fordern. Auf ihrem gestrigen Treffen im japanischen Karuizawa kamen die G7-Minister überein, die Sanktionen gegen Russland zu „intensivieren“, ihre penible Einhaltung auch durch Drittstaaten durchzusetzen sowie vor allem wirksame Schritte gegen die Lieferung von Waffen – faktisch vor allem iranische Drohnen – an die russischen Streitkräfte zu ergreifen. Der Beschluss erfolgte, während insbesondere Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei Besuchen in China und in den Vereinigten Arabischen Emiraten über Möglichkeiten diskutierte, eine Verhandlungslösung zwischen Moskau und Kiew herbeizuführen. Die USA müssten „aufhören, zum Krieg zu ermutigen, und anfangen, über Frieden zu reden“, verlangte Lula, der auch die EU zu Friedensgesprächen aufforderte. Der Streit zwischen dem Westen und dem Globalen Süden um den Umgang mit dem Ukraine-Krieg gewinnt prinzipiellen Charakter; Staaten wie Brasilien dringen auf ein Ende der westlichen Dominanz. ex.klusiv
„Auf der Seite der Diplomatie“ (III)
Grünen-Außenpolitiker sagt für den Herbst Druck des Westens auf Kiew voraus, den Krieg mit Verhandlungen zu beenden. Brasilien, China und Saudi-Arabien arbeiten schon jetzt auf Frieden hin.
BERLIN/BEIJING/BRASÍLIA/RIAD (Eigener Bericht) – Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin sagt für den Herbst starken Druck des Westens auf die Ukraine voraus, den Krieg mit Russland in Verhandlungen zu beenden. Entsprechende „Signale“ habe es unlängst aus der US-Administration gegeben, berichtet Trittin. Ursache sei ein Stimmungsumschwung in der US-Bevölkerung, der die weitere Unterstützung für die Ukraine im bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlkampf nicht ratsam erscheinen lasse. Während sich damit abzeichnet, dass Kiew einen Kurswechsel vollziehen muss, intensivieren mehrere Staaten außerhalb des transatlantischen Westens den Einsatz für einen Waffenstillstand. So setzt Brasilien seine Bemühungen um Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine fort. Wie der Außenminister Saudi-Arabiens, Prinz Faisal bin Farhan al Saud, nach Besuchen in Kiew und in Moskau mitteilt, treibt auch Riad entsprechende Aktivitäten voran. Laut Berichten wird in Kürze Chinas Präsident Xi Jinping zu Gesprächen in Russland erwartet; demnach will er anschließend mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprechen. Anders als der Westen begrüßt Selenskyj die Verhandlungsinitiativen schon jetzt. ex.klusiv
„Auf der Seite der Diplomatie“
Brasilien lehnt Berliner Forderung nach Waffenlieferungen an die Ukraine ab und bemüht sich um Vermittlung im Ukraine-Krieg – gemeinsam mit anderen Staaten des Globalen Südens.
BRASÍLIA/BERLIN (Eigener Bericht) – In offenem Widerspruch zu Deutschland und den anderen westlichen Mächten weist Brasilien jegliche Waffenlieferung an die Ukraine zurück und dringt auf eine Vermittlungsinitiative zur Beendigung des Ukraine-Kriegs. Brasilien verstehe sich als „Land des Friedens“ und lehne jede Beteiligung an dem Krieg ab, antwortete Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Montag beim Besuch von Kanzler Olaf Scholz auf die Forderung Berlins, Kiew Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard zur Verfügung zu stellen. Statt den Krieg immer nur mit weiteren Waffen zu befeuern, müsse eine Vermittlungsinitiative gestartet werden. Lula urteilt, besonders China, aber auch Indien und Indonesien könnten dazu einen Beitrag leisten. Scholz unterstützt die Initiative aus dem Globalen Süden für eine Beendigung der Kämpfe nicht; am Montag erhob er vielmehr Einwände gegen sie. Dabei dringen immer mehr Regierungen besonders im Globalen Süden auf eine Verhandlungslösung; zuletzt sprachen sich zum Beispiel Kolumbien und Ägypten, aber auch Israel dafür aus. Damit zeichnet sich ein Gegenpol zum Bestreben des Westens ab, seine bisherige globale Dominanz in und mit dem Ukraine-Krieg zu behaupten. ex.klusiv
Auf bröckelndem Boden
Berlin sucht in Brasilien die Kooperation mit Lula auszubauen, um seine Einflussverluste in dem Land wettzumachen. Think-Tank diagnostiziert wachsende Distanz zwischen EU und Lateinamerika.
