Vom Kosovo nach Litauen

Der Bundestag hat den Bundeswehreinsatz im Kosovo erneut verlängert. Der Jugoslawienkrieg 1999 war ein Meilenstein in der Remilitarisierung der deutschen Machtpolitik. Die deutsche Armee ist seitdem nach Osteuropa zurückgekehrt.

BERLIN/PRISTINA (Eigener Bericht) – Deutschland wird seine militärische Präsenz im Kosovo um ein weiteres Jahr fortsetzen. Das hat der Bundestag am gestrigen Donnerstag beschlossen. Die Bundeswehr ist mittlerweile seit 26 Jahren im Kosovo stationiert – mit dem erklärten Ziel, die Region zu stabilisieren. In den vergangenen Jahren ist die Lage allerdings wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen eskaliert. Die Abspaltung des Kosovo von Serbien, die die NATO unter deutscher Beteiligung seit dem Jugoslawienkrieg 1999 forcierte, wird bis heute nur von weniger als der Hälfte der UN-Mitgliedstaaten anerkannt. Dabei ist die Bundesrepublik heute nicht nur Besatzungsmacht im Kosovo, sondern sie hat ihren militärischen Einfluss in Osteuropa im geostrategischen Machtkampf gegen Russland kontinuierlich ausgebaut; die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien 1999 war ein entscheidender Schritt auf dem Weg der deutschen Streitkräfte zurück nach Osteuropa und zur Remilitarisierung der deutschen Machtpolitik. Mittlerweile baut Berlin in Litauen – in einem Gebiet, in dem Deutschland einst seinen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion führte – seinen ersten festen Militärstützpunkt im Ausland auf.

26 Jahre bewaffneter Einsatz

Ziel des Einsatzes sei, so heißt es im Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des Mandats, die „militärische Absicherung der Friedenslösung“ nach der gewaltsamen Abspaltung des Kosovo von Serbien im Jahr 1999 und der offiziell ausgerufenen Unabhängigkeit des Gebiets im Jahr 2008.[1] Gemessen an dieser Zielsetzung sind die Erfolge des Einsatzes, in dessen Rahmen seit Beginn mehr als 95.000 deutsche Soldaten im Kosovo stationiert waren, gering. Weniger als die Hälfte aller UN-Mitgliedstaaten erkennen das Kosovo als eigenen Staat – und damit die Abspaltung der serbischen Provinz durch die NATO – an. Die Akzeptanz ist inzwischen sogar rückläufig.[2] Dem von Berlin forcierten Normalisierungsabkommen zwischen Serbien und dem Kosovo droht mangels praktischer Umsetzung die Bedeutungslosigkeit. Auch die Sicherheitslage ist nach wie vor schlecht. Seit 2022 kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, unter anderem zu tödlichen Angriffen auf die kosovarische Polizei.[3] „Kurzfristige Verschlechterungen und Zuspitzungen der Sicherheitslage ohne nennenswerte Vorwarnzeit“ seien „jederzeit möglich“, räumt die Bundesregierung ein.[4]

Deutsche Interessen

Über die regionale Zielsetzung im Kosovo hinaus zeige Deutschland mit seinen Truppen „Präsenz in der geostrategischen Schlüsselregion Westbalkan“, heißt es im Antrag der Bundesregierung weiter.[5] Im Bundestag waren sich die Redner der Regierungsparteien einig: Der Kosovo-Einsatz der Bundeswehr hat im Kontext des Einflusskampfes der Großmächte in Ost- und Südosteuropa geostrategische Bedeutung. Die deutsche Militärpräsenz im Kosovo sei „eben nicht nur ein solidarischer Beitrag für die Region“, sondern diene „auch unseren eigenen Interessen“, formulierte exemplarisch Marja-Liisa Völlers (SPD), Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags. Es gehe darum, „die Region vor dem wachsenden Einfluss autoritärer Akteure“ zu „schützen“ – namentlich Russland, vermutlich auch China.[6] Mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln allein gelingt es Berlin offenkundig nicht, seinen Einfluss in Südosteuropa zu sichern. Am gestrigen Donnerstag beschloss der Bundestag denn auch die Verlängerung des Bundeswehrmandats um ein weiteres Jahr.

