Konkurrenz am E-Auto-Knotenpunkt Ungarn
Aufgrund der Strategie der kriselnden deutschen Autohersteller, ihre Produktion an ihrem bedeutenden Standort Ungarn in Kooperation mit chinesischen Unternehmen auszubauen, droht nun erstmals chinesische Konkurrenz innerhalb der EU.
BUDAPEST/BERLIN (Eigener Bericht) – In Ungarn, einem zentralen Standort der europäischen Automobil- und Batteriewertschöpfung, zeichnet sich erstmals innerhalb der EU chinesische Konkurrenz für die schwächelnden deutschen Kfz-Produzenten ab. War Ungarns Industrie lange vor allem durch deutsche Autohersteller geprägt, so zieht das Land inzwischen verstärkt auch Unternehmen aus China an. Chinesische Investitionen – zunächst zumeist in die Batterieherstellung – erfolgen dabei nicht isoliert, sondern vor allem im Umfeld deutscher Produktionsstätten und eingespielter Lieferbeziehungen mit deutschen Kfz-Konzernen. Chinesische Batteriehersteller knüpfen damit an industrielle Strukturen an, die sich in Ungarn durch die jahrzehntelange Präsenz deutscher Konzerne herausgebildet haben – gefördert durch staatliche Standortanreize. Ungarn stärkt so seine Stellung als industrieller Knotenpunkt innerhalb Europas, was kurzfristig die Wertschöpfung nicht zuletzt deutscher Konzerne begünstigt. Inzwischen hat aber mit BYD ein erster chinesischer Kfz-Hersteller begonnen, ein Werk in Ungarn aufzubauen und die chinesische Präsenz auszuweiten. Mittelfristig entsteht damit in der EU Konkurrenz für die kriselnde deutsche Automobilindustrie.
Im automobilen Strukturwandel
Ungarn zählt zu den wichtigsten Produktionsstandorten des deutschen Automobilsektors. Nach Daten des Weltverbandes der Automobilindustrie wurden im Jahr 2024 in Ungarn rund 437.000 Fahrzeuge produziert. Damit liegt das Land zwar hinter der Tschechischen Republik (1,45 Millionen), der Slowakei (eine Million) und Rumänien (560.000 Fahrzeuge). Ungarn ist aber auch ein bedeutender Lieferant von Verbrennungsmotoren. Vor dem Hintergrund des geplanten Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor gewinnt seit geraumer Zeit die Anwerbung ausländischer Investitionen in den E-Automobilsektor an Bedeutung. Bislang können die entsprechenden Bemühungen der ungarischen Regierung als erfolgreich bewertet werden. Es gelang ihr, große chinesische Batteriekonzerne wie CATL, Sunwoda und Eve Energy mit umfangreichen Investitionen anzuziehen. Dazu trugen voluminöse Vereinbarungen deutscher Autohersteller mit chinesischen Batterieproduzenten bei. Einen zentralen Anreiz für die Investitionen bilden staatliche Fördermaßnahmen, die Ungarn ausländischen Investoren in Aussicht stellt. So teilte die EU-Kommission im August mit, sie habe ungarische Staatshilfen in Höhe von 264 Millionen Euro genehmigt.[1]
Deutsche Konzerne als wichtigste Investoren
