Rezension: Alternative Defence Review

Die britische Eisenbahner- und Transportarbeitergewerkschaft RMT und die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) präsentieren Konzepte und konkrete Schritte für Alternativen zur aktuellen Rüstungs- und Kriegspolitik.

LONDON Rüsten, rüsten, rüsten – das ist die Devise, an der zur Zeit die Regierungen der europäischen NATO-Staaten ihre gesamte Politik ausrichten. Das trifft auf Deutschland nicht anders zu als auf Frankreich oder Großbritannien. Dabei führt die exzessive Fokussierung staatlichen Handelns auf das Militär und die Rüstung zu vielfältigen Schäden, die selbst dann immens sind, wenn es – noch – nicht zum großen Krieg kommt: Das zeigt beispielhaft die Alternative Defence Review, eine kritische Analyse der britischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die im Mai von der Eisenbahner- und Transportarbeitergewerkschaft RMT und der Campaign for Nuclear Disarmament (CND) gemeinsam vorgelegt wurde. Das Papier ist in den britischen Gewerkschaften breit rezipiert worden. Aus ihm geht hervor, dass die Londoner Aufrüstungspolitik weder Sicherheit schafft noch sich auf Landesverteidigung beschränkt; dass sie vielmehr international weiter Spannungen schürt und auf allen Ebenen schadet: vom Klima, das sie zusätzlich belastet, über die Ungleichheit, die sie verstärkt, bis hin zur Armut, die sie verschlimmert. Die Erkenntnisse ließen sich ohne weiteres auf die deutschen Verhältnisse übertragen.

Beispiele? Da wären die gravierenden Umweltschäden, die Rüstung und Krieg anrichten. Waffenschmieden und Streitkräfte stoßen große Mengen klimaschädlicher Emissionen aus, verursachen auch anderweitig massive Verschmutzungen der Umwelt und verschwenden fossile Energieträger in gewaltigen Mengen, heißt es in der Alternative Defence Review. In dem Papier findet sich der Hinweis, dass der gesamte militärisch-industrielle Komplex im Vereinigten Königreich mehr Kohlendioxid ausstößt als 60 Länder zusammen. Allein die US-Streitkräfte verursachen mehr klimaschädliche Emissionen als zwei Drittel aller Staaten weltweit. Oder: In der Zeit von 1987 bis 2009 wurden 35 Prozent der gesamten Forschungs- und Entwicklungsgelder des britischen Staats für militärische bzw. für rüstungsindustrielle Vorhaben ausgegeben. Sie fehlten für zivile Vorhaben. Oder: Um den Militärhaushalt von 2,3 auf 2,5 Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufstocken zu können, reduziert die Regierung in London die Aufwendungen für Entwicklungshilfe von 0,5 auf 0,3 Prozent. Man muss sich keine Illusionen über die Rolle westlicher Entwicklungshilfe machen, um anzuerkennen: Dies schadet den ärmsten Staaten der Welt, und zwar gewaltig.

Aber schafft denn Aufrüstung, indem sie Rüstungsunternehmen gewaltige Summen an Geld zukommen lässt, nicht zahlreiche Jobs? Das Argument ist auch in Deutschland regelmäßig zu hören. Das Problem: Es ist falsch. In der Alternative Defence Review kann man nachlesen, was unlängst eine im Auftrag der schottischen Regierung erstellte Studie zeigte: Im Vergleich mit anderen Branchen landet die Rüstungsindustrie, was die Zahl der mit einer bestimmten Investitionssumme erzeugten Arbeitsplätze angeht, auf Platz 70 von 100. Auf Platz eins liegt das Gesundheitswesen, das zusammengekürzt wird, um Mittel in die Rüstung zu verschieben; Transport, Bau, Energie, Landwirtschaft, Chemie: All diese Branchen sind, was das Schaffen von Jobs angeht, der Rüstung glasklar vorzuziehen. Um eine konkrete Zahl zu nennen: Die Mittel, die man braucht, um in der Rüstungsindustrie einen Arbeitsplatz zu kreieren, reichen für zweieinhalb Arbeitsplätze im Gesundheitswesen aus.

Was aber, wenn es darum geht, hochspezialisierten Arbeitskräften in längst bestehenden Rüstungskonzernen die Jobs zu sichern – muss man dann nicht um neue Rüstungsaufträge kämpfen? Nein. Bereits seit den 1970er Jahren haben Gewerkschafter und linke Labour-Aktivisten in Großbritannien Konzepte entwickelt, die den Übergang zur Produktion ziviler Güter unter Einsatz der Fähigkeiten ebenjener hochspezialisierter Arbeitskräfte vorsahen – etwa in der Herstellung von Medizintechnik oder von Umwelttechnologien. Im Jahr 1999 richtete die damalige Labour-Regierung sogar eine Defence Diversification Agency ein, deren Aufgabe es offiziell war, nach konkreten Wegen zur Umwandlung von Rüstungs- in zivile Arbeitsplätze zu suchen. Dass die Regierung unter Premierminister Tony Blair die Behörde lediglich auf Druck des linken Labour-Flügels initiierte und in der Praxis sorgsam ausbremste, steht auf einem anderen Blatt. Festzuhalten bleibt: Wer die Umwandlung von Rüstungs- in zivile Unternehmen unter Wahrung der Arbeitsplätze wünscht, wird Wege finden.

 

Bitte lesen Sie zum Hintergrund der Alternative Defence Review und zum wachsenden Widerstand britischer Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg unser Interview mit dem ehemaligen Präsidenten der RMT, Alex Gordon – im englischen Original oder in deutscher Übersetzung.

 

Alternative Defence Review. May 2025. Online hier abrufbar.


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