„Buy European“

EU bereitet zum Ausgleich für Exportverluste, die wegen der neuen US-Zölle drohen, „Buy European“-Klauseln vor – unter Bruch mit Regeln der WTO. Neue Freihandelsabkommen sollen alternative Absatzmärkte öffnen.

BRÜSSEL/BERLIN (Eigener Bericht) – Zum Ausgleich für Exportverluste aufgrund der jüngsten US-Zölle bereitet die EU-Kommission erstmals „Buy European“-Klauseln vor – in offenem Bruch mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Hintergrund ist, dass der Zolldeal zwischen der EU und den USA es der Trump-Administration gestattet, auf Stahl, Aluminium und viele Produkte daraus Einfuhrzölle in Höhe von 50 Prozent zu erheben. Die Maßnahme trifft fast neun Prozent aller deutschen Exporte in die USA. Um ihren Verkauf wenigstens in der EU zu ermöglichen, plant die EU-Kommission ihrerseits Zölle von bis zu 50 Prozent auf den Import konkurrierender Waren. Außerdem sollen bei Staatsaufträgen nur noch oder vorzugsweise Güter verwendet werden, die in der EU hergestellt wurden, so etwa Grüner Stahl. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil stimmt dem Vorhaben für staatliche Infrastrukturprojekte zu. Bundeskanzler Friedrich Merz hat vergangene Woche bestätigt, die Bundesrepublik müsse ökonomisch ihre Abhängigkeit von den USA reduzieren. Dem Plan dienen auch Freihandelsabkommen, um die sich die EU aktuell verstärkt bemüht. Gegen das Mercosur-Abkommen erheben sich erste Bauernproteste in Frankreich.

Das Mercosur-Abkommen

Endgültig in Kraft setzen will die EU zum einen das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur. Offiziell besiegelt wurde es – nach Verhandlungen, die alles in allem mehr als ein Vierteljahrhundert dauerten – im Dezember vergangenen Jahres.[1] Allerdings muss es noch ratifiziert werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Ratifizierung am 3. September eingeleitet. Sie könnte scheitern, wenn eine Sperrminorität von EU-Staaten mit mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung das Abkommen ablehnt. Noch vor kurzem galt dies als wahrscheinlich. Vor allem Frankreich fürchtet Nachteile für seine Agrarbetriebe, sollte sich der Agrarmarkt der EU mit Inkrafttreten des Abkommens für landwirtschaftliche Produkte aus den Mercosur-Staaten öffnen. Weitere Staaten – etwa Irland, Österreich und Italien – schlossen sich den französischen Bedenken an. Unter dem Druck, den die US-Zölle auf große Teile der Exportindustrie in der EU ausüben, zeichnet sich jetzt aber eine Wende ab; sogar die französische Regierung hat Berichten zufolge signalisiert, an ihrem Widerstand nicht weiter festhalten zu wollen.[2] Eine Ratifizierung noch vor Jahresende gilt nun durchaus als denkbar.

Hauptgewinner

Als Hauptgewinner neben den ehemaligen Kolonialmächten Spanien und Portugal, die bis heute enge Wirtschaftsbeziehungen in ihre einstigen Kolonien unterhalten, gilt Deutschland. Bislang gelten im Mercosur relativ hohe Zölle für Branchen, in denen die Bundesrepublik bislang stark war, etwa Autos (35 Prozent), Autoteile (14 bis 18 Prozent) und Maschinen (14 bis 20 Prozent).[3] Fallen sie weg, gelten jährliche Einsparungen in Höhe von 400 bis 500 Millionen Euro für deutsche Exporteure als denkbar. Diese hoffen zudem auf eine Steigerung ihrer Marktanteile. Dies droht zu Lasten der Industrie in den Mercosur-Ländern zu gehen, die Gefahr laufen, wieder stärker auf die Rolle von Rohstofflieferanten und Absatzmärkten der europäischen Staaten reduziert zu werden. Allerdings dringen sie auch stärker denn je auf das Inkrafttreten des Freihandelsabkommens, weil sie gleichfalls von den US-Zöllen getroffen werden und neue Märkte für ihre Rohstoffe suchen; besonders gilt das für Brasilien, das die Trump-Administration mit Zöllen in Höhe von 50 Prozent belegt hat. Inzwischen zeichnet sich in Europa freilich erneuter Protest gegen das Abkommen ab: Am Freitag kam es zu ersten Demonstrationen wütender französischer Landwirte.[4]

