Chinas zweiter Gegenschlag

EU einigt sich auf Gesetz zur Rohstoffsicherung, um im westlichen Wirtschaftskrieg gegen China eigene Angriffsflächen zu reduzieren. China reagiert auf Sanktionen und beschränkt die Ausfuhr wichtiger Ressourcen.

BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Im Machtkampf gegen China hat die EU ein neues Gesetz zur Stärkung ihrer Unabhängigkeit von chinesischen Rohstofflieferungen beschlossen. Der Critical Raw Materials Act (CRMA), auf den sich die zuständigen Stellen am Montag geeinigt haben und der noch in diesem Jahr offiziell verabschiedet werden soll, sieht vor, dass strategisch wichtige Rohstoffe in Zukunft nur noch zu 65 Prozent in einem einzelnen Land gekauft werden dürfen. Zugleich sollen Förderung sowie Aufbereitung in Europa ausgeweitet werden. Aktuell beziehen deutsche Unternehmen einige bedeutende Rohstoffe zu großen Teilen oder sogar fast vollständig aus der Volksrepublik. Beijing, das bislang stets zuverlässig geliefert hat, beginnt sich aktuell gegen den westlichen Wirtschaftskrieg zur Wehr zu setzen, in dem es immer mehr mit Strafzöllen und Sanktionen attackiert wird, und greift dabei auf Beschränkungen beim Export strategisch wichtiger Bodenschätze zurück – darunter Gallium, Germanium und in Kürze auch Graphit. Hält der Westen an seinem Wirtschaftskrieg fest, droht ihm schon in absehbarer Zeit Materialknappheit etwa bei der Produktion von Halbleitern sowie in Technologien der Klimawende.

Rohstoffabhängigkeit reduzieren

Am Montagabend haben sich Unterhändler der EU-Kommission und des Ministerrats auf neue Regularien zur Versorgung der Mitgliedstaaten mit sogenannten kritischen Rohstoffen geeinigt. Dabei geht es um Rohstoffe, die für die wichtigsten Industriezweige der Zukunft unverzichtbar sind, darunter die Herstellung von Produkten der Energiewende wie etwa Windrädern oder Elektroautobatterien, aber auch die Fertigung von Halbleitern oder Gütern der Rüstungsindustrie. Bei zahlreichen Rohstoffen ist die EU fast vollständig von ihrem Import abhängig, oft von der Einfuhr aus China, das manche Ressourcen in großen Mengen selbst fördert, das vor allem aber in der oft umweltschädlichen und arbeitsaufwendigen Aufbereitung der Bodenschätze zuweilen eine Monopolstellung besitzt. Der Critical Raw Materials Act (CRMA) sieht vor, dass die EU ab 2030 keinen Rohstoff mehr zu über 65 Prozent in einem einzigen Land erwerben darf. Zugleich sollen mindestens zehn Prozent in Europa abgebaut, mindestens 40 Prozent in der EU aufbereitet sowie 25 Prozent mittels Recycling gewonnen werden.[1] Vorläufig ist eine Liste von 17 Rohstoffen geplant, auf die die Bestimmungen des CRMA in einem ersten Schritt angewandt werden sollen; weitere können folgen. Verabschiedet werden soll der CMRA noch vor dem Jahresende.

Im Wirtschaftskrieg

Konkreter Anlass für die Einführung des CRMA ist der eskalierende Machtkampf des Westens gegen China. Die Volksrepublik liefert Rohstoffe bislang zuverlässig. Sie hat aber inzwischen zu erkennen gegeben, dass sie ihre Stärke auf dem Rohstoffsektor nutzen wird, um sich gegen Angriffe im Wirtschaftskrieg gegen sie zur Wehr zu setzen, den vor allem die USA entfesselt haben – etwa mit Sanktionen in der Halbleiterbranche –, an dem sich aber in wachsendem Maß auch die EU beteiligt, etwa mit Plänen für die Einführung massiver Strafzölle auf die Einfuhr von Elektroautos (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Will die EU den Wirtschaftskrieg nicht einstellen, sondern ihn gewinnen, muss sie bestehende Angriffsflächen reduzieren. Konkrete Beispiele liegen bereits vor.

Chinas erster Gegenschlag

So hat Beijing im Sommer in Reaktion auf den US-Versuch, China von Hochleistungschips komplett abzuschneiden, Kontrollen auf den Export von Gallium und Germanium eingeführt. Beide Elemente werden zur Produktion von Halbleitern verwendet, Germanium etwa auch zur Herstellung von Nachtsichtgeräten. Germanium wurde zuletzt zu mehr als zwei Dritteln in der Volksrepublik aufbereitet, Gallium sogar zu beinahe 100 Prozent. Im August, als die Kontrollen in Kraft traten, führte China weder Gallium noch Germanium aus, im September lediglich ein Kilogramm Germanium. Im Juli hatte die Exportmenge noch bei 5,15 Tonnen Gallium und 8,63 Tonnen Germanium gelegen.[3] Bislang genügen die Vorräte offenbar noch, über die westliche Unternehmen verfügen, die auf einen der Rohstoffe angewiesen sind. Allerdings haben die Preise zuletzt bereits deutlich angezogen. Beide Elemente können im Grundsatz ohne weiteres auch im Westen produziert werden, etwa als Nebenprodukt der Aluminiumschmelze. Doch dauert es eine Zeitlang, bis die benötigten Kapazitäten aufgebaut sind. Zudem ist die Herstellung im Westen teurer als in China. Kurzfristig können Engpässe nicht ausgeschlossen werden – mit womöglich schmerzlichen Folgen für die Industrie.

