Blockbildung in Ostasien

Scholz sucht bei Besuch in Seoul die Kooperation mit Südkorea zu stärken. Südkorea und Japan wiederum schließen sich unter US-Führung immer enger gegen China zusammen.

SEOUL/BERLIN (Eigener Bericht) – Deutschland baut seine Zusammenarbeit mit Südkorea aus und beteiligt sich damit an der verstärkten ostasiatischen Blockbildung gegen China. Dies ist das Ergebnis des gestrigen Kurzbesuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Seoul. Scholz hatte bereits vorab die jüngste Wiederannäherung zwischen Japan und Südkorea gelobt; diese vollzieht sich aufgrund massiven Drucks aus den USA, Seoul und Tokio müssten sich gegen Beijing so eng wie möglich zusammenschließen. Die Voraussetzungen dafür hatte erst kürzlich Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol geschaffen, indem er südkoreanische Konzerne faktisch verpflichtete, japanischen Unternehmen die Zahlung von Entschädigungen an ihre ehemaligen südkoreanischen Zwangsarbeiter abzunehmen. Während Südkoreas Bevölkerung dies mit deutlicher Mehrheit zurückweist und Yoons projapanische Politik ablehnt, stärkt Scholz dem südkoreanischen Präsidenten den Rücken. Berlin will die Kooperation mit Seoul in der Halbleiterproduktion, aber auch in der Rüstung und beim Militär intensivieren. Im Gespräch ist eine kontinuierliche Beteiligung der Bundeswehr an der US-geführten Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea.

Wiederannäherung

Südkorea und Japan haben seit Jahresbeginn eine rasche und intensive Wiederannäherung vollzogen. Zuvor hatten sich ihre Beziehungen seit dem letzten bilateralen Gipfeltreffen im Jahr 2011 erheblich verschlechtert – nicht zuletzt, weil Japan bis heute nicht bereit ist, die japanischen Verbrechen aus der Zeit der Kolonialherrschaft über Südkorea (1910 bis 1945) umfassend anzuerkennen und Entschädigung zumindest für die schlimmsten von ihnen zu zahlen. Der Konflikt zwischen beiden Ländern eskalierte, als im Jahr 2018 Südkoreas Oberstes Gericht die japanischen Konzerne Mitsubishi Heavy Industries und Nippon Steel verpflichtete, Entschädigungszahlungen an ehemalige südkoreanische Zwangsarbeiter zu leisten. Die japanische Seite widersetzte sich; die Sicherheitskooperation wurde ausgesetzt, Handelskonflikte eskalierten. Südkoreas konservativer Präsident Yoon Suk-yeol, seit Mai 2022 im Amt und klar proamerikanisch sowie projapanisch orientiert, kündigte am 1. März an, die Entschädigungen sollten, damit der Konflikt beigelegt werden könne, nicht von japanischen, sondern von südkoreanischen Konzernen gezahlt werden. Der Plan wurde in Japan begrüßt, stieß aber in Südkorea umgehend auf starken Protest.[1]

Militär- und High-Tech-Industrie

Davon unabhängig hat Yoons Plan dem ersten Gipfeltreffen Japans mit Südkorea seit 2011 den Weg bereitet, das am 16./17. März in Tokio stattfand. Beschlossen wurden dort etwa die Wiederaufnahme des Informationsaustauschs über nordkoreanische Raketentests sowie eine allgemeine Intensivierung der Militärkooperation.[2] Unmittelbar darauf folgte ein zweites Gipfeltreffen, zu dem sich Japans Ministerpräsident Fumio Kishida am 7./8. Mai in Seoul aufhielt. Yoon und Kishida haben jenseits der Ausweitung gemeinsamer Manöver auch eine Stärkung der High-Tech-Kooperation im Visier, die die ökonomische Blockbildung gegen China vorantreiben soll. In Südkorea verbleiben freilich Hindernisse. Wie Umfragen zeigen, unterstützt nur rund ein Drittel der Bevölkerung Yoons Annäherungskurs an Japan. 59 Prozent lehnen es ab, dass südkoreanische Konzerne Entschädigungszahlungen übernehmen sollen, die eigentlich japanische Konzerne für ihre Kolonial- und Kriegsverbrechen leisten müssen.[3] 64 Prozent halten die Wiederannäherung an Japan für verfrüht, solange dort keinerlei ernsthaftes Schuldeingeständnis zu erkennen ist. Hinzu kommt, dass Anfang Mai der Streit um eine Inselgruppe (Dokdo/Takeshima) wieder aufgeflackert ist, die im Ostmeer (Korea) bzw. Japanischen Meer (Japan) liegt und von beiden Staaten beansprucht wird.[4]

Atomkriegsszenarien

Die rasante japanisch-südkoreanische Wiederannäherung ist vor allem auch ein Ergebnis energischen Drucks aus den USA. Washington treibt eine umfassende asiatisch-pazifische Blockbildung gegen China mit aller Macht und auf allen Ebenen voran. Vor diesem Hintergrund einigten sich die USA sowie Südkorea am 26. April auf eine Vereinbarung („Washington Declaration“), die nicht nur allgemein einen Ausbau der Militärkooperation vorsieht, sondern vor allem auch eine engere Zusammenarbeit mit Blick auf eine mögliche Nuklearkonfrontation mit Nordkorea festlegt. Dazu gehört die US-Ankündigung, ein atomar bewaffnetes U-Boot in die Gewässer vor der koreanischen Küste zu entsenden.[5] Ergänzend beschlossen die USA, Südkorea und Japan Mitte April, ihre Dreier-Militärkooperation weiter zu intensivieren.[6] All dies stößt allerdings auf Unmut und Protest. So warnt die südkoreanische Opposition auch mit Blick auf die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, ein nordkoreanischer Atomangriff auf die USA oder ihre Verbündeten bedeute das „Ende“ der Regierung in Pyöngyang, mit ungehemmten nuklearen Gegenschlägen kalkuliere Washington faktisch die Vernichtung der gesamten koreanischen Halbinsel ein.[7] Unmut kommt zudem aus der Südkoreas Industrie, die sich unter US-Druck sieht, ihr wichtiges Chinageschäft empfindlich zu reduzieren.

