Deutsch oder gar nicht
Berlin sucht größeren Einstieg der italienischen Großbank UniCredit bei der Commerzbank zu verhindern – kurz nachdem die Lufthansa Italiens größte Airline übernommen hat. Rom beschwert sich über doppelte Standards.
BERLIN/ROM (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung löst mit ihrer Ablehnung eines größeren Einstiegs der italienischen Großbank UniCredit bei der Commerzbank erheblichen Unmut in Italien sowie in anderen Staaten Europas aus. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte den UniCredit-Vorstoß in der vergangenen Woche als „unfreundliche Attacke“ angeprangert; Bundesfinanzminister Christian Lindner sucht seinen italienischen Amtskollegen stark unter Druck zu setzen, um die Übernahme der Commerzbank durch das italienische Finanzinstitut zu verhindern. Die italienische Regierung, aber auch Banker und Experten von Denkfabriken in weiteren Staaten Europas weisen nicht nur darauf hin, dass Scholz, als er noch als Bundesfinanzminister amtierte, einen Ausbau der EU-Bankenunion forderte, während er jetzt einen praktischen Schritt zur Konsolidierung der EU-Bankenbranche blockiert. Zudem heißt es, der deutsche Schritt sei umso bemerkenswerter, als soeben erst die Lufthansa Italiens größte Airline, ITA Airways, übernommen habe. Die Berliner Ablehnung der Commerzbank-Übernahme folgt einem alten Muster: Zusammenschlüsse innerhalb der EU werden unter deutscher Führung realisiert, oder sie werden von Berlin blockiert.
Der Einstieg der Unicredit
Der Einstieg der italienischen Großbank UniCredit bei der Commerzbank hatte im großen Stil Anfang September begonnen, als die Bundesregierung bekanntgab, sie wolle ihre Anteile an dem Frankfurter Kreditinstitut verringern. Die Regierung hatte im Jahr 2008, um die Bank in der globalen Finanzkrise zu stabilisieren, einen Anteil von 25 Prozent an ihr erworben. Einen Teil hatte sie schon abgestoßen; Anfang September hielt sie noch 16,49 Prozent. Den Anteil verringerte sie nun weiter auf 12 Prozent. Die abgestoßenen Anteile übernahm die UniCredit, die zuvor rund 4,5 Prozent auf gewöhnlichem Wege erworben hatte und nun, nach dem Kauf der von der Bundesregierung veräußerten Anteile, auf einmal bei 9 Prozent lag. Der italienischen Bank gelang es dann relativ schnell, sich den Zugriff auf auf weitere 11,5 Prozent der Commerzbank-Aktien zu sichern. Dieser muss jetzt nur noch offiziell genehmigt werden. Schon am 11. September beantragte die UniCredit zudem bei den Behörden, bis zu 29,9 Prozent an der Commerzbank übernehmen zu dürfen.[1] Dies zeigt, dass sie konsequent auf die Übernahme eines starken Anteils an der zweitgrößten börsennotierten Bank in der Bundesrepublik – nach der Deutschen Bank –, wenn nicht gar auf eine vollständige Übernahme zielt.
„Unfreundliche Attacke“
Die Bundesregierung hat sich entschieden gegen den Versuch der UniCredit ausgesprochen, eine führende Stellung in der Commerzbank zu erhalten oder das Kreditinstitut gar komplett zu übernehmen. Bundeskanzler Olaf Scholz stufte den Vorgang zu Beginn der vergangenen Woche als „unfreundliche Attacke“ bzw. als eine „feindliche Übernahme“ ein.[2] Ende vergangener Woche wurde bekannt, dass Finanzminister Christian Lindner bereits Druck auf Italiens Finanzministerium ausübt, eine „feindliche Übernahme“ zu verhindern.[3] Auf der behördlichen Ebene gelten die Einflussmöglichkeiten als begrenzt. Der mittlerweile bei der EZB gestellte UniCredit-Antrag, bis zu 29,9 Prozent an der Commerzbank übernehmen zu dürfen, hat gute Aussicht auf Erfolg, weil die EZB-Spitze um Präsidentin Christine Lagarde Bankenfusionen im Euroraum im Grundsatz befürwortet: Sie gelten als Mittel, starke, international schlagkräftige Kreditinstitute zu schaffen. Ein Versuch, den UniCredit-Einstieg über die Finanzaufsicht Bafin zu stoppen, wäre möglich – die Bafin untersteht direkt dem Bundesfinanzministerium –, er gilt aber als nicht ganz einfach zu legitimieren.[4] Demnach wäre politischer Druck im aktuellen Fall für Berlin womöglich das Mittel der Wahl.
