Von der Ost- an die Nordflanke
Deutschland verstärkt seine militärische Präsenz im Nordatlantik und baut dazu seine Militärkooperation mit Island und Kanada aus – ohne die USA.
BERLIN/REYKJAVÍK/OTTAWA (Eigener Bericht) – Deutschland stärkt seine militärische Präsenz im Nordatlantik und baut dazu die Kooperation der Bundeswehr mit Island und mit Kanada systematisch aus. Dies ist das Ergebnis von Gesprächen, die Verteidigungsminister Boris Pistorius Anfang dieser Woche in Reykjavík und in Ottawa führte. Strategisch geht es vor allem darum, die sogenannte GIUK-Lücke zu schließen – die Seewege zwischen Grönland (G), Island (I) und Großbritannien (UK), die russische U-Boote passieren müssen, wollen sie von ihren Basen auf der Halbinsel Kola in den Atlantik einfahren, um dort die transatlantischen Nachschubwege zu attackieren. In Island, das dabei eine Schlüsselposition einnimmt, will die Bundesregierung in Zukunft regelmäßig Seefernaufklärer des Modells P-8A Poseidon stationieren, die auf die U-Boot-Jagd spezialisiert sind, und zudem die Häfen des Landes als Anlegestellen für deutsche Kriegsschiffe nutzen. Zudem soll die Bundeswehr mit den Streitkräften Kanadas enger kooperieren, das größere Unabhängigkeit von den USA anstrebt. Den Rahmen bildet eine „Sicherheitspartnerschaft für den Nordatlantik“, die 2024 initiiert wurde und Deutschland, Kanada, Norwegen und Dänemark umfasst.
Stützpunkt im Nordatlantik
Island, das einzige NATO-Mitglied ohne eigene Streitkräfte, hat angekündigt, seine Beiträge zu den Bündnisaktivitäten ausweiten zu wollen. Traditionell stellt es der NATO wichtige Infrastruktur zur Verfügung, so etwa die Naval Air Station Kevlavík und das Iceland Air Defence System mit seinen vier in die NATO-Luftverteidigung integrierten Radarstationen. Die Naval Air Station Kevlavík, auf der bis ins Jahr 2006 US-Truppen fest stationiert waren, wird heute immer wieder von Einheiten aus NATO-Staaten genutzt; das gilt seit geraumer Zeit auch wieder für die US-Streitkräfte. Die NATO-Staaten führen mittlerweile zudem die Luftraumüberwachung über Island durch. Dessen Küstenwache wiederum beteiligt sich an der Überwachung der Meeresgebiete und des Luftraums rings um die Insel und nimmt an Manövern wie Dynamic Mongoose teil, bei denen insbesondere die U-Boot-Jagd geübt wird. Dynamic Mongoose, faktisch gegen russische U-Boote gerichtet, wird seit 2012 regelmäßig abgehalten, also seit der Zeit vor der Eskalation des Ukraine-Konflikts.[1] Reykjavík hat jetzt in Aussicht gestellt, künftig größere Summen für die Stärkung der Küstenwache und der Cyberabwehr auszugeben und sich damit, auch ohne eigene Streitkräfte, an der Hochrüstung der NATO zu beteiligen.[2]
„Deutschland ist führende Kraft“
Die Bundeswehr hat sich bereits in der Vergangenheit regelmäßig an NATO-Manövern in Island beteiligt, so etwa an Dynamic Mongoose. Zeitweise hat sie die Luftraumüberwachung übernommen, so jeweils für ein paar Wochen in den Jahren 2010 und 2012.[3] Am Sonntag traf Verteidigungsminister Boris Pistorius in Reykjavík ein, um dort gemeinsam mit Islands Außenministerin Thorgerdur Katrín Gunnarsdóttir eine Absichtserklärung zu einer künftig engeren Kooperation der Bundeswehr mit isländischen Stellen zu unterzeichnen. Dabei gehe es unter anderem „um Luft- und Seeraumüberwachung“ sowie um den „Schutz kritischer Infrastruktur“, teilte die Bundeswehr mit. Konkret sollen künftig die neuen Seefernaufklärer P-8A Poseidon der Deutschen Marine in Keflavík stationiert werden.[4] Zudem werde die Marine die moderne Hafeninfrastruktur der Insel als „Anlaufpunkt für ihre Kampfschiffe, U-Boote und Versorgungsschiffe“ nutzen. Alles in allem werde Deutschland „seine militärische Präsenz auf der Insel erhöhen“, ließ sich Pistorius zitieren. Gunnarsdottir kündigte eine verstärkte Zusammenarbeit auch mit der deutschen Luftwaffe an und äußerte zustimmend zu der Berliner Militarisierung: „Deutschland ist aus meiner Sicht nun führende Kraft bei der Stärkung von Sicherheit und Verteidigung in Europa“.[5]
Ein Viererpakt
