Entscheidung erneut verschoben

Erneut keine Entscheidung über die Zukunft des deutsch-französischen Kampfjets der sechsten Generation (FCAS) beim deutsch-französischen Ministerrat. Die Zukunft des 100-Milliarden-Euro-Projekts bleibt damit ungewiss.

PARIS/BERLIN (Eigener Bericht) – Der 25. deutsch-französische Ministerrat im französischen Toulon am Freitag hat bezüglich des bedeutendsten deutsch-französischen Rüstungsprojekts keine Fortschritte gebracht. Über die Zukunft des Future Combat Air Systems (FCAS), eines Kampfjets der sechsten Generation, soll, wie bereits vor dem Treffen bekanntgegeben wurde, erst gegen Ende des Jahres entschieden werden. Seit dem Start des Projekts im Jahr 2017 streiten Deutschland und Frankreich um die Aufteilung der Anteile an dem Vorhaben, dessen Kosten auf 100 Milliarden Euro geschätzt werden. Das Ministertreffen in Toulon brachte jedoch einige andere Ankündigungen hervor, darunter eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit im Energiebereich sowie die Organisation von „strategischen Dialogen” über eine gemeinsame nukleare Abschreckung der EU. Letztere wäre allerdings auf einen eigenständigen europäischen Kampfjet wie das FCAS angewiesen. Inzwischen haben mehrere europäische Staaten Interesse bekundet oder sogar Schritte unternommen, sich dem FCAS-Programm anzuschließen. Belgien hat 300 Millionen Euro in Aussicht gestellt; Spanien, die Schweiz und Portugal ziehen eine Abkehr vom Kauf des US-Kampfjets F-35 in Betracht.

„Nicht diskutiert“

Das 25. deutsch-französische Ministertreffen am Freitag im französischen Toulon hat keine Fortschritte beim FCAS hervorgebracht. Zuvor war bei einem Treffen zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und Präsident Emmanuel Macron im Juli in Berlin beschlossen worden, der Ministerrat solle eine Entscheidung über das Kampfflugzeug der sechsten Generation treffen.[1] Nun wurde dies jedoch erneut verschoben.[2] Grund ist, dass der Streit um die Aufteilung der Entwicklungs- und Produktionsanteile an dem Projekt andauert. Frankreich fordert größere Anteile; deutsche Medien behaupten, es gehe um bis zu 80 Prozent. Merz hat diese Forderung diesmal direkt kritisiert. Kurz vor seiner Abreise nach Frankreich erklärte er, die Forderung nach einer größeren Rolle des französischen Konzerns Dassault Aviation „erleichtere die Sache nicht”; das Thema werde „bei den deutsch-französischen Regierungskonsultationen” in Toulon „nicht diskutiert”. Der Bundeskanzler betonte jedoch die Notwendigkeit eines „neuen Kampfflugzeugs in Europa”; bis Ende dieses Jahres solle eine Entscheidung darüber getroffen werden. Allerdings wird Kritik an der erneuten Verschiebung laut. So hatte Christoph Schmid, Mitglied des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, bereits vor dem Ministertreffen gewarnt: „Wenn wir in Toulon keine Entscheidung für den Eintritt in Phase 2 treffen, wird alles immer schwieriger“.[3] Die zweite Phase betrifft die Entwicklung flugtauglicher Demonstratoren.

