Der Kampf um Nexperia
Die Niederlande unterstellen den in chinesischem Besitz befindlichen Halbleiterhersteller Nexperia auf Druck aus den USA ihrer Kontrolle. China protestiert heftig. Unklar ist, welche Rolle deutsche Manager bei der Maßnahme spielen.
NIJMEGEN/HAMBURG (Eigener Bericht) – Die Zwangsunterstellung eines chinesischen Halbleiterherstellers unter die Kontrolle der niederländischen Regierung droht ernste Folgen für Deutschland zu haben. Auf massiven Druck aus den Vereinigten Staaten hat Den Haag den Vorsitzenden des Chipproduzenten Nexperia, Zhang Xuezheng, entmachtet und bei dem Unternehmen einen Treuhänder eingesetzt. Zhang ist Gründer des chinesischen Konzerns Wingtech Technologies, dem Nexperia seit 2019 gehört. Die Maßnahme dient offiziell dazu, zu verhindern, dass Nexperia auf die US-entity list gesetzt wird, eine Sanktionsliste. Das Unternehmen wäre dann kaum noch arbeitsfähig. Es wären 1.600 Arbeitsplätze in Hamburg bedroht; zudem würde ein bedeutender Chiplieferant der deutschen Kfz-Industrie ausfallen. Juristische Grundlage der Entmachtung von Zhang bzw. Wingtech ist ein Gesetz aus dem Jahr 1952, das noch nie angewandt wurde und die Versorgung der Niederlande nicht zuletzt in Kriegszeiten sicherstellen soll. Beijing setzt sich gegen die beispiellose Maßnahme zur Wehr. Bei der Vorbereitung hatte die niederländische Regierung mit europäischen Nexperia-Managern konspiriert. Jetzt führt ein deutscher Manager das Unternehmen.
Sanktionen für alle
Die Auseinandersetzungen um Nexperia gehen formal auf die Entscheidung der Trump-Administration vom 29. September zurück, die US-entity list, eine Liste ausländischer, mit Sanktionen belegter Unternehmen, ohne Einzelprüfung um deren Tochterfirmen zu erweitern. Umfasste die entity list nach Schätzung von Insidern bereits zuvor gut 3.000 Unternehmen, so kamen mit ihrer Erweiterung um deren Tochterfirmen Tausende weitere hinzu, womöglich sogar eine fünfstellige Anzahl.[1] Washington begründete dies mit der Aussage, einige Unternehmen versuchten die Sanktionen zu umgehen, indem sie Teile ihres Geschäfts über ihre Tochterfirmen abwickelten. Nachweise für diese Behauptung sind freilich für einen Eintrag auf der entity list nicht nötig. Ein Experte der Datenanalysefirma Exiger erklärt über die Maßnahme, es handle sich um eine „signifikante Verhärtung“ der US-Politik; betroffen seien vermutlich Geschäfte „im Wert von Milliarden Dollar“.[2] Chinas Handelsministerium verurteilte den Schritt scharf und kündigte an, man werde alle „notwendigen Maßnahmen“ ergreifen, um die Rechte und die Interessen der chinesischen Wirtschaft zu verteidigen. Lediglich zehn Tage später gab Beijing eine deutliche Ausweitung seiner Exportkontrollen auf Seltene Erden bekannt (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
Konspirative Aktivitäten
Eines der betroffenen Unternehmen ist Nexperia, ein Chiphersteller mit Hauptsitz im niederländischen Nijmegen, der sich seit 2019 im Besitz des chinesischen Tech-Konzerns Wingtech befindet. Wingtech wiederum wurde Ende 2024 von der Biden-Administration auf die entity list gesetzt. Washington begann bereits im Juni, Druck auf Nexperia zu machen. Wie Gerichtsunterlagen bestätigen, äußerten US-Regierungsarbeiter damals auf einem Treffen mit Repräsentanten des Außenministeriums der Niederlande, es sei „problematisch“, dass Nexperia immer noch von seinem „chinesischen Besitzer“ geführt werde.[4] Solle das Unternehmen vor seiner Listung auf der entity list bewahrt werden, dann müsse „der CEO ersetzt werden“.[5] Recherchen des Wall Street Journal zufolge hatten Regierungsstellen in Den Haag sogar schon kurz nach der Listung des Nexperia-Mutterkonzerns Wingtech begonnen, mit führenden europäischen Mitarbeitern des Unternehmens Optionen zu suchen, dem Wingtech-Chef die Kontrolle über die Tochterfirma zu entreißen. Trifft dies zu, dann müssen Besitzer auswärtiger Konzerne künftig offenbar damit rechnen, dass Regierungen in Europa mit europäischem Firmenpersonal gegen sie konspirieren, und das bis hin zu ihrer Entmachtung.
Ein Notstandsgesetz
Die konspirativen Aktivitäten niederländischer Stellen – dem Wall Street Journal zufolge in Kooperation mit europäischen Nexperia-Führungskräften – waren erfolgreich. Nur einen Tag nach der Erweiterung der entity list um die Tochterfirmen gelisteter Unternehmen, darunter Nexperia, brachte das niederländische Wirtschaftsministerium den Chiphersteller unter seine Kontrolle.[6] Wiederum einen Tag später, am 1. Oktober, stimmte ein niederländisches Gericht der Absetzung von Nexperia-Chef Zhang Xuezheng – dem Gründer von Wingtech – zu und übertrug die Verwaltung sämtlicher Unternehmensaktien bis auf eine vorläufig einem Treuhänder.[7] Am 7. Oktober bestätigte das Gericht dies in einem formellen Beschluss. Einwände der Wingtech-Anwälte, man sei in einem Blitzverfahren, das eines Rechtsstaates unwürdig sei, überrollt worden, ließen die Richter nicht gelten. Rechtsgrundlage ist ein Gesetz aus dem Jahr 1952, das es der Regierung erlaubt, unmittelbar in Firmenaktivitäten zu intervenieren, wenn die Sicherheit des Landes in Gefahr ist – sprich: im Kriegsfall. Das Gesetz ist bislang noch nie angewandt worden. Offiziell steht Wingtech der Rechtsweg offen. Das bisherige Verhalten der niederländischen Justiz nährt das Vertrauen in die Gerichte des Landes allerdings nicht.
