Schatten über dem Autogipfel

EU erklärt sich zu neuer Debatte um Zölle auf den Import chinesischer Elektroautos bereit. Kritiker warnen vor ernsten ökonomischen Schäden; Hardliner fordern, Brüssel müsse sich gegen Beijing durchsetzen – jetzt oder nie.

BERLIN/BRÜSSEL/BEIJING (Eigener Bericht) – Vor dem heutigen Autogipfel in Berlin gewinnt die Debatte um EU-Zölle auf die Einfuhr chinesischer Elektroautos womöglich zum letzten Mal an Fahrt. In der vergangenen Woche hat Chinas Handelsminister Wang Wentao Gespräche in mehreren europäischen Hauptstädten geführt. Die EU sagte ihm zu, sich auf neue Verhandlungen einlassen zu wollen. Hintergrund sind Befürchtungen, Beijing könne zu Gegenzöllen greifen, die in mehreren EU-Staaten ernste Schäden verursachen würden. Es kommt hinzu, dass Rom chinesische Elektroautohersteller zum Bau von Fabriken in Italien veranlassen will – bei Nutzung von Bauteilen italienischer Zulieferer – und dass deutsche Kfz-Konzerne bei der Optimierung ihrer Elektroautofertigung auf Hilfe chinesischer Firmen angewiesen sind. Ein umfassender Handelskrieg mit der Volksrepublik dürfte die ohnehin wankende deutsche Industrie zusätzlich belasten. Hardliner erklären hingegen, der Streit um die Zölle sei „eine politische Schlacht“, in der sich die EU behaupten müsse – nach dem Motto „jetzt oder nie“. Die wohl entscheidende Abstimmung in Brüssel über die Zölle wird an diesem Mittwoch erwartet.

Die Einfuhrzölle der EU

Der Streit um hohe Zölle auf die Einfuhr von Elektroautos aus China in die EU schwelt, seit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September vergangenen Jahres ankündigte, die Kommission leite eine sogenannte Antisubventionsuntersuchung ein.[1] Dies geschah dann tatsächlich im Oktober 2023.[2] Hintergrund war, dass der Marktanteil von in China produzierten Elektroautos in der EU gestiegen war – von 2,9 Prozent im Jahr 2020 auf 21,7 Prozent im Jahr 2023. Brüssel behauptete, dies liege an übermäßigen Subventionen für die chinesische Branche. Die Zölle trafen allerdings auch Fahrzeuge von Tesla sowie von deutschen Herstellern – insbesondere BMW –, die in der Volksrepublik gefertigte Modelle in die EU exportieren. Die vorläufige Höhe der Zölle gab Brüssel im Juni 2024 bekannt; im August wurde sie leicht korrigiert. Für die chinesischen Marken BYD, Geely und SAIC liegt sie jetzt bei 17,0, 19,3 respektive 36,3 Prozent. BMW und Volkswagen sollen für die Einfuhr des Mini respektive des Cupra Tavascan Zölle in Höhe von 21,3 Prozent zahlen. Der US-Konzern Tesla kommt mit nur 9,0 Prozent am Glimpflichsten davon.[3] Zur Begründung heißt es, Tesla finanziere sich nicht in der Volksrepublik und profitiere dort nur von günstigem Bauland und günstigen Batterien.[4]

Chinas Gegenzölle

Die Reaktionen aus der deutschen Industrie auf die Brüsseler Zollpläne sind gemischt. Zustimmung kommt einer Umfrage zufolge von rund 80 Prozent der kleineren und mittleren Unternehmen (german-foreign-policy.com berichtete [5]): Sie fürchten, sich gegen größere Unternehmen aus der Volksrepublik langfristig schon aufgrund der Skaleneffekte nicht behaupten zu können. Klar gegen die Zölle ausgesprochen haben sich hingegen die großen deutschen Kfz-Konzerne: Sie fürchten, ihr ohnehin schwächelnder Absatz in China könne in einem Handelskrieg weiter Schaden nehmen. Darüber hinaus hat Beijing begonnen, weitere Gegenmaßnahmen zu prüfen. Im Detail geht es um Zölle auf Lieferungen von Branntwein (1,55 Milliarden Euro im Jahr 2023), Schweinefleisch (2,5 Milliarden Euro 2023) sowie Milchprodukten (1,7 Milliarden Euro 2023) aus der EU in die Volksrepublik. Dabei wären von Zöllen auf Branntwein fast ausschließlich französische Produzenten, von Zöllen auf Schweinefleisch vor allem Spanien betroffen, das zuletzt mehr als 20 Prozent seiner Exporte nach China verkaufte. Zölle auf Milchprodukte gingen besonders zu Lasten Italiens, das zur Zeit der größte Exporteur von Käse aus der EU in die Volksrepublik ist – vor Dänemark und den Niederlanden.[6] Beijing hat sich mittlerweile zum Verzicht auf Branntweinzölle bereiterklärt – ein Zeichen seines Verhandlungswillens.

