Zwischen den USA, Russland und China

Ungarn hat sich zu einem zentralen Vernetzungspunkt der äußersten transatlantischen Rechten entwickelt, von der Trump-Administration bis hin zur AfD. Konservative Think-Tanks suchen dies mit Ungarns „Öffnung nach Osten“ zu verbinden.

BUDAPEST/BERLIN (Eigener Bericht) – Die Regierung Ungarns, eines der wichtigsten Standorte der deutschen Kfz-Industrie, baut im Rahmen ihrer Bemühungen um eine stärker nationalstaatliche Formierung der EU ihre Beziehungen zur AfD aus. Kürzlich warben der ungarische Botschafter in Berlin, Péter Györkös, und die AfD-Vorsitzende Alice Weidel auf einer Veranstaltung der AfD-Bundestagsfraktion dafür, Ungarn und Deutschland müssten „Partner für ein neues patriotisches Europa“ werden. Weidel ließ sich mit der Aussage zitieren, Ungarn habe „bei der inhaltlichen und strukturellen Erneuerung der EU“ zentrale Bedeutung. Dies entspricht der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, die auf eine stärker nationalstaatlich formierte EU orientiert und dabei auf eine enge Kooperation mit Ungarn setzt. Das Land ist zu einem wichtigen Knotenpunkt für die transatlantische Rechte innerhalb der EU geworden. Dies verdeckt, dass die außen- und die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Landes durchaus umstritten sind. Dies gilt nicht nur für die oft liberale Opposition, sondern auch für regierungsnahe rechte Spektren. Die Auseinandersetzungen spiegeln sich in der Debatte der ungarischen Think-Tanks wider.

Der ungarische Konservatismus

Während sich liberale und neoliberale Intellektuelle in Ungarn lange Zeit um die von dem ungarisch-amerikanischen Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) sammelten, gewannen konservative Intellektuelle insbesondere an der katholischen Péter-Pázmány-Universität in Budapest sowie an der ebenfalls dort angesiedelten Corvinus-Universität an Einfluss. Neben einem starken Fokus auf die Traditionen des ungarischen konservativen politischen Denkens des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zählen zu wichtigen Bezugspunkten unter anderem die Werke des deutschen Juristen Carl Schmitt, der als ideologischer Wegbereiter des NS-Reichs gilt, aber auch konservative angelsächsische Klassiker wie Edmund Burke.[1] Ungarn verfügt mittlerweile über eine Reihe konservativer Think-Tanks, die meist recht enge personelle Verbindungen zur Regierungspartei Fidesz unter Ministerpräsident Viktor Orbán pflegen und oft vom Staat finanziert werden.

Enge Bindungen an den Fidesz

Ältere Beispiele bieten unter anderem der Think-Tank Századvég und die Batthyány-Lajos-Stiftung. Századvég („Fin du siècle“) wurde 1991 von István Stumpf gegründet, der von 1998 bis 2002 das Büro von Ministerpräsident Orbán in dessen erster Amtszeit leitete. 2010 verließ er seinen Posten als Leiter von Századvég, um als Fidesz-Kandidat ans Verfassungsgericht berufen zu werden. Ihm folgte der Politikwissenschaftler András Lánczi, Professor an der Corvinus-Universität Budapest, der dort 2016 auch Rektor wurde. Die Batthyány-Lajos-Stiftung, ebenfalls 1991 gegründet und nach Ungarns erstem, von März bis Oktober 1848 regierenden Ministerpräsidenten Lajos Battyány benannt, war zunächst dem Ungarischen Demokratischen Forum verbunden und dient heute dem Fidesz unter anderem, um staatliche Gelder an Projekte weiterzuleiten, die Orbán politisch nahestehen. Eines davon ist das 2013 von ihr gegründete und finanzierte Danube Institute, das sich zunächst insbesondere Fragen regionaler Kooperation widmete. Das Institut ist eng mit Medienprojekten wie der Zeitschrift Hungarian Review verbunden, die gemeinsam mit konservativen Think-Tanks aus den USA und Großbritannien versucht, liberale westliche Kritik an Orbáns Politik abzuwehren.[2]

