Den Atomkrieg üben
Das diesjährige Atomkriegsmanöver „Steadfast Noon“ geht heute mit deutscher Beteiligung zu Ende. Die Debatte über einen europäischen Nuklearschirm oder eine deutsche Atombombe dauert an.
VOLKEL/BERLIN (Eigener Bericht) – 14 NATO-Staaten, darunter Deutschland, schließen am heutigen Freitag ihr diesjähriges Atomkriegsmanöver ab. Das Manöver „Steadfast Noon“, das jedes Jahr im Oktober durchgeführt wird, exerziert einen etwaigen Angriff mit in Europa gelagerten US-Kernwaffen durch. Als Träger- bzw. Abwurfflugzeuge kommen auch Jets der deutschen Luftwaffe in Frage. Die Bereitschaft, sich an einem Atomkrieg zu beteiligen, steigt in Europa; so nahmen an Steadfast Noon in diesem Jahr erstmals die neuen NATO-Staaten Finnland und Schweden teil, während Dänemark erstmals einen Stützpunkt für die Übung zur Verfügung stellte. Die Bundesregierung lässt gegenwärtig den Fliegerhorst Büchel in der Eifel für Milliardensummen umbauen, um dort künftig US-Kampfjets vom Typ F-35 mit den neuen Atombomben vom Typ B61-12 stationieren zu können. Gleichzeitig dauert die Debatte über einen von den USA unabhängigen europäischen Nuklearschirm an. Neben einem von Frankreich gestellten Nuklearschirm ist ein deutscher, basierend auf deutschen Atomwaffen, ebenfalls in der Diskussion. Für eine Beschaffung von Kernwaffen durch die Bundeswehr spricht sich die Mehrheit der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland aus.
Schlachtfeldwaffe B61-12
Das diesjährige Atomkriegsmanöver Steadfast Noon, das den Einsatz von in Europa eingelagerten US-Atombomben durch Militärjets europäischer NATO-Staaten probt – die sogenannte nukleare Teilhabe –, geht am heutigen Freitag zu Ende. Beteiligt waren rund 2.000 Soldaten mit über 70 Militärflugzeugen aus 14 NATO-Staaten – mehr als zuvor –, darunter zum ersten Mal seit ihrem NATO-Beitritt die noch jungen Mitglieder Finnland und Schweden, die unter anderem Kampfjets der Modelle F/A-18 Hornet bzw. Gripen schickten. Die Bundeswehr nahm mit Kampfjets der Modelle Tornado und Eurofighter teil. Geprobt wurde Berichten zufolge der Einsatz der neuen US-Atombomben des Typs B61-12, die zum einen per Satellitennavigation gelenkt werden und deshalb als erheblich präziser gelten als ihre Vorgänger, die zum anderen aber auch skalierbar sind und mit unterschiedlicher Sprengwirkung eingesetzt werden können – unter anderem auch taktisch, mit vermeintlich beschränkter Wirkung, als sogenannte Schlachtfeldwaffe.[1] Der erste Luftwaffenstützpunkt in Europa, an dem die B61-12 in den Trainingsbetrieb eingebunden wurde – im Jahr 2021 –, war laut Angaben der Federation of American Scientists (FAS) die Air Base Volkel in den Niederlanden, zwischen Nijmegen und Eindhoven gelegen.[2]
NATO-Mittelstreckenraketen
Volkel war in diesem Jahr Hauptstützpunkt von Steadfast Noon. Eingebunden waren zudem die Stützpunkte Kleine Brogel, nur 60 Kilometer von Volkel entfernt im äußersten Nordosten Belgiens gelegen; Skrydstrup in Dänemark, rund 60 Kilometer nördlich von Flensburg; und Lakenheath in Großbritannien, gut 40 Kilometer nordöstlich von Cambridge. Mit Skrydstrup wurde zum ersten Mal eine dänische Air Base im Rahmen von Steadfast Noon genutzt. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil Dänemark sich zur Zeit aggressiver gegen Russland in Stellung bringt. Es hat es in den Jahren 2023 und 2024 den US-Streitkräften im Rahmen von Manövern erlaubt, Typhon-Startrampen, die Tomahawk-Marschflugkörper abfeuern können, auf seiner Insel Bornholm zu stationieren, und es hat außerdem angekündigt, Langstrecken-Präzisionswaffen zu beschaffen.[3] Nach Lakenheath wiederum sind laut Berichten im Sommer US-Atombomben gebracht worden. Auf der Air Base hatten die Vereinigten Staaten bereits im Kalten Krieg mutmaßlich mehr als 100 Kernwaffen gebunkert und sie erst im Jahr 2008 abgezogen. Rüstungsgegner dringen jetzt auf Aufklärung über das genaue Geschehen auf dem Luftwaffenstützpunkt Lakenheath – bislang allerdings vergeblich.[4]
