Im Zentrum der drohenden Eskalation
Die NATO positioniert sich auf ihrem Gipfel gegen Russland. Litauen, Schwerpunktland der Bundeswehr, ist geostrategisch exponiert und unterliegt einem speziellen Eskalationsrisiko.
BRÜSSEL/VILNIUS/BERLIN (Eigener Bericht) – Die NATO erklärt Russland zu ihrer „bedeutendsten und unmittelbarsten Bedrohung“ und richtet ihr neues Streitkräftemodell auf die Massierung militärischer Kräfte an ihrer Ostflanke aus. Dies geht aus dem neuen Strategischen Konzept und dem neuen Streitkräftemodell hervor, auf das sich die Staats- und Regierungschefs des westlichen Militärpakts auf ihrem gestrigen Gipfeltreffen in Madrid geeinigt haben. Zudem sollen künftig nicht mehr 40.000, sondern mehr als 300.000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft gehalten werden. Den einzelnen Streitkräften werden darüber hinaus für den Fall eines Krieges feste Operationsgebiete zugeordnet. Die Bundeswehr wäre, dies geht aus dem Stand der Debatte hervor, vor allem für Litauen zuständig. Das Land, dessen Südteil zwischen Belarus sowie der russischen Exklave Kaliningrad liegt, ist dadurch geostrategisch exponiert; zudem ist seine Regierung, wie ihr Handeln in Konflikten mit China und mit Russland zeigt, außerordentlich provokationsbereit. Das erhöht die Eskalationsgefahr – nicht zuletzt auch für die Bundeswehr. ex.klusiv
Scheiternde Sanktionen
G7 einigen sich auf Preisdeckel für russisches Öl. Beobachter warnen, Moskau könne den Export nach Europa einstellen. Konkurrenzprojekt zu Chinas Neuer Seidenstraße geplant.
ELMAU/MOSKAU (Eigener Bericht) – Die G7-Staaten haben auf ihrem Gipfeltreffen in Elmau im Grundsatz einen Preisdeckel für russisches Erdöl und Erdgas beschlossen und setzen damit einen großen Teil ihrer Energieversorgung aufs Spiel. Der Preisdeckel soll der westlichen Embargopolitik gegen Russland, die bislang mehr oder weniger gescheitert ist, zum Erfolg verhelfen, indem er Moskaus Exporteinnahmen drastisch reduziert und dem dramatischen Anstieg der Energiepreise im Westen ein Ende setzt. Experten bezweifeln, dass sich dies technisch bewerkstelligen lässt. Als möglich gilt zudem, dass Russland mit der Einstellung seiner Öl- und Gasexporte reagiert. Europas Versorgung bräche dann zusammen. Ein Importverbot für russisches Gold, das die G7 ebenfalls vorbereiten, wird laut Einschätzung eines Experten „nichts ändern“; es sei „reine Symbolpolitik“. Die G7 haben in Elmau außerdem beschlossen, mit einer riesigen Infrastrukturinitiative Chinas Neuer Seidenstraße das Wasser abzugraben. Dies hatten sie schon vor einem Jahr angekündigt; geschehen ist nichts. In der Klimapolitik haben die G7 in Elmau begonnen, sich Ausnahmen von den Beschlüssen der Glasgower Klimakonferenz zu genehmigen. ex.klusiv
Global NATO
NATO will trotz umfassender Aufrüstung in Europa ihre Beziehungen in die Asien-Pazifik-Region stärken – für den Machtkampf gegen China. Beobachter warnen vor Überdehnung.