Unter den ausländischen Investoren in Ungarn lag Deutschland im Jahr 2023 mit Direktinvestitionsbeständen von 21,3 Milliarden Euro mit großem Abstand an erster Stelle. Auf den weiteren Plätzen folgten die USA mit 9,4 Milliarden Euro, Frankreich mit 5,2 Milliarden Euro sowie China mit 4,5 Milliarden Euro.[2] Neben umfangreichen staatlichen Investitionsanreizen profitieren deutsche Konzerne von vergleichsweise niedrigen Löhnen bei gleichzeitig hochqualifizierten Arbeitskräften. Hinzu kommen die geografische Nähe zu Deutschland sowie eine gut ausgebaute Infrastruktur. Ungarn bietet damit aus Sicht der deutschen Industrie günstige Bedingungen zur Produktion innerhalb der EU. Im Jahr 2024 gehörten die ungarischen Lohnkosten zu den drittniedrigsten in der Europäischen Union – nur Rumänien und Bulgarien lagen darunter.[3] Aus der Perspektive der deutschen Industrie gelten allerdings selbst diese Lohnniveaus zunehmend als zu hoch. So prognostizierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits Mitte 2019, Volkswagen werde neue Werke künftig eher in Serbien, der Türkei oder Bulgarien als in Ungarn, Tschechien oder der Slowakei planen.[4] Die ungarische Regierung versucht derweil, einen Anstieg der Reallöhne durch eine anhaltend hohe Inflation faktisch zu begrenzen – so etwa im Jahr 2021, als der Anstieg der Inflation die Erhöhung des Mindestlohns vollständig aufgezehrt hatte.[5]
Milliardeninvestitionen deutscher Automobilhersteller
Im Jahr 2022 folgte BMW den bereits in Ungarn produzierenden Konzernen Audi und Mercedes und kündigte – nach mehreren Verzögerungen – Investitionen von zunächst über einer Milliarde Euro für ein neues Werk an. Dabei handelt es sich um das modernste BMW-Werk weltweit.[6] Im Herbst 2022 erhöhte BMW das Investitionsvolumen auf rund zwei Milliarden Euro. Zusätzlich ist der Aufbau einer Batteriefertigung vorgesehen. Die Batteriezellen bezieht BMW dabei von den chinesischen Herstellern CATL und Eve Energy, die entsprechende Großaufträge erhielten.[7] Von den Investitionen entfallen etwa 1,5 Milliarden Euro auf die Fahrzeugproduktion und rund 0,5 Milliarden Euro auf die Batteriefertigung.[8] Im Februar dieses Jahres wurde bekanntgegeben, dass in Debrecen alle notwendigen Gebäude fertiggestellt sind.[9] Die offizielle Eröffnung fand im September statt. Bei der Eröffnungsfeier hielt Ministerpräsident Viktor Orbán eine Rede, in der er sich kritisch gegenüber dem Handelskonflikt zwischen den USA und China äußerte. Zugleich betonte Orbán, Ungarn werde auch künftig niedrige Steuersätze für ausländische Investoren garantieren.[10] BMW bestätigte zwar Orbáns Anwesenheit bei der Werksöffnung, vermied es in der offiziellen Pressemitteilung aber, ihn zu zitieren.[11]
Ungarns Aufstieg zum Batteriezentrum Europas
Auch dank der umfangreichen Kfz-Investitionen steigt Ungarn zu einem der weltweit größten Batteriestandorte auf. Der Boom begann spätestens im Jahr 2021, als der südkoreanische Hersteller SK Innovation den Bau einer neuen Batteriefabrik in Ungarn ankündigte. Geplant ist ein Investitionsvolumen von 2,3 Milliarden US-Dollar bis 2028.[12] Im Jahr 2022 folgte die Ankündigung des weltweit größten Batterieproduzenten Contemporary Amperex Technology (CATL) aus China, eine Fabrik im ostungarischen Debrecen zu errichten. CATL soll Batterien unter anderem für BMW, Mercedes, Volkswagen und Stellantis liefern.[13] Mit einem Volumen von rund 7,5 Milliarden Euro handelt es sich dabei um die größte Einzelinvestition in der Geschichte Ungarns.[14] Im Jahr 2023 folgten weitere Ankündigungen chinesischer Batterieunternehmen: Huayou Cobalt investiert in Ungarn rund 1,4 Milliarden US-Dollar [15], Sunwoda Electronics weitere 1,7 Milliarden US-Dollar [16]. Im Jahr 2024 kündigte Eve Energy an, sein erstes europäisches Werk in Debrecen für rund eine Milliarde Euro zu errichten, um künftig BMW zu beliefern.[17] Für dieses Projekt erhielt BMW staatliche Unterstützung in Höhe von rund 34 Millionen Euro von der ungarischen Regierung.[18]
