Die Bodenschätze der Ukraine

US-Rohstoffdeal mit Kiew verschärft die transatlantische Rivalität: Vor dem Krieg nahm die EU 40 Prozent der ukrainischen Ressourcenexporte ab. Jetzt wollen die USA einen größeren Anteil. Europäische Rivalen kritisieren „Neokolonialismus“.

BERLIN/KIEW/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Der Rohstoffdeal zwischen den USA und der Ukraine tangiert Interessen Deutschlands und anderer Staaten Europas und verschärft die transatlantische Rivalität. Während vor Kriegsbeginn rund 40 Prozent der ukrainischen Rohstoffexporte in die EU gingen, erheben nun die Vereinigten Staaten Anspruch auf größere Anteile davon. Die Ukraine besitzt rund fünf Prozent der globalen Bodenschätze, darunter einige, die laut Experten strategisch besonders wichtig sind, etwa Titan. Das Metall ist wegen seiner Eigenschaften – es ist leicht und sehr hart – insbesondere für die Rüstungsproduktion von Panzern bis zu Langstreckenraketen unverzichtbar. Bislang ist die EU noch von Importen des Rohstoffs aus Russland abhängig. Zugriff auf die ukrainischen Vorkommen könnte dies ändern. Besonders verärgerte Reaktionen auf den US-Rohstoffdeal mit Kiew sind aus konservativen Kreisen in Großbritannien zu hören. Das Land hat im Januar seinerseits mit der Ukraine eine enge Rohstoffkooperation vereinbart. In London ist nun – sachlich zutreffend – von „neokolonialer Ausbeutung“ durch die USA die Rede. In Deutschland wird unabhängig davon über „Treuhandgebiete“ in der Ukraine unter Fremdverwaltung spekuliert.

Rohstofflager der EU

Die Ukraine ist, wie es in einer umfassenden Analyse des Professors für Mineralogie und Rohstoffgeologie am Naturkundemuseum der Universität Oslo, Axel Müller, heißt, eins „der führenden Länder der Welt in der Rohstoffproduktion und -verarbeitung“.[1] Demnach besitzt sie „etwa 5% der weltweiten Bodenschätze“ und gehört bei einer Reihe wichtiger Ressourcen zu den zehn größten Produzenten überhaupt. Im Vorkriegsjahr 2021 war sie „der sechstgrößte Eisenerzproduzent der Welt“, konstatiert Müller; zudem verfügt sie „über die größten Manganerzreserven in Europa“, die gleichzeitig zu den „größten Reserven weltweit“ zählen. Nicht zuletzt ist sie „einer der wenigen Graphitproduzenten in Europa“. 2021 erwarb die EU rund 40 Prozent der gesamten ukrainischen Rohstoffexporte, darunter insbesondere Eisenerz, Schmiedeeisen und Stahl; bei den Eisenerzimporten war sie zu rund 15 Prozent auf die Ukraine angewiesen. Die strategische Bedeutung ihrer Bodenschätze lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass das Kiewer Ministerium für natürliche Ressourcen im Juli 2021 in die European Raw Materials Alliance (ERMA) aufgenommen wurde, die eine verlässliche Versorgung der EU-Mitgliedstaaten mit strategischen Rohstoffen unterstützen soll. Die ERMA ist in Berlin angesiedelt und unter Mitwirkung der EU gegründet worden.

