Im schleichenden Abstieg

Deutschland stärkt seine Wirtschaftsbeziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diese übernehmen erstmals einen deutschen Großkonzern und nutzen ihn für ihre eigene Expansion. Sie unterstützen die genozidale RSF-Miliz im Sudan.

ABU DHABI/BERLIN (Eigener Bericht) – Mit intensiven Gesprächen in Abu Dhabi hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche die deutschen Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Hauptunterstützer der genozidalen RSF-Miliz im Sudan, gestärkt. Bei den Gesprächen ging es nicht nur darum, sich künftig Zugriff auf grünen Wasserstoff zu sichern. Die Emirate sind dabei, einer von dessen wichtigsten Produzenten zu werden. Reiche verhandelte zudem über die kurz bevorstehende Übernahme des Ex-Dax-Konzerns Covestro durch den emiratischen Konzern Adnoc. Investierten die Emirate früher in Deutschland, um deutschen Unternehmen mit Finanzspritzen aus Krisen zu helfen, so wird dieses Mal das Traditionsunternehmen Covestro (einst Bayer MaterialScience) in einen Konzern der Emirate integriert, um diesem zum Aufstieg an die Weltspitze zu verhelfen – ein Beispiel dafür, wie tiefgreifend sich die globalen Kräfteverhältnisse verschieben. Berlin müsse aktuell gegenüber dem Aufsteiger Abu Dhabi gar „als Bittsteller auftreten“, hieß es aus Reiches Delegation. Tatsächlich treiben die Vereinigten Arabischen Emirate längst eine eigenständige Außenpolitik – gestützt auch auf ihre Kooperation mit Deutschland.

Umrüsten für die postfossile Ära

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat zu Wochenbeginn in den Vereinigten Arabischen Emiraten Gespräche zum einen über den künftigen Bezug grünen Wasserstoffs geführt. Die Emirate sind bemüht, zu einem der wichtigsten Exporteure von Wasserstoff weltweit zu werden. Damit wollen sie sich auch für die Zeit nach der zu Ende gehenden Ära fossiler Energieträger eine starke Stellung auf dem globalen Energiemarkt sichern. Zunächst soll ein Teil des Wasserstoffs noch aus Erdgas gewonnen werden („blauer Wasserstoff“); auf lange Sicht ist der komplette Umstieg auf „grünen“, aus erneuerbarer Energie gewonnenen Wasserstoff geplant. Dabei stehen die Emirate freilich in Konkurrenz unter anderem zu Saudi-Arabien und Oman, die ebenfalls aus ihrer für die Nutzung erneuerbarer Energien sehr günstigen geographischen Lage Vorteil ziehen wollen.[1] Für Berlin folgt der Rückgriff auf die Emirate als Energielieferant noch weitgehend traditionellen Mustern, nach denen Staaten jenseits der westlichen Industriezentren vor allem als Lieferanten von Rohstoffen – darunter Energieträgern – und als Absatzmärkte fungieren. Außerdem verdienen deutsche Konzerne mit der Lieferung von Technologie für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft der Emirate gutes Geld.[2]

Arabische Finanzspritzen

Anders verhält es sich beim zweiten Themenkomplex, über den Reiche in den Emiraten verhandelte: bei den emiratischen Investitionen in der Bundesrepublik. Traditionell konnten deutsche Konzerne, wenn sie Bedarf an frischem Kapital hatten, immer wieder auf Mittel aus den arabischen Golfstaaten zurückgreifen, ohne dafür besondere Zugeständnisse machen zu müssen. Ein Beispiel bot etwa der Einstieg des staatlich kontrollierten Investmentfonds Aabar Investments aus Abu Dhabi im Jahr 2009 bei Daimler. Daimler hatte damals, bedingt durch die globale Finanzkrise, empfindliche Einbußen bei Umsatz und Gewinn hinnehmen müssen; um sich aus seiner schwierigen Lage herauszuarbeiten, suchte der deutsche Konzern dringend nach neuen Investoren. In dieser Lage bot sich Aabar Investments an und erwarb für 1,95 Milliarden Euro einen Anteil von 9,1 Prozent an Daimler. Der Autohersteller konnte, gestützt auf die neuen Gelder, sein Geschäft stabilisieren sowie seine technologische Entwicklung vorantreiben.[3] Erst rund dreieinhalb Jahre später, als der deutsche Konzern seine tiefe Krise überwunden hatte und längst wieder satte Profite erzielte, stieg Aabar Investments – der Fonds ist mittlerweile im Staatsfonds Mubadala Investment aufgegangen – mit dem kompletten Verkauf seiner Daimler-Anteile wieder aus.[4]

