Rüstungs-Aufholjagd in Indien
Rheinmetall und Diehl Defence kooperieren mit Reliance Defence Ltc. bei der Herstellung präzisionsgelenkter Munition in Indien. Reliance Defence wird vorgeworfen, von Premierminister Modi bevorzugt behandelt zu werden.
BERLIN/NEW DELHI (Eigener Bericht) – Rheinmetall und Diehl Defence schließen mit der indischen Reliance Defence Ltd. einen Vertrag über die Herstellung von präzisionsgelenkter Munition, Sprengstoffen und Treibmitteln in Indien. Hintergrund ist neben der Absicht, die Lieferketten zu diversifizieren, der Versuch Berlins, Indien von seiner Rüstungskooperation mit Russland abzubringen. Deutschland hat zuletzt seine Militärzusammenarbeit mit Indien ausgebaut, etwa durch gemeinsame Marine- und Luftwaffenmanöver. Allerdings bleiben deutsche Unternehmen bei der Beschaffung großer Rüstungsgüter in Indien weit hinter ihren westlichen Konkurrenten aus den USA und Frankreich zurück, die Kampfjets liefern (Rafale) bzw. liefern wollen (F-35). Der Wettlauf um den wachsenden indischen Verteidigungsmarkt hat sich seit dem Ende des jüngsten militärischen Konflikts zwischen Indien und Pakistan verschärft, der Indien zur Suche nach modernsten High-Tech-Waffen veranlasst hat, einschließlich Kampfjets. Rheinmetall-Partner Reliance Defence Ltd. führt nach wie vor die Liste der indischen Unternehmen an, die sich internationale Rüstungsaufträge sichern. Ihm wird vorgeworfen, von Premierminister Narendra Modi bevorzugt behandelt zu werden.
Partnerschaft für Munition
Diehl Defence und das indische Unternehmen Reliance Defence Ltd. gaben am 10. Juni die Unterzeichnung einer strategischen Kooperation zur Herstellung der präzisionsgelenkten Vulcano 155mm-Munition in Indien bekannt.[1] Die Munition ist mit GPS-Technologie und lasergestützter Zielerfassung ausgestattet und verbessert damit die Präzisionswaffenfähigkeiten der indischen Armee. Berichten zufolge rechnet Reliance Defence mit einem Umsatz von bis zu einer Milliarde US-Dollar.[2] Über den Vertrag zwischen Diehl und Reliance wurde nur wenige Tage nach der Bekanntgabe einer weiteren strategischen Partnerschaft zwischen der Rheinmetall AG und Reliance Defence Ltd. am 22. Mai berichtet. Im Rahmen dieser Vereinbarung wird Reliance die Herstellung von Sprengstoffen und Treibmitteln für Mittel- und Großkalibermunition übernehmen und an Rheinmetall liefern.[3] Die strategische Partnerschaft eröffnet Rheinmetall zudem den Zugang zu wichtigen Rohstoffen und sichert die Lieferketten, wobei ein weiterer Ausbau der Zusammenarbeit geplant ist. Der zeitliche Rahmen und der Gesamtwert der Vereinbarung sind bislang nicht bekannt.
