Der Kontinent des Krieges

Neuer SIPRI-Bericht: Deutschland war 2024 einer der Haupttreiber beim Rekordanstieg der globalen Militärausgaben und wird dies auch in den kommenden Jahren bleiben. NATO steht für 55 Prozent aller Rüstungsaufwendungen weltweit.

BERLIN (Eigener Bericht) – Deutschland war einer der Haupttreiber beim Rekordanstieg der globalen Militärausgaben im vergangenen Jahr. Dies geht aus einer am gestrigen Montag publizierten Analyse des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor. Demnach stiegen die weltweiten Aufwendungen für die Streitkräfte im Jahr 2024 um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, so stark wie noch nie seit dem Ende des Kalten Kriegs. In der Bundesrepublik belief sich der Anstieg auf 28 Prozent und damit auf rund das Dreifache des globalen Durchschnitts. Deutschland kletterte damit von Platz sieben auf der Rangliste der Länder mit den höchsten Militärausgaben weltweit auf Platz vier unmittelbar hinter den USA, China und Russland. Die NATO wiederum, der 32 Staaten mit rund einem Achtel der Weltbevölkerung angehören, vereinte 55 Prozent aller Militärausgaben weltweit auf sich. Dies zeigt, dass die westlichen Staaten, während ihre ökonomische Vorrangstellung schwindet, militärisch nach wie vor dominieren. Appelle, man müsse ein angeblich nicht bewaffnetes Europa „wieder“ aufrüsten, haben keinen Rückhalt in der Realität. Leitmedien fordern, Deutschland solle „zum Rückgrat der Verteidigungsfähigkeit des freien Europas“ werden.

Drohnen statt Brot

Die Militärausgaben weltweit sind im Jahr 2024 um real 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen – stärker denn je seit dem Ende des Kalten Kriegs. Dies geht aus einem am gestrigen Montag publizierten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor.[1] Damit erreichte die Gesamtsumme, die global in den Unterhalt und in die Aufrüstung von Streitkräften gesteckt wurde, den Rekordwert von rund 2,718 Billionen US-Dollar. Dies war ein gutes Drittel mehr als noch im Jahr 2015 und weit mehr als doppelt so viel wie um die Jahrtausendwende. Der Anteil der Militärausgaben an der globalen Wirtschaftsleistung stieg damit von 2,3 Prozent im Jahr 2023 auf 2,5 Prozent, während die Aufwendungen für die Streitkräfte pro Kopf der Erdbevölkerung auf 334 US-Dollar zunahmen – soviel wie nie seit 1990. SIPRI weist darauf hin, dass die beispiellose Militarisierung nicht nur die Kriegsgefahr rasant anschwellen lässt, sondern auch zu Lasten der Ausgaben für zivile Zwecke geht und für die betroffenen Gesellschaften „auf Jahre hin gravierende Auswirkungen“ haben wird. Sie belastet etwa die Armutsbekämpfung. Tatsächlich weist die Weltbank darauf hin, dass 8,5 Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut leben, also von weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag – und dass dieser Anteil kaum noch sinkt.[2]