Tabubruch 1999

Mit ihrer Beteiligung am Jugoslawien-Krieg 1999 und der damit einhergehenden gewaltsamen Abspaltung des Kosovo von Serbien hatte die Bundesrepublik einen historischen Tabubruch begangen. Deutschland hatte 1945 nicht nur seine Armee, sondern auch seinen Einfluss in seiner einstigen exklusiven Einflusssphäre Ost- und Südosteuropa verloren. 54 Jahre lagen zwischen der Entmilitarisierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und der ersten Beteiligung der Bundeswehr an einem Angriffskrieg, die in mehrfacher Hinsicht ein Bruch mit der Nachkriegsordnung war. Innenpolitisch war die Kriegsbeteiligung ein entscheidender Schlag gegen diejenigen politischen Kräfte, die nach zwei begonnenen Weltkriegen eine Kultur der militärischen Zurückhaltung forderten. Außenpolitisch brach Berlin mit dieser militärischen Aggression ganz offen das Völkerrecht. Mit der Zerschlagung Jugoslawiens schwächte es einen regionalen Rivalen und veränderte zudem mit Waffengewalt Grenzen in Europa. Nicht zuletzt kehrte Deutschland als militärische Besatzungsmacht in den Südosten des Kontinents zurück.

Neues „Selbstbewusstsein“

Mit dem Angriff auf Jugoslawien 1999 und den darauf folgenden Kriegen unter anderem in Afghanistan und in Mali gewannen die Abkehr von der historisch begründeten militärischen Zurückhaltung und die Remilitarisierung der deutschen Machtpolitik an Schwung. Im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 forderten deutsche Spitzenpolitiker dann geeint ein neues außen- und militärpolitisches „Selbstbewusstsein“ der Bundesrepublik ein; manche sprachen vom „Münchner Konsens“. Manche Deutsche, erklärte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, würden „Deutschlands historische Schuld benutzen“, um „dahinter Bequemlichkeit zu verstecken“. Die Stimmen der Zurückhaltung, gegen die sich Gauck 2014 noch zu argumentieren gezwungen sah, sind inzwischen weitgehend verstummt. Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert von der deutschen Bevölkerung „Kriegstüchtigkeit“ ein; Bundeskanzler Friedrich Merz äußert vor den Ohren der Weltöffentlichkeit, Deutschland wolle stärkste konventionelle Militärmacht Europas werden. Seit 2018 ist die Fähigkeit, einen Krieg gegen eine Großmacht zu führen, wieder Kernauftrag der Bundeswehr.

Rückkehr nach Osteuropa

Seit 2023 erhebt Deutschland zudem den Anspruch, „Grundpfeiler“ der konventionellen Kriegsführung von NATO und EU in Europa zu werden.[7] Bereits 2014 hatte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – zunächst noch relativ vorsichtig – mit der Um- und Aufrüstung der Bundeswehr für einen Krieg gegen Russland begonnen. Seitdem probt die Bundeswehr in immer größeren Manövern den Aufmarsch und den Krieg gegen Russland in Osteuropa.[8] Sie beteiligt sich am Aufbau von NATO-Einheiten für einen möglichen Krieg an der Ostflanke und nimmt an der Luftraumüberwachung im Baltikum teil. Seit 2017 sind deutsche Soldaten zudem in Litauen stationiert und errichten inzwischen einen ersten dauerhaften deutschen Militärstützpunkt im Ausland – in einem Gebiet, in dem Deutschland einst seinen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion führte.[9] Auch in Rumänien sind seit Jahren immer wieder deutsche Kampfjets stationiert und beteiligen sich an bewaffneten Flügen über dem Schwarzen Meer. War der Jugoslawienkrieg im Jahr 1999 der erste Schritt auf dem Weg zur militärischen Rückkehr nach Osteuropa, so zeigt die Bundeswehr heute Präsenz entlang der russischen Westflanke – von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.

 

[1] Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo (KFOR). Deutscher Bundestag, Drucksache 21/230. Berlin, 21.05.2025.

[2] S. dazu Mehr NATO für das Kosovo.

[3] S. dazu Unruhen im Kosovo, Unruhen im Kosovo (II), Unruhen im Kosovo (III) und Unruhen im Kosovo (IV).

[4], [5] Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo (KFOR). Deutscher Bundestag, Drucksache 21/230. Berlin, 21.05.2025.

[6] Rede von Marja-Liisa Völlers im Deutschen Bundestag. Berlin, 26.06.2025.

[7] Verteidigungspolitische Richtlinien 2023. Bonn, November 2023. S. dazu „Kriegstüchtigkeit“ als Handlungsmaxime.

[8] S. dazu Unruhen im Kosovo und Am Rande des Krieges.

[9] S. dazu Eine neue Ära.


Anmelden

ex.klusiv

Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.

Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.

Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)

Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.

Die Redaktion

P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)