Besessen von Stärke
Trump verlängert Zeitraum zur Beendigung des Ukraine-Kriegs auf ein halbes Jahr. Deutsche Politiker gegen Teilnahme Chinas am Wiederaufbau der Ukraine. Beobachter rechnen in der Ukraine mit „Hass“ gegenüber dem Westen.
KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) – Zehn Tage vor dem Amtsantritt des künftigen US-Präsidenten Donald Trump spitzt sich die Debatte um ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs zu. Die Biden-Administration und die Mehrzahl der Regierungen Europas sind bemüht, den Krieg unter anderem mit neuen Waffenlieferungen zu verlängern. Trump, der einst erklärte, er wolle den Krieg binnen kürzester Zeit beenden, spricht mittlerweile von einem Zeitraum bis zu einem halben Jahr. Unterdessen nimmt die Unterstützung für den Krieg nicht nur in der Ukraine selbst, sondern auch in Westeuropa klar ab; Mehrheiten der Bevölkerungen mehrerer Länder plädieren für baldige Verhandlungen. Während Forderungen zunehmen, für den Wiederaufbau der Ukraine Guthaben der russischen Zentralbank in Europa komplett zu enteignen, sprechen sich deutsche Politiker kategorisch dagegen aus, Aufbauhilfe aus China zu akzeptieren. Beijing dürfe „beim Wiederaufbau der Ukraine definitiv keine Rolle spielen“, fordert die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Beobachter rechnen wegen nicht eingehaltener Versprechungen der NATO-Staaten gegenüber Kiew mit „Hass“ in der Nachkriegsukraine auf den Westen.
Bis zu sechs Monate
Zehn Tage vor dem Amtsantritt des künftigen US-Präsidenten Donald Trump spitzt sich die Debatte um ein mögliches Ende des Ukraine-Krieges weiter zu. Hatte Trump im Wahlkampf noch angekündigt, den Krieg schnellstmöglich zu beenden – zugespitzt war von „binnen 24 Stunden“ die Rede gewesen –, so zeichnen sich inzwischen längere Fristen ab. Trump selbst spricht mittlerweile von einem Zeitraum von womöglich „sechs Monaten“. Sein designierter Ukraine-Sondergesandter Keith Kellogg strebt, um einen „tragfähigen und nachhaltigen“ Frieden zu erreichen, einen Zeitraum von rund 100 Tagen an.[1] Eine Reise nach Kiew, die Kellogg ursprünglich in diesen Tagen hatte absolvieren wollen, ist ohne Angabe der Gründe verschoben worden; sie soll nachgeholt werden, allerdings womöglich erst nach Trumps Amtsantritt.[2] Die Biden-Administration und die Mehrzahl der Regierungen Europas sind bemüht, das Ende des Krieges weiter hinauszuzögern – mit der Begründung, sie wollten die Verhandlungen mit Moskau aus einer Position der Stärke beginnen. Mit diesem Argument soll nun auch Trump überzeugt werden, sich mit der Beendigung des Krieges Zeit zu lassen; Trump sei „besessen von Stärke und davon, stark auszusehen“, wird ein Mitarbeiter einer europäischen Regierung zitiert.[3]
Mehrheiten für Verhandlungen
Wie freilich eine Position der Stärke für die Ukraine erreicht werden soll, ist gegenwärtig völlig unklar. Die ukrainischen Streitkräfte haben zuletzt die Stadt Kurachowe südwestlich von Donezk aufgeben müssen; sie könnten schon in Kürze auch die strategisch bedeutende Stadt Pokrowsk verlieren. Ihr Versuch, im russischen Gebiet Kursk mit einer neuen Offensive wieder die Initiative zu erlangen, scheint zu verpuffen. Die Zahl der Deserteure, die bereits Ende vergangenen Jahres auf 200.000 oder sogar mehr geschätzt wurde, nimmt weiterhin zu.[4] Umfragen zufolge spricht sich längst eine deutliche Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung dafür aus, rasch zu Verhandlungen über ein Ende des Krieges überzugehen, anstatt auf einen wohl nie zu erreichenden militärischen Sieg zu setzen.[5] Die Forderung an die Ukraine, bis zu einem russischen Rückzug vom gesamten ukrainischen Territorium weiterzukämpfen, wird auch in Westeuropa immer seltener gestellt. Einer aktuellen Umfrage in sieben westeuropäischen Staaten zufolge wird sie nur noch in Schweden von 50 Prozent der Bevölkerung geteilt, während in Deutschland, Frankreich, Italien sowie Spanien deutlich mehr Menschen für rasche Friedensverhandlungen plädieren.[6] In Deutschland tun das mittlerweile 45, in Italien sogar 55 Prozent.
