„Wir entscheiden selbst“

Die EU gerät durch eigenmächtige Aktivitäten ihres Botschafters in Niger mit der Regierung dort in Konflikt. Niger setzt seinen Kampf um Eigenständigkeit auf ökonomischer Ebene fort und wird weiterhin von Europa aus attackiert.

NIAMEY/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Niger setzt sich gegen eigenmächtige Aktivitäten der EU auf seinem Hoheitsgebiet zur Wehr und verlangt die Ablösung des EU-Botschafters in Niamey. Gegenstand des Konflikts ist, dass der EU-Botschafter ohne Abstimmung mit der nigrischen Regierung und sogar gegen deren erklärten Willen eigenmächtig EU-Hilfen für die Opfer verheerender Überschwemmungen in Niger verteilt hatte. Nach Protesten aus Niamey hatte die EU den Botschafter zu Konsultationen zurückgerufen – wohl in der Hoffnung, Niger könne sich auf die Hilfen angewiesen sehen und in dem Streit einknicken. Das ist nicht der Fall. Niger hat sich seit dem Putsch vom 26. Juli vergangenen Jahres systematisch aus der Abhängigkeit besonders von Frankreich, aber auch von anderen Staaten des Westens zu lösen begonnen, kämpft nach dem Hinauswurf westlicher Streitkräfte – auch der Bundeswehr – um ökonomische Unabhängigkeit und setzt sich gegen Machenschaften des französischen Auslandsgeheimdiensts zur Wehr. Auf einer Solidaritätskonferenz hieß es vergangene Woche, man erhalte endlich „keine Anweisungen aus Paris“ mehr und entscheide nun selbst über die politische und ökonomische Entwicklung im eigenen Land.

Militärische Eigenständigkeit

Niger ist seit dem Putsch vom 26. Juli 2023 dabei, sich aus der Abhängigkeit vor allem von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, aber auch von den anderen Mächten des Westens zu lösen. Nach dem Putsch hatte es zunächst die im Land stationierten französischen Truppen zum vollständigen Abzug gezwungen, später die Auflösung des US-Drohnenstützpunkts bei Agadez im Norden des Landes durchgesetzt – es war der größte und bedeutendste Stützpunkt seiner Art auf dem afrikanischen Kontinent – und schließlich auch die Bundeswehr dazu genötigt, ihre Präsenz in Niger zu beenden. Die letzten deutschen Soldaten trafen am 30. August auf dem Fliegerhorst Wunstorf bei Hannover ein.[1] Der Militärregierung gelang es dabei, sich gegen sämtliche Versuche Frankreichs zu behaupten, den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum wieder ins Amt zu bringen, der eng und loyal mit Paris, aber auch mit Washington und Berlin kooperiert hatte. Niger überstand Einmarschdrohungen sowie brutale Sanktionen der Regionalorganisation ECOWAS, die jeweils mit Frankreich koordiniert wurden.[2] Dabei schloss es sich eng mit Mali und Burkina Faso zusammen; die drei Staaten bilden heute die Alliance des États du Sahel (AES), die nach echter Eigenständigkeit strebt und sich militärisch auf eine systematische Kooperation mit Russland stützt.[3]

Ökonomische Unabhängigkeit

Die von den nigrischen Putschisten gebildete Übergangsregierung bemüht sich parallel zu ihrer Loslösung aus der militärischen Abhängigkeit von den Mächten des Westens auch um ökonomische Unabhängigkeit. Kernelement ist dabei der Kampf um eine bessere Kontrolle der nigrischen Uranvorkommen bei Arlit nördlich von Agadez. Niamey ist dabei, dem französischen Staatskonzern Orano, der die Lagerstätten bereits seit Jahrzehnten exklusiv ausbeuten konnte und damit zuletzt 20 Prozent des französischen und 25 Prozent des EU-Uranimports garantierte, die Abbaurechte zu entziehen; Orano hat zum 31. Oktober den Uranbergbau in Niger zumindest vorläufig eingestellt.[4] Zugleich hat die China National Nuclear Corporation (CNNC) ein Uranförderprojekt in Niger neu gestartet. Die Regierung in Niamey verhandelt mit türkischen Stellen über eine Nuklearkooperation.[5] Laut Berichten ist auch Russland mit Niger über eine etwaige engere Zusammenarbeit in Sachen Uranabbau im Gespräch.[6] Russland verhandelt zugleich mit den Staaten der AES, darunter Niger, über die Bereitstellung von Kommunikationssatelliten, die es ihnen ermöglichen würden, in den riesigen Weiten des Sahel und der Sahara flächendeckend Mobilfunk zu ermöglichen.[7] Vorläufig hat Niamey zum gleichen Zweck am 30. Oktober eine Vereinbarung mit Starlink getroffen, das Elon Musk gehört.[8]

Gegen Aufstände und die DGSE

Zugleich sieht Niger sich Aufständen im Norden des Landes und allerlei Machenschaften des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE (Direction générale de la sécurité extérieure) ausgesetzt. Aus seinem Exil in Paris, von wo aus er Berichten zufolge regelmäßig in die USA fliegt, hat der Tuareg-Anführer Rhissa Ag Boula, ein Veteran der nigrischen Tuareg-Revolten der 1990er Jahre, im September eine in Nordniger operierende Miliz gegründet, die Forces armées libres (FAL), die sich mittlerweile mit weiteren Tuareg-Milizen verbündet haben. Die in Paris publizierte Zeitschrift Jeune Afrique berichtet, die Zahl der DGSE-Agenten, die im vergangenen Jahr nach Benin und nach Nigeria entsandt worden seien, als die beiden Staaten einen Einmarsch nach Niger zur Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Bazoum planten, sei zwar mittlerweile reduziert worden.[9] Doch seien vor allem in Benin nahe der Grenze zu Niger weiterhin DGSE-Mitarbeiter stationiert. Aus Niger ist regelmäßig zu hören, aus Benin flögen immer wieder – mutmaßlich französische – Spionagedrohnen ein. Im September wurde in Niamey berichtet, man habe soeben einen von der DGSE unterstützten Umsturzversuch verhindert. Am 13. November wurde in diesem Zusammenhang in Niger ein französischer Ex-Fremdenlegionär und Ex-Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen festgenommen, der in Niamey als DGSE-Agent eingestuft wird.[10]