Gemeinsame Halbleiterproduktion

An der antichinesischen Blockbildung in Ostasien beteiligt sich auch die Bundesrepublik. Bereits Mitte April hatte Außenministerin Annalena Baerbock Südkorea bereist und dort den Ausbau der Beziehungen angekündigt. Am gestrigen Sonntag folgte mit einem Kurzbesuch Kanzler Olaf Scholz; die zuvor letzte Kanzlerreise hatte bereits 1993 Helmut Kohl absolviert. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich 2010 lediglich im Rahmen eines G20-Gipfels in Seoul aufgehalten, ohne mit Südkoreas Präsident ausdrücklich bilaterale Gespräche zu führen. Scholz lobte in einem in Südkorea vorab verbreiteten Zeitungsinterview die südkoreanisch-japanische Wiederannäherung und erklärte, Seoul und Tokio müssten mit Blick auf die „geopolitischen Spannungen“ in Asien und der Pazifikregion künftig eng kooperieren.[8] Als erstrebenswert gilt Berlin auch eine deutsch-südkoreanische Halbleiterkooperation: Südkorea verfügt mit Samsung, SK Hynix und SK Square über drei der weltgrößten Chiphersteller; Samsung ist größter Halbleiterproduzent der Welt. Yoon sagte eine engere Kooperation in der Fertigung von Halbleitern zu, die für die Kfz-Herstellung benötigt werden. Scholz drängte Yoon darüber hinaus, der Ukraine endlich auch Waffen zu liefern. Yoon stellte Kiew Hilfe bei der Beseitigung von Minen in Aussicht, hielt sich sonst aber bedeckt.[9]

Rüstungs- und Militärkooperation

Ausbauen wollen Berlin und Seoul nicht zuletzt die rüstungsindustrielle und die militärische Kooperation. Südkorea ist schon seit vielen Jahren einer der wichtigsten Abnehmer deutschen Kriegsgeräts; zugleich war die Bundesrepublik im Fünfjahreszeitraum von 2017 bis 2021 Südkoreas zweitgrößter Lieferant von Großwaffensystemen nach den USA.[10] Umgekehrt hat die südkoreanische Rüstungsindustrie begonnen, nach Europa zu exportieren; so wird Polen tausend Kampfpanzer aus südkoreanischer Produktion erhalten (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Gleichzeitig haben die Streitkräfte Südkoreas und Deutschlands zu kooperieren begonnen; Anlass dazu boten die Asien-Pazifik-Fahrt der Fregatte Bayern und eine Expedition der deutschen Luftwaffe nach Australien.[12] Die Fregatte Bayern beteiligte sich Ende 2021 rund einen Monat lang an der Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea; diese wird von einer US-geführten Koalition der Willigen umgesetzt (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Außenministerin Baerbock teilte bereits Mitte April mit, Deutschland werde sich künftig erneut an der Überwachungsmaßnahme beteiligen.[14] Der konzentrierte Ausbau der Wirtschafts-, Rüstungs- und Militärkooperation mit Südkorea treibt die Bundesrepublik, die zudem die Zusammenarbeit mit Japan und Australien intensiviert [15], immer stärker in die asiatisch-pazifische Blockbildung gegen China hinein.

 

[1] S. dazu Die NATO am Pazifik (II).

[2] Mina Pollmann: What’s Driving the Japan-South Korea Thaw? thediplomat.com 21.03.2023.

[3] Soyoung Kim: Strengthening progress in South Korea-Japan relations. eastasiaforum.org 16.05.2023.

[4] Ahead of Kishida’s trip to Seoul, South Korea, Japan in verbal duel over disputed islets. aa.com.tr 03.05.2023.

[5] Washington Declaration. whitehouse.gov 26.04.2023.

[6] Anthony Kuhn: The U.S.-South Korea Washington Declaration meets with criticism in Seoul. npr.org 28.04.2023.

[7] Jesse Johnson: U.S., Japan and South Korea look to regularize missile defense exercises to deter North Korea. japantimes.co.uk 15.04.2023.

[8] Germany welcomes diplomatic thaw between S. Korea, Japan: Scholz. en.yna.co.kr 19.05.2023.

[9] Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Präsident Yoon zum Besuch des Bundeskanzlers in der Republik Korea am 21. Mai 2023 in Seoul.

[10] Länderinformation Südkorea. Bonn International Centre for Conflict Studies. Bonn, Dezember 2022.

[11] S. dazu Die Schlacht um den Panzermarkt.

[12] S. dazu Das Deutsche Heer am Pazifik.

[13] S. dazu Gegen Nordkorea, Russland und China.

[14] Baerbock will Zusammenarbeit stärken. tagesschau.de 15.04.2023.

[15] S. dazu Kriegsvorbereitungen am Pazifik.


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