Szenario: Krieg gegen Russland
Bundeswehr und NATO-Verbündete proben mit dem Manöver Quadriga die schnelle Verlegung nach Litauen für einen Krieg im Baltikum und Spezialkräfteoperationen an der Grenze zu Russland.
BERLIN (Eigener Bericht) – Während Abfangjäger der deutschen Luftwaffe in diesen Tagen über der Ostsee aufsteigen, um russische Militärflugzeuge abzufangen, probt die Bundeswehr im Rahmen ihres Großmanövers Quadriga dort einen möglichen Krieg gegen Russland. Die Übung, die sich über mehrere Wochen erstreckt, bindet Soldaten aus mehreren NATO-Staaten ein; diese trainieren unter deutscher Führung in einer Reihe miteinander verknüpfter Einzelmanöver offiziell noch bis Ende September die Verlegung ins Baltikum und die Kriegsführung dort. Verantwortlich für Planung und Umsetzung des Manövers ist das Marinekommando in Rostock. Das Operative Führungskommando der Bundeswehr führt die Operationen der Soldaten aus 14 NATO-Staaten, von denen der Großteil deutsche Militärs sind. Teilübungen umfassen unter anderem den Aufmarsch der Truppen in Deutschland, die Verlegung von Kampfverbänden über die Ostsee mit Hilfe ziviler Fähren und die logistische und medizinische Versorgung der Truppe an der NATO-Ostflanke. Die Bundeswehr greift dabei auch auf Reservisten, zivile Infrastruktur, sogenannte Blaulichtorganisationen – etwa Polizei und Feuerwehr – sowie eine Vielzahl an zivilen Akteuren zurück.
„Was auf uns zukommen kann“
Das Großmanöver Quadriga umfasst nach Angaben der Bundeswehr „mehrere groß angelegte Verlege- und Gefechtsübungen“, bei denen bereits seit August 8.000 deutsche Soldaten mit rund 400 Militärs aus verbündeten Staaten „Einsatzbereitschaft, Mobilität und Durchhaltefähigkeit der deutschen und verbündeten Streitkräfte unter realistischen Bedingungen ... erproben und sichtbar ... machen“.[1] Die Bundeswehr trainiert bei dem Manöver militärische Aktivitäten im Baltikum „unter den Bedingungen von Krise und Krieg“.[2] Quadriga sei „nicht nur irgendeine Übung“, erläutert Brigadegeneral David Markus: „Es ist im Prinzip das Szenario, auf das wir uns vorbereiten. Und das schärft bei meinen Männern und Frauen die Wahrnehmung, was auf uns zukommen kann“.[3] Laut Bundeswehr ist das „Kernziel“ des Manövers, „die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhöhen“.[4] Dazu entwickeln die Soldaten während der Übung eine Bandbreite von militärischen Fähigkeiten: Sie machen sich weiter vertraut mit den Marschrouten Richtung Osten über Land, See oder Luft; sie trainieren die Absicherung des Aufmarsches durch die Heimatschutzkräfte, zudem Überschall- und Tiefflüge mit dem Eurofighter, das Aufbauen medizinischer Rettungsketten von den Kriegsschiffen über Häfen bis ins zivile Gesundheitssystem, die Drohnenabwehr, die Versorgung der Großverbände im Einsatz mit Treibstoff, den Einsatz von Spezialkräften – im Rahmen von Quadriga in Finnland – oder das Erkunden eines möglichen Einsatzgebiets – Lettland. Um „so realitätsnah wie möglich“ zu trainieren, werden Teile von Quadriga als sogenannte „freilaufende Übung“ abgehalten, also außerhalb der militärischen Truppenübungsplätze mitten im zivilen Leben.[5]
Pulverdampf über der Ostsee
