Eine neue Ära
Berlin feiert mit militärischem Appell in Vilnius die formale Indienststellung der Brigade Litauen. Merz und Pistorius nehmen den ersten festen deutschen Militärstützpunkt in Osteuropa zum Anlass, um Russland Revisionismus vorzuwerfen.
BERLIN/VILNIUS (Eigener Bericht) – Mit einem feierlichen militärischen Appell in der litauischen Hauptstadt Vilnius hat Deutschland am 22. Mai öffentlichkeitswirksam die formale Indienststellung der Brigade Litauen zelebriert. Auf dem Papier existiert die Brigade als Truppenteil der Bundeswehr bereits seit dem 1. April. Bis 2027 will Berlin insgesamt 5.000 Soldaten in Litauen stationieren. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat für nächstes Jahr intensive Manöver angekündigt. Außerdem plant die Bundesregierung, die bereits seit 2017 unter deutscher Führung in Litauen präsente multinationale NATO-Battlegroup in die Brigade Litauen und damit in die Strukturen der Bundeswehr zu integrieren. Merz bekräftigte in einer Rede in Vilnius, Deutschland werde alles tun, um die konventionell stärkste Militärmacht Europas zu werden. Bundeskanzler und Verteidigungsminister warfen Russland in der litauischen Hauptstadt aggressiven Revisionismus vor – ausgerechnet bei einem militärischen Appell zur Indienststellung des ersten permanenten Auslandsstützpunkts der Bundeswehr, noch dazu auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und in unmittelbarer Nähe zur russischen Grenze.
Kriegstauglich bis 2027
Die eigenen Berichte der Bundeswehr über den feierlichen Indienststellungsappell der Brigade Litauen sind – wie so häufig – stark propagandistisch gefärbt. In ihnen heißt es etwa, Jung und Alt seien über den zentralen Platz der litauischen Hauptstadt „flanier[t]“, der „von deutschen und litauischen Gefechtsfahrzeugen gesäumt“ gewesen sei [1]; Bundeskanzler Friedrich Merz und Verteidigungsminister Boris Pistorius hätten dort „die Truppenfront ab[geschritten]“.[2] Real reicht der Aufbau der ersten dauerhaft im Ausland stationierten schweren Kampfbrigade der Bundeswehr Jahre zurück. Erster Meilenstein war die Unterzeichnung einer sogenannten Road Map Ende 2023 in Vilnius. Die Verteidigungsminister Deutschlands und Litauens einigten sich damals darauf, Vilnius werde die für den deutschen Militärstützpunkt erforderliche zivile und militärische Infrastruktur aufbauen, während Berlin dann „schrittweise und in Abhängigkeit von der Bereitstellung der benötigten Infrastruktur“ Truppen stationiere. Im Frühjahr 2024 nahmen die ersten rund 20 Soldaten der Brigade Litauen ihre Arbeit auf. Ende 2024 waren es bereits 150 [3]; inzwischen sind 400 Soldaten der geplanten Brigade in Litauen stationiert [4]. Für die nächsten zwei Jahre plant die Bundeswehr einen Aufwuchs auf „4.800 Soldatinnen und Soldaten und 200 zivile Bundeswehrangehörige“.[5] „Vollständige Einsatzfähigkeit, also Kriegstauglichkeit“ [6] will die Bundesregierung 2027 erreichen. Erste Manövervorhaben sind bereits angelaufen und „werden schrittweise intensiviert“.[7]
Unter deutschem Kommando
Kommandeur der Brigade Litauen ist Christoph Hubert, der bereits 2017 das deutsch geführte NATO-Bataillon Multinational Battlegroup Lithuania aufgebaut hat. Seit diesem Zeitpunkt ist Deutschland militärisch dauerhaft in Litauen präsent; allerdings rotieren die Truppen der Battlegroup halbjährlich. Sechs weitere Nationen tragen zu der Multinational Battlegroup bei, von der die Bundeswehr ausdrücklich festhält, sie stehe „unter deutschem Kommando“.[8] Auf der Seite des litauischen Verteidigungsministeriums heißt es dazu, die Einheit sei Teil von und stehe unter dem Kommando der Mechanisierten Infanteriebrigade Eiserner Wolf der litauischen Streitkräfte.[9] Deutschland hat jetzt angekündigt, die Multinational Battlegroup nächstes Jahr in seine Brigade Litauen – die Panzerbrigade 45 der Bundeswehr – integrieren zu wollen. Damit würde Berlin neben den bereits in das deutsche Heer eingegliederten niederländischen [10] nun auch belgische, französische, kroatische, luxemburgische und norwegische Truppenteile nicht nur unter sein Kommando stellen, sondern de facto in die Bundeswehr integrieren. Ob es dazu schon jeweils eine konkrete Einigung mit den verbündeten Staaten gibt, ist bis jetzt öffentlich nicht bekannt. Berlin setzt beim Ausbau seines militärischen Potentials seit Jahren auch auf eine solche Integration von Einheiten fremder Staaten (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Damit erhöht es nicht nur seine militärische Schlagkraft, sondern schafft auch mit Blick auf eine mögliche künftige EU-Armee Tatsachen – unter deutschem Kommando.
