Deutschland füllt die Lücke
Deutschland nutzt das Zerwürfnis zwischen Indien und den USA, um seine Beziehungen zu Indien auszubauen. Indien intensiviert seinerseits seine Zusammenarbeit mit Russland und mit China.
BERLIN/NEW DELHI (Eigener Bericht) – Deutschland sucht seine Beziehungen zu Indien zu intensivieren und nutzt dazu den aktuellen Dissens zwischen Indien und den Vereinigten Staaten. Außenminister Johann Wadephul hat in der vergangenen Woche seinen ersten Besuch in Indien seit seinem Amtsantritt abgeschlossen. In seinen Gesprächen in New Delhi wurden unter anderem die Verdoppelung des Handelsvolumens zwischen beiden Ländern und die verstärkte Anwerbung von Fachkräften aus Indien geplant; zudem sollen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien beschleunigt werden. Die Reise fand zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Beziehungen zwischen Indien und den USA aufgrund hoher US-Zölle auf Importe aus Indien eine Krise erleben. Die Trump-Administration wirft New Delhi vor, mit dem Kauf russischen Öls Moskaus Kriegsführung in der Ukraine zu unterstützen, und hat ohnehin geplante Zölle deshalb verdoppelt. Indien lehnt es ab, den Pressalien nachzugeben, und verbessert zudem seine Beziehungen zu China. Die Bundesregierung ist bemüht, in die Lücke vorzustoßen, die der Streit zwischen Indien und den USA geschaffen hat. Zudem ist sie in Indien um Alternativen zum US-Geschäft bemüht.
Wadephul in Indien
Außenminister Johann Wadephul hat vergangene Woche seinen ersten Indien-Besuch nach seiner Amtsübernahme absolviert. Die Reise begann in Bengaluru, auch bekannt als „Indiens Silicon Valley“; dort besuchte er die indischen Filialen deutscher Unternehmen wie Mercedes Benz und SAP.[1] Außerdem traf er sich mit Vertretern von Technologieeinrichtungen wie der Indian Space Research Organisation (ISRO) und dem Indian Institute of Science (IISc), und er besuchte indische Studenten, die am örtlichen Goethe-Institut Deutsch lernen. Anschließend reiste er nach New Delhi, wo er seinen indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar sowie Indiens Minister für Handel und Industrie, Piyush Goyal, traf und ein Telefongespräch mit Premierminister Narendra Modi führte.[2] Beide Seiten signalisierten ihre Absicht, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien, die bereits 2007 begannen und von langen Verzögerungen geprägt sind, zum Abschluss zu bringen.[3] Während die EU dabei auf eine Senkung der Einfuhrzölle für Autos und einen Zugang zum indischen Agrar- und Milchmarkt dringt, strebt Indien seinerseits einen besseren Schutz für seine Landwirte an und möchte strenge Verpflichtungen in Bezug auf Klima- und Arbeitsstandards vermeiden. Allerdings bieten die von Trump verhängten Zölle auf Importe aus der EU und die besonders hohen Zölle auf Einfuhren aus Indien beiden Seiten einen Anstoß, ihren Handel möglichst rasch auszuweiten, um Verluste im US-Geschäft zu kompensieren.
25 Jahre strategische Partnerschaft
Bereits vor seiner Abreise hatte Wadephul Indiens hohe Bedeutung für die Bundesrepublik betont und erklärt, das Land sei „für Deutschland ein strategischer Partner im gesamten indopazifischen Raum“; es spiele sogar „eine entscheidende Rolle im System der globalen Partnerschaften“. Beide Länder, die aktuell das 25-jährige Bestehen ihrer strategischen Partnerschaft feiern [4], streben nun eine Verdoppelung ihres Handelsvolumens an, das derzeit bei rund 31 Milliarden Euro liegt – weniger als der Handel mit Irland oder Dänemark. Ein weiteres Hauptthema stellte die Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Indien dar; Wadephul äußerte, indische Fachkräfte seien „eine wichtige Stütze“ für die deutsche Wirtschaft. In einer Zeit, in der andere westliche Länder die Einreise indischer Staatsbürger einschränken, verfolgt Deutschland auf der Suche nach Arbeitspersonal eine liberalere Politik. So hat sich seit 2015 die Zahl der Inder in Deutschland von 86.000 auf 280.000 mehr als verdreifacht (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Die Abhängigkeit von indischen Arbeitskräften ist vor allem auf die alternde und schrumpfende Bevölkerung Deutschlands zurückzuführen, dessen Arbeitskräftebedarf bis 2035 nur mit einer jährlichen Nettozuwanderung von 400.000 Arbeitskräften gedeckt werden kann. Kürzlich einigten sich Berlin und New Delhi auf kostenlose Visa, um den Studentenaustausch und die Bildungsbeziehungen zwischen beiden Seiten zu fördern.[6]
Rüstungsbeziehungen
Darüber hinaus haben sich in jüngster Zeit auch die Rüstungsbeziehungen zwischen beiden Ländern intensiviert. Anfang dieses Jahres kündigten Rheinmetall und die indische Reliance Pläne für die gemeinsame Produktion von präzisionsgelenkter Vulcano-155-mm-Munition sowie die Herstellung von Sprengstoffen und Treibmitteln für mittel- und großkalibrige Munition an (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Bereits im vergangenen Jahr hatten beide Seiten während des Besuchs von Verteidigungsminister Boris Pistorius in Indien ein Abkommen unterzeichnet, das den möglichen Bau von sechs modernen dieselelektrischen Stealth-U-Booten vorsieht.