Verhandlungswillig

In der Tat hat die Volksrepublik bereits recht früh nach der Ankündigung der EU-Zölle Zugeständnisse angeboten, um den drohenden Handelskrieg abzuwenden. Dabei ging es vor allem um die Option, einen Mindestpreis für chinesische Elektroautos in der EU oder eine Obergrenze für die Zahl exportierter chinesischer Fahrzeuge festzulegen. In der vergangenen Woche hielt sich Chinas Handelsminister Wang Wentao zu Gesprächen in Europa auf, um in letzter Minute – für diesen Mittwoch wird in Brüssel die Abstimmung der Mitgliedstaaten über die Zollvorschläge der Kommission erwartet – noch eine Einigung zu erzielen. Wang verhandelte in Rom, in Berlin und in Brüssel. Ziel war es, genügend Mitgliedstaaten zu einer Ablehnung der Zölle zu bewegen; dies müssten allerdings mindestens 15 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung tun.[7] Als Alternative schlug Wang erneut eine Einigung etwa auf Mindestpreise für chinesische Elektroautos in der EU vor. Für China wäre das kein entscheidender Nachteil; es hat ohnehin eine äußerst starke Stellung auf dem Elektroautomarkt. Der Vorteil, einen Handelskrieg mit der EU vermeiden zu können, wäre jedoch groß: Massiven Attacken durch die USA ausgesetzt, sucht Beijing eine Eskalation weiterer Konflikte mit Europa zu vermeiden.

Unter Druck

Die EU hat sich zunächst strikt kompromisslos gezeigt und noch bis vor kurzem keinerlei Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen zu erkennen gegeben. Vor zwei Wochen allerdings sprach sich Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez bei einem Besuch in Beijing für eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts aus; zuvor hatte er Zölle klar befürwortet.[8] Handelsminister Wang erhielt jetzt in Rom, in Berlin und in Brüssel jeweils eine Zusage, man sei doch noch zu intensiven Verhandlungen bereit. In Brüssel einigten sich Wang und der Vizepräsident der EU-Kommission Valdis Dombrovskis nicht bloß darauf, Preisabsprachen erneut in den Blick zu nehmen; sie erklärten auch, man wolle die Kommunikationskanäle auf Ministerebene offenhalten.[9] Zu den erwähnten chinesischen Druckmitteln kommt hinzu, dass Rom derzeit mit chinesischen Elektroautoherstellern über die Ansiedlung von Werken in Italien verhandelt; im Gegenzug sollen die chinesischen Unternehmen sich bereit erklären, ihre Zulieferteile zu rund der Hälfte von italienischen Firmen zu beziehen.[10] Wang erklärte nun in Rom, EU-Zölle auf die Einfuhr chinesischer Elektroautos würden das gegenseitige Vertrauen zerstören und die Pläne womöglich scheitern lassen.[11] Auch deutsche Kfz-Konzerne setzen bei der Verbesserung ihrer Elektroautos auf die Kooperation mit chinesischen Unternehmen.

Jetzt oder nie

Sprechen zumindest die Interessen der großen Kfz-Konzerne – vor allem der deutschen – dafür, die ökonomische Kooperation mit China nicht aufs Spiel zu setzen und eine Einigung mit Beijing zu suchen, so kommt nun die allgemein desolate Entwicklung insbesondere der deutschen Industrie hinzu. Für das Bundeswirtschaftsministerium, das heute zum Autogipfel nach Berlin einlädt, wäre es eine schlechte Nachricht, wenn die wankende Kfz-Brance jetzt auch noch zollbedingte Konsequenzen für ihr Chinageschäft fürchten müsste. Zudem ist die empfindlich schwächelnde deutsche Wirtschaft gegenwärtig nicht in einer Lage, in der sie einem extensiven Handelskrieg mit der Volksrepublik mit Zuversicht entgegensehen könnte. Dennoch dringen Hardliner darauf, an den Zöllen festzuhalten. Die EU-Kommission habe sich mit den Zollplänen weit aus dem Fenster gehängt, urteilt etwa Tobias Gehrke vom Berliner Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR). Vollziehe sie jetzt einen Rückzieher, dann könne das ihre Position „massiv untergraben“.[12] Alicia García-Herrero, Chefökonomin der französischen Investmentbank Natixis, urteilt, es handele sich nicht so sehr um eine ökonomische als vielmehr um „eine politische Schlacht“: Wenn die EU dieses Mal „nicht in die Gänge“ komme, dann werde sie das niemals tun.[13] Demnach geht es im Zollstreit mit Beijing um ein „jetzt oder nie“.

 

[1] S. dazu Paradebranche unter Druck (II).

[2] Elektroautos aus China: Kommission leitet offizielle Antisubventionsuntersuchung ein. germany.representation.ec.europa.eu 04.10.2023.

[3] Zölle für E-Autos aus China werden konkret. zdf.de 20.08.2024.

[4] Hendrik Kafsack: Brüssel passt Zölle auf chinesische E-Autos an. faz.net 20.08.2024.

[5] S. dazu Auf dem Weg in die Strafzollschlacht.

[6] Hugo Struna, Sofia Sanchez Manzanaro: China targets EU cheese and milk in anti-subsidy investigation. euractiv.com 21.08.2024.

[7] „Konstruktive Gespräche”. manager-magazin.de 20.09.2024.

[8] Spain’s Sanchez urges negotiated solution to China-EU trade tensions. france24.com 10.09.2024.

[9] Readout of meeting between EVP Dombrovskis and Chinese Commerce Minister Wang. policy.trade.ec.europa.eu 20.09.2024.

[10] Christian Schubert: Meloni spielt die chinesische Karte. faz.net 26.08.2024.

[11] China tells Italy: EU electric vehicle probe affecting investor confidence. uk.finance.yahoo.com 17.09.2024.

[12], [13] Thomas Moller-Nielsen: All eyes on China’s Wang, EU’s Dombrovskis talks ahead of crunch tariffs vote. euractiv.com 19.09.2024.


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