Deutschlands Wasserstoffwette
Die Bundesrepublik steht mit ihrem ehrgeizigen Ziel, auf dem entstehenden globalen Wasserstoffsektor eine Führungsposition einzunehmen, vor dem Scheitern – wie zuvor etwa bei Solarzellen, Elektroautos oder Batterien.
BERLIN (Eigener Bericht) – Die Bundesrepublik steht mit ihrem ehrgeizigen Ziel, auf dem im Entstehen begriffenen globalen Wasserstoffsektor eine Führungsposition einzunehmen, vor dem Scheitern. Dies zeigen aktuelle Daten aus der Branche. 2020 hatte die Bundesregierung den Wasserstoffsektor noch zur nächsten industriellen Schlüsselbranche erklärt – eine neue Technologie, mit der der damals noch global führende deutsche Maschinen- und Anlagenbau seine weltweite Dominanz sichern sollte. Heute deutet vieles auf ein Scheitern dieser Ambitionen hin. Während China den Wasserstoffmarkt mit Tempo, Skalierung und staatlicher Unterstützung erobert, verliert Deutschland an Boden. Der Konkurrenzdruck, der den deutschen Maschinenbau seit Jahren schwächt, trifft auch den Wasserstoffsektor. Die Frage ist nicht mehr, ob sich Wasserstoff als Energieträger global durchsetzt, sondern wer die Branche beherrscht. Während der Ausbau der Infrastruktur und die Nachfrage in Deutschland kaum von der Stelle kommen, müssen deutsche Konzerne auch im Ausland Rückschläge hinnehmen – zuletzt unter anderem in Saudi-Arabien, das dabei ist, einer der weltweit bedeutendsten Produzenten grünen Wasserstoffs zu werden.
Kampf um die Weltmarktführung
Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie von 2020 hatte sich die Bundesrepublik das Ziel gesetzt, globaler Marktführer bei Entwicklung und Export von Wasserstofftechnologie zu werden. Als ein Schwerpunkt galten dabei Elektrolyseure, die Schlüsseltechnologie für die Herstellung von grünem Wasserstoff.[1] Das Schwächeln der deutschen Industrie bedroht nun die ehrgeizigen Berliner Pläne auch in dieser Branche – wie zuvor bei anderen grünen Technologien von Solarmodulen über Elektroautos bis zu Batterien. 2024 wurden weltweit Elektrolyseure mit einer Leistung von 1.200 Megawatt installiert. Die Hälfte davon stand in China.[2] Die EU rechnete noch 2022 damit, grüner Wasserstoff könne bis 2050 rund zehn Prozent des europäischen Energiebedarfs decken – genug, um Industrie und Verkehr grundlegend umzubauen. Doch der Hochlauf stockt. Zwar flossen weltweit bereits rund 110 Milliarden US-Dollar in mehr als 500 Wasserstoffprojekte; doch entfällt mehr als die Hälfte dieser Investitionen auf China und die USA. Während China konsequent auf grünen Wasserstoff aus erneuerbarem Strom setzt, verfolgen die USA mit massiver staatlicher Unterstützung einen anderen Weg: Sie fördern vor allem „blauen“ Wasserstoff auf Erdgasbasis; bei „blauem“ Wasserstoff wird das freigesetzte CO2 – im Unterschied zum ebenfalls wasserstoffbasierten „grauen“ Wasserstoff – aufgefangen und gespeichert.