Neues Selbstbewusstsein
In seiner Rede in Litauen bekräftigt Bundeskanzler Merz vor internationalem Publikum, Berlins Ziel sei es, die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee Europas“ hochzurüsten. Die Alliierten forderten das „geradezu ein“ [12], behauptete Merz. Deutschland übernehme mit seinem Militärstützpunkt in Litauen nun „Führungsverantwortung“ innerhalb der NATO, erklärte wiederum Verteidigungsminister Pistorius. Die Bundesrepublik sei der „Sicherheit in Mittel- und Osteuropa“ verpflichtet, heißt es auf der Internetseite der Bundeswehr.[13] Deutschlands militärischer Führungsanspruch ist allerdings nicht unwidersprochen unter den europäischen Verbündeten: Auch Polens Ministerpräsident Donald Tusk hatte erst kürzlich in einer Pressekonferenz – mit Bundeskanzler Merz – verkündet, Polen strebe an, militärisch stärkste Kraft Europas zu werden.[14] Hinter der Maskerade, man habe eine diffuse „Verantwortung“ in Sachen „Sicherheit“ gegenüber „den Alliierten“, versteckt Berlin seit je gern sein machtpolitisches Interesse an der Aufrüstung einerseits und an der fortgesetzten – dabei militärisch abgesicherten – politischen und ökonomischen Ostexpansion andererseits. Mit dem Ausbau seines militärischen Potentials und seiner militärischen Präsenz in Osteuropa untermauert Berlin seinen Anspruch, europäische Führungsmacht zu sein, bringt sich gleichzeitig unter dem Deckmantel der NATO in Osteuropa gegen Russland in Stellung und stärkt darüber hinaus seine Position gegenüber den USA – innerhalb wie außerhalb der NATO.
Wer im Glashaus steht
Die Aufstellung der deutschen Brigade in Litauen sei für Deutschland und seine Armee „ein Schritt in eine neue Ära“ [15], erklärte Bundeskanzler Merz in Vilnius. Mit Blick auf den feierlichen Aufstellungsappell schrieb die Bundeswehr, „allen“ sei die „Tragweite dieser Zeremonie bewusst: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ist ein deutscher Großverband dauerhaft im Ausland stationiert“.[16] Merz bedankte sich bei der litauischen Bevölkerung für ihre „Freundschaft“, „gerade angesichts des Leids, das das nationalsozialistische Deutschland nach Litauen gebracht hat“. Dabei unterschlägt er, dass größere Teile der litauischen Bevölkerung mit NS-Deutschland kollaboriert und sich an der Vernichtung der litauischen Juden aktiv beteiligt hatten, während das Leid vor allem die litauischen Juden traf.[17] Die jüdischen Opfer waren Merz und Pistorius kein Wort der Erwähnung wert. Sie nutzten ihre Reden in Vilnius stattdessen dazu, Russland einen „aggressiven Revisionismus“ vorzuwerfen – dies an dem Tag, an dem deutsche Soldaten durch Vilnius marschierten, um den Aufbau des ersten permanenten Auslandsstützpunkt Deutschlands auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu feiern, und an dem der deutsche Kanzler in der litauischen Hauptstadt vor der Weltöffentlichkeit den Anspruch erhob, Deutschland solle konventionell die stärkste Militärmacht Europas werden. Verteidigungsminister Pistorius fügte dem die Mitteilung hinzu: “Deutschland ist bereit zu führen.“[18]
[1] Litauen – Panzerbrigade 45 wächst auf. bundeswehr.de 22.05.2025.
[2] Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 in Litauen. Video auf bundeswehr.de vom 22.05.2025.
[3] Bundeswehr in Litauen: In großen Schritten zur deutschen Kampfbrigade. bundeswehr.de.
[4], [5] Litauen – Panzerbrigade 45 wächst auf. bundeswehr.de 22.05.2025.
[6] Die Bundeswehr hat eine neue Brigade. bundeswehr.de 01.04.2025.
[7] Bundeswehr in Litauen: In großen Schritten zur deutschen Kampfbrigade. bundeswehr.de.
[8] Abschreckung im Verbund: Die Multinational Battlegroup Lithuania. bundeswehr.de.
[9] NATO Multinational Battle Group. kariuomene.lt.
[10] S. dazu Neue Macht, neue Truppen.
[11] S. dazu Der deutsche Weg zur EU-Armee (III).
[12] Rede von Bundeskanzler Friedrich Merz beim Aufstellungsappell der Brigade Litauen am 22.05.2025 in Vilnius.
[13] Bundeswehr in Litauen: In großen Schritten zur deutschen Kampfbrigade. bundeswehr.de.
[14] Pressekonferenz von Friedrich Merz und Donald Tusk am 07.05.2025.
[15] Rede von Bundeskanzler Friedrich Merz beim Aufstellungsappell der Brigade Litauen am 22.05.2025 in Vilnius.
[16] Litauen – Panzerbrigade 45 wächst auf. bundeswehr.de 22.05.2025.
[17] S. dazu Geteilte Altlasten.
[18] Rede von Verteidigungsminister Boris Pistorius beim Aufstellungsappell der Brigade Litauen am 22.05.2025 in Vilnius.

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