„Keine Anweisungen aus Paris mehr“

Die Bestrebungen der nigrischen Übergangsregierung, den einst dominanten Einfluss vor allem Frankreichs, aber auch anderer westlicher Mächte abzuschütteln und die bislang bloß formale in eine echte politische und ökonomische Unabhängigkeit zu transformieren, genießen weiterhin breite Unterstützung in der nigrischen Bevölkerung. Ähnlich verhält es sich in den beiden anderen AES-Staaten, in Mali und in Burkina Faso, die ebenfalls um ihre Eigenständigkeit kämpfen. Darüber hinaus erhält der Versuch, den französischen Einfluss endgültig abzuschütteln, starke Unterstützung in der Bevölkerung weiterer Staaten der westafrikanischen Frankophonie, etwa in Benin oder in Togo. In der vergangenen Woche fand in Niamey eine Solidaritätskonferenz statt, zu der hunderte Delegierte zahlreicher zivilgesellschaftlicher, gewerkschaftlicher und explizit politischer Organisationen angereist waren, um den Regierungen Nigers sowie der anderen beiden AES-Staaten mit Blick auf Subversions- und Umsturzbestrebungen aller Art den Rücken zu stärken. Heute erhalte man „keine Anweisungen aus Paris“ mehr, erklärte ein Vertreter einer nigrischen Organisation: „Wir entscheiden selbst.“ Allerdings hieß es auch, Frankreichs Dominanz sei nicht von zivilen Kräften, sondern von Militärs gebrochen worden, weil soziale Bewegungen in den neokolonialen Verhältnissen der drei Sahelstaaten nicht hätten erstarken können. Jetzt aber müssten soziale Bewegungen dringend die Initiative übernehmen, um ein Erstarren der Herrschaft der Militärs zu verhindern.[11]

Die Eigenmächtigkeiten der EU

In die dynamische Entwicklung grätscht nun die EU hinein – und nutzt dazu offenkundig Hilfen für die Opfer der Überschwemmungen, die seit Juni das Land verwüsten. Bislang sind mehr als 300 Todesopfer zu beklagen; weit mehr als eine Million Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen. Wie die Regierung in Niamey erklärt, ist der EU-Botschafter in Niger, Salvador Pinto da França, dazu übergegangen, die EU-Hilfen im Wert von 1,3 Millionen Euro auf eigene Faust und „unter Missachtung der Grundsätze der Transparenz und der guten Zusammenarbeit mit den zuständigen nigrischen Behörden“ zu verteilen.[12] Man habe da França bereits im Oktober darauf hingewiesen, Niger sei ein souveränes Land, in dem Aktivitäten fremder Staaten und Staatenbündnisse wie der EU nur in Abstimmung mit den nationalen Behörden durchgeführt werden dürften.[13] Da França hat die Warnungen aus Niamey konsequent ignoriert. Am Wochenende wurde nun bekannt, dass Brüssel seinen Botschafter aus Niamey zurückgerufen hat; es ist offenkundig nicht bereit, seine Maßnahmen in Niger ordnungsgemäß mit den staatlichen Stellen dort zu koordinieren. Die nigrische Regierung hat nun ihrerseits nachgelegt und am Sonntag erklärt, sie sehe sich nicht mehr in der Lage, mit da França zu kooperieren; Brüssel möge „so bald wie möglich“ einen neuen Botschafter benennen. Weigert sich die EU – an ihrem neokolonialen Gehabe festhaltend –, dies zu tun, dann könnte sie einen ihrer letzten Einflusshebel in Niamey verlieren.

 

[1] Deutschland schließt seinen Militärstützpunkt im Niger. bundeswehr.de 30.08.2024.

[2] S. dazu Gewalt und Sanktionen, Tödliche Sanktionen und Die ignorierte Hungerblockade.

[3] S. dazu Abzug aus dem Sahel und Auf dem Weg zur Eigenständigkeit (III).

[4] Orano halts uranium output at Niger’s Arlit mine amid financial strain. rfi.fr 24.10.2024.

[5] Salimata Koné, Marie Toulemonde: L’uranium nigérien entre dans l’ère post-Orano. jeuneafrique.com 25.10.2024.

[6] Niger embraces Russia for uranium production leaving France out in the cold. rfi.fr 13.11.2024.

[7] Paul Lorgerie: Grâce à la Russie, l’Alliance des États du Sahel aura-t-elle bientôt la tête dans les étoiles ? jeuneafrique.com 11.10.2024.

[8] Niger Signs Deal With Starlink To Boost Internet Coverage. barrons.com 30.10.2024.

[9] Mathieu Olivier: La DGSE française dans la tourmente après les accusations du Niger. jeuneafrique.com 06.11.2024.

[10] Damien Glez: Entre la France et le Niger, la guerre des nerfs et des mots continue. jeuneafrique.com 18.11.2024.

[11] Jörg Kronauer: Progressives in Niamey. junge Welt 23.11.2024.

[12] EU recalls its ambassador from Niger as relations deteriorate. africanews.com 23.11.2024.

[13] Niger Says Requests Replacement Of EU Ambassador Amid Aid Row. barrons.com 24.11.2024.


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