Bezugspunkt USA

Eines dieser Medienprojekte, die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Hungarian Conservative, kommentierte Anfang März 2024 etwa Orbáns damals kurz bevorstehende Reise in die USA, wo er in Mar-a-Lago Donald Trump treffen sollte. Sie bewertete das Treffen als „starkes Signal“ für die fortgesetzte Zusammenarbeit und für die fortschreitende Verschmelzung einer ultrarechten transatlantischen Bewegung. Im Falle eines Wahlsiegs von Trump, so lautete die Einschätzung des Hungarian Conservative, sei mit einer Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ungarn und den USA zu rechnen; Ungarn könne dadurch zu einem wichtigen Eckpfeiler der transatlantischen Beziehungen werden. Für die USA liege der Vorteil darin, mit Ungarn einen Verbündeten zu haben, der als Vermittler gegenüber Russland und China fungieren könne.[3] Der Fidesz-nahe Think-Tank Századvég erklärte zur selben Zeit, Ungarn setze sich in der Ukraine für Frieden ein; die US-Präsidentschaftswahl werde darüber entscheiden, ob der ungarische Kurs in Washington Unterstützung finde. In einer von Századvég veröffentlichten Umfrage erklärten 53 Prozent der Befragten, die Welt sei unter Donald Trump sicherer gewesen [4] – ein Ergebnis, mit dem der Eindruck einer Nähe zum heutigen US-Präsidenten erweckt werden sollte.

„Öffnung nach Osten“

Bereits bei Orbáns zweitem Amtsantritt im Jahr 2010 hatte Ungarn begonnen, seine Beziehungen zu Russland und zu China zu intensivieren. Diese Annäherung ist Teil einer Strategie der „Öffnung nach Osten“, mit der die starke Abhängigkeit von westlichen Ländern, nicht zuletzt auch von Deutschland, reduziert werden soll. Der Hungarian Conservative etwa erläuterte im Oktober 2023, aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit sei Ungarn besonders anfällig für externe Schocks; um etwa die Folgen der Rezession in Deutschland abzufedern, suche Budapest die wirtschaftlichen Beziehungen stärker in Richtung Osten zu diversifizieren.[5] Unumstritten ist die Strategie nicht; so war im Hungarian Conservative kurz zuvor die Frage erörtert worden, ob es nicht im Interesse Ungarns liege, sich stärker um Investitionen aus den USA zu bemühen, anstatt die Ostorientierung weiter auszubauen.[6]

Westliche Kritik

Ähnliche Kritik kommt aus eher liberal geprägten transatlantischen Milieus. So kritisierte etwa in einem Beitrag für die US-amerikanische Denkfabrik Atlantic Council Zoltán Fehér, ein 2014 unter Orbán aus dem Dienst geschiedener ungarischer Diplomat, die „Öffnung nach Osten“ und insbesondere die chinesischen Investitionen in Ungarn, etwa im Bereich der Batterieproduktion. Ihretwegen bringe Ungarn chinesische und russische Interessen in die Diskussionen innerhalb der EU und der NATO ein; dies sei als sicherheitspolitisches Risiko zu bewerten.[7] Die Kritik deckt sich mit Positionen ungarischer Oppositionsparteien wie der Demokratikus Koalíció, die sich aus Gründen des Umweltschutzes, wegen des Einsatzes chinesischer Arbeiter und aufgrund der nach China abfließenden Profite gegen chinesische Batteriefabriken ausspricht.[8] Die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) wiederum sieht – ähnlich wie der Atlantic Council – in der Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden Ungarns und Chinas ein Sicherheitsrisiko für die NATO.[9]