Pistorius setzte am Montag seine Reise nach Kanada fort und traf zu Gesprächen in Ottawa ein. Die Bundeswehr und die kanadischen Streitkräfte kooperieren bisher nicht nur allgemein im NATO-Rahmen, sondern auch speziell im Baltikum, wo Deutschland in Litauen, Kanada in Lettland und Großbritannien in Estland Truppen stellen; die sechs Staaten stimmen sich im sogenannten 3+3-Format eng miteinander ab.[6] Auf dem NATO-Gipfel im Juli 2024 in Washington kamen die Bundesrepublik, Kanada und Norwegen darüber hinaus überein, eine „Sicherheitspartnerschaft für den Nordatlantik“ aufzubauen. Dänemark trat ihr in diesem Jahr bei.[7] In diesem Kontext wird die Deutsche Marine ihre Aktivitäten auch im westlichen Nordatlantik verstärken. Im August nahm mit dem Einsatzgruppenversorger Berlin erstmals ein deutsches Kriegsschiff an Kanadas jedes Jahr abgehaltenem Marinemanöver Nanook-Tuugaalik teil.[8] Pistorius bereitete in Ottawa nun gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Kanada und aus Norwegen weitere Schritte vor, darunter etwa gemeinsame Ausbildungs- und Übungsmaßnahmen der Marinen und der Luftwaffen aller drei Länder. Außerdem soll der Austausch von Seeaufklärungsdaten zwischen allen drei Staaten künftig intensiviert werden.[9]
Rüstungskooperation
Nicht zuletzt verhandelten die drei Verteidigungsminister in Ottawa über eine mögliche kanadische Beteiligung an Entwicklung und Produktion von U-Booten der Klasse 212 CD, die bislang von Deutschland und Norwegen gemeinsam durchgeführt wird. Federführend ist ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) mit Werften in Kiel und in Wismar. Die U-Boote werden mit Brennstoffzellenantrieb und modernster Sensortechnik ausgestattet sein und eine gegenüber früheren Modellen weiter verringerte Schallsignatur aufweisen.[10] Kanada verfügt aktuell über vier alternde britische U-Boote der Victoria-Klasse und ist seit geraumer Zeit dabei, die Beschaffung neuer U-Boote vorzubereiten. Zwischenzeitliche Überlegungen, US-Produkte zu erwerben, wurden aufgrund des Konflikts mit den USA über Zölle und Annexionsdrohungen fallengelassen. Ottawa hat erst kürzlich angekündigt, die Entscheidung werde zwischen der südkoreanischen Hanwha-Werft und TKMS fallen.[11] Pistorius hat sich nun für TKMS stark gemacht – mit dem Argument, das U-Boot 212 CD werde gemeinsam mit Norwegen entwickelt, mit dem Deutschland und Kanada auch ganz praktisch in der „Sicherheitspartnerschaft für den Nordatlantik“ kooperierten; daran könne man gut anknüpfen.
Dicht geknüpft
Der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Kanada und Norwegen im Nordatlantik geht mit einer engeren Militärkooperation der drei Staaten mit Großbritannien einher. So verfügen alle vier Länder über Seefernaufklärer des Typs P-8A Poseidon, was gemeinsame Operationen erheblich vereinfacht. Seit Anfang 2024 halten sie Symposien ab, auf denen sie die Nutzung des P-8A Poseidon gemeinsam weiterentwickeln.[12] Allerdings sind daran auch die Vereinigten Staaten beteiligt; die P-8A Poseidon ist ein Flugzeug, das vom US-Konzern Boeing gefertigt wird. Norwegen kooperiert darüber hinaus nicht nur mit Deutschland, sondern auch mit Großbritannien in puncto Rüstungsindustrie: Während es deutsche U-Boote erwirbt, beschafft es britische Fregatten.[13] Pistorius wiederum traf am gestrigen Mittwoch zu Gesprächen mit seinem britischen Amtskollegen in Lossiemouth ein, dem Ort nordöstlich der schottischen Stadt Inverness, in dem deutsche Seefernaufklärer des Typs P-8A Poseidon stationiert werden sollen. Das Netzwerk der NATO-Staaten, die sich umfassende Kontrolle über den Nordatlantik zu sichern suchen, wird immer enger geknüpft.
[1] S. dazu Die NATO auf U-Boot-Jagd.
[2] Carlos Torralba: Iceland, the only NATO member without an army, seeks to strengthen its security. english.elpais.com 02.08.2025.
[3] S. dazu Als erste im Krieg.
[4] Lara Finke: Pistorius in Reykjavik: Deutschland und Island vertiefen Militärkooperation. bmvg.de 20.10.2025.
[5] Deutschland will mehr Militärpräsenz in der Arktis. tagesschau.de 20.10.2025.
[6] Militärpolitische Reise: Sicherheit im Nordatlantik im Fokus. bmvg.de 20.10.2025.
[7], [8] Lisa-Martina Klein: Maritime security partnership: Why Germany and Canada are cooperating more closely. table.media 25.08.2025.
[9], [10] Florian Manthey: NATO-Präsenz im hohen Norden: „Wachsam und handlungsfähig“. bmvg.de 22.10.2025.
[11] Murray Brewster: Canada narrows choices for new submarines to German and South Korean bidders. cbc.ca 25.08.2025.
[12], [13] S. dazu Einsatzgebiet Nordatlantik.

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