Die Türsteher der EU

BERLIN/KHARTUM (Eigener Bericht) - Im Sudan werden schwere Vorwürfe gegen einen Kooperationspartner Berlins und der EU bei der Flüchtlingsabwehr laut. Wie Ärzte aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum berichten, sind Anfang vergangener Woche bei der blutigen Niederschlagung von Massenprotesten mehr als 100 Menschen umgebracht sowie mindestens 70 vergewaltigt worden. Als Haupttäter werden die Rapid Support Forces (RSF) genannt, eine Miliz, die schon im Bürgerkrieg in Darfur schwerster Verbrechen beschuldigt wurde und die jetzt seit mehr als einer Woche in Khartum plündert und mordet. Seit dem Sturz des langjährigen Präsidenten Omar al Bashir am 11. April gilt ihr Anführer als der eigentliche Machthaber im Sudan. Berlin und die EU hatten bei ihrer Flüchtlingsabwehr eng nicht nur mit Al Bashir kooperiert, dessen Regime die Bevölkerung in einem monatelangen Kampf abschütteln konnte. Sie hatten sich zur Abschottung der Grenzen des Sudan auch - in vollem Wissen um deren blutige Gewalt gegen Flüchtlinge - auf die RSF gestützt, die nun in Khartum morden. Mit Mordmilizen kooperieren sie auch in Libyen.

Der Khartum-Prozess

Die Chancen der sudanesischen Protestbewegung, nicht nur das Militärregime abzuschütteln, sondern auch das Erstarken der RSF zu verhindern, wären von Anfang an deutlich besser gewesen, hätten nicht Berlin und die EU repressive Aktivitäten Khartums jahrelang systematisch unterstützt, um Flüchtlinge aus Europa fernzuhalten. Den Rahmen dazu bildet bis heute der sogenannte Khartum-Prozess, den die EU-Staaten, Norwegen und die Schweiz im November 2014 gemeinsam mit elf afrikanischen Ländern von Tunesien bis Kenia gestartet haben, um die Fluchtrouten aus Afrika in die EU zu versperren. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei der Sudan ein: Über das Land führt der Weg aus wichtigen Fluchtländern wie Eritrea und Somalia in Richtung Mittelmeer. Bereits Anfang 2018 hatte die sudanesische Regierung unter Omar al Bashir im Rahmen des Khartum-Prozesses gut 200 Millionen Euro erhalten; die Mittel kamen über Umwege auch den Repressionsapparaten des Sudan, zum Teil sogar dem Geheimdienst NISS zugute. Die EU-Maßnahmen umfassten auch Training und Ausrüstung der sudanesischen Grenzpolizei (german-foreign-policy.com berichtete [1]).

"Integriertes Grenzmanagement"

Dabei hat insbesondere die Bundesrepublik eng mit dem inzwischen gestürzten Präsidenten Omar al Bashir kooperiert. So ist etwa die bundeseigene Entwicklungsagentur GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) im Rahmen des Khartum-Prozesses schon seit 2016 im Sudan aktiv. Insbesondere betreibt sie mit anderen Stellen aus der EU, darunter der British Council und das italienische Innenministerium, ein Programm mit der Bezeichnung "Better Migration Management". Dafür stellen die EU 40 Millionen Euro und das deutsche Entwicklungsministerium sechs Millionen Euro bereit. Zwar behauptet die GIZ, im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehe stets der "Schutz der Opfer von Menschenhandel". Wie aus einer Selbstdarstellung des "Better Migration Management"-Programms hervorgeht, arbeitet die Agentur allerdings unmittelbar den sudanesischen Repressionsbehörden zu. Demnach organisiert das Programm "Schulungen", die etwa "integriertes Grenzmanagement", "Dokumentensicherheit", die "Erkennung von Betrugsversuchen" an der Grenze und die "Ermittlung und Strafverfolgung von Menschenhändlern" zum Gegenstand haben.[2] Die GIZ beteuert dabei, sie sei in der Lage, zuverlässig sicherzustellen, dass "die zur Verfügung gestellte Ausstattung nicht für sicherheitsbezogene und militärische Zwecke eingesetzt wird".