Knappheit droht

Am 20. Oktober hat Beijing einen zweiten Gegenschlag gestartet – in Reaktion auf neue US-Restriktionen gegen die Lieferung von Halbleitern in die Volksrepublik, die am 17. Oktober bekanntgegeben worden waren. Demnach treten zum 1. Dezember Kontrollen auf den Export von Graphit in Kraft.[4] Graphit ist einer der zentralen Grundstoffe für die Herstellung von Elektroautobatterien. Laut einer Studie, die kürzlich im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität von Prognos, dem Öko-Institut sowie dem Wuppertal-Institut erstellt wurde, ist es einer von sieben Rohstoffen, ohne die auch darüber hinaus die technologische Realisierung der Klimawende unmöglich ist.[5] Laut Angaben von Experten kommen aktuell fast zwei Drittel des natürlich abgebauten und beinahe das gesamte synthetisch hergestellte Graphit aus China. Dort werden außerdem weit über 90 Prozent des weltweiten Graphits für die Verwendung in Batterien aufbereitet. Experten gingen bereits vor der Ankündigung Beijings, die Ausfuhr von Graphit mit Exportkontrollen zu regulieren, von einer bevorstehenden Knappheit auf dem Weltmarkt aus.[6] Auch Graphit kann natürlich im Westen hergestellt werden; der Aufbau der nötigen industriellen Kapazitäten kostete jedoch gleichfalls Zeit, und die Produktion wäre teurer.

Kein Geld für Rohstoffe

Gallium, Germanium wie auch Graphit gehören zu den 17 Rohstoffen, auf die der CMRA unmittelbar angewandt werden soll. Um Abbau wie auch Aufbereitung in der EU möglichst rasch auszuweiten, sieht das EU-Gesetz vor allem eine Beschleunigung der erforderlichen Genehmigungsverfahren vor; die zulässige Höchstdauer soll künftig 15 Monate bei Projekten zur Aufbereitung und 27 Monate bei Abbauprojekten betragen.[7] Finanzielle Fördermittel sind nicht eingeplant; der EU-Haushalt steht ohnehin aufgrund der hohen Milliardensummen, die für den Ukraine-Krieg ausgegeben werden, unter Druck.

Chance verpasst

Eine weitere Chance, sich einen privilegierten Zugriff auf die CMRA-Rohstoffe zu sichern, hat die EU soeben verspielt. Zu den Ländern, aus denen sie bevorzugt Lithium beziehen will, zählt Australien. Canberra hatte erkennen lassen, es sei engeren Geschäftsbeziehungen zur EU keinesfalls abgeneigt, wünsche dafür aber die Unterzeichnung des schon seit Jahren geplanten Freihandelsabkommens. Dieses ist jetzt an mangelnder Bereitschaft Brüssels, sich auf Zugeständnisse an australische Landwirte einzulassen, gescheitert (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Canberra hat zugleich seinen Handelskonflikt mit Beijing weithin beigelegt und weitet entsprechend seine Exporte nach China wieder aus, unter anderem die Ausfuhr von Lithium. Diese stieg von 350 Millionen US-Dollar im ersten Halbjahr 2021 auf 7,8 Milliarden US-Dollar im ersten Halbjahr 2023; damit verkaufte Australien fast sein gesamtes Lithium zur Weiterverarbeitung in die Volksrepublik.[9] Die EU dagegen ging leer aus.

 

[1] Wie die EU unabhängiger von China werden will. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.11.2023.

[2] S. dazu Paradebranche unter Druck (II).

[3] China exported just 1kg of Germanium Last Month, No Gallium. asiafinancial.com 20.10.2023. S. auch Chinas erster Gegenschlag.

[4] China schränkt Export von wichtigem Batterie-Rohstoff ein. handelsblatt.com 20.10.2023.

[5] Klaus Stratmann: Auf diese 7 Rohstoffe kommt es bei der Transformation an. handelsblatt.com 04.09.2023.

[6] Graphite, Dominated by China, Requires the Largest Production Increase of Any Battery Mineral. instituteforenergyresearch.org 07.07.2023.

[7] Wie die EU unabhängiger von China werden will. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.11.2023.

[8] S. dazu Der Oberlehrer.

[9] David Uren: Despite the risks, Australian exports to China are booming again. aspistrategist.org.au 22.08.2023.


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