Kein Waffenstillstand mit Russland
Ukraine-Treffen in London bringt keinen Durchbruch zum Waffenstillstand. Selenskyj und Berlin verweigern Zugeständnisse an Russland, wie sie wachsende Teile der ukrainischen Bevölkerung inzwischen befürworten.
KIEW/LONDON/BERLIN (Eigener Bericht) – Der von Washington erhoffte Durchbruch hin zu einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg ist auf dem gestrigen Ukraine-Treffen in London ausgeblieben. Die Trump-Administration hatte, wie inzwischen bekannt wurde, Kiew auf dem vorherigen Ukraine-Treffen am vergangenen Donnerstag in Paris einen Plan vorgelegt, der den Krieg beenden soll, indem die russische Kontrolle über die besetzten Territorien der Ukraine anerkannt und eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft ausgeschlossen wird. Die USA wollen zudem die Zugehörigkeit der Krim zur Russischen Föderation juristisch anerkennen. Im Gegenzug werden Kiew europäische „Friedenstruppen“ und Wiederaufbauhilfen zugesagt. Berlin lehnt territoriale Zugeständnisse sowie einen Verzicht auf eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft weiterhin ab. Offenbar auf ähnliche Positionen auch in anderen Staaten Westeuropas gestützt, wies der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den US-Plan schon vorab zurück. Dessen Scheitern und damit die Fortführung des Krieges rücken näher. Dabei sind wachsende Teile der Bevölkerung der Ukraine zu territorialen Zugeständnissen an Russland und zum Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft bereit.
„Letztes Angebot“
Vor dem Ukraine-Treffen am gestrigen Mittwoch in London hatte die Trump-Administration klargestellt, sie erwarte bei der Zusammenkunft eine verbindliche Antwort Kiews auf einen Plan, den US-Regierungsmitarbeiter auf dem Ukraine-Treffen am vergangenen Donnerstag in Paris ihren ukrainischen Gesprächspartnern übergeben hatten. Laut Informationen des US-Nachrichtenportals Axios stellte Washington den Plan als „letztes Angebot“ dar und teilte mit, sich im Falle seiner Ablehnung aus den Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Krieges zurückzuziehen. Trump stellt demzufolge die juristische Anerkennung der russischen Kontrolle über die Krim durch die Vereinigten Staaten in Aussicht, und er verlangt darüber hinaus eine De-facto-Anerkennung der russischen Kontrolle über die besetzten Territorien auf dem ukrainischen Festland. Zudem ist ein „Versprechen“ vorgesehen, dass die Ukraine der NATO nicht beitrete.[1] Im Gegenzug ist eine „robuste Sicherheitsgarantie“ geplant, die offenbar sogenannte Friedenstruppen aus europäischen und womöglich außereuropäischen Ländern umfasst; dies hat Russland bisher strikt abgelehnt. Davon abgesehen soll die Ukraine Wiederaufbauhilfen erhalten, während Russland von einer Aufhebung sämtlicher seit 2014 verhängten Sanktionen profitieren soll.
Europas „rote Linien“
Der Vorschlag ist dem Inhalt nach nicht wirklich neu; mehrere Kernelemente wurden schon vor rund zwei Jahren beispielsweise in außenpolitischen Kreisen in den USA diskutiert (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Dies trifft insbesondere auf das Vorhaben zu, den Frontverlauf einzufrieren und die russische Besetzung der Territorien östlich bzw. südlich der Front zwar nicht völkerrechtlich, aber doch de facto anzuerkennen sowie die abschließende völkerrechtliche Klärung ihrer Zugehörigkeit in eine unbestimmte Zukunft zu verlagern. Eine vergleichbare Regelung ermöglichte einst das Nebeneinander von BRD und DDR; auch die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea wird ähnlich behandelt, was bereits vor vielen Jahrzehnten die Einstellung der dortigen Kämpfe ermöglicht hat. Laut Berichten haben auf dem Pariser Ukraine-Treffen am vergangenen Donnerstag die beteiligten Staaten Europas – Deutschland, Frankreich, Großbritannien – ihrerseits den Vereinigten Staaten ihre „roten Linien“ übermittelt.[3] Welche das sind, ist unklar. Tatsache ist aber, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem gestrigen Londoner Treffen – das berichteten US-Medien – verschiedene Elemente des US-Plans schroff abgewiesen hat, neben einer De-facto-Anerkennung der russischen Kontrolle über besetzte Territorien etwa das Vorhaben, das Kernkraftwerk Saporischschja den USA zu unterstellen.[4] Tatsache ist ebenfalls, dass eine Fortführung des Krieges zwar die Ukraine und ihre Bevölkerung weiter aufreiben, doch zugleich auch Russland Kräfte rauben würde – ein Resultat, das den Staaten Westeuropas und vor allem Deutschland, das sich um seine Dominanz über Osteuropa sorgt, willkommen wäre.