Chinesische Fahrzeughersteller in europäischen Produktionsketten
Neben den Batterieherstellern kündigte Ende 2023 auch der chinesische Automobilkonzern BYD an, sein erstes europäisches Fahrzeugwerk zu errichten – in Ungarn. Die Ankündigung erfolgte im Anschluss an einen Staatsbesuch Viktor Orbáns in China, bei dem er unter anderem mit BYD-Gründer Wang Chuanfu zusammentraf. Im ungarischen Werk sollen keine Batterien, sondern erstmals Elektrofahrzeuge für den europäischen Markt produziert werden.[19] Im Jahr 2025 folgte die Ankündigung, den Standort durch ein Entwicklungszentrum zu erweitern. BYD verfolgt das Ziel, bis 2030 rund die Hälfte seiner Fahrzeuge außerhalb Chinas zu verkaufen.[20] In Deutschland stiegen die Verkäufe von Elektroautos nach dem Einbruch 2024 zuletzt wieder an. Während der US-Konzern Tesla Absatzeinbuße verzeichnet, konnte BYD seine Verkäufe in Deutschland steigern.[21] Damit wächst in Ungarn langsam, aber sicher chinesische Konkurrenz für die großen deutschen Kfz-Konzerne heran.
[1] Tobias Piller, Michaela Seiser: Mit BMW zur Hochburg für Elektroautos. faz.net 06.09.2025.
[2] Magyar Nemzeti Bank (eigene Berechnung).
[3] Eurostat: Hourly labour costs. ec.europa.eu 28.03.2025.
[4] Christian Geinitz: Osteuropa in der Pubertät. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.05.2019.
[5] Munkástanácsok: Óriási csapást mér az árrobbanás a legszegényebb magyarokra. portfolio.hu 07.06.2021.
[6] Markus Fasse: BMWs elektrischer Vorreiter. Handelsblatt 02.06.2022.
[7] BMW stockt Investitionen in neues Werk in Ungarn auf. handelsblatt.com 25.11.2022.
[8] BMW stockt Investitionen auf. gtai.de 29.11.2022.
[9] Ősszel indul a sorozatgyártás a BMW debreceni üzemében, Szijjártó szerint az egész cég sorsa is múlik ezen. hvg.hu 12.02.2025.
[10] Fidesz: igy kepzeltuk a magyar es a nemet ipar egyuttmukodeset. 26.09.2025.
[11] Das jüngste und innovativste Werk der BMW Group: neuer Produktionsstandort in Debrecen. press.bmwgroup.com 29.09.2025.
[12] Bau einer Fabrik für Elektroauto-Batterien. gtai.de 02.02.2021.
[13] Michaela Seiser: China festigt seine Macht in Ungarn. faz.net 09.09.2022.
[14] Henning Peitsmeier, Michaela Seiser: BMW baut in Ungarn eine Batteriefabrik. faz.net 25.11.2022.
[15] Richard Gardham: Deal focus: Huayou takes advantage of Hungary’s automotive expertise. investmentmonitor.ai 07.07.2023.
[16] Richard Gardham: Sunwoda Electronic to open first eastern European plant in Hungary. investmentmonitor.ai 31.07.2023.
[17] Chris Randall: Eve Energy to build battery factory in Hungary. electrive.com 10.05.2023.
[18] Henning Peitsmeier, Michaela Seiser: BMW baut in Ungarn eine Batteriefabrik. faz.net 25.11.2022.
[19] EU hält deutlich mehr Gelder für Ungarn zurück. handelsblatt.com 22.12.2023.
[20] BYD baut in Ungarn aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.05.2025.
[21] Fast 60 Prozent mehr Elektroautos im November neu zugelassen. handelsblatt.com 03.12.2025.

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