Titan für die Rüstungsindustrie

Unter den reichen Lagerstätten der Ukraine schreibt Müller den Titanvorkommen spezielle Bedeutung zu. Titan, „ein leichtes und hartes Metall“, werde in der Luft- und Raumfahrt, aber auch „für militärische Anwendungen“ benötigt, konstatiert der Mineraloge – so etwa für den Bau von Kampfjets, Kriegsschiffen, Panzern und Langstreckenraketen.[2] Die Ukraine verfüge nicht bloß „über die größten Titanreserven in Europa“, sondern auch – als eines von relativ wenigen Ländern weltweit – über einen „geschlossenen Produktionskreislauf in der Titanindustrie“. Es komme hinzu, hielt Müller in seiner 2023 publizierten Analyse fest, dass „die Abhängigkeit des Westens von russischem Titan ... so stark“ sei, dass es bislang von den Russland-Sanktionen nicht betroffen sei. In der Tat hat die EU sogar noch in ihrem 16. Sanktionspaket vom 24. Februar 2025 für die Einfuhr von Titan Ausnahmen vorgesehen.[3] Umgekehrt zog Russlands Präsident Wladimir Putin im September 2024 ein Embargo auf die Ausfuhr von Titan in Betracht.[4] Schon 2022 erhielt das US-Außenministerium den Auftrag, Möglichkeiten für einen intensiveren Rückgriff auf das ukrainische Titan zu eruieren: „als mögliche Alternative zu chinesischen und russischen Quellen“, hieß es explizit.[5]

Privilegierter Zugriff

Mit dem Rohstoffdeal, den US-Finanzminister Scott Bessent und die ukrainische Wirtschaftsministerin Julija Swyrydenko am Mittwoch in Washington unterzeichnet haben, erhalten die Vereinigten Staaten einen privilegierten Zugriff auf die ukrainischen Ressourcen. So soll ein Investitionsfonds zur gemeinsamen Rohstoffförderung aufgelegt werden.[6] Die Mittel dafür sollen zur einen Hälfte aus Kiew, zur anderen Hälfte aus Washington kommen. Zehn Jahre lang müssen sämtliche Erträge aus dem Fonds in den ukrainischen Rohstoffsektor reinvestiert werden. Danach dürfen sie allerdings auch entnommen werden. Formal werden beide Seiten den Fonds gemeinsam verwalten; dass die USA dabei jedoch politisch am längeren Hebel sitzen, liegt auf der Hand. Als mögliche Investoren bevorzugt genannt werden Unternehmen aus den Vereinigten Staaten, aus der EU sowie aus anderen Ländern, die „die Verteidigung der Ukraine gegen Russlands vollumfängliche Invasion“ unterstützt haben.[7] Damit begünstigt die Vereinbarung Unternehmen der Länder des transatlantischen Bündnisses und ihrer Verbündeter beim Zugriff auf die ukrainischen Bodenschätze. Der Deal muss allerdings noch vom ukrainischen Parlament ratifiziert werden.[8] Zwar wirbt die Regierung bereits dafür; Risiken sind allerdings nicht ausgeschlossen.

„Neokoloniale Ausbeutung“

Unmut wird unter anderem in Großbritannien laut. Der britische Premierminister Keir Starmer und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatten am 16. Januar 2025 in Kiew eine Erklärung über eine „hundertjährige Partnerschaft“ zwischen dem Vereinigten Königreich und der Ukraine unterzeichnet. Sie sieht an erster Stelle einen Ausbau der militärischen Kooperation vor, darunter beispielsweise eine intensivere Zusammenarbeit der Seestreitkräfte beider Staaten etwa im Schwarzen Meer sowie eine enge rüstungsindustrielle Kooperation.[9] Daneben geht es aber auch um verschiedene Formen einer ökonomischen Zusammenarbeit, dies insbesondere mit Blick auf die „Entwicklung einer ukrainischen Strategie für kritische Mineralien“; diesbezüglich wird eine Gründung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe in Aussicht genommen. Der neue ukrainisch-US-amerikanische Rohstoffdeal drängt Großbritannien nun in die zweite Reihe zurück. Der konservative Spectator erklärte am gestrigen Donnerstag verärgert, die Vereinbarung nehme der Ukraine ihre alleinige Verfügungsgewalt über ihre Rohstoffe und bringe ihr eine „neokoloniale Ausbeutung“.[10] Die Publikation dieser Einschätzung durch eine Zeitschrift aus dem Londoner Establishment ist interessengeleitet, trifft der Sache nach allerdings zu.