Exemplarisch abgestraft
Wadephuls Besuch findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem sich die Beziehungen zwischen New Delhi und Washington aufgrund der exorbitant hohen Zölle, die die Trump-Administration Indien auferlegt hat, sich rapide verschlechtert haben. Zusätzlich zu den allgemeinen 25-Prozent-Zöllen auf die Einfuhr indischer Waren hat die Trump-Regierung Indien mit zusätzlichen 25-Prozent-Zöllen für den Kauf russischen Öls bestraft; dadurch belaufen sich die Gesamtzölle auf 50 Prozent. Stephen Miller, stellvertretender Stabschef im Weißen Haus und einer der wichtigsten Berater Trumps, erklärte, es sei „nicht akzeptabel ..., dass Indien diesen Krieg durch den Kauf von Öl aus Russland weiter finanziert”.[8] Andere, so etwa der US-Senator Lindsey Graham, haben sogar gedroht, die indische Wirtschaft wegen New Delhis fortgesetzter Kooperation mit Moskau „zu zerstören”.[9] Laut dem Chef-Wirtschaftsberater der indischen Regierung V. Anantha Nageswaran könnten die US-Zölle fast 55 Prozent der indischen Exporte in die USA in Höhe von 87 Milliarden US-Dollar verhindern und Indiens Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um ein halbes Prozent senken.[10] Ganz besonders belastet hat die Beziehungen jedoch, dass die USA Indien mit ihren Zöllen exemplarisch abstrafen und China, den größten Importeur russischer Energieträger, unbehelligt lassen. In Indien meinen deshalb viele, der wahre Grund für die Strafaktion gegen Indien sei, dass das Land sich weigert, Trump zentrale Bedeutung bei der Herbeiführung eines Waffenstillstands in dem viertägigen Krieg zwischen Indien und Pakistan im Mai dieses Jahres zuzuschreiben.[11]
New Delhi bleibt standhaft
Indien weigert sich trotz aller US-Drohungen bislang standhaft, seine Ölimporte aus Russland zu reduzieren, wie Finanzministerin Nirmala Sitharaman kürzlich bekräftigte: „Wir müssen entscheiden, welche [Lieferquelle] für uns am besten geeignet ist. Daher werden wir zweifellos weiterhin Öl [in Russland, d.Red.] kaufen.“ .[12] Zur Bestätigung entsandte New Delhi unmittelbar nach der Ankündigung der Strafzölle durch Trump eine hochrangige Delegation nach Russland, darunter den Nationalen Sicherheitsberater Ajit Doval.[13] Wenig später traf auch Außenminister Jaishankar in Moskau ein.[14] Beide Besuche scheinen den Verteidigungs- und Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern einen Schub gegeben zu haben; sie haben zudem den Grundstein für einen Besuch von Putin in Indien gelegt, der noch in diesem Jahr stattfinden soll.
Modi in Tianjin
Die bemerkenswerteste Entwicklung ist jedoch die Annäherung zwischen Indien und China, die in den vergangenen Jahren aufgrund von Grenzstreitigkeiten ein angespanntes Verhältnis hatten. Im Konflikt mit den USA bezeichnete die Volksrepublik die Trump-Administration als „Tyrannen“ und erklärte, man stehe „fest an der Seite Indiens“.[15] Noch im August besuchte Außenminister Wang Yi auf Einladung des Nationalen Sicherheitsberaters Doval Indien.[16] Während seines Aufenthalts wurde zwar kein formelles Abkommen unterzeichnet; doch diskutierten beide Seiten über eine Intensivierung des Handels und der Investitionen und kündigten die Wiederaufnahme von Direktflügen und eine Wiederaufnahme der Erteilung allgemeiner Visa zwischen den beiden Ländern an. Das Tüpfelchen auf dem i war jedoch Modis Teilnahme am jüngsten Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin; dort hielt er am Rande des Gipfels ein bilaterales Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping ab.
