Neuer EU-Geheimdienst in Planung
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant die Schaffung eines neuen EU-Geheimdiensts. Er soll in ihrem Kompetenzbereich angesiedelt werden und würde mit der bestehenden Geheimdienstzelle der EU-Außenbeauftragten rivalisieren.
BRÜSSEL/BERLIN (Eigener Bericht) – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant die Schaffung eines neuen EU-Geheimdiensts in offener Konkurrenz zu einer schon bestehenden nachrichtendienstlichen Institution der Europäischen Union. Laut Berichten soll die neue Geheimdienstzelle direkt beim Generalsekretariat der EU-Kommission angesiedelt werden und damit von der Leyen direkt unterstellt sein. Die schon seit Jahren bestehende Geheimdienstzelle IntCen (Intelligence Analysis Centre) ist der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zugeordnet. Beobachter vermuten, von der Leyen wolle mit dem neuen Dienst ihre Macht auf Kallas‘ Kosten weiter stärken. Allerdings herrscht weithin Skepsis, dass vor allem die großen EU-Staaten bereit sein könnten, einem starken EU-Geheimdienst zuzustimmen. Sie profitieren bislang von ihren starken nationalen Diensten und haben kein Interesse an Konkurrenz zu diesen. Der Aufbau eines eigenen EU-Nachrichtendiensts wird schon seit den 1990er Jahren gefordert – unter anderem, weil sich diverse EU-Staaten in den Jugoslawien-Kriegen von Informationen der US-Geheimdienste abgeschnitten sahen. Befürchtungen, dies könne sich unter US-Präsident Donald Trump zuspitzen, sind verbreitet.
„Abhängigkeit überdenken“
Der Aufbau eines eigenen EU-Geheimdiensts wurde bereits in den 1990er Jahren gefordert. Anlass war die Erfahrung der EU-Staaten, in den Jugoslawien-Kriegen auf Informationen der US-Dienste angewiesen zu sein – und von diesen nicht immer wie gewünscht versorgt zu werden. Das habe entsprechend „zu einem Überdenken der bestehenden Abhängigkeit“ von den USA geführt, hieß es bereits 1996 in einem Beitrag in der Fachzeitschrift „Internationale Politik“. Wolle die EU tatsächlich eine eigene Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln, dann müsse „die Versorgung der politischen und militärischen Führung Europas mit verläßlicher, umfassender Analyse gesichert“ sein.[1] Entsprechend benötige die EU „einen gemeinsamen Nachrichtendienst“. Erste Schritte leitete Brüssel unmittelbar nach dem NATO-Überfall auf Jugoslawien im Jahr 1999 ein. Der seit Oktober 1999 amtierende EU-Chefaußenpolitiker Javier Solana initiierte den Aufbau einer Geheimdienstzelle, die unter der Bezeichnung Joint Situation Centre (SitCen) zunächst mit dem EU-Militärstab verkoppelt wurde. Im Jahr 2002 wurde sie in eine eigenständige Institution im Apparat des EU-Außenbeauftragten transformiert.
„Weltweit Augen und Ohren“
Bereits Anfang 2003, als die EU sich auf die Übernahme der bis dahin NATO-geführten Militäroperation Allied Harmony in Nordmazedonien vorbereitete, wurden die Aktivitäten des SitCen als recht erfolgreich eingestuft. Solana äußerte damals, Brüssel sei inzwischen so weit gediehen, dass die EU sogar „den Ersteinsatz … auch ohne die NATO schaffen“ würde. Das SitCen verfüge in Südosteuropa schon über „ein Netz von über hundert Beobachtern“, die sogar „nachrichtendienstlich geschult“ seien, „offen oder verdeckt örtliche Zuträger“ abschöpften und „täglich ihre Erkenntisse chiffriert nach Brüssel“ meldeten.[2] „Was von dort kommt, ist oft besser und detaillierter als das Material der nationalen Dienste“, sagte ein Solana-Mitarbeiter damals: „Wir haben weltweit unsere eigenen Augen und Ohren“. In der Tat könne das SitCen sich auf „vertrauliche bis geheime Informationen aus den in 130 Staaten operierenden EU-Außenvertretungen“ stützen, hieß es.[3] 2011 wurde das SitCen in den neu gegründeten Europäischen Auswärtigen Dienst integriert sowie im März 2012 in Intelligence Analysis Centre (IntCen) umbenannt. Dabei ist es bislang geblieben.
