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  • Am Scheideweg der Zivilisationen

    Zahl der Todesopfer unter Flüchtlingen auf dem Mittelmeer ist dieses Jahr um die Hälfte gestiegen. EU verschärft Flüchtlingsabwehr erneut. Papst Franziskus kritisiert Indifferenz der EU gegenüber dem Massensterben.

    BRÜSSEL/BERLIN/ROM (Eigener Bericht) – Trotz eines rasanten Anstiegs der Zahl der Todesopfer unter den Flüchtlingen auf dem Mittelmeer treiben Berlin und die EU die nächste Verschärfung der europäischen Flüchtlingsabwehr voran. Hatten sich die EU-Innenminister bereits am 8. Juni auf neue „Grenzverfahren“ geeinigt, die von Menschenrechts- und von kirchlichen Organisationen als „Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte“ kritisiert wurden, so steht jetzt die abschließende Einigung auf neue Maßnahmen bevor, die sogar die vollständige Schließung der Außengrenzen für Asylsuchende möglich machen. Verzögert wird eine Einigung darauf nur noch durch einen Streit zwischen Berlin und Rom, wer Flüchtlinge aufnehmen soll, die von Seenotrettern gerettet wurden. Laut Angaben des UNHCR ist die Zahl der Todesopfer auf dem Mittelmeer von Anfang Januar bis zum 24. September um mehr als die Hälfte auf über 2.500 gestiegen. Seit 2014 kamen auf der Flucht über das Mittelmeer und durch die Sahara nachweislich mindestens 34.000 Menschen zu Tode. Papst Franziskus warnt vor einer Gewöhnung an das Massensterben und urteilt mit Blick auf die Indifferenz der EU: „Wir stehen an einem Scheideweg der Zivilisationen.“ Weiterlesen

VIDEO-KOLUMNE

Krieg gegen China

Es gibt in Europa einen Reflex, der China beschädigt. Er ist die Kehrseite respektvollen Staunens über die Weite, die Größe Chinas, über seine Kultur und Gesamtstaatlichkeit. Europa wirkt winzig im Größenvergleich. Der Vergleich dämpft den Irrtum, unvergleichlich zu sein. China ist größer.

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  • Die zweite Rückkehr des „Populisten“

    In der Slowakei droht Berlin der Verlust eines Verbündeten im Ukraine-Krieg: Wahlfavorit Robert Fico will die Waffenlieferungen an Kiew beenden, lehnt die Russland-Sanktionen ab und will enger mit China kooperieren.

    BRATISLAVA/BERLIN (Eigener Bericht) – Mit der Parlamentswahl in der Slowakei am morgigen Samstag droht der Bundesregierung der Verlust eines wichtigen Verbündeten im Ukraine-Krieg. In den Umfragen führt die Partei SMER des ehemaligen Ministerpräsidenten Robert Fico, der gute Aussichten hat, eine Regierungskoalition bilden zu können – zum vierten Mal nach 2006 und 2012. Zwar geht seine Popularität vor allem auf die soziale und wirtschaftliche Misere zurück, in die das Land unter den vergangenen Regierungen gestürzt ist. Aus Sicht Berlins und des Westens wiegt jedoch schwer, dass Fico einen Kurswechsel in der Ukrainepolitik in Aussicht stellt; so will er nicht nur die Waffenlieferungen an die Ukraine beenden, er lehnt auch die EU-Sanktionen gegen Russland ab. Zudem favorisiert SMER eine engere Zusammenarbeit unter anderem mit China und Kuba. Die derzeitige prowestliche Präsidentin der Slowakei, Zuzana Čaputová, erklärt den Urnengang zur „Schicksalswahl“. Fico und seine Partei SMER wurden wegen ihrer abweichenden außenpolitischen Orientierung bereits während ihrer früheren Regierungsjahre in Deutschland massiv attackiert. Ähnliches zeichnet sich nun erneut ab. Weiterlesen

  • Mit der Waffen-SS gegen Russland

    Skandal um Beifall für Waffen-SS‘ler in Kanadas Parlament führt zu ersten Konsequenzen. Waffen-SS’ler werden auch im Baltikum öffentlich geehrt. Berlin lehnt UN-Resolution gegen „Glorifizierung des Nazismus“ ab.