„Vertrauen und Verlässlichkeit“
Wadephul suchte nun den jüngsten Dissens zwischen den USA und Indien zu nutzen, um die Bundesrepublik als verlässlicheren Partner Indiens zu präsentieren. Der deutsche Außenminister stufte die Beziehungen zwischen beiden Ländern als „auf gegenseitigem Vertrauen und Verlässlichkeit basierend” ein.[17] Wirtschaftliche Aktivitäten in Indien ermöglichen es Deutschland und der EU zugleich, etwaige zollbedingte Einbrüche im US-Geschäft auszugleichen. Seit dem Beginn von Trumps zweiter Amtszeit werden in der EU immer mehr Stimmen laut, die Brüssel auffordern, „alternative geopolitische Beziehungen” aufzubauen; dabei wird Indien als eine solche Alternative hervorgehoben.[18] In diesem Zusammenhang waren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und zahlreiche andere EU-Kommissare bereits im Februar dieses Jahres nach Delhi gereist, wo beide Seiten vereinbarten, das geplante Freihandelsabkommen noch in diesem Jahr abzuschließen.[19] Sie prüften zudem die Möglichkeit, eine „Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft” zu unterzeichnen, wie sie die EU bereits mit Japan und Südkorea geschlossen hat.[20] Bislang war die Haltung der EU gegenüber Indien auch von der Absicht geprägt, Indien gegen China in Stellung zu bringen und einen Keil zwischen New Delhi und Moskau zu treiben. Im Jahr 2024 etwa verabschiedete die deutsche Regierung ein Papier mit dem Titel „Fokus auf Indien”, in dem sie ihre Absicht erklärte, Indien „stärker auf deutsche Rüstungsunternehmen auszurichten” und seine „Rüstungsorientierung gegenüber Russland” zu reduzieren.[21] Bei seinem jüngsten Besuch schlug Wadephul jedoch vorsichtigere Töne an und verzichtete auf scharfe Kritik an Indiens Kooperation mit Russland und China.[22] Die Stärkung der Beziehungen zwischen beiden Ländern hat aktuell Vorrang für Berlin.
[1] Foreign Minister Wadephul kicks off India visit in Bengaluru. dw.com 02.09.2025.
[2] Till Fähnders: Deutschland will von Trumps Politik profitieren. faz.net 03.09.2025.
[3] Mark Hallam: India asks Germany for help in search for EU free trade deal. dw.com 03.09.2025.
[4] Statement by Foreign Minister Wadephul prior to his departure for India. auswaertiges-amt.de 01.09.2025.
[5] S. dazu Arbeitskräfteimport aus Indien.
[6] Visit of H.E. Mr. Johann Wadephul, Foreign Minister of Federal Republic of Germany to India (September 01-03, 2025). mea.gov.in 03.09.2025.
[7] S. dazu Rüstungs-Aufholjagd in Indien.
[8] Trump aide accuses India of financing Russia’s war in Ukraine. aljazeera.com 04.08.2025.
[9] ‘We’re going to crush your economy’: US Senator Lindsey Graham warns India, China, Brazil over ‘cheap’ Russian oil; threatens to ‘tariff the hell out’. timesofindia.indiatimes.com 22.07.2025.
[10] India’s chief economic adviser says Trump’s tariffs could shave 0.5% off GDP, Bloomberg News reports. reuters.com 08.09.2025.
[11] Sanstuti Nath: “Trump Is Not Happy With India Because…”: What Ex-Diplomat Said. ndtv.com 14.08.2025.
[12] Hritam Mukherjee, Nidhi Verma: India will continue to buy Russian oil despite US tariffs, finance minister says. reuters.com 05.09.2025.
[13] NSA Doval travels to Russia for talks on crucial issues. taxtmi.com 06.08.2025.
[14] India, Russia agree to boost trade ties after foreign ministers meet in Moscow. reuters.com 21.08.2025.
[15] Shweta Sharma: China says it stands with India against ‘bully’ Trump’s trade tariffs. independent.co.uk 22.08.2025.
[16] Satyajeet Malik: Ist das schon Normalisierung? jungewelt.de 21.08.2025.
[17] Statement by Foreign Minister Wadephul prior to his departure for India. auswaertiges-amt.de 01.09.2025.
[18] James Crabtree: In the wake of Trump: The EU’s chance to redefine its India relationship. ecfr.eu 25.02.2025.
[19] EU, India agree to finalize free-trade pact this year, von der Leyen says. politico.eu 28.02.2025.
[20] Speech by President von der Leyen: ‘The Consequential Partnership: Reimagining and realigning EU and India ties for today’s world’. ec.europa.eu 28.02.2025.
[21] Auswärtiges Amt: Focus on India. Berlin, October 2024.
[22] Till Fähnders: Deutschland will von Trumps Politik profitieren. faz.net 03.09.2025.

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