Am kürzeren Hebel

Außenminister Wadephul sagt lange geplante China-Reise ab, weil er nach allerlei Attacken gegen Beijing nicht die gewünschten Gesprächstermine bekam. Die Industrie der EU ist von Mangel an Seltenen Erden und Chips aus China bedroht.

BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Die deutsche Absage einer lange geplanten China-Reise von Außenminister Johann Wadephul trübt die Hoffnung auf ein mögliches Ende der Sanktionsspirale zwischen der EU und der Volksrepublik. Die EU hat jüngst immer wieder Sanktionen gegen chinesische Unternehmen verhängt und weitere angedroht. Zudem hat Deutschland begonnen, seine Zusammenarbeit mit Taiwan qualitativ auszuweiten: auf Angebote für Rüstungslieferungen, wie sie gewöhnlich nur in souveräne Staaten getätigt werden. Beijing hat auf die EU-Attacken mit strengen Exportkontrollen auf Seltene Erden reagiert und Außenminister Wadephul bei seinem geplanten Besuch lediglich ein Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi zugestanden. Wadephul, der allerlei weitere Gespräche führen wollte, hat seine Reise nun auf unbestimmte Zeit verschoben. Damit rückt eine Lösung in den Konflikten zwischen Brüssel und Beijing in die Ferne. Dies geschieht, während die USA noch in dieser Woche auf eine Art Waffenstillstand im Handelskrieg hoffen. Zudem ist die europäische Industrie von akutem Mangel an Seltenen Erden und an Halbleitern bedroht und sitzt in den Auseinandersetzungen, die sie verschärft, wohl am kürzeren Hebel.

Verbalattacken

Außenminister Wadephul hat in den vergangenen Wochen einerseits die verbalen Attacken gegen die Volksrepublik deutlich intensiviert – dies jeweils vor einem japanischen Publikum, was seinen Äußerungen wegen der Spannungen zwischen Beijing und Tokio zusätzliches Gewicht verlieh. Im August etwa hatte er die Volksrepublik nach einem Gespräch mit seinem japanischen Amtskollegen implizit der Mitschuld am Ukraine-Krieg bezichtigt und geäußert, ohne ihre „Unterstützung der russischen Kriegsmaschinerie“ wäre „der Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht möglich“.[1] Zudem hatte er behauptet, Beijing drohe „immer wieder mehr oder weniger unverhohlen damit, den Status quo einseitig zu verändern und Grenzen zu seinen Gunsten zu verschieben“. Dies trifft nicht zu; während nicht China, sondern Taiwans Separatistenregierung den Status quo der Insel zu verändern droht, hat die Volksrepublik eine andere Rechtsauffassung zu den Grenzen im Südchinesischen Meer, auf die sich Wadephuls Äußerung bezog, als Berlin.[2] Vor zwei Wochen wiederholte Wadephul die Vorwürfe vor dem Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin und schwang sich zu der Behauptung auf, Chinas Plädoyer für die Wahrung der „multilaterale[n] Institutionenwelt“ sei bloß ein „Narrativ“.[3] In Wirklichkeit werden internationale Institutionen gegenwärtig von Berlins wichtigstem außereuropäischen Verbündeten mutwillig zerstört – von den USA.

Taiwans „Nationalhymne“

Jenseits verbaler Attacken hat die Bundesrepublik begonnen, ihre Zusammenarbeit mit Taiwan nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ auszuweiten und damit faktisch selbst am Status quo der Insel zu rütteln. So hatte kürzlich nicht nur der neue Direktor des Deutschen Instituts Taipei, Karsten Tietz, im Gespräch mit dem taiwanischen Außenminister Lin Chia-lung behauptet, Deutschland und Taiwan sähen sich „mit zunehmend aggressiven Nachbarländern“ konfrontiert, was „weitreichende Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit“ zwischen ihnen schaffe.[4] Bereits im September hatte sich gezeigt, dass sich dies auch auf eine rüstungsindustrielle Kooperation bezieht. So waren auf der Rüstungsmesse Taipei Aerospace and Defence Technology Exhibition erstmals das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei und der deutsch-französische Airbus-Konzern vertreten. Während es im Deutschen Wirtschaftsbüro hieß, man präsentiere Innovationen auf dem Feld der „Sicherheit“, bestätigte Airbus explizit, man bewerbe mehr als die üblichen „kommerziellen“ Produkte.[5] Mit Rüstungsgütern ausgestattet werden in aller Regel souveräne Staaten; Taiwan ist dies nicht. Dennoch war, wie der taiwanische Vizeaußenminister Wu Chih-chung kürzlich berichtete, im Deutschen Institut Taipei beim Empfang zum deutschen Nationalfeiertag (3. Oktober) zum ersten Mal „die taiwanesische Nationalhymne“ zu hören.[6]