Strategischer Dialog

Auf dem Treffen in Toulon unter der Leitung von Merz und Macron wurde jedoch eine Reihe anderer Ankündigungen getätigt. So stellten Merz und Macron eine „Franco-German Economic Agenda” vor, die sich unter anderem auf die Bereiche Rüstung, Industrie und Digitalpolitik erstreckt und darauf abzielt, gemeinsame Initiativen und koordinierte Positionen „auf internationaler, EU- und bilateraler Ebene” zu entwickeln.[4] Der Schwerpunkt der Agenda liegt auf der Vereinbarung, den Energiemarkt beider Länder besser zu integrieren. Die Bundesregierung sagt zu, EU-Zuschüsse für französische Atomenergieprojekte nicht mehr zu blockieren; Paris wiederum will die seit langem ins Stocken geratene Pipeline H2Med unterstützen, die grünen Wasserstoff aus Spanien und Portugal über Frankreich nach Deutschland leiten soll. Bei dem Treffen in Toulon wurde zusätzlich ein fünfseitiges Dokument veröffentlicht, in dem die Schlussfolgerungen des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats vom Freitag zusammengefasst sind.[5] Das Papier hebt den bedeutenden Beitrag der „unabhängigen strategischen Nuklearstreitkräfte Frankreichs” zur Gesamtsicherheit des transatlantischen Bündnisses hervor und kündigt die Aufnahme eines „strategischen Dialogs” zwischen Deutschland und Frankreich über die nukleare Abschreckung an. Es erwähnt jedoch das FCAS mit keinem Wort.

Geprägt von Streitigkeiten

Das ist bemerkenswert. Das FCAS, das im Jahr 2017 offiziell als deutsch-französisches Projekt angekündigt wurde, zielt darauf ab, einen Nachfolger für den Eurofighter und die französische Rafale zu entwickeln. Es soll zugleich die Abhängigkeit der EU von den USA verringern und gilt als „Lackmustest” für die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, in Rüstungsfragen „nationale Interessen in den Hintergrund zu stellen”.[6] Ursprünglich hatten sich Deutschland und Frankreich zusammengeschlossen, um einen Kampfjet der sechsten Generation zu entwickeln, der in Verbindung mit anderen Jets, Lenkwaffen, Drohnen und Drohnenschwärmen eingesetzt werden kann.[7] Allerdings gab es von Anfang an Streitigkeiten zwischen beiden Seiten über die Aufteilung der Entwicklungs- und Produktionsanteile. Der Streit eskalierte mit der Aufnahme Spaniens im Jahr 2019, die von Deutschland vorangetrieben wurde. Sie erhöht das Gewicht der Bundesrepublik in dem Projekt, da nun auch der spanische Airbus-Ableger beteiligt ist. Frankreich wiederum legt großen Wert auf die unabhängigen Fähigkeiten seiner Rüstungsindustrie, die es einst mit der eigenständigen Entwicklung der Rafale-Jets unter Beweis gestellt hat. Bei einem Scheitern des FCAS, dessen Kosten auf rund 100 Milliarden Euro geschätzt werden, werde es „immer unwahrscheinlicher“, dass in Zukunft „große gemeinsame Verteidigungsanstrengungen in Europa“ unternommen würden, konstatierte kürzlich die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[8]

„Nukleare Unabhängigkeit“

Die zweite Amtszeit von Donald Trump hat nun aber die Stimmen in Deutschland verstärkt, die fordern, den nuklearen Schutzschild der USA über Europa durch einen unabhängigen europäischen Schutzschild zu ersetzen. Im Februar dieses Jahres äußerte Merz, „Europa“ müsse „nuklear unabhängiger von den USA“ werden.[9] Frankreich ist das einzige Land in der EU, das über eigene Atomwaffen verfügt; Deutschland hingegen hat nur die „nukleare Teilhabe“ mit den USA, in deren Rahmen deutsche Flugzeuge im Kriegsfall die in Büchel (Eifel) gelagerten US-Atombomben zu einem Ziel transportieren und sie dort abwerfen können.[10] Bislang sind Tornado-Kampfflugzeuge für diesen Zweck vorgesehen. Die veraltete Flotte muss jedoch in Kürze ersetzt werden. Zunächst waren Eurofighter als Nachfolger in Betracht gezogen worden; doch wäre für ihre Nutzung für den Transport von US-Atomwaffen eine Zertifizierung durch die USA erforderlich gewesen. Diese hätte die Industriegeheimnisse des europäischen Kampfflugzeugs offengelegt. Aus diesem Grund entschied sich Berlin, für die nukleare Teilhabe den US-Kampfjet F-35 zu beschaffen. Frankreich hingegen will für seine Atomwaffen, sobald seine Rafale-Jets ersetzt werden müssen, das FCAS zur Verfügung haben. Ein Rückgriff auf einen US-Jet kommt für Paris nicht in Betracht. Das FCAS wäre deshalb auch für eine „europäische“ Nutzung der französischen Atomwaffen unverzichtbar.