Visegrád vs. Brüssel

Die mit der „Öffnung nach Osten“ verbundenen Konflikte zeigen sich auch in der ungarischen Russlandpolitik. So urteilt etwa das Fidesz-nahe Danube Institute, es gebe zwar große Übereinstimmungen zwischen den Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) und den Zielen der USA in der euro-atlantischen Erweiterungspolitik; Russland übe jedoch weiterhin erheblichen Einfluss in der Visegrád-Region aus. Die Außenpolitik Ungarns und der Slowakei stehe insbesondere aufgrund ihres pragmatischen Umgangs mit Russland im Widerspruch mit derjenigen der EU. Freilich moniert auch das Danube Institut Ungarns relativ starke Abhängigkeit von russischem Erdgas.[10] Dem ebenfalls Fidesz-nahen Think-Tank Századvég wiederum gilt die Visegrád-Gruppe als Modell für ein Europa der Zusammenarbeit zwischen Nationalstaaten anstelle einer vertieften Integration in der EU.[11] Die Forderung nach einem Zusammenschluss souveräner Nationen anstelle einer engeren EU-Integration deckt sich mit den Grundgedanken der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA.[12] Die Strategie schlägt vor, die USA sollten sich in Europa auf einige wenige gleichgesinnte Länder konzentrieren und versuchen, sie von der EU wegzuziehen. Namentlich genannt werden Österreich, Ungarn, Italien und Polen.[13]

Ungarns Wachstumsstrategie

Jenseits aller außenpolitischen Debatten und Differenzen herrscht weitgehend Konsens in Ungarns konservativen Think-Tanks, dass die zentrale Wachstumsstrategie des Landes darauf gründet, sich in die europäischen Wertschöpfungsketten zu integrieren und ein bedeutender Exporteur zu werden. Zugleich betont etwa das Danube Institute, es sei eine stärkere Diversifizierung von Exportpartnern und Branchen notwendig, um die Abhängigkeit vom deutschen Automobilsektor zu verringern.[14] Die Batthyány-Lajos-Stiftung wiederum weist darauf hin, es gebe durchaus Risiken für die ungarische Wirtschaft durch den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Der Ausbau der E-Mobilität und der Batterieproduktion in Ungarn wird dennoch ausdrücklich positiv hervorgehoben.[15]

 

[1] Buzogány, Aron; Varga, Mihai (2018): The ideational foundations of the illiberal backlash in Central and Eastern Europe: the case of Hungary; Review of International Political Economy 25 Heft 6, S. 816.

[2] Buzogány, Aron; Varga, Mihai (2019): Against “post- communism”. The conservative dawn in Hungary in: Bluhm, Varga (Hg.) 2019 – New conservatives in Russia, S. 70-91.

[3] Phil Lovas: Opportunities for U.S.–Hungary Relations in the Next Trump Administration. hungarianconservative.com 05.03.2024.

[4] A magyarok Donald Trumpban látják a béke és biztonság garanciáját. szazadveg.hu 08.03.2024.

[5] Lili Zemplényi: Orbán in Beijing – The Balance of Chinese–Hungarian Relations. hungarianconservative.com 18.10.2023

[6] Fr. Mario Alexis Portella: The Risk in Not ‘De-Risking’ with China. hungarianconservative.com 05.07.2023

[7] Zoltán Fehér: Hungary’s policy on China: Doing Beijing’s bidding. atlanticcouncil.org 10.11.2025.

[8] Varju László: Az Árnyékkormány azonnal leállítaná az akkumulátorgyárak építését. dkp.hu 04.12.2023.

[9] Mszp: Tájékoztatást kérünk a belügyminisztertől a kínai rendőrök járőrözésével kapcsolatban. mszp.hu 07.03.2024

[10] Enikő Bagoly: Foreign and Economic Policy of the V4. danubeinstitute.hu 10.05.2021

[11] A V4-ek elkötelezett európaiak és ragaszkodnak a keresztény kulturális gyökerekhez. szazadveg.hu 30.12.2021.

[12] S. dazu Der neue Transatlantikpakt.

[13] Meghann Myers: ‘Make Europe Great Again’ and more from a longer version of the National Security Strategy. defenseone.com 09.12.2025. S. auch Der Notstandsparagraph der EU.

[14] Dávid Nagy: Hungarian-German relations in the ’Merkel era’. danubeinstitute.hu 22.09.2021.

[15] Lili Zemplényi: Major Investments in Hungary – A Brief Overview. hungarianconservative.com 22.04.2024.


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