Deal mit Indonesien

Ebenfalls noch ratifiziert werden muss das Freihandelsabkommen mit Indonesien, auf das sich Brüssel und Jakarta am vergangenen Dienstag geeinigt haben – in diesem Fall nach nur knapp zehn Jahre währenden Verhandlungen. Es sieht vor, dass mehr als 90 Prozent aller Waren von Zöllen befreit werden, viele davon unmittelbar bei Inkrafttreten des Abkommens und der Rest, darunter indonesische Zölle in Höhe von 50 Prozent auf die Einfuhr von Autos, binnen fünf Jahren.[5] Von Letzterem erhofft sich die deutsche Kfz-Industrie neue Exporte. Zudem verhandelt Indonesien mit Autoherstellern aus der EU über eine Zusammenarbeit bei der Produktion von Batterien und Elektrofahrzeugen: Das Land ist größter Nickelproduzent der Welt, hat im Jahr 2020 ein Verbot des Exports von unverarbeitetem Nickel in Kraft gesetzt, um größere Anteile an der Wertschöpfung im eigenen Land zu halten, und wirbt nun auch in Europa um den Aufbau entsprechender Fabriken, bei denen bislang China klar dominiert.[6] Zugleich setzt Jakarta darauf, den Export insbesondere von Textilien in die EU ausweiten zu können; die aufstrebende indonesische Textilindustrie befürchtet aufgrund der US-Zölle schmerzliche Einbrüche in der bisherigen Ausfuhr in die USA.

Alternativen zu den USA

Auch darüber hinaus treibt die EU den Abschluss weiterer Freihandelsvereinbarungen mit Ländern in Südostasien voran. So ist sie zur Zeit in Gesprächen mit Thailand, Malaysia und den Philippinen, die ihrerseits – wie Indonesien oder auch die Staaten des Mercosur – unter den Trump’schen Zöllen leiden und deshalb neue Absatzmärkte für ihre Ausfuhren suchen. EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič erklärt bereits, bei den drei weiteren Abkommen müsse es nicht bleiben; Brüssel begreife sie explizit als „Bausteine“, um nach Möglichkeit zu einem umfassenden Freihandelsabkommen mit dem gesamten Staatenbund ASEAN zu gelangen.[7] Bereits heute sind Freihandelsabkommen mit Singapur und Vietnam in Kraft.[8] Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit dem gesamten ASEAN-Bund hatte die EU bereits 2007 aufgenommen, sie aber schon 2009 wieder eingestellt. ASEAN gehören über die genannten Staaten hinaus Myanmar, Kambodscha, Laos und Brunei an. Ende Oktober wird darüber hinaus die offizielle Aufnahme Ost-Timors als elftes ASEAN-Mitglied erwartet.