Die Golfstaaten im Aufbruch
Das Wachstum der Branche findet insgesamt vor allem in Asien, im Mittleren Osten und in Nordamerika statt. Europa bleibt zurück – gebremst nicht zuletzt durch allzu langsame Genehmigungsverfahren. Besonders umstritten sind die EU-Vorgaben für grünen Wasserstoff.[3] Strom für die Elektrolyse darf ihnen zufolge nicht aus bestehenden Wind- oder Solaranlagen stammen, sondern muss aus neu errichteten Anlagen kommen. Die Wirtschaft beklagt, dies wirke als Investitionsbremse.[4] Während Europa reguliert, bauen andere. In Afrika und im Mittleren Osten lässt sich Solarstrom so günstig erzeugen wie sonst kaum auf der Welt. Eine Kilowattstunde kostet dort 1,5 bis zwei Cent; in Deutschland sind es bis zu sieben Cent.[5] Grünem Wasserstoff von der Arabischen Halbinsel verschafft dies einen entscheidenden Vorteil. Saudi-Arabien, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate liefern sich inzwischen ein Wettrennen um die globale Spitzenposition. Saudi-Arabien will bereits Ende 2026 täglich 600 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und ihn – umgewandelt in Ammoniak – exportieren. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf 8,4 Milliarden US-Dollar. Oman verfolgt eine vorsichtigere Strategie, plant jedoch langfristig deutlich höhere Produktionsmengen. Die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum wollen ihre Kapazitäten bis 2050 auf 15 Millionen Tonnen ausbauen.[6]
Kampf um die Schlüsseltechnologie
Noch ist offen, wer genau an diesem Boom verdient. Saudi-Arabien will bis 2027 zum größten Produzenten grünen Wasserstoffs aufsteigen – und damit China herausfordern.[7] Dafür wollte Riad mit der geplanten Energy Solutions Company einen nationalen Champion aufbauen, finanziert vom staatlichen saudischen Public Investment Fund (PIF). Das Projekt scheiterte jedoch an Machtkämpfen zwischen dem Staatsfonds und dem Energiekonzern ACWA Power. Das war ein Rückschlag nicht zuletzt für deutsche Unternehmen. Denn im Rahmen des Projekts sollten ursprünglich zehn Milliarden US-Dollar in Projekte fließen, die auch die Nachfrage nach deutschen Elektrolyseuren angekurbelt hätten. Parallel treibt Saudi-Arabien das Megaprojekt Neom voran – eine vollständig klimaneutrale Wüstenstadt. Dort soll die weltweit größte Anlage für grüne Energie entstehen. Benötigt werden Elektrolyseure im Wert von rund acht Milliarden US-Dollar. Deutsche Anbieter wie ThyssenKrupp Nucera, Sunfire oder Siemens Energy hoffen auf Aufträge. Doch sie konkurrieren mit chinesischen Produzenten wie Longi, die längst international liefern – und dies oft günstiger und schneller tun. Noch ist die endgültige Vergabe offen. Klar ist aber: Wer die Anlagen liefert, entscheidet über die technologischen Standards.[8]
Deutschland fehlt der Markt
Während die Stellung deutscher Konzerne auf dem internationalen Wasserstoffmarkt wankt, geraten auch im Inland die ambitionierten Pläne zunehmend ins Stocken. Vor allem zwei Probleme bremsen den Hochlauf: fehlende Abnehmer und fehlende Infrastruktur. ThyssenKrupp, größter Stahlproduzent Deutschlands und zentraler Hoffnungsabnehmer für grünen Wasserstoff, steckt selbst in der Krise. Langfristige Abnahmeverträge gelten als kaum durchsetzbar. Gleichzeitig fehlt es an Speicher- und Rückverwandlungskapazitäten für per Schiff importierten Wasserstoff.[9] Beim Transport in Form von Ammoniak geht bis zu einem Drittel der Energie verloren.[10] Dabei ist Deutschland auf Importe angewiesen. Der Bedarf bis 2030 liegt laut Bundesregierung bei bis zu 139 Terawattstunden. Nur ein Drittel davon lässt sich im Inland erzeugen.[11]
Industrie zieht die Notbremse
