Kampf um die digitale Souveränität
Die Debatte über die „digitale Souveränität“ Deutschlands und der EU wird im Außenpolitik-Establishment kontrovers geführt. Manche halten sie für nicht mehr möglich; andere urteilen, deutsche Rüstungs-Startups kämpften erfolgreich um sie.
BERLIN (Eigener Bericht) – Das deutsche Außenpolitik-Establishment treibt die Debatte über die „digitale Souveränität“ Deutschlands sowie der EU als Grundlage für eine wirkliche Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten voran. Derzeit liege „die strukturelle Macht“ in der Digitaltechnologie „klar außerhalb Europas“, nämlich in den USA und in China, heißt es in einem aktuellen Sonderheft der Zeitschrift Internationale Politik, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird. „Die Macht der US-Internetkonzerne“ sei so groß, dass „europäische Firmen und Behörden“ wohl „nicht mehr weiterarbeiten könnten“, falls die US-Regierung sich „zu einem Embargo entschlösse“, heißt es in einem weiteren Beitrag. Einigkeit herrscht in der Debatte darüber, dass die bisherigen Bestrebungen der Bundesregierung und der EU-Kommission, der Technologie-Abhängigkeit vor allem von den USA zu entkommen, gescheitert sind. Während ein Autor zu dem Resultat kommt, Berlin und Brüssel hätten sich mittlerweile „mit einer postsouveränen Position abgefunden“, urteilen andere, der Kampf um Tech-Souveränität dauere noch an, beispielsweise bei jungen Rüstungs-Startups in der Bundesrepublik.
Technologie als Schlachtfeld
Technologie, heißt es in einem aktuellen Sonderheft der Zeitschrift Internationale Politik, sei „zum zentralen Schlachtfeld der neuen geoökonomischen Ordnung geworden“.[1] Dabei liege „die strukturelle Macht … klar außerhalb Europas“, urteilen Katja Muñoz, eine Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), und Kai Zenner, Mitarbeiter des CDU-Europaabgeordneten Axel Voss. „Bei 5G“ dominierten „chinesische Anbieter wie Huawei und ZTE“, während „der Cloud-Sektor … fast ganz von US-Hyperscalern“ kontrolliert werde. In puncto Halbleiter wiederum sei Europa nahezu komplett „auf asiatische Produzenten angewiesen, vor allem aus Taiwan und Südkorea“. „Noch kritischer“ sei die Lage „bei der Datenhoheit“, schreiben Muñoz und Zenner weiter. China sei in der Lage, „den Zugang zum eigenen digitalen Raum mittels der Great Firewalls“ zu kontrollieren und über „Plattformen wie TikTok“ neuen „Einfluss auf Datenströme westlicher Nutzer zu gewinnen“. Die USA wiederum dominierten „den globalen Datenverkehr über ihre digitalen Plattformen“ und könnten sich mit Hilfe des Cloud Acts Zugriff „auf Daten von US-Tech-Unternehmen“ verschaffen – auch dann, „wenn diese außerhalb der USA operieren“. Europa habe dem nicht viel entgegenzusetzen.
„Verlängerte Werkbank der USA“
Ähnlich beurteilt die Lage Hans-Jürgen Jakobs, Senior Editor beim Handelsblatt und zuvor Wirtschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung sowie bei Der Spiegel. Gegenwärtig sei „die Macht der US-Internetkonzerne bei Daten und Künstlicher Intelligenz so groß“, dass „europäische Firmen und Behörden nicht mehr weiterarbeiten“ könnten, wenn sich die US-Regierung „in einem Konflikt zu einem Embargo entschlösse“, warnt Jakobs.[2] Im Hinblick auf die Abhängigkeit Europas von US-Rüstungsgütern fürchteten manche sogar, die USA könnten im Konfliktfall ihre in die EU verkauften Waffensysteme „bei Nichtwohlverhalten unbrauchbar machen“. Bleibe Europas Abhängigkeit von auswärtiger Technologie bestehen, dann werde der Kontinent „über die Zeit … zur verlängerten Werkbank Chinas oder der Vereinigten Staaten“, zitiert Jakobs den Ex-Telekom-Chef und heutigen Aufsichtsratschef bei Airbus, René Obermann. Mittlerweile werde es „für Europa zur Conditio sine qua non, sich unabhängiger zu machen“, urteilt der erfahrene Wirtschaftsjournalist; Europa, das „zwischen den Blöcken pulverisiert zu werden“ drohe, müsse „zu einem dritten Block neben den USA und China werden“. Um „mit eigenen starken Wirtschaftsstrukturen möglichst autark“ zu agieren, benötige man „eine Agenda des Aufbruchs“.
