Grenzabschottung im Alleingang (II)
Polen führt in Reaktion auf die deutschen Grenzkontrollen eigene Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze ein. Berlin weist weiterhin Asylsuchende zurück, obwohl dies gerichtlich als rechtswidrig eingestuft wurde.
BERLIN/WARSCHAU/LUXEMBURG (Eigener Bericht) – Polen reagiert auf die von Berlin einseitig eingeführten Kontrollen an den deutschen Außengrenzen und nimmt seinerseits Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze auf. Das gab Ministerpräsident Donald Tusk am gestrigen Dienstag bekannt. Wie Tusk mitteilte, habe er mit Bundeskanzler Friedrich Merz „mehrfach“ über die in Polen scharf kritisierte Maßnahme gesprochen und „die deutsche Seite“ im März, also schon vor ihrer Einführung, vor den Konsequenzen gewarnt. Vergeblich: Die Bundesregierung hält beinhart an den Kontrollen und vor allem auch an der illegalen Zurückweisung von Asylsuchenden fest. Letztere hat das Berliner Verwaltungsgericht Anfang Juni in einem exemplarisch durchgeführten Verfahren für rechtswidrig erklärt. Merz sowie Innenminister Alexander Dobrindt äußerten dazu, sie hielten auch entgegen dem Urteil an der Praxis fest. Die Kontrollen, die im Alltag des gesamten Grenzgebiets schwere Belastungen hervorrufen und den Mythos des im Inneren „grenzfreien“ Europas ernsthaft schädigen, rufen auch in weiteren Ländern großen Unmut hervor – so zum Beispiel in Luxemburg, dessen Ministerpräsident Luc Frieden am Dienstag in Berlin vorsprach.
Rechtswidrig
Die Grenzkontrollen, die die Bundesregierung am 8. Mai eigenmächtig eingeführt hatte, hatten auf unterschiedlichen Ebenen Widerstand ausgelöst. In Deutschland selbst wurde die pauschale Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen in einer Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts am 2. Juni für klar gesetzeswidrig erklärt. Das Gericht hielt unter anderem fest, dass die Dublin-Verordnungen als europäisches Recht Vorrang vor nationalen Regelungen haben; sie sehen vor, dass Flüchtlinge nicht pauschal zurückgewiesen werden, sondern dass vielmehr der Staat festgestellt werden muss, über den sie in die EU eingereist sind.[1] Zudem kam das Gericht zu dem Schluss, die Behauptung, man könne Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) anwenden, sei nicht zu halten. Der Artikel sieht vor, dass zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ nationales statt EU-Recht angewandt werden darf. Allerdings muss dazu, wie aus früheren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hervorgeht, etwa das Funktionieren der staatlichen Organe oder das Überleben der Bevölkerung gefährdet sein. Das ist dem Berliner Verwaltungsgericht zufolge aufgrund einer Einreise von Flüchtlingen eindeutig nicht zu befürchten: Wie durch sie eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ entstehen solle, das sei völlig unklar.[2]
Unanfechtbar
Die Bundesregierung setzt sich bislang über die Entscheidung hinweg. Man sei überzeugt, „dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können“, teilte Bundeskanzler Friedrich Merz am 4. Juni mit.[3] Bereits zuvor hatte Innenminister Alexander Dobrindt erklärt, es handle sich nur „um einen Eilbeschluss“, den umzusetzen nicht erforderlich sei.[4] Das trifft nicht zu. Das Berliner Verwaltungsgericht sei „im Eilverfahren erst- und auch letztinstanzlich zuständig“, bestätigte am Wochenende der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Andreas Korbmacher: „Der Beschluss ist also unanfechtbar.“[5] Das entspreche einer von der Bundesregierung einst „bewusst“ gefällten Entscheidung, die es in politisch folgenreichen Verfahren möglich machen solle, „zu schnellen abschließenden Entscheidungen zu kommen“. Zwar seien Verwaltungsgerichte „wegen des fehlenden Rechtsmittels verfassungsrechtlich verpflichtet, die Rechtslage intensiv durchzuprüfen“; das habe das Berliner Gericht allerdings „auch getan“. Korbmacher hält es für leicht denkbar, dass künftige Entscheidungen anderer Gerichte zu ähnlichen Entscheidungen kommen könnten. Dann jedoch müssten „Kanzler und Innenminister sicherlich überlegen ..., inwieweit sie die Auffassung noch aufrechterhalten können, die sie bisher vertreten haben“.