Kern von Quadriga ist der Bundeswehr zufolge „eine großangelegte Verlegung von Streitkräften“ nach Litauen. Zwei Tage brauchten die Heeresverbände der Bundeswehr, um per „Landmarsch“ über Polen nach Litauen zu verlegen.[6] Einen Teil ihrer Fahrzeuge hatten sie zuvor der Marine übergeben, die sie mit Hilfe von zivilen Fähren über die Ostsee nach Litauen verschiffte. Ziel sei es, die „militärischen Fähigkeiten der Marinen in der Ostsee zu stärken“, heißt es. Neben dem „strategische[n] Seetransport von Landstreitkräften nach Litauen“ trainiert die Bundeswehr nach eigenen Angaben erstmals auch das Eskortieren ziviler Handelsschiffe. Multinationale Marineeinheiten sammelten sich dabei laut der Bundeswehr zunächst in Kiel, um dann unter deutschem Kommando gemeinsam auf die Ostsee auszulaufen – ausrechnet am 1. September, dem Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen 1939.[7] Man höre, so heißt es in Berichten der Bundeswehr, „das Hämmern der MGs der vorausfahrenden Schiffe, sieht Gischt aufspritzen und riecht den Pulverdampf“. Das Verlegemanöver steigere sich „bis hin zur Bekämpfung von gegnerischen Kriegsschiffen. Wir sind einsatz- und kampfbereit, das heißt, wir sind voll ausgebildet, wir sind voll bewaffnet und aufmunitioniert“, so schildert es Fregattenkapitän Max Berger. Die „Waffen der Kriegsschiffe könnten optimal auf die Angreifer wirken und diese vernichten“, schreibt die Bundeswehr.[8] Wir haben gezeigt, dass wir innerhalb weniger Tage erhebliche Kräfte nach Litauen und an die Ostflanke verlegen können“, resümiert Bundeswehr-Brigadegeneral Marco Eggert.
Einsatzgebiet: das gesamte Baltikum
Hohe Bedeutung schreibt die Bundeswehr der Fähigkeit zu, „dass sich die Truppe in der neuen und teilweise unbekannten Umgebung schnell zurechtfindet“. Deshalb übten die deutschen Soldaten im Rahmen von Quadriga „immer und immer wieder ... einsatznah ihre Fähigkeiten unter Nutzung ziviler litauischer Infrastrukturen“[9]. In Litauen errichtete die deutsche Armee dabei dieses Jahr zum ersten Mal ein „logistisches Netzwerk im Einsatzland“, um das Heer dort mit Nachschub versorgen zu können.[10] Damit zeige die Bundeswehr, dass sie „entschlossen“ sei, „über lange Zeit“ an der NATO-Ostflanke im Einsatz zu sein, heißt es in der Truppe: Die Unterstützungskräfte machten die „Kampftruppen durchhaltefähig“.[11] Die Logistikverbände der Bundeswehr hätten sich dabei „in erster Linie auf zivile Infrastruktur“ gestützt, heißt es; diese habe man „bereits im vergangenen Jahr erkundet und entsprechende Absprachen mit litauischen Unternehmen und Kommunen getroffen“. Teil von Quadriga sind zudem Aktivitäten eines „Erkundungskommandos“ mit dem Auftrag, „alternative Einsatzräume zu erkunden, die genutzt werden könnten, wenn der Verlauf eines heißen Konflikts dies fordert“. Bei diesen „Erkundungen“ werde auch Lettland „angesteuert“, „denn für die Bundeswehrlogistik ist das gesamte Baltikum mögliches Einsatzgebiet“.[12]
Spezialoperationen
In Finnland beteiligten sich deutsche Soldaten im Rahmen von Quadriga an der laut Bundeswehr „bisher größte[n] Spezialkräfteübung auf finnischem Boden“. Finnland sei „NATO-Frontstaat“, hielt ein an dem Manöver beteiligter Soldat des Kommando Spezialkräfte (KSK) fest. Das Szenario der Übung beschreibt die Bundeswehr wie folgt: Nachrichtendienstliche – und damit für die Öffentlichkeit schwer zu überprüfende – Informationen weisen auf „einen unmittelbar bevorstehenden Angriff feindlicher Kräfte im Baltikum hin“. Daraufhin verlegen die NATO-Staaten „umgehend Spezialkräfte an die Nordflanke“. Im Einsatzland angekommen, werden die Spezialkräfte – über deren Auslandsaktivitäten die Bundesregierung die Öffentlichkeit nicht informieren muss – aktiv: „Sie sammeln Informationen über mögliche Zielobjekte, platzieren Drohnen, sabotieren feindliche Infrastruktur wie Flughäfen oder Bahnhöfe, schalten Flugabwehrsysteme aus und schwächen so die Kampfkraft des Gegners vor dessen weiterer Offensive gegen die Allianz.