Deutschlands Positionen
Deutschland lehnt entsprechend weiterhin zentrale Elemente des aktuellen US-Plans ab. So wird etwa der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, mit der Aussage zitiert, eine Anerkennung der Zugehörigkeit der Krim zur Russischen Föderation komme keinesfalls in Frage: „Es wäre ... politisch verheerend, wenn Russlands Aggression belohnt würde.“[5] Hardt äußerte außerdem, „für die künftige Bundesregierung“ sei es „klar“, dass sie fest zu einer „Nato-Beitrittsperspektive für die Ukraine“ stehe. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, sagte seinerseits, „die Forderungen nach endgültigen Gebietsabtritten und der dauerhafte Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft“ liefen auf „einen massiven Eingriff in staatliche Souveränitätsrechte der Ukraine“ hinaus. Das ließ sich als eine deutliche Zurückweisung des US-Plans begreifen. Schmid erklärte allerdings auch, eine „robuste Sicherheitsgarantie“ durch vorwiegend europäische „Friedenstruppen“ sei ohne Unterstützung durch die Vereinigten Staaten „kaum vorstellbar“; die USA müssten ihr also Rückhalt bieten. Nun ist aber ebenfalls kaum vorstellbar, dass die Trump-Administration europäischen Truppen Unterstützung welcher Art auch immer gewähren würde, sollte ihr Plan zur Beendigung des Ukraine-Kriegs, ihr „letztes Angebot“, scheitern.
Die Wünsche der Ukrainer
Dabei gerät die rigide Position Berlins immer deutlicher in Widerspruch zu den Positionen, die in der ukrainischen Bevölkerung vertreten werden. Dies belegen regelmäßig wiederholte Umfragen des Kyiv International Institute of Sociology (KIIS). Demnach ist der Anteil der Ukrainer, die zu territorialen Zugeständnissen an Russland bereit sind, um endlich Frieden zu erhalten, von neun Prozent der Bevölkerung im Februar 2023 auf immerhin 39 Prozent im Februar/März 2025 gestiegen, während der Anteil derer, die territoriale Zugeständnisse strikt ablehnen, im selben Zeitraum von 87 Prozent auf 50 Prozent gefallen ist.[6] Auch in Bezug auf eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zeichnet sich in den jüngsten Umfragen des KIIS eine wachsende Bereitschaft zu Zugeständnissen ab. So könnten sich bereits 44 Prozent der Ukrainer mit dem Verzicht auf eine Mitgliedschaft in dem Militärbündnis abfinden, wenn ihr Land dafür in die EU aufgenommen würde. In diesem Falle käme für sie sogar ein Verzicht auf die Stationierung europäischer „Friedenstruppen“ und auf zusätzliche Waffenlieferungen in Betracht. Ablehnen würden ein solches Lösungspaket nur 44 Prozent der Bevölkerung. Würden europäische „Friedenstruppen“ in die Ukraine entsandt, dann nähme die Zustimmung zu dem Lösungspaket weiter zu.
Nur auf Beraterebene
Das gestrige Londoner Treffen hat, soweit bislang bekannt, in diesem Sinne keine Fortschritte gebracht. Eigentlich als Außenministertreffen geplant, wurde es kurzfristig zu einem Treffen auf Beraterebene herabgestuft; US-Außenminister Marco Rubio sagte seine Teilnahme ab, als Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erkennen lassen hatten, dass Kiew das „letzte Angebot“ der Trump-Administration – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht annehmen werde. Daraufhin teilte auch Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot mit, er werde nicht in die britische Hauptstadt reisen. Die Bundesrepublik war letzten Endes mit dem außenpolitischen Berater des scheidenden Bundeskanzlers Olaf Scholz, Jens Plötner, und dem Politischen Direktor des Auswärtigen Amts vertreten.[7] US-Vizepräsident JD Vance, der sich zur Zeit in Indien aufhält, erklärte am Mittwoch in New Delhi: „Wir haben sowohl den Russen als auch den Ukrainern einen eindeutigen Vorschlag unterbreitet, und es ist an der Zeit, dass sie entweder Ja sagen oder dass die Vereinigten Staaten sich aus diesem Prozess zurückziehen.“[8] Am Samstag wollen US-Präsident Donald Trump und Selenskyj in Rom eintreffen, um an den Trauerfeiern zum Tod von Papst Franziskus teilzunehmen. Noch am Mittwochmorgen war spekuliert worden, beide könnten dies zu Gesprächen am Rande der Feierlichkeiten nutzen. Ob es trotz des Ausbleibens eines echten Durchbruchs am gestrigen Mittwoch dazu kommt, ist ungewiss.
[1] Barak Ravid: Trump’s “final offer” for peace requires Ukraine to accept Russian occupation. axios.com 22.04.2025.
[2] S. dazu Der Korea-Krieg als Modell, Der Übergang zur Diplomatie (I) und Der Übergang zur Diplomatie (II).
[3] Europeans outlined non-negotiable issues to US for Ukraine-Russia peace deal, French minister says. msn.com 22.04.2025.
[4] Ian Lovett, Jane Lytnynenko, Benoit Faucon: Ukraine’s Zelensky Pushes Back on U.S. Peace Plan. wsj.com 22.04.2025.
[5] Berlin. ad-hoc-news.de 23.04.2025.
[6] Dynamics of readiness for territorial concessions and the role of individual parameters in possible peace agreements (and attitudes towards 96 options for peace agreements). kiis.com.ua 14.03.2025.
[7] Johannes Leithäuser, Stefan Locke, Friedrich Schmidt, Michaela Wiegel: Auf das Angebot folgt die Absage. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.04.2025.
[8] Rubio fehlt bei Ukrainegesprächen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.04.2025.

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