Belastungen
Zu Protesten hatte die Einführung der Grenzkontrollen zudem in deutschen Grenzregionen und vor allem in Nachbarstaaten geführt. Ursache war zunächst, dass der Schritt zahlreichen Grenzpendlern das Alltagsleben ganz erheblich schwerer machte. So erklärte etwa der Oberbürgermeister des baden-württembergischen Kehl, man sei im Namen Europas „immer aufgefordert“ worden, „gemeinsame Projekte“ mit dem nahe gelegenen französischen Strasbourg zu machen. Nun gebe es „eine gemeinsame Straßenbahn, gemeinsame Brücken, einen gemeinsamen Kindergarten“; deren Nutzung aber werde durch langwierige Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze erschwert.[6] Seinen Unmut teilte auch Luxemburgs Innenminister Léon Gloden mit Blick auf die 55.000 Grenzpendler aus Deutschland mit, die nun lange Wartezeiten an der Grenze in Kauf nehmen müssten.[7] Ähnlich äußerte sich der polnische Ministerpräsident Donald Tusk im Hinblick auf die rund 95.000 Grenzpendler aus Polen. Merz tat jegliche Kritik aus angrenzenden Staaten mit der Behauptung ab, man habe „unsere europäischen Nachbarn“ über die Einführung der Kontrollen „vollumfänglich informiert“; ein allseits angeprangerter deutscher „Alleingang“ liege also nicht vor.[8] Merz‘ Interpretation des Wortes „Alleingang“ wird allerdings nicht überall geteilt.
Weiter so
Entsprechend lassen Reaktionen nicht auf sich warten. Am gestrigen Dienstag traf Luxemburgs Ministerpräsident Luc Frieden in Berlin ein, um auf einem Treffen mit Merz nach einer Lösung im Streit um die Grenzkontrollen zu suchen. Die Innenminister der beiden Länder, Dobrindt und Gloden, hatten sich Ende Mai geeinigt, die Grenzkontrollen ein Stück weit weg von der Grenze zu verlegen; dies ändert jedoch an der Grundproblematik nichts. Nach seinem Gespräch mit Merz erklärte Frieden nun, man wolle „durch eine engere Kooperation der Polizeibehörden versuchen, die Grenzkontrollen abzuschaffen“. Dies solle „kurzfristig“ geschehen.[9] Details wurden nicht bekannt. Merz ließ jedoch keinerlei Zweifel daran, dass Berlin die Kontrollen beinhart und ohne jegliche Rücksicht auf Belange der Nachbarstaaten weiterführen wird: „Wir müssen zurzeit Grenzkontrollen durchführen, weil der Schutz der europäischen Außengrenzen nicht hinreichend gewährleistet ist.“[10]
Vorgewarnt
Gegen den deutschen Alleingang hat nun die Regierung Polens erste Gegenmaßnahmen ergriffen. Wie Ministerpräsident Donald Tusk am gestrigen Dienstag ankündigte, wird sein Land ab Montag ebenfalls Grenzkontrollen durchführen. Als Auslöser dafür nennt Tusk nicht die Unannehmlichkeiten für die beinahe 100.000 polnischen Grenzpendler oder den Schaden für den lange gepflegten Mythos Europa, der durch die faktisch dauerhaften Kontrollen entsteht. Vielmehr müsse „der unkontrollierte Strom von Migranten hin und zurück begrenzt und auf ein Minimum verringert werden“, äußerte Tusk.[11] Tatsächlich haben deutsche Behörden, wie die Bundespolizei am Dienstag berichtete, von der Einführung der Kontrollen am 8. Mai bis zum 30. Juni insgesamt 6.193 Personen an allen Landgrenzen Deutschlands „zurückgewiesen oder zurückgeschoben“, darunter 284 Asylsuchende.[12] Wie Tusk mitteilt, habe er „die deutsche Seite bereits im März vorgewarnt“, die eigenmächtigen deutschen Grenzkontrollen könnten Konsequenzen haben, und er habe gleich „mehrfach mit dem neuen Kanzler darüber gesprochen“ – allerdings ohne Erfolg. Merz wiederum beteuerte noch kurz vor Bekanntwerden der neuen polnischen Grenzkontrollen, man stehe „mit der polnischen Regierung in ganz engem Austausch, um die Belastungen so gering wie möglich zu halten“.[13] Die Kontrollen einzustellen war für Merz aber keine Option.
[1], [2] Marlene Grunert, Mona Jaeger: Nicht zur Disposition. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.06.2025.
[3] Merz will weiter Asylsuchende zurückweisen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.06.2025.
[4] Dobrindt hält an Zurückweisungen fest. tagesschau.de 02.06.2025.
[5] Heike Anger, Klaus Stratmann: „Das fällt dem Bundesinnenministerium jetzt auf die Füße“. handelsblatt.com 28.06.2025.
[6] Kehler Rathauschef kritisiert verstärkte Grenzkontrollen deutlich. swr.de 09.05.2025.
[7] S. dazu Grenzabschottung im Alleingang.
[8] „Es gibt hier keinen deutschen Alleingang“. tagesschau.de 09.05.2025.
[9] Sidney Wiltgen: Luc Frieden bei Merz: „Durch Polizei-Kooperation versuchen, die Grenzkontrollen abzuschaffen“. tageblatt.lu 01.07.2025.
[10] „Europa muss sich strategisch aufstellen“. bundesregierung.de 01.07.2025.
[11] Polen führt Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland ein. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.07.2025.
[12] Bundespolizei: Pressemitteilung Nr. 12 vom 1. Juli 2025.
[13] Polen führt am Montag Grenzkontrollen ein. tagesschau.de 01.07.2025.

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