Chinas Rechte
China hat rasch auf die Entmachtung des Unternehmenschefs durch die Niederlande reagiert, hat angeordnet, dass Wingtech keine Produkte mehr exportieren darf und Notfallmaßnahmen ergreifen muss, um sein Eigentum zu sichern. Am Montag bestätigte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Volksrepublik sei „fest entschlossen“, ihre „Rechte und Interessen zu verteidigen“.[8] Die weitere Entwicklung des Konflikts ist kaum abzusehen.
Für Deutschland wichtig
Deutschland bzw. deutsche Nexperia-Führungskräfte sind in mehrfacher Weise von der Entwicklung betroffen bzw. in sie involviert. Nexperia fertigt eher einfache Halbleiter, etwa solche für die Kfz-Industrie, die ansonsten vor allem aus China importiert werden, diese aber in großer Zahl; so liefert das Unternehmen Berichten zufolge 63 Milliarden Bauteile pro Jahr an Unternehmen der Autobranche. Es sei, so heißt es, „ein wichtiger Zulieferer für viele Kunden in Deutschland“.[9] Sein bedeutendster Produktionsstandort ist Hamburg; dort sind rund 1.600 Personen beschäftigt. Die Fabrik wird gegenwärtig für etwa 175 Millionen Euro modernisiert.[10] In Hamburg haben zudem die bisherigen Spitzenmanager Achim Kempe (Chief Operations Officer) und Stefan Tilger (Chief Financial Officer) ihren Sitz. Die Bundesregierung hat Nexperia allerdings aufgrund der Tatsache, dass das Unternehmen sich in chinesischem Besitz befindet, Steine in den Weg gelegt; so wurde es von dem wichtigen EU-Förderprogramm IPCEI ausgeschlossen. Aufgrund des Konflikts zwischen dem Westen und China habe Kempe eigentlich geplant, für Kunden in Europa und in China jeweils getrennte Lieferketten aufzubauen, wird berichtet; dies habe das Unternehmen sanktionssicher machen sollen.[11]
US-Forderungen vollstrecken
Unklar ist zudem, welche Rolle deutsche Mitglieder der Unternehmensführung bei den Vorgängen spielten und ob sie diejenigen waren, mit denen die niederländische Regierung seit Monaten konspirierte, um Wingtech die Kontrolle über die Tochterfirma zu entreißen. Klar ist, dass Finanzvorstand Tilger zum Übergangsvorsitzenden ernannt worden ist und dafür sorgen soll, dass Nexperia nicht auf die US-entity list gesetzt wird.[12] Das läuft offensichtlich darauf hinaus, dass er als Vollstrecker von US-Forderungen operieren muss. Sollten die USA Sanktionen gegen Nexperia verhängen, wäre die Produktion mutmaßlich nicht lange aufrechtzuerhalten: Wichtige Materialien werden von US-Firmen geliefert; Maschinen werden von US-Unternehmen gewartet. Fällt Nexperia aus, droht drastischer Halbleitermangel in der Kfz-Industrie. Allerdings ist ebenso ungewiss, welche Folgen die chinesische Gegenwehr gegen die Entmachtung von Wingtech hat und welche Schritte Beijing gegen die eskalierenden Angriffe auf chinesische Konzerne und Interessen unternimmt.
[1], [2] Ana Swanson: Trump Expands Global Technology Net With Rules Covering Subsidiaries. nytimes.com 29.09.2025.
[3] S. dazu Chinas neue Exportkontrollen.
[4] Sam Schechner, Raffaele Huang: How U.S. Pressured Netherlands to Oust CEO of Chinese-Owned Chip Maker. wsj.com 14.10.2025.
[5] Joachim Hofer, Timm Seckel: Nexperia bekommt deutschen Chef – und Druck aus den USA. handelsblatt.com 14.10.2025.
[6] Sam Schechner, Raffaele Huang: How U.S. Pressured Netherlands to Oust CEO of Chinese-Owned Chip Maker. wsj.com 14.10.2025.
[7] Joachim Hofer, Timm Seckel: Nexperia bekommt deutschen Chef – und Druck aus den USA. handelsblatt.com 14.10.2025.
[8] Sam Schechner, Raffaele Huang: How U.S. Pressured Netherlands to Oust CEO of Chinese-Owned Chip Maker. wsj.com 14.10.2025.
[9] Joachim Hofer, Thomas Jahn, Timm Seckel, Martin Benninghoff: Niederlande übernehmen Kontrolle von Nexperia. handelsblatt.com 15.10.2025.
[10], [11] Joachim Hofer: Chipfertigung in Hamburg – „Unsere Werke sind voll ausgelastet“. handelsblatt.com 12.06.2025.
[12] Joachim Hofer, Timm Seckel: Nexperia bekommt deutschen Chef – und Druck aus den USA. handelsblatt.com 14.10.2025.

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