Neue Interessenten

Obwohl das FCAS-Projekt mit Verzögerungen zu kämpfen hat, haben in jüngster Zeit mehrere andere europäische Staaten ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet. So hat beispielsweise Belgien Schritte unternommen, um sich an dem Programm zu beteiligen. Im Juli dieses Jahres verabschiedete die belgische Regierung eine neue „Strategische Vision 2025”, in deren Rahmen sie 300 Millionen Euro für den Beitritt zum FCAS-Projekt und für die Teilnahme an dessen Entwicklungsphase für die Jahre von 2026 bis 2030 bereitzustellen verspricht.[11] Allerdings hat Belgiens Plan, elf in den USA hergestellte Kampfflugzeuge des Typs F-35A zu kaufen, Kritik von Dassault-Chef Eric Trappier hervorgerufen; Trappier erklärte, Belgien sei „willkommen”, sich dem FCAS anzuschließen, wenn es „die Idee des Kaufs von F-35 aufgibt”.[12] Der belgische Verteidigungsminister Theo Francken erklärte daraufhin, die belgische Regierung werde „ihre Position im FCAS-Projekt überprüfen“, da sie „sich keine Lektionen von arroganten Industriellen erteilen lassen kann“. Spanien hingegen hat kürzlich beschlossen, den Plan zum Kauf von F-35-Jets auf Eis zu legen, und sucht nach europäischen Alternativen wie dem Eurofighter oder dem FCAS.[13] In ähnlicher Weise dringen Parlamentarier in der Schweiz auf die Streichung der Beschaffung von 36 F-35-Kampfflugzeugen. Damit reagieren sie auf die Entscheidung von US-Präsident Trump, Zölle in Höhe von 39 Prozent auf die Einfuhr von Schweizer Waren zu erheben.[14] Schließlich deuten Berichte darauf hin, dass auch Portugal auf den Kauf von F35-Jets verzichten könnte; es hat mittlerweile Interesse bekundet, dem FCAS-Projekt als Beobachter beizutreten.[15]

 

[1] S. dazu Noch immer kein Take-off.

[2] Iain Rogers: Germany and France Postpone FCAS Fighter Decision to End of Year. bloomberg.com 27.08.2025.

[3] Sabine Siebold: German lawmaker says Berlin could leave Franco-German jet project. reuters.com 27.08.2025.

[4] Franco-German Economic Agenda. 29.08.2025.

[5] Conclusions of the Franco-German Defense and Security Council. 29.08.2025.

[6] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.

[7] S. dazu Milliarden für künftige Kriege.

[8] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.

[9] Merz will mit europäischen Atommächten über Atomschutzschild sprechen. zeit.de 21.02.2025.

[10] S. dazu Festtage für die Rüstungsindustrie (II).

[11] Despite FCAS Fighter Program Nearing Collapse, Belgium Still Seeks to Join as a Full-Fledged Partner. defense-ua-com 24.07.2025.

[12] Charlotte Van Campenhout: Belgium reconsiders FCAS role after Dassault CEO slams F-35 purchase. reuters.com 25.07.2025.

[13] Csongor Körömi: Spain scraps plans to buy F-35 fighter jets. politico.eu 06.08.2025.

[14] Chris Lunday, Jacopo Barigazzi: Swiss lawmakers turn against F-35 deal after Trump’s tariff bombshell. politico.eu 11.08.2025.

[15] Peter Suciu: Will Portugal Join One of Europe’s Sixth-Generation Fighter Programs? nationalinterest.org 05.08.2025.


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