Ehrgeizige Pläne
Zur Unterstützung der Zusammenarbeit mit Diehl Defence und Rheinmetall wird Reliance in der Dhirubhai Ambani Defence City im indischen Bundesstaat Maharashtra eine eigene Produktionsstätte errichten. Die Anlage, die eine der größten in Südasien sein wird, wird Präzisionslenkmunition herstellen und über eine jährliche Produktionskapazität von bis zu 200.000 Artilleriegeschossen, 10.000 Tonnen Sprengstoff und 2.000 Tonnen Treibmitteln verfügen, die sie an Rheinmetall liefern wird. Mit den beiden Verträgen erhöht sich die Zahl der internationalen Rüstungspartnerschaften von Reliance auf insgesamt vier, nachdem das Unternehmen bereits Partnerschaften mit der französischen Dassault Aviation und der Thales-Gruppe eingegangen ist. Die Verträge spiegeln die Pläne der noch jungen Reliance Defence wider, sich zu einem der führenden Unternehmen im schnell wachsenden indischen Rüstungssektor zu entwickeln. Auf der anderen Seite wollen sowohl Diehl als auch Rheinmetall vom Plan der indischen Regierung profitieren, bis 2029 Rüstungsexporte im Wert von 5 Milliarden US-Dollar zu erzielen.[4]
Indien von Russland lösen
Die Deals von Rheinmetall und Diehl mit Reliance Defence stehen im Kontext mit den 2022 gezielt intensivierten Bemühungen Deutschlands, Indiens hohe Abhängigkeit von russischen Rüstungsimporten zu verringern. Bereits im Februar 2023 forderte der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Indienreise eine größere Unterstützung New Delhis für die westlichen Versuche, Russland zu isolieren; dazu gehörte auch eine verstärkte Beschaffung von Rüstungsgütern in Deutschland.[5] Im Juni 2023 erklärte der damalige Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Indien: „Es ist nicht im Interesse Deutschlands, dass Indien langfristig von Waffenlieferungen aus Russland abhängig bleibt“; die Bundesrepublik könne ihrerseits Waffen liefern.[6] Pistorius‘ Gespräche mündeten in die Unterzeichnung einer Grundsatzvereinbarung zwischen den beiden Ländern über den Bau von sechs nicht-nuklearen U-Booten in Indien, den die deutsche ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) und die indische Mazagon gemeinsam durchführen sollen.[7] Mit der Verabschiedung des Papiers „Fokus auf Indien“ durch die Bundesregierung im Oktober 2024 wurde schließlich die Absicht, Indien „stärker auf deutsche Rüstungsunternehmen“ zu orientieren, explizit mit dem Ziel verbunden, Indiens „rüstungspolitische Orientierung an Russland“ zu verringern.[8] Parallel bauten beide Länder ihre praktische Militärkooperation einschließlich gemeinsamer Luft- und Seemanöver im und am Indischen Ozean aus.
Chengdu J-10C vs Rafale
Der jüngste militärische Konflikt zwischen Indien und Pakistan, der auch als Testfall für das Aufeinandertreffen westlicher und chinesischer Militärtechnik angesehen wird, hat die Konkurrenz um den großen indischen Verteidigungsmarkt weiter verschärft.[9] Der Waffengang erstreckte sich über vier Tage; beide Seiten setzten ihr modernstes Arsenal ein, einschließlich ihrer modernsten Kampfjets.[10] Übereinstimmenden Berichten zufolge gelang es der pakistanischen Luftwaffe, einen oder mehrere Rafale-Kampfflugzeuge der indischen Luftwaffe mit Hilfe von J-10C-Kampfjets aus chinesischer Herstellung abzuschießen; beide Jets werden der Generation 4,5 zugerechnet.[11] Seitdem bemühen sich die USA verstärkt um eine Ausweitung ihrer Waffenverkäufe an Indien, einschließlich des Verkaufs von Kampfjets F-35 der fünften Generation. Bereits kurz vor dem Konflikt unterzeichnete Indien mit Frankreich ein milliardenschweres Abkommen über den Kauf von 26 zusätzlichen Rafale-Kampfjets, die die russischen MiG 29K-Kampfjets ersetzen sollen.[12] Im Gegenzug hat Russland Indien den Verkauf seiner Su-57 angeboten – ebenfalls ein Kampfjet der fünften Generation. Im Gegensatz zu den USA bot Russland allerdings an, die Jets auch in Indien zu produzieren, einschließlich eines Technologietransfers. Dieser würde es Indien ermöglichen, die Flugzeuge mit einheimischen Radar- und Waffensystemen auszustatten.[13] Im Vergleich zu Frankreich und den USA war Deutschland zuletzt – abgesehen von dem U-Boot-Geschäft – nicht in der Lage, größere Rüstungsaufträge von Indien zu erhalten, dem weltweit größten Importeur von Rüstungsgütern.
Reliance, der kontroverse indische Gigant
Reliance Defence Ltd. ist eine Tochtergesellschaft von Reliance Infrastructure Ltd., die wiederum Teil der Reliance Group ist.[14] Die Reliance Group ist einer der führenden indischen Großkonzerne mit einem Gesamtvermögen von rund 47 Milliarden US-Dollar und einer großen Basis von fast acht Millionen Aktionären.[15] Zu ihr gehören weitere Tochtergesellschaften wie Reliance Communications, Reliance Capital, Reliance Power, Reliance Defence and Engineering Limited und Reliance Defence Technologies Private Limited. Der Konzern hat eine kontroverse Vergangenheit. Die Reliance Group ist im Besitz von Anil Ambani, der im Jahr 2008 als sechstreichster Mensch der Welt eingestuft wurde.[16] Allerdings war sie im Jahr 2019 mit bis zu zwei Milliarden US-Dollar bei verschiedenen Investoren verschuldet.[17] Im Jahr 2020 musste Anil Ambani vor einem britischen Gericht Bankrott erklären, nachdem er von drei chinesischen Banken wegen unbezahlter Kredite in Höhe von 700 Millionen US-Dollar verklagt worden war. Einen weiteren schweren Schlag versetzte ihm das schwedische Telekommunikationsunternehmen Ericsson, das eines seiner Unternehmen wegen unbezahlter Rechnungen verklagte. Anil Ambani wurde in diesem Fall nur durch seinen älteren Bruder Mukesh Ambani, den heute reichsten Menschen Indiens [18], vor einer Haftstrafe bewahrt, der sich einschaltete und die Schulden beglich.
