Drecksarbeit

Deutschland, Frankreich und Großbritannien kündigen für Freitag Verhandlungen mit Iran an. Merz lobt Israel für den Angriffskrieg und spricht von „Drecksarbeit“, die das Land „uns“ abgenommen habe. Scharfe Kritik kommt aus Mittelost.

TEHERAN/TEL AVIV/BERLIN (Eigener Bericht) – Die drei Mächte Westeuropas – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – kündigen für den heutigen Freitag in Genf ein Treffen mit dem Außenminister Irans, Abbas Araghchi, an. Hintergrund ist das Bestreben, im Konflikt um das iranische Atomprogramm eine eigenständige, von den USA unabhängige Position zu entwickeln. Unter den drei Mächten Westeuropas hat sich die Bundesrepublik am deutlichsten auf Israels Seite geschlagen und erklärt, der Angriffskrieg gegen Iran sei vom „Recht auf Selbstverteidigung“ gedeckt. Bundeskanzler Merz hat sogar erklärt, Israel übernehme mit dem Krieg, der schon bis gestern weit mehr als 500 Todesopfer forderte, „die Drecksarbeit für uns alle“. In der EU teilen eine ganze Reihe von Staaten die deutsche Position nicht; EU-Kommissonspräsidentin Ursula von der Leyen hat sie sich gegen ihren Willen zu Eigen gemacht – nicht zu ersten Mal. Die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens kritisieren den israelischen Angriffskrieg hingegen scharf – in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Auch aus der bislang prowestlichen Opposition in Iran kommt massiver Protest gegen Israels mörderische Bombenangriffe.

Ablehnung in Nah- und Mittelost

Anders als in Teilen Europas und in Nordamerika wird Israels Angriffskrieg gegen Iran im Nahen und im Mittleren Osten – also in der unmittelbar betroffenen Region – scharf kritisiert. Schon am vergangenen Freitag, dem ersten Kriegstag, verurteilten dort beinahe alle Staaten die Angriffe; die einzige Ausnahme war Syrien, dessen islamistisches Regime aktuell alles unternimmt, um die US-amerikanischen und europäischen Sanktionen abzuschütteln und zum Kooperationspartner der transatlantischen Welt zu werden.[1] Saudi-Arabien etwa stellte fest, die israelische Aggression verletze Irans Souveränität und stelle „einen eklatanten Verstoß gegen internationale Gesetze und Normen“ dar.[2] Ein Sprecher des Außenministeriums von Qatar konstatierte am Dienstag, die Länder der Region hätten die Bemühungen unterstützt, eine Einigung zwischen den USA und Iran auf ein Atomabkommen zu erzielen. Der Versuch habe sich „zum ersten Mal seit mehr als sieben Jahren in eine positive Richtung“ entwickelt. Während aber fast „alle Länder der Region“ bestrebt seien, „Spannungen bei diversen Themen abzubauen“, gebe es „einen Player in der Region, der darauf besteht, eine Quelle der Eskalation zu sein“ – und der insbesondere „darauf besteht, dass sämtliche Anstrengungen, Frieden in der Region zu erreichen, scheitern“.[3] Gemeint war Israel.

Ablehnung bei der iranischen Opposition

Berichte deuten darauf hin, dass auch bei der prowestlichen iranischen Opposition, die zuletzt immer wieder energisch gegen die Regierung in Teheran protestierte, die Wut auf die israelischen Angriffe und auf deren Befürwortung durch die westlichen Staaten zunimmt. Das ist von erheblicher Bedeutung, da zumindest Israel ganz offen auf einen Umsturz in Teheran setzt; Premierminister Benjamin Netanyahu hat dazu bereits am ersten Kriegstag in einer auch auf Farsi verbreiteten Ansprache aufgerufen.[4] Die Trump-Administration wiederum hat die Mitarbeiter des farsisprachigen Dienstes von Voice of America, dem staatsfinanzierten Auslandssender der USA, aus dem Zwangsurlaub zurückgerufen, in den sie vorher versetzt worden waren, um den Sender stillzulegen. Das wiedergestartete Programm sei bereits in Iran zu empfangen, heißt es.[5] Eine in Iran gut vernetzte Journalistin berichtet nun allerdings, selbst Frauenrechtlerinnen, die in erbitterter Opposition zur Regierung stünden, seien über die Angriffe auf zivile Ziele „geschockt“.[6] Die im Westen verbreiteten Phrasen von „Israels Recht auf Selbstverteidigung“, die einen brutalen Angriffskrieg mit bislang mindestens 585 Todesopfern – mindestens 239 davon Zivilisten [7] – legitimieren sollen, rufen demnach auch bei Irans bislang prowestlicher Opposition Empörung hervor.

„Größter Respekt“

Auf die Behauptung, der Angriffskrieg gegen Iran geschehe in Umsetzung von „Israels Recht auf Selbstverteidigung“, hat sich die Bundesregierung sofort festgelegt (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Bundeskanzler Friedrich Merz hat dies inzwischen mehrfach bestätigt; alle Hinweise, der Angriffskrieg verstoße flagrant gegen internationales Recht, lässt Merz nicht gelten. Vielmehr hat er am Dienstag am Rande des G7-Gipfels im kanadischen Kananaskis in einem prominent platzierten Fernsehinterview geäußert, er habe „größten Respekt davor, dass die israelische Armee“, auch „die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt“ habe, „das zu machen“.[9] „Wir sind von diesem Regime auch betroffen“, erklärte der Bundeskanzler; Israel habe mit seiner Kriegsführung gegen Iran „die Drecksarbeit“ übernommen – und zwar „für uns alle“. Mit „Drecksarbeit“ ist ein Krieg mit hunderten, wenn nicht tausenden zivilen Todesopfern und umfassender Zerstörung gemeint.