    OTTAWA/KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) – Der Skandal um den tosenden Beifall für einen ehemaligen Waffen-SS-Mann im kanadischen Parlament führt zu ersten Konsequenzen. Der Parlamentssprecher in Ottawa, der den Mann als „Held“ im Kampf „für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen“ gepriesen hatte, ist zurückgetreten. In Polen überprüft die Regierung, ob sie ein Auslieferungsverfahren gegen den NS-Kollaborateur einleiten kann – seine Einheit, die Waffen-SS-Division Galizien, hat unter anderem Massaker an Bürgern Polens begangen. In den vergangenen Jahren wurde die Division regelmäßig in der Ukraine geehrt. Mitglieder weiterer Einheiten der Waffen-SS werden unter anderem in den baltischen Staaten gewürdigt; noch im März dieses Jahres fand in Lettlands Hauptstadt Riga ein Gedenkmarsch zur ehrenden Erinnerung an lettische Mitglieder der Waffen-SS statt. Ursache für das Lob, mit dem die Waffen-SS’ler bedacht werden, ist die Tatsache, dass sie gegen die Sowjetunion bzw. „gegen Russland“ kämpften. Um den baltischen Staaten sowie der Ukraine nicht in den Rücken zu fallen, spricht sich die Bundesregierung mittlerweile gegen eine UN-Resolution aus, die die „Glorifizierung des Nazismus“ verurteilt. Weiterlesen

  • Unruhen im Kosovo (III)

    Im Kosovo eskalieren gewalttätige Spannungen zwischen der serbischsprachigen Minderheit und der Regierung in Priština. Ein Abzug der NATO respektive der Bundeswehr rückt erneut in weite Ferne.

    BERLIN/BELGRAD (Eigener Bericht) – Eine neue Eskalation der Spannungen im Kosovo lässt einen etwaigen Abzug der Bundeswehr aus dem Gebiet erneut in weite Ferne rücken. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden bei einem Angriff auf eine Polizeieinheit im Norden des Kosovo und bei anschließenden Gefechten ein Polizist und vier Angreifer getötet. Vorausgegangen waren über Monate eskalierende Auseinandersetzungen zwischen der serbischsprachigen Minderheit im Norden des Gebiets und der Regierung in Priština, die im Herbst vergangenen Jahres mit einem Streit um die Verwendung serbischer Kfz-Kennzeichen begonnen hatten und nun zu einer ersten bewaffneten Auseinandersetzung im größeren Stil führten. Eine weitere gewaltsame Zuspitzung der Lage wird nicht ausgeschlossen. Damit stehen nicht nur die jüngsten Versuche der EU auf dem Spiel, im alten Konflikt zwischen Priština und Belgrad erstmals die serbische Regierung zu begünstigen, um einen Keil zwischen Serbien und Russland zu treiben. Auch eine Aufstockung der NATO-Truppen ist nicht auszuschließen – in einer Zeit, in der das Bündnis eigentlich alle Kräfte gegen Russland und China in Stellung zu bringen sucht, die Bundeswehr inklusive. Weiterlesen

  • Die Bilanz der Nord Stream-Sprengung

    Vor einem Jahr wurden die Nord Stream-Pipelines gesprengt. Die Tat ist immer noch nicht aufgeklärt; die Folgen für die Erdgasversorgung der Bundesrepublik wiegen schwer.

    BERLIN/MOSKAU (Eigener Bericht) – Ein Jahr nach dem Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines ist die Tat noch immer nicht aufgeklärt, doch die Folgen für die Erdgasversorgung der Bundesrepublik sind gravierend. Ergaben Recherchen des US-Journalisten Seymour Hersh, der Anschlag sei von US-Stellen geplant und auch umgesetzt worden, so favorisieren Politik und Medien in Deutschland eine These zum Tathergang, die die USA entlastet. Die Sprengung der Pipelines schließt es aus, dass diese in Zukunft wieder in Betrieb genommen werden könnten, so etwa nach einer Einigung auf einen Waffenstillstand, bei gravierenden Versorgungsproblemen oder bei einem - freilich zur Zeit nicht absehbaren - Kurswechsel der Bundesregierung. Die erforderliche Umstellung der Bundesrepublik auf Flüssiggasimporte schreitet rasch voran; dabei bezieht Deutschland über Belgien mutmaßlich auch russisches Flüssiggas – jedoch zu einem höheren Preis als das Pipelinegas, das einst über Nord Stream 1 kam. Die Flüssiggas-Importterminals, die an den deutschen Küsten gebaut werden, verlängern die Zeit, zu der noch fossile Rohstoffe importiert werden, einmal mehr. Weiterlesen

  • Abzug aus dem Sahel

    Frankreich und Deutschland stehen vor dem Ende ihrer Militärpräsenz und ihres Einflusses im zentralen Sahel (Mali, Burkina Faso, Niger). Stärkeren Einfluss gewinnen Russland und die USA.