BRÜSSEL/BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Trotz erheblicher Anstrengungen bei der Stationierung neuer Truppen in Ost- und Südosteuropa will die NATO enger mit vier Staaten in der Asien-Pazifik-Region kooperieren. Dies hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gestern bestätigt. Demnach wird der westliche Militärpakt in nächster Zeit nicht nur Kampfbrigaden im Baltikum etablieren, sondern auch die Zahl der Truppen, die in erhöhter Bereitschaft sein sollen, auf 300.000 erhöhen. Am NATO-Gipfel, der am morgigen Mittwoch in Madrid beginnt, werden dennoch erstmals die Staats- und Regierungschefs der vier NATO-Kooperationspartner aus der Asien-Pazifik-Region anwesend sein. Es geht diesmal nicht – wie in den vergangenen Jahrzehnten – darum, deren Streitkräfte für NATO-Einsätze in aller Welt zu nutzen, etwa in Afghanistan; im Mittelpunkt steht das gemeinsame Vorgehen gegen China. Damit nimmt die globale Ausdehnung der NATO, die im Kern bereits seit den 1990er Jahren vorangetrieben wird, neue Form an. Diese ist dabei gegenüber ehrgeizigen Plänen, die Strategen vor gut 15 Jahren auf dem Höhepunkt westlicher Macht schmiedeten, erkennbar abgespeckt. ex.klusiv
„Willkommen in Guantanamo!”
Amnesty International prangert Misshandlung von Flüchtlingen in Litauen sowie rassistische Diskriminierung nichtweißer gegenüber ukrainischen Flüchtlingen an, spricht von „Folter“.
VILNIUS/WARSCHAU/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Litauische Grenzbeamte und Lagerwächter misshandeln regelmäßig nichtweiße Flüchtlinge und brechen dabei mit ihrem Vorgehen das Völkerrecht. Das belegt eine neue Untersuchung, die Amnesty International heute veröffentlicht. Demnach wurden Flüchtlinge bei der illegalen Zurückweisung an Litauens Grenze zu Belarus etwa in einen Fluss mit brusthohem Wasser getrieben. Andere wurden mit Stöcken und mit Elektroschockern malträtiert. Die Lebensbedingungen in Litauens Internierungszentren kommen laut Amnesty „Folter gleich“. Explizit prangert die Organisation die Diskriminierung nichtweißer gegenüber ukrainischen Flüchtlingen an, die mit offenen Armen empfangen werden. Nichtweiße Flüchtlinge hingegen sind an den Grenzen wie auch in den Lagern zusätzlich einem krassen Rassismus ausgesetzt. Ähnliche Verhältnisse hatte Amnesty bereits im April in Polen festgestellt. Amnesty schreibt der EU und insbesondere der EU-Kommission unter ihrer deutschen Präsidentin Ursula von der Leyen Mitverantwortung zu: Brüssel unterstützt die Grenzabschottung, nimmt aber Misshandlungen und Völkerrechtsbrüche an den Grenzen faktisch hin. ex.klusiv
The West against the Rest
G7-Gipfel soll unter deutschem Vorsitz neue Maßnahmen für den Wirtschaftskrieg gegen Russland vorbereiten. Als Gegengewicht formiert sich das wachsende BRICS-Bündnis.
ELMAU/BEIJING (Eigener Bericht) – Der G7-Gipfel soll unter deutschem Vorsitz neue Maßnahmen im Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland vorbereiten. Dies sehen die Pläne für die Zusammenkunft vor, die am Sonntag in Elmau beginnt. Demnach will Washington eine Einigung auf Vorhaben erreichen, die es ermöglichen sollen, den Ölpreis auf russische Kosten zu senken. Der hohe Benzinpreis schadet den Aussichten der US-Präsidentenpartei für die Zwischenwahlen im November. Zudem sind die G7 bemüht, fünf Staaten, die die Bundesregierung als Gäste nach Elmau eingeladen hat, für die Russland-Sanktionen zu gewinnen. Diese werden weiterhin bloß von einem Viertel aller Länder weltweit unterstützt. Zu den Gaststaaten gehören Senegal und Indonesien, die mittlerweile öffentlich die Aufhebung der Sanktionen verlangen. In Elmau sind außerdem Indien und Südafrika präsent, zwei Mitglieder des BRICS-Bündnisses, sowie Argentinien, das diesem beitreten will. Die BRICS, denen Russland angehört, kritisieren die Sanktionspolitik und positionierten sich auf ihrem gestrigen Gipfeltreffen als Gegengewicht zum Westen. ex.klusiv
Die Glaubwürdigkeit der EU (II)
Die angekündigte Ernennung der Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten ruft in Südosteuropa Unmut hervor: Die beitrittswilligen Länder dort werden seit 19 Jahren von Brüssel vertröstet.