Haupttreiber der Militarisierung

Haupttreiber der globalen Militarisierung ist im vergangenen Jahr laut den SIPRI-Zahlen Europa gewesen. Dies liegt zum einen am Ukraine-Krieg: Russland steigerte seine Ausgaben um 38 Prozent auf – laut SIPRI-Schätzung – 149 Milliarden US-Dollar, während die Ukraine fast 65 Milliarden US-Dollar in ihre Streitkräfte steckte.[3] Allerdings steigerten auch die Staaten West- und Mitteleuropas ihre Militärausgaben um 14 Prozent auf eine Gesamtsumme von 472 Milliarden US-Dollar. Besonders ragt dabei Deutschland heraus, das seine Aufwendungen für die Bundeswehr um 28 Prozent auf 88,5 Milliarden US-Dollar steigerte – einen Teil der Sonderschulden von 100 Milliarden Euro inklusive – und auf der globalen Rangliste der Staaten mit den größten Militärausgaben von Platz sieben auf Platz vier sprang. Lediglich die USA, China und Russland lagen vor der Bundesrepublik. Deutschland hat seine Mittel für die Streitkräfte damit seit 2015 um rund 89 Prozent aufgestockt. Großbritannien gab im Jahr 2024 81,8 Milliarden US-Dollar für das Militär aus (2,8 Prozent mehr als 2023, Platz sechs weltweit), Frankreich 64,7 Milliarden US-Dollar (6,1 Prozent mehr als 2023, Platz neun weltweit). Einen prozentual stärkeren Anstieg als Deutschland – plus 34 Prozent – verzeichnete beispielsweise Schweden, das gut zwölf Milliarden US-Dollar ausgab: zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung.

Militärisch dominant

In der globalen Verteilung der Militärausgaben spiegelt sich die bislang ungebrochene militärische Dominanz des ökonomisch längst im Abstieg begriffenen westlichen Bündnisses wider. So summierten sich die Aufwendungen, die die 32 NATO-Staaten Nordamerikas und Europas ihren Streitkräften zugute kommen ließen, im Jahr 2024 auf 1,506 Billionen US-Dollar – rund 55 Prozent aller Militärausgaben weltweit. Die NATO-Länder umfassen knapp ein Achtel der Weltbevölkerung. Allein die Vereinigten Staaten standen 2024 mit rund 997 Milliarden US-Dollar – plus 5,7 Prozent gegenüber 2023 – für 37 Prozent der Aufwendungen für sämtliche Streitkräfte weltweit. Die europäischen NATO-Staaten brachten es auf gut 454 Milliarden US-Dollar. Damit steigerten sie ihren Anteil an den gesamten Militärausgaben des Bündnisses von 28 Prozent 2023 auf 30 Prozent 2024 – mit weiter steigender Tendenz. Laut ihren eigenen Ankündigungen werden die NATO-Staaten auch in den kommenden Jahren die maßgeblichen Militarisierungstreiber weltweit bleiben; darauf laufen die Forderungen hinaus, den Anteil der Streitkräfteetats an der jeweiligen nationalen Wirtschaftsleistung auf Werte von mehr als drei Prozent, vielleicht gar bis zu fünf Prozent zu steigern. Pro Kopf der NATO-Bevölkerung liegen die Militärausgaben des Bündnisses bereits bei 1.528 US-Dollar.[4]

Weitere Rüstungsschwerpunkte

Einen überdurchschnittlen Anstieg der Militärausgaben um 15 Prozent verzeichnete außer Europa nur [5] der Nahe und Mittlere Osten. Die Zunahme geht allerdings fast ausschließlich darauf zurück, dass Israel seine Aufwendungen um 65 Prozent auf 46,5 Milliarden US-Dollar steigerte – eine Folge seiner Kriege im Gazastreifen und gegen den Libanon sowie seiner Angriffe auf diverse weitere Länder von Syrien über den Irak und Iran bis zum Jemen. Saudi-Arabien steigerte seine Militärausgaben dieses Jahr nur um 1,5 Prozent auf 80,8 Milliarden US-Dollar und fiel damit weltweit von Platz fünf auf Platz sieben zurück.[6] China lag mit – von SIPRI geschätzten – 314 Milliarden US-Dollar (plus 7,0 Prozent) auf Platz zwei. Als maßgebliche Triebkraft der Militarisierung in Ostasien erwies sich allerdings Japan mit einer Zunahme der Mittel, die es für seine Streitkräfte zur Verfügung stellte, um 21 Prozent auf 55,3 Milliarden US-Dollar (Platz zehn weltweit). In der Aufrüstung Ostasiens – ein Plus von 7,8 Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr – spiegelt sich der eskalierende Machtkampf der Vereinigten Staaten gegen das aufsteigende China wider, den die USA und ihre östlichen Verbündeten aktuell unter anderem mit der Hochrüstung der sogenannten ersten Inselkette vor der Küste der Volksrepublik befeuern.[7]

