Kriegsmacht Europa
SIPRI: Europas Aufrüstung ist seit Jahren maßgeblicher Treiber im globalen Waffenhandel. Laut der Denkfabrik IISS basiert auch der Anstieg der globalen Militärausgaben vor allem auf dem Anstieg der europäischen Wehretats.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die Aufrüstung Europas ist in den vergangenen fünf Jahren die maßgebliche Triebkraft des globalen Waffenhandels gewesen. Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI zum internationalen Handel mit Kriegsgerät hervor. Demnach stieg der Anteil Europas an den weltweiten Rüstungsimporten von 11 Prozent im Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 auf 28 Prozent im Zeitraum von 2020 bis 2024. Der US-Anteil stieg von 1,9 auf 3,1 Prozent, während der Anteil der anderen Kontinente teils deutlich sank. Auch bei den Rüstungsexporten, die Spannungen und Kriege in aller Welt befeuern, lagen die westlichen Staaten mit einem globalen Anteil von gut 73 Prozent vorn; auf Europa entfielen dabei 30 Prozent. Die gleiche Tendenz zeigt sich bei den Militärhaushalten. Laut einer Analyse des International Institute for Strategic Studies aus London lag der Anstieg der europäischen Wehretats mit 11,7 Prozent um mehr als die Hälfte über dem globalen Durchschnitt. Dabei haben die Staaten Europas laut SIPRI ihre Importe von US-Rüstungsgütern in den vergangenen Jahren massiv gesteigert, was die jüngsten Bestrebungen, von ihnen unabhängig zu werden, deutlich erschwert.
Waffenimporte verdoppelt
Der globale Waffenhandel ist in den vergangenen fünf Jahren [1] maßgeblich von den westlichen Staaten angetrieben worden und unter diesen ganz besonders von den Ländern Europas. Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI zur Entwicklung von Im- und Export schwerer Rüstungsgüter hervor. Demnach ist der weltweite Waffenhandel insgesamt im Fünfjahreszeitraum von 2020 bis 2024 gegenüber dem Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 um 0,6 Prozent gesunken; das basiert darauf, dass der Waffenimport in Asien/Ozeanien, im Mittleren Osten, in Afrika und in Lateinamerika klar zurückging. In den USA hingegen stieg er von einem Anteil von 1,9 Prozent an den globalen Rüstungsimporten (2015 bis 2019) auf einen Anteil von 3,1 Prozent (2020 bis 2024). Die Staaten Europas verzeichneten im gleichen Zeitraum sogar einen Anstieg von 11 Prozent auf 28 Prozent. Dies ist laut SIPRI nur teilweise auf die kriegsbedingte Aufrüstung der Ukraine zurückzuführen, die ihren Anteil am globalen Import von Kriegsgerät von lediglich 0,1 Prozent auf 8,8 Prozent steigerte. Die rasante Zunahme des europäischen Anteils resultiert laut den SIPRI-Statistiken auch daraus, dass die NATO-Staaten Europas ihre Waffenimporte in den Jahren von 2020 bis 2024 gegenüber dem Fünfjahreszeitraum vorher mehr als verdoppelten.[2]
Waffenexporte gesteigert
Davon abgesehen zeigt sich, dass unter den weltweiten Waffenlieferanten Unternehmen aus den Vereinigten Staaten und den Ländern Europas dominieren. Sie steigerten ihren Anteil an den globalen Rüstungsexporten den SIPRI-Statistiken zufolge von 61 Prozent (2015 bis 2019) auf 73 Prozent (2020 bis 2024). Spitzenreiter unter den Rüstungsexporteuren weltweit sind nach wie vor die USA, die ihren Anteil von 35 auf 43 Prozent erhöhen konnten. Setzt sich die Entwicklung fort, dann kommen in Kürze die Hälfte aller weltweit gehandelten Waffensysteme aus US-Produktion. Der Anteil Russlands fiel – teilweise durch den Ukraine-Krieg bedingt – von 21 auf 7,8 Prozent, der Anteil Chinas von 6,2 auf 5,9 Prozent, wobei knapp zwei Drittel aller chinesischen Waffenlieferungen nach Pakistan gingen, Chinas schon lange wichtigsten Rüstungskunden. Die Staaten Europas insgesamt konnten ihren Anteil steigern, wobei der Anteil Deutschlands von 5,7 Prozent auf 5,6 Prozent leicht fiel; damit ist die Bundesrepublik unter den globalen Rüstungsexporteuren die Nummer fünf. Auf Platz zwei kletterte mit einem Anstieg um ein gutes Zehntel Frankreich, das auf rund 9,6 Prozent der globalen Waffenausfuhren kam. Italien landete nach einem rapiden Anstieg mit einem Anteil von 4,0 Prozent auf Platz sechs, Spanien nach einer deutlichen Zunahme auf 3,0 Prozent auf Platz neun.[3]
Wehretats erhöht
Die SIPRI-Zahlen widerlegen den Mythos, „Europa“ liege militärisch am Boden und müsse dringend „wiederaufgerüstet“ werden, wie es der Name des EU-Programms „ReArm Europe“ suggeriert.[4] Das bestätigt auch ein Überblick über die globalen Militärausgaben, den das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) Mitte Februar vorgelegt hat. Dem Überblick lässt sich entnehmen, dass die Militärhaushalte weltweit in ihrer Summe um 7,4 Prozent auf 2,46 Billionen US-Dollar stiegen. Auch dabei waren die europäischen Staaten die zentralen Triebkräfte: Sie steigerten ihre Wehretats um 11,7 Prozent auf 457 Milliarden US-Dollar. Damit kamen sie freilich nicht einmal auf die Hälfte des Budgets der US-Streitkräfte; dieses lag bei 968 Milliarden US-Dollar.[5] Am stärksten hatte in Europa der Anstieg der deutschen Militärausgaben zu Buche geschlagen, der sich – die Sonderschulden inklusive – auf ein Plus von 23,2 Prozent belief. Stärker war lediglich der kriegsbedingt massive Anstieg des russischen Militärhaushalts um 41,9 Prozent auf 145,9 Milliarden US-Dollar. Das IISS weist darauf hin, dass dies, berechnet nach Kaufkraftparität, einem Vergleichswert von 462 Milliarden US-Dollar entspricht; damit erreicht Russland erstmals ein Beschaffungsvolumen, das in etwa dem europäischen gleicht, wobei ein Teil der erworbenen Waffen sogleich dem Krieg zum Opfer fällt.