"Der größte Unterstützer"

Dabei dauerte die recht enge Zusammenarbeit mit der Regierung Al Bashir bis mindestens Ende 2018 an. Sudanesische Medien berichteten im November nach einem Treffen des sudanesischen Außenministers El-Dirdeiry Mohamed Ahmed mit seinem Amtskollegen Heiko Maas, der Berliner Minister habe "dem Wunsch seines Landes Ausdruck verliehen", nicht nur die bilateralen Beziehungen zum Sudan zu stärken, sondern Khartum auch "in verschiedenen internationalen Foren" zu unterstützen - insbesondere in der EU (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Eine sudanesische Regimegegnerin bekräftigte im Dezember, als die Massenproteste im Sudan begannen, zwar werde Khartum inzwischen durch einige westliche Staaten gefördert; "der größte Unterstützer Sudans in den EU-Ländern" sei allerdings, "sowohl was die technische Zusammenarbeit angeht als auch finanziell", Berlin.[4] Dabei hat die Bundesregierung nie Einwände dagegen vorgebracht, dass Khartum die praktische Durchführung der Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr in erheblichem Maße den RSF übertragen hat - etwa Aufgaben in der Grenzabschottung, die sich der Sudan teils von der EU finanzieren lässt, obwohl nicht nur die überaus blutige Vergangenheit der RSF in Darfur bekannt ist, wo sie - damals als Janjawid bekannt - einen massenmörderischen Krieg gegen Aufständische führten, sondern auch ihre brutalen aktuellen Praktiken: Dass sie Flüchtlinge misshandelt und gefoltert haben, ist belegt.[5]

Die maßgebliche Kraft

Aktuell werden erneut schwere Vorwürfe gegen die RSF laut. Die mehrere zehntausend schwerbewaffnete Männer starke Miliz hat es verstanden, sich die Wirren um den Sturz von Präsident Omar al Bashir zunutze zu machen, der in den Führungsrängen des sudanesischen Militärs als nicht mehr zu halten galt und daher am 11. April fallengelassen wurde. Im Verlauf der folgenden Wochen ist es RSF-Anführer Mohamed Hamdan Dagalo gelungen, nicht nur zur offiziellen Nummer zwei im seitdem herrschenden Militärrat, sondern de facto zur Nummer eins aufzusteigen: Die RSF gelten derzeit als maßgebliche Kraft in Khartum. Insbesondere gelten sie als treibende Kraft bei der mörderischen Auflösung von Protesten in der vergangenen Woche. Die breite Protestbewegung im Sudan hatte nach Al Bashirs Sturz ihre Demonstrationen und Blockaden fortgesetzt, um den Militärrat zu einer schrittweisen Demokratisierung des Landes zu veranlassen. Der Versuch ist am 3. Juni von den RSF zumindest vorläufig blutig beendet worden.

"Massenmörder an der Macht"

Wie Ärzte aus Khartum berichten, sind bei der mörderischen Auflösung der Blockaden und bei anschließenden Angriffen auf Oppositionelle allein am 3. Juni mindestens 100 Menschen umgebracht, über 700 teilweise schwer verletzt und mehr als 70 vergewaltigt worden.[6] Die genaue Anzahl ist nicht zu ermitteln - unter anderem, weil der sudanesische Militärrat die Kommunikationsverbindungen im Land unterbrochen hat. Seit dem 3. Juni dauert die Gewaltorgie, für die hauptsächlich die RSF verantwortlich gemacht werden, an. Während Regimegegner zum Streik aufgerufen haben, wird von willkürlichen Erschießungen durch RSF-Milizionäre, von willkürlicher Inhaftierung von Oppositionellen, Plünderungen und Vergewaltigungen berichtet. Über die RSF, Helfershelfer Berlins und der EU in der Abwehr von Flüchtlingen, titelt eine führende deutsche Tageszeitung: "Massenmörder an der Macht".[7]

Helfershelfer der EU-Flüchtlingsabwehr

Freilich ist es nicht neu, dass die EU bei ihrer Flüchtlingsabwehr in Afrika mit Mordbanden kooperiert: In Libyen lässt sie dortige Milizen, die als "Küstenwache" firmieren, Flüchtlinge in Lagern internieren, in denen gefoltert und gemordet wird.[8] Zwei international bekannte Menschenrechtsanwälte haben deshalb kürzlich Anzeige gegen die EU beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) erstattet (german-foreign-policy.com berichtete [9]).

 

[1] S. dazu Nützliche Milizen.

[2] Better Migration Management (BMM) in Sudan. Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Brussels 2018.

[3] S. dazu Proteste im Sudan.

[4] Sudan steht an einem Wendepunkt. Neues Deutschland 28.12.2018.

[5] S. dazu Der Militärrat und sein Vizechef.

[6] Zeinab Mohammed Salih, Jason Burke: Sudanese doctors say dozens of people raped during sit-in attack. theguardian.com 11.06.2019.

[7] Thilo Thielke: Massenmörder an der Macht. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.06.2019.

[8] S. dazu Lager für Europa (II) und Libysche Lager.

[9] S. dazu Die tödlichste Migrationsroute der Welt.


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