Euro gegen Dollar
EZB-Präsidentin Lagarde hält eine „größere internationale Rolle“ des Euro auf Kosten des schwächelnden US-Dollar für möglich. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen fordert „europäische Unabhängigkeit“ von den USA.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Der Euro kann dank der aktuellen Dollarschwäche „zu einer größeren internationalen Rolle“ finden und höhere Bedeutung im Weltfinanzsystem erlangen. Das sagt die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, voraus. Wie Lagarde in der vergangenen Woche konstatierte, liege der Anteil des US-Dollar an den globalen Währungsreserven mit 58 Prozent so niedrig wie zuletzt 1994. Zudem sei die aktuelle Dollarschwäche eine Chance für den Euro; von der Trump’schen Wirtschaftspolitik irritiert, könnten Investoren oder Staaten zur Anlage ihrer Reserven in Euro motiviert werden. Allerdings benötige die Eurozone dafür ein „solides und glaubwürdiges geopolitisches Fundament“, das sie mit starken militärischen Kapazitäten untermauern müsse. Zudem müsse sie endlich den bereits so lange propagierten einheitlichen Kapitalmarkt schaffen und durch die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen schlagkräftiger werden. Während Lagarde dies fordert, spricht sich auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein neues „große[s] europäische[s] Projekt“ aus – für „europäische Unabhängigkeit“ von den USA. Es gehe dabei auch „um eine Führungsrolle in der Weltwirtschaft von morgen“.
Die neue Dollarschwäche
Die aktuelle Schwäche des US-Dollar sorgt, seit die Weltleitwährung im März stark zu fallen begonnen hat, für intensive Debatten. Reichten Anfang Februar noch 1,02 US-Dollar aus, um einen Euro zu erwerben, so benötigt man inzwischen fast 1,14 US-Dollar. Der ICE U.S. Dollar Index – eine Kennziffer, die den Dollar mit einem Korb aus sechs anderen Währungen vergleicht – fiel bis Mitte April um acht Prozent und damit so stark wie noch nie seit der Einführung des Index im Jahr 1973.[1] Zurückgeführt wird dies allgemein darauf, dass die Trump’sche Handelspolitik unberechenbar und ihre Folgen kaum absehbar sind; damit ist die gewohnte Gewissheit, der US-Dollar sei ein sicherer Währungshafen, ins Wanken geraten. Für die Pläne von US-Präsident Trump, den Vereinigten Staaten wieder zu stärkerer Industrie zu verhelfen, ist der schwächere US-Dollar günstig: Importe werden spürbar teurer, was in den USA ansässigen Unternehmen klare Vorteile gegenüber ihrer auswärtigen Konkurrenz verschafft. Dieser Effekt kommt noch zu den Auswirkungen der von Trump verhängten Zölle hinzu, die gleichfalls darauf abzielen, die US-Industrie gegen übermächtige Importe zu schützen, und die bereits jetzt den bisherigen Lieferanten der Vereinigten Staaten in aller Welt das Leben schwer machen.
Chancen für den Euro
Mit der Schwäche des US-Dollar und ihren Folgen hat sich am vergangenen Montag die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, in einer Rede an der in Berlin angesiedelten Hertie School befasst. Lagarde ordnete sie in die großen Linien der aktuellen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung ein. „Multilaterale Kooperation“ werde „durch Nullsummendenken und bilaterale Machtspiele ersetzt“, äußerte Lagarde; offene Märkte wichen dem Protektionismus. Dies bringe große Risiken für die gesamte EU mit sich, da „unsere Wirtschaft tief in das Welthandelssystem eingebunden“ sei. Exporte spielten „fast ein Fünftel unserer Wertschöpfung“ ein und sicherten 30 Millionen Arbeitsplätze.[2] Zugleich biete die Entwicklung aber auch unerwartet Chancen für den Euro. Aktuell gebe es „Unsicherheit“ bezüglich der „dominanten Rolle des US-Dollar“, erklärte die EZB-Vizepräsidentin. Dies könne „für den Euro die Tür zu einer größeren internationalen Rolle“ öffnen. Zur Zeit würden lediglich 20 Prozent aller Währungsreserven weltweit in Euro gehalten, 58 Prozent hingegen in US-Dollar. Eine anhaltende Schwächephase des US-Dollar könne die Verhältnisse erstmals erheblich zugunsten der europäischen Einheitswährung verschieben.