    BERLIN/PARIS/NIAMEY (Eigener Bericht) – Nach der Ankündigung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die französischen Streitkräfte aus Niger abzuziehen, zeichnet sich auch der Rückzug der Bundeswehr aus dem Land ab. Macron teilte am gestrigen Sonntag mit, die etwa 1.500 in Niger stationierten französischen Soldaten würden bis Ende des Jahres nach Frankreich heimkehren. Der Ankündigung waren nach einem Ultimatum der Junta in Niamey kontinuierliche Proteste der nigrischen Bevölkerung gegen die französische Militärpräsenz vorausgegangen. Bereits in der vergangenen Woche hatte der Berliner Verteidigungsminister Boris Pistorius geurteilt, die Bundeswehr müsse ihre Präsenz in Niger „überprüfen“; dies gelte „umso mehr“, falls Frankreich seine Truppen abziehe. Dies ist nun der Fall. Damit verlieren die Mächte Westeuropas innerhalb weniger Jahre ihre gesamte Militärpräsenz und ihren einst starken politischen Einfluss im zentralen Sahel; dieser erhält die Chance auf eine eigenständigere Entwicklung. Stärkeren Einfluss gewinnt Russland. Die USA sind bestrebt, sich über ihre Drohnenbasis bei Agadez im Sahel halten zu können. Gelingt ihnen dies, hängen sie Frankreich einmal mehr machtpolitisch ab. Weiterlesen

  • Deutschlands Pazifikambitionen (II)

    Berlin will enger mit Australien kooperieren: Das rohstoffreiche Land will „China-freie“ Lieferketten schaffen; Zusammenarbeit ist auch bei der Einflussnahme auf die pazifische Inselwelt geplant.

    BERLIN/CANBERRA/SUVA (Eigener Bericht) – Deutschland und Australien werden ihre Zusammenarbeit wirtschaftlich und geostrategisch ausbauen und insbesondere die pazifische Inselwelt ins Visier nehmen. Dies kündigten die Außenministerinnen beider Länder, Penny Wong und Annalena Baerbock, am Dienstag am Rande der UN-Generalversammlung an. Demnach hat Berlin es unter anderem auf australische Bodenschätze abgesehen, die für die Energiewende benötigt werden; Canberra will, so wird berichtet, „China-freie Lieferkette[n]“ schaffen. Auf einen etwaigen Krieg gegen die Volksrepublik bereitet Deutschland sich in wachsendem Maß mit Bundeswehrmanövern in Australien und der Asien-Pazifik-Region vor. Zudem weitet die Bundesrepublik ihre Präsenz in der pazifischen Inselwelt aus – zuletzt mit der Eröffnung einer Botschaft in Suva, der Hauptstadt Fidschis. In Fidschi toben, wie auch in anderen pazifischen Inselstaaten, zur Zeit heftige Machtkämpfe zwischen China und den westlichen Ländern, die die Inselstaaten zur Abkehr von Beijing zwingen wollen. Einige Pazifikinseln sind bis heute europäische Kolonien. Baerbock knüpft mit ihren Pazifik-Aktivitäten verbal an die Kolonialexpeditionen des Kaiserreichs an. Weiterlesen

  • Das Recht des Täters (II)

    Italien zahlt Entschädigungen für deutsche NS-Kriegsverbrechen, die Bundesrepublik kommt straflos davon. Die Bundesregierung („Wertekoalition“) hat mit Erfolg „Staatenimmunität“ für Deutschland durchgesetzt.

    ROM/BERLIN (Eigener Bericht) – Die Regierung Italiens zahlt Entschädigungen für deutsche NS-Kriegsverbrechen, die Bundesrepublik kommt straflos davon. Das ergibt sich aus einem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts, das Ende Juli veröffentlicht wurde. Demnach ist juristisch nicht zu beanstanden, dass Rom rund 60 Millionen Euro aus Corona-Wiederaufbaumitteln der EU in einen Entschädigungsfonds leitet, aus dem es Nachfahren der Opfer von Massakern der Wehrmacht und der SS mit einer kleinen Kompensation bedenkt. Mit dem Urteil sind jahrzehntelange Rechtsstreitigkeiten abgeschlossen worden, bei denen es um Massaker wie dasjenige vom 29. Juni 1944 ging; an jenem Tag hatte eine SS-Einheit den Ort Civitella unweit Arezzo überfallen und mehr als 200 Einwohner ermordet. Immer wieder hatten italienische Gerichte die Bundesrepublik zur Zahlung von Entschädigung verurteilt; immer wieder hatte Berlin sich dagegen verwahrt und sogar den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bemüht, um sich sogenannte Staatenimmunität auch im Fall schwerster NS-Verbrechen zusichern zu lassen. Die gegenwärtige Bundesregierung („Wertekoalition“) hatte damit letztlich Erfolg. Weiterlesen