Die neue Allianzstrategie

EU und Japan kündigen engere Zusammenarbeit bei der Sicherung ihrer Lieferketten und in der Rüstungsindustrie an. Ziel ist größere Eigenständigkeit gegenüber China (Seltene Erden) und gegenüber den USA (Rüstung und Militär).

TOKIO/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die EU und Japan wollen ihre Zusammenarbeit weiter intensivieren und streben dabei größere Unabhängigkeit sowohl von China als auch von den Vereinigten Staaten an. Dies ist das Ergebnis des diesjährigen EU-Japan-Gipfels, der am gestrigen Mittwoch in Tokio abgehalten wurde. Demnach wollen beide Seiten sich von Seltenen Erden aus China unabhängig machen und auch sonst größere wirtschaftliche Eigenständigkeit erreichen. Zugleich dringen sie auf ein „stabiles“ wirtschaftliches Umfeld – eine klare Positionierung gegen die unberechenbare, mit Zöllen auch gegen Verbündete operierende Politik der Trump-Administration. Insbesondere zielen die EU und Japan auch auf eine engere Kooperation ihrer Waffenschmieden, um ihre rüstungsindustrielle Basis rasch zu erweitern. Die EU strebt Ähnliches auch mit anderen Staaten von Großbritannien über Kanada bis Südkorea an und nutzt dazu eines ihrer Hochrüstungsprogramme namens SAFE, das günstige Kredite im Volumen von bis zu 150 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. In Zukunft sollen auch nichteuropäische Verbündete in gewissem Maß davon profitieren können. Regierungsberater in Berlin sprechen von einer neuen „Allianzstrategie“ – ohne die USA.

Die Adressaten des Gipfels

Die EU und Japan wollen in Zukunft vor allem in der Militär- und Rüstungspolitik, bei der Schaffung eigenständiger Lieferketten sowie beim Versuch, internationale Organisationen zu stabilisieren, enger zusammenarbeiten. Das haben beide Seiten am gestrigen Mittwoch auf ihrem Gipfeltreffen in Tokio beschlossen. Demnach hat es für sie Priorität, die jeweilige „verteidigungsindustrielle Basis“ zu stärken.[1] Dazu soll ein „Verteidigungsindustriedialog“ gestartet werden, um die Zusammenarbeit der Rüstungsindustrien der EU und Japans zu intensivieren. Darüber hinaus setzen sich beide Seiten für eine „stabile und vorhersagbare“ Wirtschaftsordnung ein, und sie wollen gemeinsam die „Versorgungskette bei kritischen Mineralien stärken und diversifizieren“. Ersteres richtet sich erkennbar gegen die US-Politik, die etwa Zölle willkürlich nutzt, um von anderen Staaten bestimmte Leistungen zu erpressen. Letzteres zielt darauf, bei den sogenannten kritischen Rohstoffen – insbesondere bei der Beschaffung der Seltenen Erden – von China unabhängig zu werden. Darüber hinaus machen sich die EU und Japan für ein Bekenntnis zu den Vereinten Nationen stark. „Die wesentlichen Adressaten des Gipfels“ seien, auch wenn sie nicht explizit genannt worden seien, „China und die USA“ gewesen, kommentiert ein deutscher Berichterstatter trocken.[2]

„Stabilität und Chancen“

Zur Erläuterung der politischen Hintergründe äußerte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Rede anlässlich der Verleihung eines Ehrentitels der Keio-Universität, zwar arbeite die EU „offensichtlich darauf hin, unsere Handelspartnerschaft mit den Vereinigten Staaten wieder auf ein solideres Fundament zu stellen“.[3] Doch sei man sich der Tatsache bewusst, „dass 87 Prozent des globalen Handels mit anderen Ländern“ abgewickelt würden, von denen viele „nach Stabilität und Chancen“ strebten. Das sei der Grund, weshalb die EU auf ihrem Gipfeltreffen mit Japan bestrebt sei, „unsere Bindungen zu vertiefen“. Ebenso sei dies der Grund, aus dem „Länder von überall auf der Welt zu uns kommen, um Geschäfte zu machen: von Indien bis Indonesien, von Südamerika bis Südkorea, von Kanada bis Neuseeland“. All diesen Ländern gehe es darum, ihre „Stärke und Unabhängigkeit zu festigen“; das lasse sich aber lediglich erreichen, „indem wir zusammenarbeiten“. Die USA – den engsten Verbündeten sowohl der EU als auch Japans – zählte von der Leyen in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht auf.