„Die stärkste Armee der EU“

Die treibende Rolle Deutschlands bei der globalen Aufrüstung wird voraussichtlich auch in diesem und in den kommenden Jahren erhalten bleiben. Dies ist möglich, weil die zukünftige Berliner Regierungskoalition beschlossen hat, sich zu Aufrüstungszwecken nach Belieben verschulden zu dürfen, und weil auch die EU die Rüstungsschulden von den Obergrenzen für gewöhnliche Schulden ausgenommen hat. Bei einigen EU-Mitgliedern hat diese Regelung Unmut ausgelöst, weil sie faktisch die Bundesrepublik bevorzugt. Diese ist bislang weniger verschuldet als andere EU-Länder und kann daher zur Beschaffung von Rüstungsgütern noch immense Kredite aufnehmen. Staaten wie Frankreich oder Italien, die schon heute mit mehr als 100 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung verschuldet sind, haben dabei geringere Spielräume. Gemeinsame EU-Rüstungsausgaben, die allen gleichermaßen zugute kämen, werden von Berlin abgelehnt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits kurz nach seiner Amtsübernahme im Januar 2023 erklärt, Deutschlands „Ziel“ müsse es sein, „die stärkste und die am besten ausgestattete Armee in der EU zu haben“.[8] Diesem Ziel, das lange Zeit wegen der Stärke und der Kriegserfahrung der Streitkräfte Großbritanniens und Frankreichs als wenig realistisch galt, könnte Berlin jetzt tatsächlich näherkommen.

Wille zur Führung

Den Willen dazu hat am gestrigen Montag die einflussreiche Frankfurter Allgemeine Zeitung dokumentiert. Die NATO brauche „deutsche Stärke“, hieß es in einem Leitkommentar in dem Blatt; die Bundesrepublik müsse also „nicht nur zum Rückgrat der Verteidigungsfähigkeit des freien Europas werden, sondern auch sicherheitspolitischen Führungswillen entwickeln“.[9] Kritische Stimmen dazu sind bislang noch eher dünn gesät. Deutliche Worte fand kürzlich der Verkehrsminister und stellvertretende Ministerpräsident Italiens, Matteo Salvini, der als ultrarechter Hardliner bekannt ist. Ausgerechnet Salvini warnte am 12. April in einer Ansprache vor jungen Funktionären seiner Partei Lega mit Blick auf die derzeitige Berliner Hochrüstung: „Die Geschichte lehrt uns, dass es nicht immer eine gute Nachricht ist, wenn die Deutschen Waffen kaufen.“[10]

 

Mehr zum Thema: Kriegsmacht Europa.

 

[1] Trends in World Military Expenditure, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, April 2025.

[2] Pathways Out of the Polycrisis. Poverty, Prosperity, and Planet Report 2024. Washington 2024.

[3], [4] Trends in World Military Expenditure, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, April 2025.

[5] Überdurchschnittlich – um 31 Prozent – nahmen darüber hinaus nur die Militärausgaben Mittelamerikas und der Karibik zu. Dies fällt allerdings wegen des geringen Gesamtvolumens von lediglich 19,8 Milliarden US-Dollar kaum ins Gewicht.

[6] Trends in World Military Expenditure, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, April 2025.

[7] S. dazu Drohnen gegen China und Der Euro-Indo-Pazifik.

[8] Pistorius: Bundeswehr soll stärkste Armee der EU werden. n-tv.de 22.01.2023.

[9] Berthold Kohler: Um Russland draußen zu halten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.04.2025.

[10] Matthias Rüb: Salvini hat den Frieden für sich entdeckt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2025.


Anmelden

ex.klusiv

Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.

Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.

Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)

Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.

Die Redaktion

P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)