BRÜSSEL/SARAJEVO/SKOPJE (Eigener Bericht) – Die für heute angekündigte Ernennung der Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten ruft in Südosteuropa schweren Unmut hervor. Zwar heißt es regelmäßig, man habe keine Einwände dagegen, die Ukraine dergestalt aufzuwerten. Allerdings werde damit etwa Bosnien-Herzegowina „erniedrigt“, da ihm der gleiche Status seit Jahren verweigert werde, warnt die einstige kroatische Ministerpräsidentin Jadranka Kosor. Dem Land wurde – ebenso wie Serbien, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien und dem Kosovo – auf dem EU-Gipfel im Juni 2003 der Beitritt zur Union in Aussicht gestellt. „Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der Europäischen Union“, hieß es damals. Ähnliches soll heute der Ukraine und Moldawien zugesagt werden – allerdings ebenso unverbindlich. Mit Blick auf die Versprechungen gegenüber Kiew dringt jetzt auch Nordmazedonien erneut darauf, Beitrittsverhandlungen mit der EU beginnen zu dürfen. Dies scheitert an einem Veto Bulgariens, dessen Regierungschef gestern gestürzt wurde. In Bulgarien befürworten zur Zeit fast 40 Prozent der Bevölkerung einen Austritt aus der NATO; das lässt es Berlin als heikel erscheinen, den Druck auf Sofia zu verstärken. ex.klusiv
Die türkische Seidenstraße
In Berlin ist eine Kooperation mit der Türkei beim Ausbau eines Verkehrskorridors nach Zentralasien im Gespräch. Pantürkische Nationalisten haben „Groß-Turkestan“ im Visier.
ANKARA/BERLIN (Eigener Bericht) – Berlin nimmt die Zusammenarbeit mit der Türkei bei der Erschließung eines strategisch bedeutenden Verkehrskorridors nach Zentralasien in den Blick. Im Zentrum stehen türkische Pläne, einen „Mittleren Korridor“ durch das Kaspische Becken bis nach China auszubauen; er soll zwischen dem nördlichen sowie dem südlichen Landstrang der Neuen Seidenstraße verlaufen und damit russisches wie auch iranisches Territorium vermeiden. Möglichkeiten, den „Mittleren Korridor“ gemeinsam zu nutzen, wurden im Mai bei einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung diskutiert. Ankara knüpft mit den Plänen an seine Zusammenarbeit mit den Ländern Zentralasiens an, die es bereits seit den 1990er Jahren intensiviert; dabei stützt es sich insbesondere auf eine enge Kooperation mit den turksprachigen Ländern der Region. Sein Einfluss dort nimmt zu; während in Zentralasien immer öfter von „Turkestan“ als Großregion die Rede ist, nehmen pantürkische Nationalisten ein „Groß-Turkestan“ von der Ägäis bis nach Westchina ins Visier. Die EU, die in der Region künftig mit Ankara kooperieren könnte, ist mit eigenen Plänen, Verkehrskorridore nach Zentralasien auszubauen, gescheitert. ex.klusiv
Krieg spaltet
Außenpolitik-Denkfabrik rechnet mit schwindender Zustimmung zum Ukraine-Krieg und warnt vor Spaltung der EU. Befürworter eines raschen Friedens bereits in relativer Mehrheit.