Stärkere Fundamente
Lagarde wies in ihrer Rede darauf hin, „eine stärkere internationale Rolle des Euro“ werde erhebliche „positive Auswirkungen“ für die Eurozone mit sich bringen. So werde es möglich sein, „zu geringeren Kosten Kredite aufzunehmen“; das helfe, die Inlandsnachfrage in einer Zeit zu stärken, in der „äußere Nachfrage unsicherer wird“.[3] Außerdem könne ein größeres Handelsvolumen in Euro abgewickelt werden, was der EU mehr Eigenständigkeit biete. All dies schaffe zudem größeren Schutz „gegen Sanktionen und andere Zwangsmaßnahmen“: ein klarer Hinweis auf neue Möglichkeiten, sich gegen US-Angriffe im derzeitigen globalen Wirtschaftskrieg zur Wehr zu setzen. Allerdings müsse die EU, um den Euro für Investoren und Staaten attraktiv zu machen, an ihren Grundlagen arbeiten, äußerte Lagarde. So seien ein „solides und glaubwürdiges geopolitisches Fundament“ wie auch „ein unerschütterliches Bekenntnis zu offenem Handel“ unverzichtbar. Beides müsse man zudem nicht nur politisch, sondern auch mit starken militärischen Kapazitäten untermauern. Darüber hinaus müsse die EU endlich den einheitlichen Kapitalmarkt schaffen, den sie schon so lange anstrebe. Und schließlich müsse sie politisch schlagkräftiger werden, etwa durch die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen; auch dies werde schon seit Jahren gefordert – bislang vergeblich.
Wankende Dominanz
Die Hoffnung, den Euro gegenüber dem US-Dollar stärken und letzteren womöglich als Weltleitwährung ablösen zu können, haben Berlin und Brüssel bereits in der Vergangenheit gehegt. So urteilte etwa im September 2008 der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise, die Vereinigten Staaten seien dabei, ihren „Status als Supermacht des Weltfinanzsystems“ zu verlieren.[4] Kurz zuvor hatte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Analyse Hinweise darauf zu finden gemeint, „das langjährige Vertrauen ausländischer Investoren und Zentralbanken“ in den US-Dollar sei „langsam erschöpft“; der US-Dollar drohe „seine Funktion als Weltwährung einzubüßen“.[5] Wichtig sei, dass es – „anders als in früheren Schwächeperioden des Dollar“ – inzwischen „eine Alternativwährung“ gebe: den Euro, der ihn ohne weiteres ersetzen könne. Dazu kam es bekanntlich nicht. Lagarde weist darauf hin, dass der US-Dollar mittlerweile an Dominanz eingebüßt hat; mit nur 58 Prozent liege sein Anteil an den Währungsreserven weltweit so niedrig wie seit 1994 nicht mehr.[6] Es kommt hinzu, dass seit Jahren Bestrebungen im Gang sind, im Handel auf andere Währungen umzusteigen [7] und in wachsendem Maß auch bei Krediten auf den US-Dollar zu verzichten [8]. Die Dominanz des US-Dollar wird damit ebenfalls attackiert.
„Europäische Unabhängigkeit“
Das Streben nach einer stärkeren Rolle des Euro und einer damit verbundenen Schwächung des US-Dollar tritt zu einer Zeit zutage, in der in Berlin und in der EU die Forderungen lauter werden, eine von den USA unabhängige globale Machtposition zu erlangen. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte – mit Blick auf die zahllosen Attacken der Trump-Administration auf Berlin und Brüssel – sofort nach seinem Wahlsieg erklärt, es müsse „absolute Priorität haben, so schnell wie möglich Europa so zu stärken“, dass es „Unabhängigkeit“ von den Vereinigten Staaten erreichen könne.[9] Am vergangenen Donnerstag sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anlässlich der Verleihung des Aachener Karlspreises an sie, es sei „an der Zeit, dass Europa erneut aufsteht und das nächste, große europäische Projekt verwirklicht“.[10] Die bisherige „internationale Ordnung“ habe sich „innerhalb kürzester Zeit in internationale Unordnung verwandelt“, aus der sich „noch in dieser Dekade ... eine neue internationale Ordnung herausschälen“ werde. „Diese neue Ordnung“ müsse man „gestalten“: „Unser Auftrag heißt – europäische Unabhängigkeit“. Dazu gelte es „in unsere Sicherheit zu investieren“; von der Leyen hob hervor, die EU habe künftige Militärausgaben von bis zu 800 Milliarden Euro möglich gemacht. Zudem müsse die wirtschaftliche Lage verbessert werden: „Europa hat alles“, sagte von der Leyen, „um eine Führungsrolle in der Weltwirtschaft von morgen zu übernehmen“.
[1] Chelsey Dulaney, Alistair MacDonald: What the Weak Dollar Means for the Global Economy. wsj.com 16.04.2025.
[2], [3] Earning influence: lessons from the history of international currencies. Speech by Christine Lagarde, President of the ECB, at an event on Europe’s role in a fragmented world organised by Jacques Delors Centre at Hertie School in Berlin, Germany. ecb.europa.eu 26.05.2025.
[4] Steinbrück wirft USA massives Versagen vor. spiegel.de 25.09.2008.
[5] S. dazu Vom Dollar zum Euro.
[6] Earning influence: lessons from the history of international currencies. Speech by Christine Lagarde, President of the ECB, at an event on Europe’s role in a fragmented world organised by Jacques Delors Centre at Hertie School in Berlin, Germany. ecb.europa.eu 26.05.2025.
[7] S. dazu Westwährungen unter Druck.
[8] BRICS Bank to finance its members’ projects in local currencies. tvbrics.com 10.10.2024.
[9] Berlin Direkt, 23.02.2025. S. dazu „Unabhängigkeit von den USA“.
[10] Rede von Präsidentin von der Leyen anlässlich der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen. ec.europa.eu 29.05.2025.

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