US-Markt „lebenswichtig für Deutschland“
In der Debatte, wie ein „Aufbruch“ zu erreichen sei, werden unterschiedliche Positionen vertreten. Muñoz und Zenner sprechen sich für „eine übergeordnete Grand Strategy für das digitale Zeitalter“ aus.[3] Die jüngste internationale Digitalstrategie der EU-Kommission erinnere stark „an das europäische Projekt Gaia-X“ zur Vernetzung digitaler Strukturen [4], das zwar „politisch gefeiert“ worden, aber „ökonomisch folgenlos“ geblieben sei. Wer „souverän mitreden“ wolle, der müsse „eigene Kapazitäten aufbauen“ – etwa „im Cloud-Bereich, bei Halbleitern, bei KI-Modellen“; „wer sie nicht besitzt“, bleibe „auf andere angewiesen“, also abhängig. Dem setzt Philipp Staab, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, entgegen, dass die bisherige Politik der EU-Kommission – so etwa die Weigerung, „offensive politische Entscheidungen gegen die Interessen außereuropäischer Digitalunternehmen zu treffen“ – durchaus Gründe habe: „Gerade für Deutschland“ sei der US-Exportmarkt „zu wichtig“ gewesen, als dass man sich Konfrontationen habe leisten wollen; insbesondere „für die deutsche Autoindustrie“ sei der privilegierte Zugang zum US-Markt „lebenswichtig“. Staab resümiert kühl: „Die Festtagsreden über europäische oder deutsche Digitalsouveränität klingen längst hohl.“[5]
„Handlungsspielräume in der Abhängigkeit“
Wie Staab gleichfalls in dem aktuellen Sonderheft der Zeitschrift Internationale Politik urteilt, sei „digitale Souveränität im Sinne einer signifikanten Autonomie des Staates oder gar der Wirtschaft“ in Europa „längst nicht mehr das verfolgte Ziel“. „Viel eher“ werde schon ein „Ansatz des De-Riskings verfolgt“; dabei würden „Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern zwar abgebaut und breiter gestreut“, aber nicht aufgehoben.[6] Die Bundesrepublik und die EU hätten sich mittlerweile „mit einer postsouveränen Position abgefunden“, in der „die Handlungsfähigkeit der einen die Vulnerabilität der anderen“ sei, „hier: der Europäer“. Damit wankten aber „nicht nur Konzepte wie jenes der digitalen Souveränität“, sondern auch „die Perspektive einer strategischen Autonomie Europas“, die „unabhängig“ von High-Tech-Mächten wie China und den USA sei. „Statt Souveränität und Strategiefähigkeit rücken Fragen des taktischen Navigierens in einem enger werdenden politischen Raum in den Fokus“, schreibt Staab: „Es geht mittelfristig gar nicht mehr darum, sich unabhängig zu machen“, sondern darum, „Handlungsspielräume in der Abhängigkeit so gut wie möglich zu erhalten, während man gleichzeitig die eigenen Handlungsressourcen und Resilienz stärkt.“
„Jenseits der großen Öffentlichkeit“
Deutlich weniger resigniert äußert sich Jakobs. Zwar warnt auch er: „Wenn Europa jetzt nicht reagiert und agiert, wird es bedeutungslos.“[7] Doch fügt er hinzu, „Unterwerfung“ unter eine andere Macht – etwa die USA – sei in Europa „nicht vorgesehen“. Zwar müssten endlich Fortschritte erzielt werden, so etwa bei der Schaffung der Kapitalmarktunion, die erforderlich sei, um „Geld für wichtige Zukunftsinvestitionen nach Europa [zu] holen“. Etwa in puncto KI aber sei „das Rennen … offener, als es die gehypte Dauerberichterstattung rund um ChatGPT aus Silicon Valley vermuten“ lasse. Jakobs verweist etwa auf das Pariser KI-Unternehmen Mistral oder auf deutsche Rüstungs-Startups wie Helsing und Arx Robotics, die bestrebt sind, in ihrer Fertigung auf außereuropäische Bauteile zu verzichten (gerrman-foreign-policy.com berichtete [8]). „Solche innovativen Formen der Verteidigung“ seien „ein Beweis gelebter europäischer Souveränität“, urteilt Jakobs und fährt fort, die Trump’schen Aggressionen nicht zuletzt auch gegen europäische Interessen hätten längst Widerstand geweckt. Der Kampf um „die europäische Souveränität“ sei keinesfalls verloren, auch wenn er gegenwärtig nicht im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stehe: „Jenseits der großen Öffentlichkeit geschieht da viel.“
[1] Katja Muñoz, Kai Zenner: Europas digitale Zeitenwende. In: Internationale Politik Special Nr. 4/2025. S. 53-57.
[2] Hans-Jürgen Jakobs: Europa, die schöne Unvollendete. In: Internationale Politik Special Nr. 6/2025. S. 6-11.
[3] Katja Muñoz, Kai Zenner: Europas digitale Zeitenwende. In: Internationale Politik Special Nr. 4/2025. S. 53-57.
[4] S. dazu Die europäische Cloud und Risse in Europas „digitaler Souveränität“.
[5], [6] Philipp Staab: Technologischer Imperialismus. In: Internationale Politik Special Nr. 4/2025. S. 28-33.
[7] Hans-Jürgen Jakobs: Europa, die schöne Unvollendete. In: Internationale Politik Special Nr. 6/2025. S. 6-11.
[8] S. dazu „Resilience Factories“ und Die Drohnenkrise“ (II).

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