In den Krieg involviert
Wie eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag zeigt, ist die Bundeswehr mittlerweile mit 54 Soldaten in den Ukraine-Krieg involviert. Demnach sind aktuell 44 deutsche Soldaten im neuen Ukraine-Kommando der NATO aktiv; die in den US-amerikanischen Clay Barracks in Wiesbaden befindliche Einrichtung NSATU (NATO Security Assistance and Training for Ukraine) koordiniert die militärischen Hilfsleistungen für die ukrainischen Streitkräfte.[7] Hinzu kommen zehn deutsche Militärs, die im Rahmen einer sogenannten Voluntary National Contribution Sicherungsaufgaben erledigen. Details dazu sind nicht bekannt. Dem Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann (Die Linke) zufolge handelt es sich dabei um ein Programm der NATO, „das militärische Strukturen auf dem Gebiet der Ukraine aufbaut und unterstützt“. Es sei daher unklar, ob die zehn deutschen Soldaten womöglich auf ukrainischem Territorium – und damit mitten im Kriegsgebiet – operierten.[8] Völlig unabhängig davon dringen deutsche Politiker weiterhin darauf, die Bundeswehr müsse im Fall eines Waffenstillstands Truppen zu dessen Sicherung in die Ukraine entsenden. Dies müsse, fordert etwa der CDU-Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter, „zu gegebener Zeit mit robust ausgestatteten Truppen“ geschehen.[9]
Teurer Wiederaufbau
Parallel dazu werden inzwischen die Überlegungen über den Umgang des Westens mit der kriegszerstörten Ukraine nach einem Waffenstillstand intensiviert. Längst ist klar, dass dann der Wiederaufbau beginnen muss – und dass er immense Gelder verschlingen wird. Trump hat bereits klargestellt, dass US-Mittel dafür nicht bereitgestellt werden. Immer wieder heißt es, man solle dazu die Guthaben der russischen Zentralbank beschlagnahmen, die in Europa eingefroren sind; dabei handelt es sich um annähernd 260 Milliarden Euro. Zinsen, die aus einem Teil der Guthaben erwirtschaftet werden, werden bereits jetzt genutzt, um Kredite für die Unterstützung der Ukraine zu ermöglichen (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Eine komplette Beschlagnahmung freilich könnte als Präzedenzfall gewertet werden; dann könnten Staaten, die beispielsweise aus kolonialen oder aus NS-Verbrechen resultierende Ansprüche gegen Deutschland haben, ihrerseits deutsche Guthaben im Ausland konfiszieren – eine Perspektive, die Berlin bislang von dem Schritt zurückschrecken lässt.
„China darf keine Rolle spielen“
Alternativ wäre denkbar, wirtschaftsstarke Länder wie etwa China am Wiederaufbau der Ukraine zu beteiligen. Dagegen allerdings sprechen sich deutsche Politiker kategorisch aus. „Europa sollte verhindern, dass China beim Wiederaubau der Ukraine eine Rolle spielt“, fordert etwa der CDU-Politiker Kiesewetter. Die Volksrepublik habe „ein sehr klares Interesse, in der Ukraine Einfluss zu erlangen“; dies gelte es zu verhindern.[11] Die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), schließt sich an: „China darf beim Wiederaufbau der Ukraine definitiv keine Rolle spielen“.[12] „Im Gegenteil“ werde es „Zeit, dass der Ausverkauf europäischer Infrastruktur ein Ende hat“. Allerdings wird dann die EU, bereits jetzt durch die Unterstützung des Ukraine-Krieges stark belastet, die Kosten des teuren Wiederaufbaus zum großen Teil alleine tragen müssen.
Hass auf den Westen
Auf einen weiteren, in Deutschland bislang weitestgehend ignorierten Aspekt hat kürzlich der Generaldirektor für Verteidigungspolitik in Tschechiens Verteidigungsministerium, Jan Jireš, hingewiesen. Jireš erinnert daran, dass die westlichen Staaten stets behauptet haben, sie seien gewillt, die Ukraine mit allen Mitteln zu unterstützen, solange dies nötig sei. In Wirklichkeit aber sei die militärische Unterstützung für Kiew nie so grenzenlos gewesen, wie es der Westen suggeriert habe. Die Differenz zwischen der suggerierten und der tatsächlichen Unterstützung werde inzwischen – insbesondere mit Blick auf die sich deutlich abzeichnende militärische Niederlage – von der Bevölkerung immer klarer wahrgenommen. Schon jetzt sei zunehmender Zorn auf den Westen zu spüren, urteilt Jireš: „Nach einem Waffenstillstand“ aber, der „natürlich kein Frieden sein wird, wird es Ressentiments geben.“ Jireš warnt: „Sogar Hass.“[13]
[1] Henry Foy, Max Seddon, Amy Kazmin: Donald Trump pushes back Ukraine war deadline in sign of support for Kyiv. ft.com 09.01.2025.
[2] Vasilisa Stepanenko: Trump’s Ukraine envoy postpones planned trip to Kyiv, top Ukrainian diplomat says. apnews.com 08.01.2025.
[3] Henry Foy, Max Seddon, Amy Kazmin: Donald Trump pushes back Ukraine war deadline in sign of support for Kyiv. ft.com 09.01.2025.
[4], [5] S. dazu Bis zum allerletzten Ukrainer.
[6] Jon Henley, Luke Harding: Support for Ukraine ‘until it wins’ falls sharply in western Europe, poll finds. theguardian.com 26.12.2024.
[7] S. dazu Auf Europas Schultern.
[8] Raphael Schmeller: Bundesregierung bestätigt: 54 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Nato für Ukraine tätig. berliner-zeitung.de 07.01.2025.
[9] Lucas Wiegelmann: Deutsche Truppen in der Ukraine? Für CDU-Mann Kiesewetter ist das Plicht. schwaebische.de 03.01.2025.
[10] S. dazu Kursk und die Folgen.
[11], [12] Daniel Friedrich Sturm: Deutsche Außenpolitiker warnen: „China darf beim Aufbau der Ukraine keine Rolle spielen“. tagesspiegel.de 02.01.2025.
[13] Stephan Löwenstein: „Ukrainer werden den Westen hassen“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.01.2025.
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