BERLIN/ROM (Eigener Bericht) – Eine europaweit organisierte Denkfabrik mit Hauptsitz in Berlin warnt vor einer dauerhaften Spaltung der EU durch den Ukraine-Krieg. Wie der European Council on Foreign Relations (ECFR) in der Auswertung einer Umfrage konstatiert, die er in zehn Ländern Europas durchgeführt hat, lassen sich bereits heute zwei klar gegeneinander abgegrenzte Meinungsspektren in den Bevölkerungen identifizieren. Während eines verlangt, Russland müsse um jeden Preis eine Niederlage zugefügt werden, dringt das andere auf einen raschen Friedensschluss, auch wenn das Zugeständnisse der Ukraine voraussetzt. Ursache sind Befürchtungen, der Krieg werde negative Folgen für den Lebensstandard in ganz Europa haben und drohe zudem in einen Nuklearkrieg zu eskalieren. Der ECFR urteilt, dauere der Ukraine-Krieg an, dann könnten sich die Gewichte zugunsten der Befürworter eines Friedens verschieben; womöglich gerate gar die Einheit der EU in Gefahr. Eine sinkende Zustimmung zu Waffenlieferungen an die Ukraine wurde in Deutschland bereits im Mai verzeichnet. In Italien nehmen sogar öffentliche Proteste dagegen zu. ex.klusiv
Der Wachstumstreiber der Pharmabranche
WTO-Beschluss zur befristeten Aussetzung von Covid-19-Impfstoffpatenten ist von Berlin desaströs ausgehöhlt worden. Milliardenprofite für deutsche Pharmabranche bleiben sicher.
BERLIN/MAINZ (Eigener Bericht) – Die am Freitag gefällte WTO-Entscheidung zur befristeten Aussetzung von Covid-19-Impfstoffpatenten ist von der Bundesregierung systematisch ausgehöhlt worden und wird wohl kaum Wirkung entfalten. Dies beklagen global tätige Menschenrechts- und Hilfsorganisationen. Demnach darf nur eine begrenzte Zahl an Entwicklungsländern Covid-19-Vakzine ohne Absprache mit den Patentinhabern produzieren. Fachleute bezweifeln, dass sie die komplexe Technologie für die Herstellung der aufwendigen mRNA-Impfstoffe beschaffen können. Ohnehin haben vor allem Deutschland, Großbritannien und die Schweiz die jetzige Aussetzung der Patente so lange hinausgezögert, bis der Weltmarkt für Covid-19-Impfstoffe weitgehend gesättigt ist. Die Patentfreigabe bei Covid-19-Medikamenten hingegen, bei denen weiterhin Marktchancen bestehen, blockieren sie unverändert. „Erkrankte in einkommensschwächeren Ländern“ könnten auch künftig nicht auf „die Behandlung“ hoffen, „die sie benötigen“, heißt es bei Amnesty International. Zu den Profiteuren zählt die Firma BioNTech (Mainz), die mit Quartalsgewinnen in Milliardenhöhe zu einem der finanzstärksten Biotech-Unternehmen weltweit aufgestiegen ist. ex.klusiv
Kampfbrigaden statt Battlegroups
NATO-Verteidigungsminister beschließen Aufstellung von Kampfbrigaden an der Ostflanke des Bündnisgebiets und die Anpassung der ukrainischen Streitkräfte an NATO-Standards.
BRÜSSEL/KIEW (Eigener Bericht) – Die NATO-Staaten werden die Streitkräfte der Ukraine auf NATO-Standards umrüsten und sie langfristig zur gemeinsamen Kriegführung mit dem Westen befähigen. Dies hat der Generalsekretär des Militärpaktes, Jens Stoltenberg, nach dem gestern zu Ende gegangenen Treffen der NATO-Verteidigungsminister bestätigt. Darüber hinaus haben sich die Minister auf ein Modell für die Hochrüstung an der Ostflanke des Bündnisgebiets geeinigt. Demnach werden dort nun Kampfbrigaden installiert; freilich sollen lediglich rund die Hälfte der Soldaten dort stationiert sein, während die anderen an ihren Heimatstandorten verbleiben sollen, allerdings in erhöhter Einsatzbereitschaft. Um in kürzester Zeit an die Front vorrücken zu können, sollen erhebliche Bestände an schweren Waffen bereits in Ost- und Südosteuropa deponiert werden. Beschlossen wurden außerdem neue Schritte zur sofortigen Aufrüstung der Ukraine, die bereits Kriegsgerät für zwölf Artilleriebataillone erhalten hat. Praktisch koordiniert werden die Waffenlieferungen von einer Zelle in den Patch Barracks in Stuttgart-Vaihingen. ex.klusiv