Bemerkenswerte Kompensationsgeschäfte
Die kriselnde Reliance Group erhielt vom indischen Premierminister Narendra Modi einen Lebensretter in Form eines hoch überteuerten Rüstungsvertrags mit dem französischen Unternehmen Dassault Aviation für den Kauf von 36 Rafale-Kampfjets im Gesamtwert von 8,8 Milliarden US-Dollar.[19] Als Teil des im April 2015 unterzeichneten Vertrags wurde die Reliance Group als Kompensationspartner angekündigt: Dassault sollte einen sehr großen Teil der Erträge in Reliance reinvestieren, um weitere Rüstungsgüter zu beschaffen und die einheimischen Produktionskapazitäten zu stärken. Dies wurde der Reliance Group gewährt, obwohl sie keine Erfahrung im Rüstungssektor hatte. Tatsächlich gründete die Reliance Group ihre Tochtergesellschaft Reliance Defence Limited nur dreizehn Tage vor der Bekanntgabe des Abkommens mit Dassault. Einige Tage nach der Unterzeichnung des Abkommens wiederum gründete die Reliance Group die Dassault Reliance Aerospace Limited, die zum wichtigsten Offset-Partner von Dassault werden sollte. Der verschuldete Ambani-Konzern, der keinerlei Erfahrung in der Luft- und Raumfahrt hatte, war also plötzlich Garant für ein milliardenschweres Luft- und Raumfahrtgeschäft.
[1] Diehl Defence und Reliance Defence stärken strategische Partnerschaft. diehl.com 10.06.2025.
[2] Reliance Infra eyeing revenue worth ₹10,000 cr after contract with Germany’s Diehl. financialexpress.com 10.06.2025.
[3] German-Indian cooperation: Rheinmetall and Reliance enter into strategic partnership. rheinmetall.com 21.05.2025.
[4] Anil Ambani’s Reliance Defence signs pact with German firm for artillery shells, explosives supply. indianexpress.com 22.05.2025.
[5] Ashok Sharma, Frank Jordans: German leader seeks Indian support for Russia’s isolation. apnews.com 25.02.2023.
[6] Deutschland offen für Waffenlieferungen an Indien. dw.com 05.06.2023.
[7] thyssenkrupp Marine Systems und Mazagon Dock Shipbuilders Limited erklären Absicht zum Bau von U-Booten für und in Indien. thyssenkrupp.com 07.06.2023.
[8] The Federal Government: Focus on India. Berlin, October 2024.
[9] Tom Hussain: Why a Pakistan-India war would be a Chinese vs Western arms proving ground. scmp.com 30.04.2025.
[10] Ajai Shukla: The 100-hour War: India Versus Pakistan. thediplomat.com 09.06.2025.
[11] Memphis Barker: How China helped Pakistan shoot down Indian fighter jets. telegraph.co.uk 08.05.2025.
[12] India says signs deal with France for 26 Rafale fighter jets. france24.com 28.04.2025.
[13] Rashi Randev: Russia’s Su-57 deal can be a game-changer for India’s defence manufacturing. firstpost.com 10.06.2025.
[14] About Us. rinfra.com.
[15] Anil Dhirubhai Ambani, Chairman – Reliance Group. relianceada.com.
[16] The downfall of Anil Ambani: $42 billion net worth to zero in 12 years. thenewsminute.com 11.02.2020.
[17] Mrinal Dwivedi: The Fall of a Billionaire: What Really Happened to Anil Ambani and the Brutal Lessons Every Young Entrepreneur Must Learn. msn.com 13.06.2025.
[18] Mukesh Ambani. forbes.com.
[19] Shailendra Bhojak: On a Wing and a Prayer. caravanmagazine.in 05.09.2018.

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