„Im nationalen Interesse Deutschlands“

Bundesregierung setzt Unterstützung für Kriegspolitik der israelischen Regierung fort. Berlin setzt in seiner Nah- und Mittelostpolitik, die die im Machtkampf gegen China stehenden USA entlasten soll, auf das Bündnis mit Israel.

BERLIN/TEL AVIV/BEIRUT (Eigener Bericht) – Auch nach der israelischen Angriffswelle auf den Libanon vom gestrigen Montag hält die Bundesregierung an ihrer Unterstützung für die Kriegspolitik der israelischen Regierung fest. Bei den Angriffen sind hunderte Menschen zu Tode gekommen, darunter zahlreiche Zivilisten, auch Sanitäter und Kinder. Berlin hatte zuvor mit der Erklärung, die Bedrohung Israels durch die Hizbollah sei dezidiert „unerträglich“, die israelischen Angriffe faktisch vorab legitimiert. Die Sprengstoffanschläge mit Pagern in der vergangenen Woche, die willentlich in zivilem Umfeld ausgelöst wurden und dabei auch Zivilisten töteten, hat Berlin nicht kritisiert. Damit folgt die Bundesregierung ihrer Strategie, ihre Nah- und Mittelostpolitik stark auf die Kooperation mit Israel zu stützen, das Land, das dem Westen in der Region gesellschaftlich und politisch am nächsten steht. Insgesamt zielt Berlin in Abstimmung mit Washington darauf ab, die deutsch-europäische Position in Nah- und Mittelost zu stärken, um den US-Streitkräften den Abzug von dort und die Fokussierung auf den für die USA vorrangigen Machtkampf gegen China in der Asien-Pazifik-Region zu erleichtern.

Juniorpartner in Nah- und Mittelost

Hintergrund der deutschen Nah- und Mittelostpolitik insgesamt sind schon seit Jahren die Bestrebungen der Vereinigten Staaten, ihre politischen und militärischen Kapazitäten so weit wie möglich auf den Machtkampf gegen China zu konzentrieren. Dieser gilt in Washington partei- und spektrenübergreifend als das zentrale außenpolitische Aktionsfeld der Gegenwart und der absehbaren Zukunft. Der Plan, die eigenen Kräfte auf die Asien-Pazifik-Region zu fokussieren, impliziert die Notwendigkeit, die US-Streitkräfte so umfassend wie möglich aus dem Nahen und Mittleren Osten abzuziehen. Entsprechend waren etwa schon US-Präsident Barack Obama sowie sein Amtsnachfolger Donald Trump bemüht, die US-Streitkräfte aus Afghanistan heimzuholen und die US-Truppenpräsenz im Irak so weit wie möglich zu reduzieren. Zum Grundbestand der transatlantischen Strategiebildung gehört seit mehr als zehn Jahren das Vorhaben, Deutschland und die von ihm dominierte EU sollten in Nah- und Mittelost an die Stelle der Vereinigten Staaten treten und dort, in Absprache mit Washington, Kontrollfunktionen übernehmen, wie sie seit Jahrzehnten die USA ausgeübt hätten.

Der „Krisenbogen“ rings um Europa

Exemplarisch ausformuliert wurde das Konzept in Berlin schon im Herbst 2013 in einem umfassenden Strategiepapier, das unter dem Titel „Neue Macht – Neue Verantwortung“ die Rolle Deutschlands in einer transatlantisch kontrollierten Welt skizzierte. In dem Papier heißt es unter anderem, „eine pragmatische deutsche Sicherheitspolitik“ solle sich „in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld ... konzentrieren“. Dieses reiche „von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien“. Dieser Fokus – faktisch enthält er einen weit ausgreifenden deutschen Machtanspruch – sei „nicht zuletzt“ deshalb nötig, um „die amerikanischen NATO-Verbündeten im Zuge ihres wachsenden Engagements in Asien zu entlasten“, hieß es weiter in dem Papier.[1] Der Topos eines Staatenrings respektive eines „Krisenbogens“ rings um Europa, der nicht zuletzt den Nahen Osten umfasst und kontrolliert werden muss, durchzog die außenpolitische Debatte in Berlin in den folgenden Jahren; er fand Eingang in die Debatte um das Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2016 und blieb in den Jahren danach ein wichtiges Element in der deutschen Regierungspolitik.[2]

Nicht Schritt gehalten

Die reale deutsche Politik hat in den vergangenen Jahren mit dem Machtanspruch der Berliner Eliten nicht wirklich Schritt gehalten. Zwar war die Bundesregierung erkennbar bemüht, die Präsenz der Bundeswehr im Nahen Osten zu festigen. So nimmt die Deutsche Marine seit 2006 am UN-Einsatz im Libanon (UNIFIL) teil. Dabei überwacht sie die Seegebiete vor der libanesischen Küste, um die Lieferung von Waffen an die Hizbollah zu unterbinden. Darüber hinaus bildet sie die libanesische Marine aus und hat ihr zum Beispiel Küstenwachboote und Küstenradarstationen geliefert.[3] Im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Einsatzes gegen den IS hat die deutsche Luftwaffe einige Flugzeuge auf dem Luftwaffenstützpunkt Al Azraq in Jordanien stationiert; außerdem beteiligen sich deutsche Soldaten an der NATO Mission Iraq.[4] Im Februar 2024 entsandte die Bundesregierung die Fregatte Hessen ins Rote Meer, um dort im Rahmen der EU-Marineeinsatzes EUNAVFOR Aspides an der Abwehr von Angriffen der jemenitischen Huthi-Milizen („Ansar Allah“) teilzunehmen.[5] Allerdings genügt dies selbst im Verbund mit anderen Truppen aus Europa bislang nicht, die USA im Nahen und Mittleren Osten militärisch ernsthaft zu entlasten.