Potenzielles Schlüsselland

Verhalten sind bislang die Reaktionen aus Berlin. Im vergangenen Jahr bekräftigte unter anderem eine Expertin der Bertelsmann Stiftung, es gebe auch ein deutsches Interesse an den umfangreichen Bodenschätzen der Ukraine: Das Land habe „tatsächlich für uns elementar wichtige Rohstoffvorkommen und seltene Mineralien anzubieten“, erklärte Miriam Kosmehl, Expertin der Stiftung für Osteuropa, gegenüber dem ZDF.[11] „Grundsätzlich“ könne die Ukraine „mit ihrem Ressourcenreichtum“ etwa „zu Zukunftsindustrien wie Elektromobilität und Umwelttechnologien beitragen“. Die Vorstellung, da tue sich für Deutschland und die EU eine „Goldgrube“ auf, habe allerdings „einen Haken“, wurde Kosmehl zitiert: Große Teile der Lagerstätten befänden sich in Territorien, „die entweder besetzt oder von Kampfhandlungen betroffen waren oder es noch sind“. Das treibe „die Kosten des Abbaus in die Höhe“. Gelinge es allerdings, der Ukraine im Krieg zum Sieg über Russland zu verhelfen, hieß es weiter im ZDF, dann könne das Land wohl „ein Schlüsselpartner Deutschlands und der EU für die Zukunftstechnologien und die ‘grüne‘ Transformation der Industrien werden“.

Fremdverwaltete Treuhandgebiete

Im deutschen Establishment werden unterdessen Vorschläge diskutiert, die – jedenfalls für Teile der Ukraine – noch klar über die neokoloniale Ausbeutung der Ressourcen des Landes hinausgehen. So erklärte kürzlich die Leiterin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main, Nicole Deitelhoff, man könne zumindest einen Teil der von Russland besetzten Territorien „als internationales Treuhandgebiet“ organisieren – und zwar „mit einer UN-Verwaltung oder einer Treuhandgruppe mehrerer Staaten, die dann die Regierungsgeschäfte übernehmen“.[12] Dies könne „für einen Zeitraum von 10 oder 15 Jahren geschehen“. Erst danach könne man „über eine dauerhafte Lösung der territorialen Fragen neu verhandeln“. In den von Russland besetzten Territorien – Deitelhoff ließ das unerwähnt – liegen bedeutende Rohstoffvorkommen, darunter solche, die für die Bundesrepublik und die EU von besonderem Interesse sind.

 

[1], [2] Axel Müller: Die gegenwärtige Lage der ukrainischen Metall- und Industriemineralproduktion und deren Folgen auf die europäische Rohstoffversorgung. In: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin 158 (2023). S. 81-100.

[3] Andrew Hood, Vansh Gupta, Ursula Monney: The EU‘s 16th sanctions package against Russia. fieldfisher.com 04.03.2025.

[4] Putin says Russia should consider restricting uranium, titanium and nickel exports. reuters.com 12.09.2024.

[5] David Brennan: The Battle for Ukraine’s Titanium. newsweek.com 28.01.2023.

[6] Mareike Müller: Ukraine und USA unterzeichnen einen Rohstoffdeal. handelsblatt.com 01.05.2025.

[7] Agreement between the Government of Ukraine and the Government of the United States of America on the Establishment of a United States-Ukraine Reconstruction Investment Fund. Washington, 30.04.2025.

[8] Mehr Politik als Wirtschaft: US-Rohstoffdeal mit der Ukraine. handelsblatt.com 01.05.2025.

[9] UK-Ukraine 100 Year Partnership Declaration. gov.uk 17.01.2025.

[10] Mark Galeotti: Trump’s Ukraine mineral deal amounts to extortion. spectator.co.uk 01.05.2025.

[11] Dennis Berger: Warum die Wirtschaft von der Ukraine abhängt. zdf.de 18.10.2024.

[12] „Trumps Friedensplan ist ein Unterwerfungsvertrag“. n-tv.de 23.04.2025.


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