Rekordkäufe in den USA
Nicht nur rüstungswirtschaftlich, sondern auch politisch fällt stark ins Gewicht, dass die Vereinigten Staaten ihre Rüstungsexporte nach Europa erheblich steigern konnten. In den Jahren von 2020 bis 2024 nahmen die US-Waffenlieferungen nach Europa im Vergleich zu den Ausfuhren von 2015 bis 2019 auf mehr als das Dreifache zu; erstmals seit 20 Jahren war Europa mit einem Anteil von 35 Prozent Hauptabnehmer von US-Kriegsgerät (sein Anteil in den Jahren 2015 bis 2019 lag nur bei 13 Prozent). Damit haben die europäischen NATO-Mitglieder die reichen arabischen Golfstaaten als Hauptkunden der US-Rüstungskonzerne abgelöst. Dies lag bloß zum Teil an den Lieferungen an die Ukraine, die sich auf 9,3 Prozent aller US-Waffenexporte summierten. Zu den zehn größten Abnehmern von US-Kriegsgerät zählten Großbritannien, die Niederlande und Norwegen.[6] Umgekehrt steigerten die NATO-Staaten Europas den Anteil von US-Produkten an ihrem gesamten Rüstungsimport von 52 Prozent (2015 bis 2019) auf 64 Prozent (2020 bis 2024). Dass sich daran auch in Zukunft ohne massive politische Einwirkung nichts ändern wird, zeigt der Auftragsbestand von US-Rüstungskonzernen, der laut SIPRI die Lieferung von 472 Kampfjets und von 150 Kampfhubschraubern an europäische NATO-Staaten umfasst – neben allerlei anderem.
Schwenk nach Europa
Um das Ruder herumzureißen, haben deutsche Rüstungskonzerne begonnen, massiv Druck auszuüben. So wies Ende vergangener Woche der Vorsitzende von Airbus Defence and Space darauf hin, beschaffe man US-Kampfjets vom Typ F-35, dann könne Washington aufgrund technologischer Abhängigkeiten einen ihm missliebigen Einsatz der Flugzeuge jederzeit sabotieren (german-foreign-policy.com berichtete [7]). EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Sonntag bekräftigt, sie befürworte einen Schwenk hin zur Beschaffung europäischer Waffen, erklärte aber, das lasse sich lediglich mit „einer graduellen Zunahme“ von Rüstungskäufen bei europäischen Waffenschmieden bewerkstelligen; allzu groß sei zur Zeit noch die Abhängigkeit besonders von US-Exporteuren.[8] Dabei boomt die europäische Rüstungsindustrie schon jetzt. Die Rüstungsaktien sind in der vergangenen Woche nach der Bekanntgabe des Rüstungsprogramms „ReArm Europe“ rasant in die Höhe geschnellt. Auch die Zahl der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie wächst kontinuierlich und lag im Jahr 2023 mit EU-weit rund 581.000 Personen um ungefähr 15 Prozent oberhalb der Anzahl von 2021.[9] Mit der Zunahme ihres ökonomischen Gewichts wächst dabei auch der politische Einfluss der Rüstungsindustrie.
[1] SIPRI vergleicht jeweils Fünfjahreszeiträume, um Schwankungen auszugleichen, die entstehen, wenn in einem Jahr besonders teure Waffensysteme wie etwa Kriegsschiffe oder auch Kampfjets geliefert werden.
[2], [3] Mathew George, Katarina Djokic, Zain Hussain, Pieter D. Wezeman, Siemon T. Wezeman: Trends in international arms transfers, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, March 2025.
[4] S. dazu Der Rekordrüstungsgipfel.
[5] Fenella McGerty, Karl Dewey: Global defence spending soars to new high. iiss.org 12.02.2025.
[6] Mathew George, Katarina Djokic, Zain Hussain, Pieter D. Wezeman, Siemon T. Wezeman: Trends in international arms transfers, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, March 2025.
[7] S. dazu „Wir sind Weltmacht”.
[8] Alexandra Brzozowski: Von der Leyen’s call to arms: regular security talks with EU commissioners. euractiv.com 09.03.2025.
[9] Wer rüstet Europa auf? Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.03.2025.

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