50-Prozent-Zölle

Freilich wird nicht damit gerechnet, dass der erhoffte Freihandel mit dem Mercosur, mit einer steigenden Zahl an Ländern Südostasiens und insbesondere auch mit Indien – die EU-Verhandlungen mit dem Land laufen auf Hochtouren – Einbußen im US-Geschäft umfassend ersetzen kann. Insbesondere gilt dies für Stahl, Aluminium und eine lange Liste an Produkten, die Stahl und Aluminium enthalten: Auf sie kassieren die Vereinigten Staaten laut ihrem Deal mit der EU Zölle in Höhe von 50 Prozent. Betroffen sind laut Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln 5,7 Prozent aller Ausfuhren aus der EU in die Vereinigten Staaten und sogar 8,8 Prozent aller deutschen Exporte in die USA.[9] Zwar handle es sich bei einem Teil der Waren um Nischenprodukte, für die die US-Käufer wohl nur schwer Ersatz fänden, urteilt das IW; in diesem Fall müssten die US-Importeure die teuren Zölle aus eigener Tasche begleichen, sofern sie von ihren Lieferanten in der EU keine hohen Preisnachlässe erhielten. Dennoch sei mit dramatischen Einbußen für die bisherigen Exporteure aus Deutschland und der EU zu rechnen.

Willkür statt Regeln

Mit Blick darauf bereitet Brüssel zur Zeit konkrete Maßnahmen vor. Zum einen sind eigene Zölle auf die Einfuhr von Aluminium, Stahl und Produkten aus beidem im Gespräch; so heißt es, die EU-Kommission könne schon in Kürze eigene Zölle auf diese Güter in Höhe von 25 bis 50 Prozent verhängen.[10] Damit riskiert Brüssel jedoch Gegenmaßnahmen etwa in Form von Zöllen auf den Export europäischer Waren; denkbar wäre eine solche Zollschlacht nach Lage der Dinge etwa mit China. Darüber hinaus ist im Gespräch, die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Verwendung in der EU hergestellter Güter zu koppeln. Bereits im Mai hatte EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné für diesen Schritt plädiert: Man benötige, forderte er, ein „Buy European“-Gesetz.[11] Entsprechende Vorschriften will die Kommission laut einem Bericht des Handelsblatts schon in Kürze vorstellen. Demnach soll es bei staatlichen Infrastrukturprojekten eine Quote für Grünen Stahl geben. In diesem Sinne wird auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil zitiert: Bei den nun geplanten „Investitionen in Straßen, Brücken und Schienen“ solle „Stahl aus europäischer Produktion verbaut“ werden, verlangt Klingbeil.[12] Dabei wären „Buy European“-Klauseln welcher Art auch immer ein Bruch mit den Regeln der WTO – und ein weiterer Schritt hin zu offener Willkür in der Weltwirtschaft.

 

[1] S. dazu Die neokoloniale Doppelrolle.

[2], [3] Hendrik Kafsack: Die Nagelprobe für den Freihandel. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.09.2025.

[4] UE-Mercosur : les agriculteurs en colère contre l’accord, la révolte paysanne gronde à Versailles. latribune.fr 27.09.2025.

[5] Sultan Anshori: Indonesia, EU seal trade deal, hope to offset Trump tariffs. reuters.com 23.09.2025.

[6] S. dazu Das neokoloniale Modell der EU.

[7] EU advancing in trade agreement talks with Philippines, Thailand, Malaysia, trade chief says. reuters.com 25.09.2025.

[8] S. dazu Auf der Suche nach Alternativen zu China.

[9] Samina Sultan, Jürgen Matthes: Neue US-Zölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte: Schlimmer als gedacht. iwkoeln.de 15.09.2025.

[10] Jakob Hanke Vela, Jan Hildebrand, Julian Olk, Leila Al-Serori, Klaus Stratmann, Barbara Gillmann, Moritz Koch: Historische Kehrtwende – Schutzzölle und „Buy European“-Klauseln. handelsblatt.com 25.09.2025.

[11] Barbara Moens, Alice Hancock: EU industry chief pushes ‘buy European’ in response to Donald Trump. ft.com 21.05.2025.

[12] Jakob Hanke Vela, Jan Hildebrand, Julian Olk, Leila Al-Serori, Klaus Stratmann, Barbara Gillmann, Moritz Koch: Historische Kehrtwende – Schutzzölle und „Buy European“-Klauseln. handelsblatt.com 25.09.2025.


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