Zum Bittsteller geworden

Heute, eineinhalb Jahrzehnte später, gestalten sich emiratische Auslandsinvestitionen in Deutschland in einem völlig anderen Kontext. Dies zeigt die kurz bevorstehende Übernahme des deutschen Konzerns Covestro durch das Unternehmen Adnoc (Abu Dhabi National Oil Company). Covestro ging im Jahr 2015 per Abspaltung von Bayer MaterialScience, der Kunststoffsparte des Mutterkonzerns, aus der Bayer AG hervor. Covestro steckt, wie beinahe die gesamte deutsche Chemieindustrie [5], in einer ernsten Krise. Der Konzernumsatz sank im dritten Quartal 2025 um zwölf Prozent auf 3,2 Milliarden Euro. Alles in allem erzielte das Unternehmen ein Quartalsminus von 47 Millionen Euro; im Vorjahreszeitraum war es noch ein Plus von 33 Millionen Euro gewesen.[6] Covestro-Chef Markus Steilemann, zugleich Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), hatte im September geurteilt: „Die Industrie steht am Abgrund.“[7] War im Jahr 2009 Aabar Investments noch bei Daimler mit einem relativ geringen Anteil eingestiegen, um den Konzern finanziell zu stützen, so ist heute Adnoc dabei, Covestro komplett zu übernehmen. Reiche verhandelte darüber in Abu Dhabi. „Es ist auch ein Zeichen des schleichenden relativen Abstiegs unseres Industriestandorts“, äußerte ein Mitglied der deutschen Delegation, „dass wir hier inzwischen als Bittsteller auftreten“.[8]

Teil der emiratischen Expansion

Konnte Daimler nach dem Einstieg von Aabar Investments die eigenen Aktivitäten völlig unverändert fortsetzen, so wird dies bei Covestro langfristig nicht mehr der Fall sein. Zwar hat Adnoc dem deutschen Konzern laut Berichten in einer Investitionsvereinbarung klar zugesichert, vorläufig nicht mit einem anderen Unternehmen fusioniert zu werden sowie in seiner aktuellen Form bestehen zu bleiben. Das Abkommen gelte freilich, heißt es, nur bis Ende 2028.[9] Adnoc wiederum, aus der Ölförderung kommend, will sein Geschäft – in Vorbereitung auf das Ende der Ära fossiler Energiegewinnung – tiefgreifend umbauen und bündelt dazu seine Aktivitäten jenseits von Öl und Gas, besonders seine Tätigkeit in der Chemiebranche, in seiner neuen Tochtergesellschaft mit dem Namen XRG. In deren Zuständigkeit wird jetzt auch Covestro überführt. XRG wiederum soll von Adnoc laut Plan bis zu 150 Milliarden US-Dollar erhalten, um damit weiter zu expandieren. Die Firma soll damit einer der fünf größten Chemiekonzerne weltweit werden.[10] Welchen Stellenwert Covestro in den globalen Expansionsplänen des emiratischen Unternehmens langfristig innehat, ist ungewiss – ebenso ungewiss, wie es bisher die Zukunft von Firmen in aller Welt war, die von deutschen Konzernen übernommen wurden. Die Rollen verschieben sich.

