Die Drohnenkrise (II)

Pläne zur Schaffung eines Drohnenwalls an der NATO-Ostflanke sollen auf dem informellen EU-Gipfel in Kopenhagen diskutiert werden. Deutsche Startups plädieren seit Monaten dafür, werden inzwischen aber von britischer Konkurrenz bedrängt.

BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Vor dem heute beginnenden informellen EU-Gipfel in Kopenhagen gewinnen die Pläne zum Bau eines Drohnenwalls an der Ostflanke der NATO an Fahrt. Nach einer entsprechenden Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer State of the Union-Rede hat EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius den Plänen am Freitag „unmittelbare Priorität“ zugeschrieben. Deutsche Rüstungs-Startups wie Helsing oder Quantum Systems sprechen sich seit Monaten für den Drohnenwall aus, den bereits im März der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Ex-Airbus-Chef Thomas Enders, in einem Positionspapier forderte. Enders zufolge geht es darum, europäische High-Tech-Rüstungsgüter zu fördern, die ohne Rückgriff auf US-Technologie konstruiert werden. Startups wie Helsing oder Quantum Systems sind genau darum bemüht. Dabei entwickeln sie ihre Drohnen in enger Kooperation mit der Ukraine, wo sie im Krieg auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden. Doch sind sie nicht konkurrenzlos; Großbritannien hat am Wochenende bekräftigt, den Drohnenwall mit eigenen Drohnen bestücken zu wollen. Jetzt erhebt Verteidigungsminister Boris Pistorius Einwände gegen das Projekt.

Der Drohnenwall

Pläne zur Schaffung eines Drohnenwalls entlang der NATO-Ostflanke werden schon seit geraumer Zeit diskutiert. Im Mai 2024 gab Litauens Innenministerin Agnė Bilotaitė bekannt, eine Gruppe von Staaten an der NATO-Ostflanke – Polen, die baltischen Staaten, Finnland und Norwegen – habe beschlossen, sich an die Verwirklichung eines solchen Drohnenwalls zu machen. Es gehe um einen Mix aus Drohnen und fest installierter Infrastruktur an den Grenzen zu Belarus und Russland. Als Ziele wurden das Abfangen feindlicher Drohnen, die Verhinderung von Schmuggel, von unerwünschter Migration und anderen „Provokationen seitens unfreundlicher Länder“ genannt.[1] Allerdings sei vieles noch im Fluss. Im März 2025 lehnte die EU den Antrag ab, diesen Drohnenwall zu finanzieren. Freilich ging es, wie sich aus dem geringen Finanzvolumen ergibt, nur um einen ersten vorsichtigen Vorstoß; die Kosten waren auf gerade einmal zwölf Millionen Euro beziffert worden.[2] Vollkommen unabhängig davon machten sich erste Unternehmen an die Arbeit. So hat etwa die estnische Firma DefSecIntel Technologies mittlerweile begonnen, in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen aus dem Baltikum Pläne für einen Drohnenwall zu entwickeln.[3] Ihr Vorhaben, so heißt es, sei prinzipiell offen für eine Erweiterung.

Die deutsche Variante

In Deutschland wird der Plan, einen Drohnenwall an der NATO-Ostflanke zu errichten, in größerem Umfang seit März diskutiert. Damals veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ein Positionspapier, dessen vier Autoren eine beschleunigte Aufrüstung der Bundesrepublik forderten – und dabei darauf bestanden, Deutschland und die EU müssten sich „so rasch wie möglich von amerikanischen Systemen unabhängig machen“, um die Voraussetzungen für eine wirklich eigenständige Weltpolitik zu schaffen. Dazu sei „eine technologiegetriebene Verteidigungsstrategie“ unabdingbar. Als ein konkretes Beispiel nannten die Autoren die „Etablierung eines weiträumigen Drohnenwalls über der NATO-Ostflanke“, für den nicht zuletzt „mehrere zehntausend Kampfdrohnen“ benötigt würden.[4] Einer der vier Autoren, der zudem als treibende Kraft hinter der Veröffentlichung des Papiers galt, war Thomas Enders, der von 2004 bis 2019 als Chef des Airbus-Konzerns bzw. von dessen Vorgänger EADS tätig war und seit 2019 als Präsident der DGAP amtiert. Bereits seit 2022 ist Enders zudem im Aufsichtsrat des Militär-Startups Helsing tätig. Helsing hat im Frühjahr mitgeteilt, am Bau eines Drohnenwalls interessiert zu sein.[5]

„Das Silicon Valley der Rüstung“

Seit April verdichten sich die Planungen für den Drohnenwall – und zwar unter maßgeblichem Einfluss deutscher Startups wie Helsing, vor allem aber Quantum Systems, einem deutschen Drohnenhersteller, der als einer der ersten nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs begann, die ukrainischen Streitkräfte zu beliefern.[6] Als Kooperationspartner regelmäßig genannt wird zudem eine Gruppe estnischer Unternehmen, der Estonian Defence Industry Cluster, dem unter anderem DefSecIntel Technologies angehört. In den Planungen spielen die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg eine zentrale Rolle. Unternehmen wie Quantum Systems oder Helsing beliefern die ukrainischen Streitkräfte nicht nur, sie sind darüber hinaus in der Nähe der Front präsent, um die Erfahrungen aus dem sich in höchstem Tempo entwickelnden Drohnenkrieg unmittelbar auszuwerten und sie für die Verbesserung ihres Kriegsgeräts zu nutzen. In Berichten ist mit Blick auf die Ukraine mittlerweile von einem „Silicon Valley der Rüstung“ die Rede.[7] Schon im April wurde Martin Karkour, Chief Sales Officer von Quantum Systems, mit der Einschätzung zitiert, die ersten Elemente eines Drohnenwalls könnten binnen einem Jahr errichtet werden. Man benötige lediglich „eine Strategie“ – und wohl auch Geld – „auf Ebene der EU oder der NATO“.[8]