Der engste Kooperationspartner

Im Kontext der Berliner Bemühungen, sich im Nahen Osten festzusetzen, nimmt Israel eine bedeutende Rolle ein. Der Staat, sozial wie politisch der dem Westen am nächsten stehende in der Region, ist seit Jahrzehnten der wohl engste Kooperationspartner der Bundesrepublik in Nah- und Mittelost. Offiziell heißt es, mit der Unterstützung für Israel ziehe man lediglich die Konsequenzen aus dem historisch singulären Massenverbrechen der Shoah. Faktisch bietet die über Jahrzehnte hin gewachsene Kooperation mit dem Land gute Ansatzpunkte dafür, sich im nahöstlichen Krisengebiet festzusetzen – umso mehr, insofern dies in Absprache mit den USA geschieht, um diesen eine Verlagerung ihrer Kräfte in die Asien-Pazifik-Region zu ermöglichen. Die ökonomischen Beziehungen sind eng: Deutschland ist, wie das Auswärtige Amt bestätigt, „der wichtigste Wirtschaftspartner Israels in der EU“; „deutsche Produkte“, heißt es weiter, „genießen in Israel einen hervorragenden Ruf“.[6] „Besonders intensiv“ seien „die Beziehungen in Wissenschaft und Forschung“, heißt es außerdem im Auswärtigen Amt. Hinzu kommen eine über Jahrzehnte ausgebaute enge Rüstungs- sowie eine sich zuletzt ausweitende Militärkooperation; german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

„Teil unserer Staatsräson“

Die enge, profitable Kooperation mit Israel sowie die Hoffnung, in Zusammenarbeit mit dem Land die westlichen Positionen im Nahen und Mittleren Osten konsolidieren und ausbauen zu können, grundiert die deutsche Politik gegenüber der Region. Bereits im Jahr 2005 urteilte der frühere deutsche Botschafter in Tel Aviv, Rudolf Dreßler: „Die gesicherte Existenz Israels liegt im nationalen Interesse Deutschlands, ist somit Teil unserer Staatsräson.“[7] Am 18. März 2008 wiederholte Bundeskanzlerin Angela Merkel dies, die Aussage im Rückgriff auf die deutschen Massenverbrechen begründend: Die „historische Verantwortung Deutschlands“ sei „Teil der Staatsräson meines Landes“; „das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar“.[8] Darauf aufbauend unterstützt die Bundesregierung Israels Regierungspolitik – dies auch im Gazakrieg sowie im eskalierenden Krieg gegen die libanesische Hizbollah.

Keine Unterstützung

Dabei isoliert sich die Bundesregierung nicht nur in steigendem Maß gegenüber den Ländern der arabischen Welt und gegenüber den meisten Staaten des Globalen Südens. Sie unterstützt zudem eine israelische Regierungspolitik, die vorrangig auf Gewalt setzt und die damit laut Einschätzung von Kritikern neue Gefahren für Israel schafft. „Die Frage, die man sich stellen sollte“, erklärte kürzlich Jordaniens Außenminister Aiman al Safadi in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock: „Ist Unterstützung für diese israelische Regierung Unterstützung für das langfristige Interesse Israels, in einer Region zu leben, in der es in Frieden leben kann, in der es akzeptiert wird und normale Beziehungen unterhält – oder sollten wir der Tatsache ins Auge sehen, dass das, was diese israelische Regierung tut, Israel zu einem Pariastaat macht, der in der Region nicht akzeptiert wird?“[9] Al Safadi vertrat die Position: „Die Unterstützung dieser israelischen Regierung ist keine Unterstützung Israels. Im Gegenteil: Israel zu unterstützen bedeutet, sich gegen das zu stellen, was die israelische Regierung tut – das Völkerrecht zu verletzen, zur Eskalation zu drängen, unschuldige Menschen zu töten.“ Nur mit einer klaren Positionierung gegen die aktuelle israelische Regierungspolitik, lautet der Grundgedanke, lässt sich langfristig Frieden im Nahen Osten erreichen.

 

[1] Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF). Berlin/Washington, Oktober 2013. S. auch Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.

[2] S. dazu Modernes Strategieverständnis (II) und Nachbarschaft in Flammen.

[3] S. dazu Waffen für Israel.

[4] S. dazu Die Souveränität des Irak.

[5] S. dazu Kriegserfahrung sammeln.

[6] Deutschland und Israel: Bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 04.01.2024.

[7] Rudolf Dreßler: Gesicherte Existenz Israels – Teil der deutschen Staatsräson – Essay. bpb.de 04.04.2005.

[8] Markus Kaim: Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson. bpb.de 30.01.2015.

[9] Franziska Kais: Annalena Baerbock: „Lehrstunde in Diplomatie“ – Außenministerin öffentlich scharf angegriffen. news.de 09.09.2024.


Anmelden

ex.klusiv

Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.

Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.

Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)

Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.

Die Redaktion

P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)