BRASÍLIA/BERLIN (Eigener Bericht) – Mit Erleichterung reagiert Berlin auf die Niederschlagung der Umsturzbewegung in Brasilien. Bundeskanzler Olaf Scholz beteuert, die Bundesregierung stehe „eng an der Seite von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva“. Laut Berichten plant Scholz in Kürze eine Reise in das südamerikanische Land. Hintergrund ist das Berliner Bestreben, den Wechsel im brasilianischen Präsidentenamt von Jair Messias Bolsonaro zu Lula zu nutzen, um den deutschen Einfluss in Brasilien wieder zu stärken, der seit Jahren deutlich rückläufig ist. Wie es in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, muss die Bundesregierung sich der Tatsache stellen, dass die Politik Berlins wie auch der EU in den vergangenen Jahren nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika zu ernsten Brüchen geführt hat. So habe sich die EU mit der Weigerung, Covid-19-Impfstoffe zu liefern, und ihrer gleichzeitigen Agitation etwa gegen chinesische Impfstoffe nicht eben beliebt gemacht. Auch die Sanktionspolitik gegenüber Russland stoße auf dem Subkontinent auf Ablehnung. Die SWP warnt explizit: „Die gemeinsame Grundlage bröckelt.“ ex.klusiv
Ein Giftpaket für Brasilien
Bayer, BASF und andere Konzerne lobbyieren in Brasilien für ein gefährliches Pestizidgesetz, um ihre Profite zu maximieren. Im Land selbst werden heftige Proteste laut.
BERLIN/BRASÍLIA (Eigener Bericht) – Die deutschen Agrarriesen Bayer und BASF lobbyieren in Brasilien massiv für ein neues Maßnahmenpaket zur Regulierung von Agrochemikalien, das bestehende Schutzvorschriften aushöhlt. Die Konzerne erwarten durch das von Kritikern als „Poison Package“ titulierte Gesetz Umsatzsteigerungen und schalten sich vor allem über Unternehmensverbände wie CropLife Brasil in den politischen Prozess ein. Sie haben zudem Zugang zum Präsidenten Jair Messias Bolsonaro und den zuständigen Ministerien. Überdies versuchen die Firmen, den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten voranzubringen, das ihnen Aussicht auf Extraprofite eröffnet. Eine Strategie besteht darin, das Bild der brasilianischen Landwirtschaft in den Augen der EU-Entscheidungsträger zu verbessern und ihr ein „Small is beautiful“-Image zu verpassen. Dies alles stößt in Brasilien selbst auf massiven Widerstand. So besetzte die Jugendorganisation der Landlosenbewegung MST im Juni eine Niederlassung des Leverkusener Multis, um gegen dessen Intervention zugunsten des Giftpakets und gegen die jetzt schon verheerenden Auswirkungen der Bayer-Pestizide zu protestieren. ex.klusiv
PARIS/BERLIN/BRASÍLIA (Eigener Bericht) - Deutschland und die EU begünstigen die Abholzung und Brandrodungen im Amazonasgebiet mit ihren umfangreichen Agrarimporten aus Brasilien seit Jahren. Schon lange werden Proteste dagegen laut, zumal im Auftrag von Brasiliens Agrarunternehmen immer wieder auch Morde an Kleinbauern begangen werden. Deutschland sei daran "durch seine Importe von Produkten des brasilianischen Agro-Business mitschuldig", kritisierten beispielsweise Vertreter indigener Gemeinschaften vor rund drei Jahren. Das unlängst geschlossene EU-Freihandelsabkommen mit dem Mercosur wird Brasiliens Agrarexporte weiter steigern und neue Anbauflächen erforderlich machen; Fachleute warnen, Berlin und die EU seien deshalb auch an den aktuellen verheerenden Waldbränden "mitschuldig". Gestern haben die G7 über die Köpfe der brasilianischen Regierung hinweg Maßnahmen zum Schutz des Regenwaldes angekündigt, dessen schwere Schädigung sie selbst mit verursacht haben. Im eigenen Land setzen sich die westlichen Mächte für den Klimaschutz, den sie damit von Brasilien einfordern, nur unzureichend ein. ex.klusiv