„Unmittelbare Priorität“

Diese Voraussetzung erfüllt sich nun – maßgeblich befeuert durch die Flüge von Drohnen über Flughäfen und Militärbasen in Dänemark. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am 10. September in ihrer State of the Union-Rede an, einen Drohnenwall zu unterstützen; für eine „Drohnen-Allianz“ mit der Ukraine würden sechs Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.[9] Dies böte Startups wie Quantum Systems oder Helsing die Chance, die Massenproduktion von Drohnen anzuschieben und damit zu maßgeblichen Herstellern in Europa aufzusteigen. Am Freitag gab EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius bekannt, der Drohnenwall habe für die EU „unmittelbare Priorität“. Kubilius äußerte dies nach einem Treffen mit den Verteidigungsministern aller Staaten an der NATO-Ostflanke, von Norwegen und Finnland im äußersten Norden bis nach Rumänien und Bulgarien im Südosten.[10] Bereits zuvor hatte der EU-Kommissar bekräftigt, es gelte, die Erfahrungen der ukrainischen Streitkräfte aus ihrem brutalen Drohnenkrieg gegen Russland zu nutzen. Zudem hatte er sich der Einschätzung angeschlossen, erste Elemente des Drohnenwalls könnten innerhalb eines Jahres fertiggestellt werden. Weitere Elemente könne man sukzessive nachliefern.[11]

Deutsche Wende

Die Ukraine hat ihre Mitwirkung an dem Vorhaben bereits zugesagt. Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte am Montag: „Wir sind bereit, unser Wissen und unsere Erfahrungen zu teilen“, um gemeinsam einen „zuverlässigen Schild gegen die russische Bedrohung aus der Luft“ zu errichten.[12] Berichten zufolge wollen die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem informellen Gipfeltreffen in Kopenhagen, der am heutigen Mittwoch beginnt, über die Drohnenwall-Pläne beraten. Erst am Montag hatte allerdings in einer recht überraschenden Wende Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erklärt, ein Drohnenwall könne nicht „in den kommenden drei oder vier Jahren“ verwirklicht werden; man solle deshalb nicht einen Drohnenwall ins Zentrum der Planungen rücken, sondern allgemein „Drohnenabwehr“ – und man müsse sicherstellen, dass „die Entwicklungs- und Beschaffungsprozesse flexibel genug“ seien, um jederzeit Anpassungen vorzunehmen, denn die Technologie entwickle sich rasch weiter.[13] Welche Schritte Pistorius konkret vorschweben, war zunächst nicht klar.

Britische Konkurrenz

Klar ist jedoch, dass die Drohnentechnologie, die deutsche Startups entwickelt haben, nicht alternativlos ist. Am Wochenende bestätigte Großbritanniens Verteidigungsminister John Healey, man habe in Kooperation mit der Ukraine Drohnen entwickelt, die jetzt in britischen Fabriken in Massen hergestellt und „zu Tausenden“ in die Ukraine geliefert würden, um dort an der Front eingesetzt zu werden. Zudem könne man sie in NATO-Staaten nutzen.[14] Die Zeitung The Telegraph bezieht dies explizit auf den Drohnenwall, wie ihn aktuell die EU plant.

 

[1] Nate Ostiller: Baltics, Poland, other countries agree to create ‘drone wall’. kyivindependent.com 25.05.2024.

[2] EU declines funding for Lithuania-Estonia ‘drone wall’ project. kyivindependent.com 07.04.2025.

[3] Latvian and Estonian companies joining forces to build ‘Drone Wall’. eng.lsm.lv 26.09.2025.

[4] Jeannette zu Fürstenberg, Moritz Schularick, René Obermann, Tom Enders: Abhängigkeit oder Selbstbehauptung: Deutschlands und Europas Rolle im 21. Jahrhundert entscheidet sich jetzt. dgap.org. S. dazu Drohnenwall über der NATO-Ostflanke.

[5] S. dazu Die Rüstungsregierung im Amt.

[6] S. dazu Rüstungsknotenpunkt Ukraine (II).

[7] Gregor Grosse: Ein Silicon Valley für Rüstung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.09.2025.

[8] James Rothwell: NATO’s ‘drone wall‘ that would see Russia’s invasion coming. telegraph.co.uk 13.04.2025.

[9] 2025 State of the Union Address by President von der Leyen. ec.europa.eu 10.09.2025.

[10] Linus Höller: EU vows haste in ‘drone wall‘ plan for eastern borders. defensenews.com 29.09.2025.

[11] Aurélie Pugnet, Charles Cohen, Chris Powers, Kjeld Neubert: EU defence chief says ‘drone wall’ could be ready in a year. euractiv.com 24.09.2025.

[12] Kiew bietet Hilfe an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.09.2025.

[13] Laura Kayali: Germany’s Pistorius pours cold water on drone wall concept. politico.eu 29.09.2025.

[14] Tony Diver: Britain to build drone wall to protect Europe from Russia. telegraph.co.uk 28.09.2025.


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