Ambivalenter Kontext

Der politische Kontext des EU-Japan-Gipfels ist ambivalent. In den vergangenen Jahren waren die EU, aber auch einige Mitgliedstaaten – darunter speziell Deutschland – bemüht, ihre Beziehungen zu Japan zu stärken. Hintergrund war das Bestreben, im großen Machtkampf gegen China einen engen Schulterschluss der transatlantischen Mächte mit verbündeten Ländern in der Asien-Pazifik-Region zu vollziehen. Entsprechend war auch die NATO dabei, ihre Kontakte zu Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland zu intensivieren (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Das Militärbündnis verfolgt diesen Plan weiter. Doch hat sich zuletzt unter den asiatisch-pazifischen Verbündeten Unmut über die Trump-Administration und ihre Forderung nach einer exzessiven Aufstockung der Militäretats breitgemacht. Von den Partnerstaaten aus der Region sagten drei der vier Staats- respektive Regierungschefs ihre Teilnahme am NATO-Gipfel im Juni in Den Haag kurzfristig ab; lediglich der Premierminister der rechtslastigen Regierung Neuseelands nahm teil. Japan konnte am Dienstag zwar einen Zolldeal mit der Trump-Administration schließen, der nicht ganz so fatal ausfiel wie befürchtet. Schaden richtet er in der japanischen Wirtschaft dennoch an – und niemand kann sicher sein, ob Trump nicht in Kürze erneut mit einer willkürlichen Anhebung der US-Zolle neue Zugeständnisse seiner Verbündeten erpresst.

Erweiterte rüstungsindustrielle Basis

Die EU hat mittlerweile begonnen, ihre Zusammenarbeit mit westlichen Staaten und mit Verbündeten in der Asien-Pazifik-Region auf bilateraler Ebene zu intensivieren – und zwar ausdrücklich ohne Einbeziehung der USA. Exemplarisch geschieht dies zur Zeit auf dem Feld der Rüstungskooperation. Im Zentrum steht dabei das EU-Programm SAFE (Security Action For Europe), in dessen Rahmen die EU-Kommission günstige Kredite vermittelt, mit denen teure Aufrüstungsvorhaben finanziert werden können. Stehen mit SAFE finanzierte Projekte prinzipiell nur EU-Staaten offen, so sieht das Programm allerlei Ausnahmen vor, so etwa für Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) wie Norwegen, daneben aber auch Staaten, mit denen die EU sogenannte Sicherheitsabkommen geschlossen hat. Das sind bislang vor allem Großbritannien, Kanada, Japan und Südkorea; Australien hat Gespräche über ein solches Abkommen aufgenommen. Für die EU ist eine Einbindung weiterer Staaten vorteilhaft, weil es dadurch möglich wird, in der Rüstungsproduktion auf deren industrielle Kapazitäten zuzugreifen. Die kooperierenden Länder wiederum ziehen Vorteil aus günstigen Krediten und einer Erweiterung ihres Absatzmarkts. In Brüssel wird erwogen, auch Indien einzubeziehen. Zentrale Voraussetzung dafür wäre ebenfalls der baldige Abschluss eines Sicherheitsabkommens mit dem Land.[5]

„Ein eigener Pol“

Perspektivisch zielt die EU mit dem Bestreben, Staaten nicht nur Europas und Nordamerikas (Kanada), sondern auch aus der Asien-Pazifik-Region über SAFE enger an sich zu binden, nicht nur auf die Verbreiterung ihrer rüstungsindustriellen Basis – dies ganz ähnlich wie es die USA mit ihrer F-35-Koalition oder auch mit AUKUS getan haben bzw. weiterhin tun. Langfristig wolle das europäische Staatenkartell damit „auch ein neues Netz an Partnerschaften schaffen“, heißt es in einer aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[6] „Wichtigste Voraussetzung für den Erfolg“ einer solchen „Allianzstrategie“ sei es allerdings, „dass die EU selbst attraktiv wird“, heißt es weiter in der Analyse: Nur wer selbst etwa große Investitionen in seine Waffenschmieden tätige, sei für andere Länder in rüstungsindustrieller Hinsicht interessant. Nicht zuletzt deshalb sei die EU gut beraten, die Zusammenarbeit bei Rüstungsvorhaben „mit breiterer Kooperation zu verknüpfen“, urteilt die SWP – „in der Handelspolitik“ etwa. Dies sei strategisch wichtig: „Wollen die Europäer verhindern, dass sie in einer zunehmend von Interessensphären geprägten Welt zum Spielball fremder Mächte werden, müssen sie die Kraft aufbringen, ein eigener Pol zu werden.“

 

[1] Japan-EU Summit 2025. Joint Statement. Tokyo, 23.07.2025.

[2] Martin Kölling: Druck durch China und USA – EU und Japan kooperieren enger. handelsblatt.com 23.07.2025.

[3] Von der Leyen: We are working towards the agreement with the US, but 87 percent of our trade is with other countries. agenzianova.com 23.07.2025.

[4] S. dazu Die NATO am Pazifik und NATO weltweit.

[5], [6] Nicolai von Ondarza: Konturen einer Allianzstrategie der EU. SWP-Aktuell 2025/A 28. Berlin, 10.06.2025.


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