BERLIN/BRÜSSEL/BRASÍLIA (Eigener Bericht) - Mit Applaus begrüßt die deutsche Exportindustrie die Einigung auf ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Das Abkommen, das Ende vergangener Woche nach 20 Jahre währenden Verhandlungen fertiggestellt wurde, senkt die Zölle dramatisch, mit denen die vier Mitgliedstaaten des Mercosur, darunter Brasilien, bislang ihre Industrie schützten. Es öffnet die Länder damit für Exporteure aus der EU. Die EU-Kommission spricht von Zolleinsparungen in Höhe von vier Milliarden Euro. Ein guter Teil davon wird den größten Mercosur-Lieferanten der EU, deutschen Unternehmen, zugute kommen. Umgekehrt öffnet das Abkommen die Agrarmärkte der EU für die südamerikanische Agrarindustrie - zum Schaden insbesondere französischer und irischer Bauern. Tatsächlich hat Berlin das Abkommen gegen Widerstand aus Paris durchgesetzt. Protest wird auch in Südamerika laut: Dort warnen Gewerkschaften vor einem "Todesurteil" für die einheimische Industrie und der Reduktion des Mercosur auf einen kolonialen Status als Rohstofflieferant der EU und Absatzmarkt für europäische Konzerne. ex.klusiv
BERLIN (Eigener Bericht) - Mit einer Lateinamerika-Karibik-Konferenz startet das Auswärtige Amt an diesem Dienstag eine neue politische Offensive im Einflusskampf um Lateinamerika. Hintergrund ist das kontinuierliche Erstarken Chinas auf dem Subkontinent, das mit einer anhaltenden Stagnation des deutsch-europäischen Einflusses einhergeht. Dem will die Bundesregierung nun entgegenwirken und zielt darauf ab, deutschen Firmen zu neuen Erfolgen in Lateinamerika zu verhelfen. Dies geschieht zu einer Zeit, zu der massive Proteste gegen Aktivitäten deutscher Unternehmen zum Beispiel in Brasilien laut werden. Dort geht die Justiz aktuell gegen den TÜV Süd vor, dem sie Mitverantwortung für das Bersten eines Staudamms im Januar dieses Jahres zuschreibt; dabei kamen mehr als 250 Menschen zu Tode. Brasilianische Aktivisten prangern zudem an, dass die Konzerne Bayer und BASF in Brasilien Agrargifte vertreiben, die in der EU verboten sind. In Brasilien verstarben in den vergangenen zehn Jahren mehr als 2.000 Menschen an Vergiftung durch Agrochemikalien. Berlin nimmt darüber hinaus die Einbeziehung lateinamerikanischer Staaten in NATO-Strukturen in den Blick. ex.klusiv
BERLIN/BRASÍLIA/BOGOTÁ (Eigener Bericht) - Unter dem Vorwand, "Verbündete für Menschenrechte" um sich scharen zu wollen, trifft Außenminister Heiko Maas (SPD) diese Woche die beiden am weitesten rechts stehenden Präsidenten Südamerikas. Jair Messias Bolsonaro, Maas' Gesprächspartner am heutigen Dienstag, ist ein erklärter Anhänger der brasilianischen Militärdiktatur; schon im ersten Monat seiner Amtszeit haben die Polizeimorde im Land massiv zugenommen. Iván Duque, Präsident Kolumbiens, den Maas anschließend treffen wird, ist ein Gegner des Friedensvertrags mit den FARC-Rebellen; in dem Land sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr als 300 Regierungsgegner ermordet worden, wobei die Täter zumeist straflos bleiben. Während das Auswärtige Amt von einem gemeinsamen "Wertefundament" mit Bolsonaro und Duque spricht, zielt Berlin tatsächlich darauf ab, Verbündete im Kampf gegen China und Russland zu sammeln sowie seine Stellung in Lateinamerika gegenüber Washington zu stärken. Zudem ist es um nicht von Sanktionen bedrohte Absatzmärkte für die deutsche Exportindustrie bemüht. ex.klusiv
BERLIN/RIO DE JANEIRO (Eigener Bericht) - Der Skandal um den Mord an der populären linken Politikerin Marielle Franco aus Rio de Janeiro wirft ein Schlaglicht auf eine vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Geschäftsanbahnungsreise in der nächsten Woche. Die Reise soll interessierten deutschen Unternehmern Geschäfte auf dem Feld der "zivilen Sicherheitstechnologie" in Rio eröffnen. Unterlagen des Ministeriums stellen wachsende Ausgaben für die innere Repression in Rio in Aussicht, unter anderem für die Polizei. Diese ist, wie die Aufklärung des Mordes an Marielle Franco einmal mehr belegt, in schwerste Verbrechen involviert; Spuren weisen ins direkte familiäre Umfeld des Präsidenten, dessen Sohn Flávio Bolsonaro - als Senator für Rio in Brasília tätig - gute Beziehungen zu einem der Mordverdächtigen unterhielt. Der neue Gouverneur von Rio, Wilson Witzel, rechtfertigt Polizeimassaker; im ersten Monat seiner Amtszeit wurden fast doppelt so viele Menschen von der Polizei umgebracht wie im Vormonat. Witzel arbeitet eng mit der deutschen Industrie zusammen. ex.klusiv