„Strategisch und operativ“
Da das IntCen offiziell keine eigenen operativen Tätigkeiten entfalten, sondern lediglich öffentliche sowie von den nationalen Geheimdiensten gesammelte Informationen aufbereiten darf, ist immer wieder die Forderung laut geworden, es entweder zu einem ausgewachsenen Geheimdienst nach dem Vorbild der CIA auszubauen oder aber einen solchen an anderer Stelle in der EU zu schaffen. Zuletzt empfahl dies der finnische Ex-Präsident Sauli Niinistö, als er am 30. Oktober vergangenen Jahres einen von der EU-Kommission bestellten Bericht zur Stärkung der zivilen und der militärischen Einsatzbereitschaft Europas vorlegte. Darin riet Niinistö nicht nur, jeder Haushalt in der EU solle darauf vorbereitet sein, sich mindestens drei Tage lang selbst versorgen zu können.[4] Er erklärte auch, Brüssel brauche dringend einen „vollwertigen Nachrichtendienst auf EU-Ebene“, der in der Lage sei, „sowohl strategischen als auch operativen Anforderungen gerecht“ zu werden.[5] Zu den Aufgaben, die zu erfüllen seien, zähle nicht nur die Abwehr von Sabotage insbesondere an der kritischen Infrastruktur, sondern auch die Abwehr von Spionage, darunter in den EU-Institutionen.
Furcht vor Erpressung
Aktuell prescht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem Versuch vor, einen solchen Geheimdienst zu schaffen. Berichten zufolge soll eine neue Geheimdienstzelle im Generalsekretariat der EU-Kommission angesiedelt werden, das unmittelbar der Kommissionspräsidentin zugeordnet ist. Derzeit werde ein Konzept erstellt; die notwendigen Diskussionen seien in vollem Gange, heißt es unter Berufung auf einige mit dem Vorgang befasste Mitarbeiter der Kommission. Auf jeden Fall habe man vor, Geheimdienstmitarbeiter aus den EU-Mitgliedstaaten anzuwerben und nachrichtendienstliche Informationen für die gemeinsamen Vorhaben zu sammeln. Eine Entsendung operativer Agenten sei nicht geplant.[6] Als Auslöser wird neben allgemeinen Erwägungen genannt, die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten könne von US-Präsident Donald Trump zur Erpressung eingesetzt werden. Trump habe dies bereits im März gegenüber der Ukraine getan, um Kiew politische Zugeständnisse abzunötigen.[7] Es gelte unbedingt zu verhindern, dass die EU künftig in eine vergleichbare Lage gerate und der Willkür der Trump-Administration ausgeliefert sei.
„Kein Bedarf“
In ersten Reaktionen ist von der Leyens Vorstoß auf klare Ablehnung gestoßen. Zum einen heißt es zutreffend, es gebe mit dem IntCen bereits eine Geheimdienstzelle; der Aufbau einer weiteren solchen Zelle werde nur teure Doppelstrukturen schaffen. Beobachter vermuten, es gehe von der Leyen darum, ihre Macht weiter auszubauen – auf Kosten des Europäischen Auswärtigen Diensts und der EU-Außenbeauftragten, in deren Kompetenzbereich IntCen zur Zeit angesiedelt ist. Zum anderen heißt es, die nationale Sicherheit liege weiterhin bei den Mitgliedstaaten; dazu gehörten auch geheimdienstliche Fähigkeiten. Tatsächlich haben schon in der Vergangenheit insbesondere starke Mitgliedstaaten mit großen Geheimdiensten – dies sind insbesondere Deutschland und Frankreich – keine Neigung gezeigt, ihre Kapazitäten den schwächeren Mitgliedstaaten über einen EU-Geheimdienst im größeren Stil zur Verfügung zu stellen.[8] Nicht zuletzt heißt es, das IntCen werde aktuell ohnehin umstrukturiert – und es gebe zudem eine übergeordnete Sammelstelle für Geheimdienstinformationen, die Single Intelligence Analysis Capacity (SIAC), in der das IntCen längst intensiv mit der militärischen EU-Geheimdienststruktur EUMS Int (EU Military Staff Intelligence) kooperiere. Bedarf an einer neuen Struktur sei also nicht gegeben.
[1] Klaus Becher: Ein Nachrichtendienst für Europa. In: Internationale Politik 1/1996.
[2], [3] Dirk Koch: Augen und Ohren. Der Spiegel 8/2003. S. dazu Eine europäische CIA (II).
[4] Wolfgang Böhm: Jeder EU-Bürger muss sich 72 Stunden versorgen können. diepresse.com 30.10.2025.
[5] Joshua Posaner: Create a CIA-style European spy service, von der Leyen is told. politico.eu 30.10.2024.
[6] Henry Foy: EU to set up new intelligence unit under Ursula von der Leyen. ft.com 10.11.2025.
[7], [8] USA kappen Geheimdienstinformationen für die Ukraine. tagesschau.de 05.03.2025.

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