Lufthansa übernimmt ITA Airways
Diesem Druck sucht sich die italienische Regierung bislang allerdings noch zu widersetzen. Außenminister Antonio Tajani brachte Anfang vergangener Woche sein „Unverständnis“ über Scholz‘ Einwände zum Ausdruck. „Wenn jemand ein italienisches Unternehmen kauft, ist die Rede vom einheitlichen europäischen Markt, doch wenn ein Italiener außerhalb Italiens zukauft, ist man nicht mehr im einheitlichen europäischen Markt“, beschwerte sich Tajani: „Das verstehe ich nicht.“[5] Der Außenminister bezog sich dabei darauf, dass die Lufthansa 41 Prozent an der italienischen Fluggesellschaft ITA Airways – der einstigen Alitalia – übernommen hat; der entsprechende Deal wurde am 3. Juli 2024 von der EU-Kommission genehmigt.[6] Erfüllt die Lufthansa bestimmte Kriterien, dann darf sie in weiteren Schritten zunächst zusätzliche 49 Prozent, dann bis 2033 die restlichen 10 Prozent erwerben. Der Einstieg und die erwünschte Komplettübernahme sollen der Lufthansa helfen, ihre führende Stellung in der europäischen Branche auszubauen. Lediglich Ryanair transportierte zuletzt mehr Passagiere pro Jahr als die Lufthansa. Ganz besonders hofft das deutsche Unternehmen, mit dem Ausbau des Drehkreuzes Rom seine Flüge nach Afrika sowie nach Lateinamerika deutlich ausweiten zu können.
„Dramatisch an Bedeutung verloren“
Die Tatsache, dass Berlin die Übernahme von ITA Airways durch die Lufthansa unterstützt, einen größeren Einstieg der UniCredit bei der Commerzbank aber zu verhindern sucht, stößt nicht nur in Italien auf Unmut – umso mehr, als Olaf Scholz, wie David Marsh von der Londoner Denkfabrik OMFIF (Official Monetary and Financial Institutions Forum) nun in Erinnerung ruft, in seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister einen Ausbau der Bankenunion forderte, nun jedoch einen praktischen Schritt hin zur Konsolidierung der Bankenbranche in der EU unterbinden will. „Deutschlands Banken haben in den vergangenen 30 Jahren im Vergleich zu anderen Staaten der Eurozone dramatisch an Gewicht und an Bedeutung verloren“, konstatiert Marsh.[7] Die EU ihrerseits liege nahezu hoffnungslos hinter den USA zurück; der Marktwert der größten US-Bank, JP Morgan, sei so groß wie derjenige der zwölf größten Banken der Eurozone zusammengenommen. Der Versuch der UniCredit, mit dem Einstieg bei der Commerzbank oder einer etwaigen Übernahme wenigstens ein kleines Stück aufzuschließen, sei „eine Wasserscheide für Deutschland und Europa“. Die Bundesrepublik müsse sich jetzt vorwerfen lassen, die Integration der EU-Banken „nur zu ihren eigenen Bedingungen“ zu tolerieren.
Die EU spricht deutsch
Dies ist freilich nicht neu. Bereits der Einführung der EU-Gemeinschaftswährung, des Euro, stimmte Bonn lediglich unter der Voraussetzung zu, dass die Währungsunion wie auch die Europäische Zentralbank (EZB) nach deutschen Modellen gestaltet wurden. „Der Euro spricht deutsch“, betonte im Jahr 1998 der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel.[8] Ähnlich verhält es sich seit je bei Konzernzusammenschlüssen sowie Übernahmen von Unternehmen auf EU-Ebene. Im deutsch-französisch dominierten Airbus-Konzern ist Berlin stets eifersüchtig bemüht, nicht gegenüber Paris ins Hintertreffen zu geraten. Ein ähnlicher Zusammenschluss europäischer Werften kam nicht zustande, weil die Bundesrepublik keine Chance sah, in ihm eine führende Rolle zu übernehmen.[9] Ein identisches Bild ist auf militärischer Ebene zu erkennen. So führt Deutschland etwa den Aufbau eines europäischen Luftverteidigungssystems (European Sky Shield Initiative, ESSI) an, das nicht nur deutsche, sondern auch israelische und US-amerikanische Abwehrsysteme nutzt, französische sowie italienische hingegen nicht.[10] Umgekehrt hat Berlin sich mehrmals Einsätzen der EU-Battlegroups verweigert, wenn diese französischen Interessen entsprochen hätten.[11] Unter anderem deshalb wurden die Gemeinschaftstruppen bislang noch nie eingesetzt. Auf der Ebene der Bankenfusionen wiederholt sich jetzt nur, was in der EU als unumstößliche Regel gelten kann: Zusammenschlüsse sind deutsch dominiert, oder sie werden verhindert.
[1] Christian Schubert, Inken Schönauer: Unicredit stockt auf, Scholz blockt ab. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.09.2024.
[2] Scholz kritisiert Unicredit scharf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.09.2024.
[3] Kontakt zu Italiens Amtskollege: Lindner warnt offenbar vor feindlicher Übernahme der Commerzbank. tagesspiegel.de 27.09.2024.
[4], [5] Deutsch-italienischer Bankenmachtkampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.05.2024.
[6] Jens Koenen: Lufthansa ist bei ITA am Ziel – aber lohnt sich der hart erkämpfte Deal? handelsblatt.com 03.07.2024.
[7] David Marsh: Watershed for Europe in UniCredit-Commerzbank dispute. omfif.org 24.09.2024.
[8] S. dazu Das Brüsseler Abkommen.
[9] S. dazu Abwehrschlachten.
[10] S. dazu Auf Kosten Frankreichs.
[11] S. auch EU-Kriegskoalitionen der Willigen.
ex.klusiv
Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.
Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.
Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)
Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.
Die Redaktion
P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)