Neue Eigenständigkeit

Dies geht mit tiefgreifenden Verschiebungen in der gesamten emiratischen Außenpolitik einher. Die Emirate, deren mit Abstand bedeutendster Handelspartner inzwischen China ist, kooperieren mit der Volksrepublik längst auch in sensiblen Bereichen der Ökonomie, so etwa beim Aufbau ihrer 5G-Netze, bei dem sie auf Technologie von Huawei zurückgreifen; sogar in der Militär- und der Rüstungspolitik arbeiten Abu Dhabi und Beijing inzwischen punktuell zusammen.[11] Die Vereinigten Arabischen Emirate sind dem BRICS-Bündnis beigetreten; zudem sind sie der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) als Partnerstaat verbunden. Sie suchen eine gewisse Kontrolle – auch militärisch – über bedeutende Seehandelswege zu erlangen, darunter das Rote Meer.[12] Das wiederum hat sie veranlasst, zunächst in den Krieg im Jemen zu intervenieren, einen bedeutenden Anrainer des Gewässers; das Ziel der Emirate war es dabei, Einfluss auf wichtige Abschnitte der Küstenregionen zu erlangen. Der Plan, sich eine starke Stellung am Roten Meer zu sichern, ist eines der Motive, das sie zur Unterstützung für die Rapid Support Forces (RSF) im Sudan getrieben hat.

Unterstützung für genozidale Milizen

Waren die emiratischen Streitkräfte schon im Jemen-Krieg an schweren Kriegsverbrechen beteiligt, so unterstützen sie heute genozidale Feldzüge der RSF mit Waffen, darunter solche, die aus europäischen Staaten kommen. So wurden etwa Rüstungsgüter, die Großbritannien an die Emirate geliefert hatte, in Darfur aufgefunden. Das trifft auch auf Munition zu, die einst Bulgarien an die Emirate weiterreichte.[13] Ob auch deutsche Rüstungsgüter bei den RSF landeten, ist nicht bekannt; bekannt ist aber, dass die Emirate ein starker Abnehmer deutschen Kriegsgeräts sind.[14] Die emiratische Unterstützung für den genozidalen Krieg der RSF im Sudan hält die Bundesregierung nicht davon ab, ihre Beziehungen zu dem Land auszubauen – besonders auf ökonomischer Ebene. Der Besuch von Bundeswirtschaftsministerin Reiche Anfang dieser Woche in Abu Dhabi zeugt davon.

 

[1] Heena Nazir: VAE verfolgen bei Wasserstoff ambitionierte Pläne. gtai.de 07.05.2025.

[2] Klaus Stratmann: Praxistest für Wasserstoff: Deutsche Industrie bekommt Hilfe aus den Emiraten. handelsblatt.com 21.03.2022.

[3] Abu Dhabi steigt bei Daimler ein. tagesschau.de 22.03.2009. S. dazu Feudalinvestoren.

[4] Abu Dhabi verkauft seine letzten Daimler-Aktien. spiegel.de 11.10.2012.

[5] S. dazu Wirtschaftsmacht im Abstieg.

[6] Covestro schreibt Nettoverlust – Jahresziel eingegrenzt. handelsblatt.com 30.10.2025.

[7] Chemie & Pharma Summit: Auftakt mit Bundeskanzler Merz. Mut zu Reformen: Die Zeit drängt. presseportal.de 24.09.2025.

[8] Michael Bröcker: Reiche am Golf: Wie die Wirtschaftsministerin in den Emiraten um günstiges Gas und frisches Geld buhlt. table.media 17.11.2025.

[9], [10] Bert Fröndhoff: Adnoc und OMV formen 60 Milliarden Dollar schweren Chemiekonzern. handelsblatt.com 04.03.2025.

[11] Adam Lucente: China, UAE hold air force drills in Xinjiang as defense relations grow. al-monitor.com 11.07.2024.

[12] Jun Moriguchi, Ito Mashino: The UAE’s strategy in Africa. Mitsui & Co. Global Strategic Studies Institute Monthly Report. January 2025.

[13] Seb Starcevic: Sudan urges EU: Stop selling arms to UAE amid massacre claims. politico.eu 17.11.2025.

[14] S. dazu „Konstruktive Kräfte”.


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