Neue Sanktionen

Während die Bundesrepublik mit derlei Maßnahmen andeutet, Taiwan zunehmend wie einen souveränen Staat behandeln und damit den Status quo verändern zu wollen, prescht die EU mit neuen wirtschaftlichen Repressalien gegen die Volksrepublik vor. Hatten die neuen 50-Prozent-Zölle auf die Einfuhr von Stahl, die Brüssel Anfang Oktober ankündigte, alle Länder gleichermaßen getroffen – darunter auch, aber eben nicht nur China –, so verhängte die EU am vergangenen Donnerstag mit ihrem 19. Sanktionspaket gegen Russland auch Sanktionen gegen Unternehmen aus der Volksrepublik. Diese hatten von ihrem guten Recht Gebrauch gemacht, sich ihre Handelspartner nicht von einer fremden Macht, der EU, vorschreiben zu lassen und Handel mit Russland zu treiben. Ebenfalls am vergangenen Donnerstag stimmten die EU-Staats- und Regierungschefs einer Erklärung zu, die sich implizit auf den Streit um die Lieferung Seltener Erden aus China in die EU bezieht. Beijing hat, von den USA und der EU mit allerlei Embargos etwa bei US-Halbleitern und EU-Maschinen zur Chipherstellung belegt, mit Exportkontrollen auf Seltene Erden reagiert. Bislang nicht bereit, den Konflikt zu deeskalieren, fordern die EU-Staaten nun in der erwähnten Erklärung die Kommission auf, mögliche neue ökonomische Zwangsmaßnahmen gegen China vorzubereiten.[7]

„In der Defensive“

Deutschland und die EU verstärken ihre politischen und ökonomischen Attacken inmitten einer Phase eigener Schwäche. So sind europäische Unternehmen in vielen Fällen annähernd alternativlos auf Seltene Erden aus China angewiesen; ihre Lage weist Parallelen zur Lage chinesischer Unternehmen auf, die einst alternativlos auf Produkte der Chipindustrie in USA und EU angewiesen waren. Vorschläge aus Beijing, beiderseitig Restriktionen zu lockern, verpuffen in Europa bislang. Es kommt hinzu, dass der Konflikt um den in den Niederlanden ansässigen, in chinesischem Besitz befindlichen Chiphersteller Nexperia eskaliert. Den Haag hatte auf Druck aus den USA in einem beispiellosen Akt den chinesischen Konzernchef für abgesetzt erklärt sowie Nexperia niederländischer Kontrolle unterstellt (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Beijing setzte sich zur Wehr, indem es die Ausfuhr von Nexperia-Halbleitern untersagte. Damit droht in Deutschland und der EU krasser Chipmangel, der unter anderem die Kfz-Industrie oder den Maschinenbau schwer schädigen könnte. Die EU, offenkundig am kürzeren Hebel sitzend, droht auch diesbezüglich auf Gedeih und Verderb mit Sanktionen. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte Ende vergangener Woche, die EU befinde sich „zurzeit in der Defensive, und da müssen wir wieder raus“.[9]

Vor der Eskalation

In dieser Situation hat Beijing, nicht bereit, die stetigen Berliner Attacken und die Brüsseler Sanktionsdrohungen zu tolerieren, das für Anfang dieser Woche geplante Besuchsprogramm des deutschen Außenministers offenbar gekürzt und Wadephul lediglich ein Gespräch mit seinem Amtskollegen Wang Yi zugestanden. Zusatztermine, um die Wadephul gebeten habe, könnten nicht anberaumt werden, hieß es. Das Auswärtige Amt hat nun, um dem Minister Peinlichkeiten zu ersparen, die Reise kurzerhand abgesagt.[10] Damit allerdings rücken die Möglichkeiten, den Streit um Seltene Erden, Halbleiter und Sanktionen beizulegen, weiter in die Ferne – zum Nachteil der akut vom Mangel an Vorprodukten bedrohten europäischen Industrie. Dies geschieht, während die Vereinigten Staaten ihre Verhandlungen mit China in den vergangenen Tagen energisch vorangetrieben haben und hoffen, am Donnerstag eine Einigung auf eine Art Waffenstillstand im Handelskrieg erzielen zu können.[11] Gelingt das, dann steckte womöglich allein die EU in einer Sanktionsspirale mit Beijing fest, in der sie nach Lage der Dinge voraussichtlich den Kürzeren zieht.

 

[1] Scharfe Kritik Chinas an Äußerung Wadephuls. tagesschau.de 18.08.2025.

[2] Beijing kann sich in den Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer auf den Vertrag von Tianjin aus dem Jahr 1885 berufen, in dem Frankreich, damals an den Inseln östlich seiner Kolonie Vietnam nicht interessiert, erklärte, diese sollten „China zugeordnet werden“.

[3] Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Johann Wadephul, zum 40-jährigen Jubiläum des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin (JDZB) am 14. Oktober 2025 in Berlin. bundesregierung.de 14.10.2025.

[4] Außenminister: Taiwan begrüßt engere Zusammenarbeit mit Deutschland. rti.org.tw 14.10.2025.

[5] Ben Blanchard: Europe emerges from the shadows at Taiwan’s largest defence show. uk.finance.yahoo.com 22.09.2025.

[6] „Wir waren noch nie so stark“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.10.2025.

[7] European Council meeting (23 October 2025) – Conclusions. Brussels, 23.10.2025.

[8] S. dazu Der Kampf um Nexperia.

[9] Jakob Hanke Vela, Leonard Frick: Regierungschefs drohen China wegen Exportblockade mit Sanktionen. handelsblatt.com 23.10.2025.

[10] Laura Pitel, Anne-Sylvaine Chassany: German foreign minister cancels China trip amid mounting tensions. ft.com 24.10.2025.

[11] Hannah Miao, Chun Han Wong: U.S., China Sound Confident Note After Trade Talks. wsj.com 26.10.2025.


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