“ In Deutschland beginnen daraufhin die „Verstärkungskräfte“ mit der „Verlegung von Personal und Material“. „Sofort handlungsfähig bei Kriegsausbruch“, so formuliert die Bundeswehr ihren Anspruch an sich selbst.[13]
Unter deutschem Kommando
Quadriga 2025 ist nach Quadriga 2024 [14] und Air Defender 2023 [15] die dritte jährliche Großübung in Folge, mit der Deutschland seine Führungsambitionen in der NATO untermauert. Die multinationalen Großmanöver sind zwar NATO-Übungen, werden aber von der Bundesrepublik geplant und vor allem geführt. „Quadriga ist eine zentrale Übungsserie der Bundeswehr und Ausdruck unserer Wehrhaftigkeit“, urteilt Vizeadmiral Jan Christian Kaack, Inspekteur der Deutschen Marine und diesjähriger verantwortlicher Manöverleiter.[16] Mit Quadriga trainieren NATO-Truppen die „kurzfristige Verlegung großer [multinationaler] Truppenverbände über die ‘Drehscheibe Deutschland‘ ... bis hin zum gemeinsamen Kampf im Gefecht verbundener Waffen“ – und zwar unter „unter deutscher Leitung“. Teil von Quadriga 2025 war nicht umsonst ein prominent besuchter Medientag, mit dem Berlin hoffte, die „umfangreiche Rolle Deutschlands als Drehscheibe und Transitland im Herzen Europas“ „greifbar darzustellen“ und zugleich seine militärischen Führungswillen in NATO und EU zu unterstreichen.[17] Quadriga sei ein „deutliches Zeichen“ von „militärischer Leistungsfähigkeit“, hieß es [18] – ein Zeichen, das Berlin nicht nur nach Moskau sendet, sondern auch an seine Verbündeten in NATO und EU.
[1] Quadriga 2025 – Alle Einheiten erfolgreich verladen und einsatzbereit. Pressemitteilung der Deutschen Marine, 03.09.2025.
[2] Quadriga 2025 – Bundeswehr und NATO üben den Bündnisfall. Pressemitteilung der Deutschen Marine, 19.08.2025.
[3] Grand Eagle 2025: Panzergrenadiere in Litauen angekommen. soldat-und-technik.de 15.09.2025.
[4] Quadriga 2025 - Bundeswehr und NATO üben den Bündnisfall, Pressemitteilung der Marine 19.08.2025
[5] Quadriga 2025 – Bundeswehr und NATO üben den Bündnisfall. Pressemitteilung der Deutschen Marine, 19.08.2025.
[6] Quadriga 2025 – Alle Einheiten erfolgreich verladen und einsatzbereit. Pressemitteilung der Deutschen Marine, 03.09.2025.
[7] Marinemanöver Northern Coasts – Schwerpunkt der Übungsserie Quadriga 2025. Pressemitteilung der Deutschen Marine, 26.08.2025.
[8] Teilübung Northern Coasts: Einsatz- und kampfbereit in der Ostsee. bundeswehr.de 11.09.2025.
[9] S. dazu Weit gekommen und Vom Kosovo nach Litauen.
[10], [11] Grand Eagle. bundeswehr.de.
[12] Brave Blue und Safety Fuel. bundeswehr.de.
[13] Silver Dagger. bundeswehr.de.
[14], [15] S. dazu Einflusskampf im Baltikum.
[16], [17] Quadriga 2025 – Einladung zum Media Day am 4. September 2025 in Rostock. Pressemitteilung der Deutschen Marine, 29.08.2025.
[18] Northern Coasts 2025. bundeswehr.de.

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