Trotz Milliardenförderung wächst in der Bundesrepublik der Zweifel. Grüner Wasserstoff bleibt teuer – rund sechs Euro pro Kilogramm, fast doppelt so viel wie grauer Wasserstoff aus Erdgas. Der Bundesrechnungshof warnt, Wasserstoff werde in Deutschland dauerhaft ohne Subventionen nicht wettbewerbsfähig sein.[12] Erste Konzerne reagieren. ThyssenKrupp Steel Europe zweifelt offen an der Wirtschaftlichkeit wasserstoffbasierter Stahlproduktion. ArcelorMittal hat den Umbau zweier deutscher Werke gestoppt – und dafür auf 1,3 Milliarden Euro Förderung verzichtet.[13] Zugleich wächst bei ThyssenKrupp die Hoffnung auf einen Verkauf der Stahlsparte an den indischen Konzern Jindal. Geplant ist der Bau einer wasserstoffbasierten Direktreduktionsanlage zur Herstellung von Eisenschwamm, gefördert von Berlin mit zwei Milliarden Euro; allerdings bleibt offen, ob und, wenn ja, wann die Anlage wirtschaftlich betrieben werden kann. Das indische Angebot umfasst die Fertigstellung laufender Projekte sowie zusätzliche Infrastrukturinvestitionen von über zwei Milliarden Euro, um eine nahezu CO₂-freie Stahlproduktion zu ermöglichen.[14] Historisch setzten sich neue Energieträger immer dann durch, wenn sie mindestens eines boten: Verfügbarkeit, hohe Energiedichte oder Wirtschaftlichkeit. Grüner Wasserstoff erfüllt bislang in Deutschland keines dieser Kriterien. Investiert wurde vor allem in Kapazitäten – nicht in Nachfrage.[15]
Infrastruktur ohne Abnehmer
Nicht zuletzt droht auch der Netzausbau ins Leere zu laufen. Bis 2030 wollte Deutschland Elektrolyseure mit zehn Gigawatt Leistung installieren. Tatsächlich verfügbar waren 2024 nur 0,066 Gigawatt. Für gerade einmal 0,323 weitere Gigawatt lagen Investitionsentscheidungen vor.[16] Gleichzeitig soll für 19 Milliarden Euro ein Wasserstoff-Kernnetz entstehen. Doch immer mehr potenzielle Nutzer springen ab. Das Risiko, eine Infrastruktur aufzubauen, bevor es einen funktionierenden Markt gibt, wächst damit.[17]
[1] Florian Güßgen, Clara Thier: Ende der grünen Welle. WirtschaftsWoche 31/2025, 25.07.2025.
[2] Klaus Stratmann, Kathrin Witsch, Axel Höpner: Warum die Pläne der Regierung zu scheitern drohen. handelsblatt.com 24.05.2024.
[3] Malcolm Moore: Clean hydrogen investment tops $110bn to defy industry pessimism. ft.com 09.09.2025.
[4] Klaus Stratmann: Wasserstoffexperten fordern mehr Pragmatismus von der Politik. handelsblatt.com 06.01.2025.
[5] Kathrin Witsch: Saudi-Arabien plant neues Mega-Unternehmen für Wasserstoff. handelsblatt.com 29.09.2024.
[6] Heena Nazir: Großindustrielle Wasserstoffzentren sollen den Durchbruch bringen. gtai.de 07.05.2025.
[7] Inga Rogg: Wie Saudi-Arabien mit grünem Wasserstoff wirbt – aber am Öl verdient. handelsblatt.com 01.09.2025.
[8] Kathrin Witsch, Inga Rogg: Machtkampf in Saudi-Arabien trifft die deutsche Wasserstoffindustrie. handelsblatt.com 19.03.2025.
[9] Kathrin Witsch: Saudi-Arabien mischt den Wasserstoffmarkt auf. handelsblatt.com 29.10.2024.
[10] Catiana Krapp: Weitere Wasserstoffprojekte verzögern sich. handelsblatt.com 25.10.2024.
[11] Michaela Balis et al.: Wasserstoff für Deutschland. gtai.de 02.05.2024.
[12] Laura Pitel, Alice Hancock: Expensive ‘green’ hydrogen jeopardises German industrial energy transition. ft.com. 07.09.2025. Bundesrechnungshof warnt vor Milliardenrisiken bei Wasserstoff. handelsblatt.com 28.10.2025.
[13] Klaus Stratmann: Warum der Stahlbranche die klimaneutrale Umstellung so schwerfällt. handelsblatt.com 20.06.2025.
[14] Julian Olk: Bundesregierung sieht möglichen Verkauf an Jindal positiv. handelsblatt.com 02.11.2025.
[15] Elias Frei: So lässt sich die Nachfrage nach grünem Wasserstoff anschieben. handelsblatt.com 24.04.2025.
[16] Catiana Krapp: Woran Deutschlands Wasserstoffprojekte bislang scheitern. handelsblatt.com 25.11.2024.
[17] Cordula Tutt, Florian Güßgen, Clara Thier: Wende! Aber wohin? WirtschaftsWoche 39/2025, 19.09.2025.

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