Innereuropäische Differenzen

Die Berliner Position stimmt mit derjenigen der Vereinigten Staaten und Israels überein; der israelische Botschafter in der Bundesrepublik, Ron Prosor, hat sogar Merz‘ Vokabular („Drecksarbeit“) ausdrücklich verteidigt: Der Bundeskanzler habe „die Realitäten im Nahen Osten mit seiner Wortwahl klar beschrieben“, erklärte Prosor.[10] Allerdings stimmen eine ganze Reihe EU-Staaten der Auffassung, Israel dürfe Iran bombardieren, im Einklang mit der unter Völkerrechtlern dominierenden Ansicht [11] nicht zu. So wird berichtet, am Samstag habe es in der EU heftige Diskussionen gegeben, ob Israels Angriffskrieg gegen Iran in einer Erklärung des Staatenbundes mit einem „Recht, sich selbst zu verteidigen“, gerechtfertigt werden könne. Rund 15 Staaten hätten dies befürwortet, außer Deutschland etwa Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn und die Niederlande.[12] Andere dagegen hätten es explizit zurückgewiesen. Die Differenzen waren Gegenstand eines Treffens der 27 EU-Botschafter am gestrigen Donnerstag in Brüssel und sollen auch beim EU-Gipfel in der kommenden Woche diskutiert werden.

Von der Leyens Alleingänge

Ernsten Unmut hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgelöst, als sie sich über den Diskussionsstand der EU hinwegsetzte und am vergangenen Samstag, unmittelbar nach der erwähnten Debatte in der EU, eigenmächtig mitteilte, sie habe mit Israels Präsident Isaac Herzog gesprochen und dabei „Israels Recht, sich selbst zu verteidigen und seine Bevölkerung zu schützen, wiederholt“.[13] Es sei „entmutigend“, zu sehen, wie die Kommissionspräsidentin ihre persönliche Position vertrete, ohne auf den Konsens in der Union auch nur die geringste Rücksicht zu nehmen, wird ein namentlich nicht genannter Diplomat zitiert. Von der Leyen hatte allerdings bereits im Jahr 2023 mit ihrer Positionierung zum Gaza-Krieg die Beschlusslage in der EU ignoriert und eine Haltung eingenommen, die der Position der deutschen Regierung entsprach (german-foreign-policy.com berichtete [14]). Dies ist heute wieder der Fall. Damit entwickeln sich politische Alleingänge der deutschen Kommissionspräsidentin in Übereinstimmung mit der Position Deutschlands zum neuen Standard in der EU.

Europas Stellung

Während die EU zerstritten ist, treibt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Versuch voran, Iran zu einem neuen Nuklearabkommen zu bewegen. Für den heutigen Freitag hat Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot ein Treffen in Genf anberaumt, an dem neben seinen Amtskollegen aus Deutschland, Johann Wadephul, und aus Großbritannien, David Lammy, auch Irans Außenminister Abbas Araghchi teilnehmen soll.[15] Zudem ist die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas geladen. Wadephul hat sich bislang der politischen Position, aber noch nicht der Wortwahl („Drecksarbeit“) des Bundeskanzlers angeschlossen. Mit dem Genfer Treffen suchen die drei Hauptmächte Westeuropas eine eigenständige Stellung im Konflikt um das iranische Atomprogramm zu entwickeln; zuletzt hatten die USA Gespräche mit Iran alleine geführt. Allerdings könnte die Position der drei westeuropäischen Mächte binnen kürzester Zeit wertlos werden: dann, wenn die USA zu eigenständigen Angriffen auf Iran übergehen oder wenn die israelisch-US-amerikanischen Bemühungen um den Sturz der Regierung in Teheran erfolgreich sind.

 

[1] Christina Goldbaum: As Other Arab States Condemn Israeli Attacks on Iran, Syria Is Notably Silent. nytimes.com 17.06.2025.

[2] How the world is reacting to Israel attacks on Iran nuclear, military sites. aljazeera.com 13.06.2025.

[3] Israeli attack on Iran is an uncalculated escalation: MoFA Spokesperson. thepeninsulaqatar.com 17.06.2025.

[4] ‘Stand up and let your voices be heard’: Netanyahu urges Iranians to stand against regime. jpost.com 14.06.2025.

[5] Brian Stelter: Trump wanted these Persian-language journalists fired. Now they’re ‘rising to the occasion’ amid Israel-Iran conflict. edition.cnn.com 16.06.2025.

[6] Friederike Böge: Wer kann, verlässt Teheran. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.06.2025.

[7] Israeli strikes have killed nearly 600 in Iran, rights group says. timesofisrael.com 18.06.2025.

[8] S. dazu Vom Recht auf Angriffskrieg.

[9] Merz: Israel macht in Iran Drecksarbeit für uns. zdfheute.de 17.06.2025.

[10] Kanzleramtsminister und israelischer Botschafter nehmen Merz in Schutz. zeit.de 19.06.2025.

[11] S. dazu Vom Recht auf Angriffskrieg.

[12], [13] Shona Murray, Eleonora Vasquez: EU divided over Israel‘s right to bomb Iran. euronews.com 19.06.2025.

[14] S. dazu Vor der humanitären Katastrophe und Die Glaubwürdigkeit des Westens.

[15] Wadephul und europäische Kollegen wollen morgen Irans Außenminister Araghtschi treffen. deutschlandfunk.de 19.06.2025.


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