Atomwaffenjet F-35
Neu war in diesem Jahr, dass bei Steadfast Noon US-Kampfjets vom Typ F-35 in doppelter Funktion zum Einsatz kamen. Zum einen dienten sie als Träger- und Abwurfflugzeuge für die Bomben; dies traf Berichten zufolge auf die niederländische F-35-Staffel zu, die in Volkel stationiert ist. Zum anderen begleiteten sie die mit Bomben beladenen Flugzeuge; dies tat die dänische F-35-Staffel, die gleichfalls an Steadfast Noon teilnahm. Die F-35 wird auch von der Bundeswehr beschafft; die Luftwaffe soll 35 Stück erhalten, um die nukleare Teilhabe am Fliegerhorst Büchel in der Eifel nach der Außerdienststellung der stark gealterten Tornado-Jets bruchlos aufrechterhalten zu können.[5] Im Sommer wurde bekannt, dass die dafür erforderlichen Umbauten am Fliegerhorst Büchel, auf dem US-Atombomben lagern, nicht – wie ursprünglich geplant – 700 Millionen Euro kosten werden, sondern laut aktuellem Stand zwei Milliarden Euro.[6] Darüber hinaus wurde berichtet, Verteidigungsminister Boris Pistorius dringe auf eine Beschaffung von 15 zusätzlichen Kampfjets F-35, um den Auflagen der NATO für die Bundeswehr Rechnung tragen zu können.[7] Offiziell wird das allerdings vom Berliner Verteidigungsministerium noch dementiert.
Ein französischer Nuklearschirm
Während die nukleare Teilhabe trainiert und abgesichert wird, dauert die Debatte über die Schaffung eines eigenen europäischen Nuklearschirms oder, alternativ, über die Beschaffung einer deutschen Bombe an. Ein europäischer Nuklearschirm könnte nach Lage der Dinge von Frankreich gestellt werden. Einen „strategischen Dialog“ dazu hatten Paris und Berlin im Anschluss an den jüngsten deutsch-französischen Ministerrat am 29. August in Bregançon angekündigt; er solle vom französischen Präsidial- und vom deutschen Kanzleramt unter Mitwirkung der Außen- sowie der Verteidigungsministerien beider Seiten geführt werden.[8] Bislang ist eine Einigung stets daran gescheitert, dass Deutschland fest darauf beharrte, in irgendeiner Form Mitsprache über die französischen Nuklearstreitkräfte zu erhalten, was nun aber Frankreich konsequent ablehnt.[9] Eine Lösung der Differenzen ist nicht in Sicht; es erleichtert die Lage auch nicht, dass Paris in einer tiefen Regierungskrise steckt.
Eine deutsche Bombe
Im Gegensatz zu der Option, Europa einem französischen Nuklearschirm zu unterstellen, verlangen andere, wie es im Sommer in einem Zeitungsbericht hieß, „eine Debatte über einen eigenständigen europäischen Schutzschirm unter deutscher Führung“.[10] „Im Mittelpunkt“ stehe zunächst die Frage, ob Deutschland fähig sei, eine Atombombe herzustellen, erklärte im August der ehemalige Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) Joachim Krause: „Wir müssen uns damit auseinandersetzen.“ Experten urteilen meist, technisch sollten sich keinerlei Schwierigkeiten ergeben; auch die notwendige Infrastruktur sei mit der Urananreicherungsanlage in Gronau, dem Zentrifugenbauer ETC in Jülich und dem Forschungsreaktor in Garching gegeben. Allenfalls politisch ergäben sich Probleme: Die Bundesrepublik müsse nicht nur aus dem Atomwaffensperrvertrag austreten, sondern auch den Zwei-plus-Vier-Vertrag aufkündigen. Dies werde politische Verwerfungen auslösen.
Generationen
Unmöglich ist ein solcher Schritt allerdings nicht. Freilich wäre er zur Zeit noch überaus unpopulär. So ergab eine Umfrage im Juni, dass lediglich 21 Prozent aller Deutschen dafür plädieren, die Bundesrepublik solle „Atomwaffen besitzen“. 72 Prozent sind dagegen. Es bestehen in der Tat aber starke Differenzen zwischen verschiedenen Altersgruppen.[11] So sprechen sich bloß sieben Prozent aller 45- bis 54-Jährigen und elf Prozent aller Deutschen im Alter von 65 Jahren oder mehr für eine deutsche Bombe aus. Zugleich sind allerdings 54 Prozent aller 18- bis 24-Jährigen dafür, Deutschland solle sich atomar bewaffnen. Das zeigt, dass ein Schwenk in der öffentlichen Meinung auch in Fragen der nuklearen Aufrüstung durchaus möglich ist.
[1] NATO übt Nuklearschläge über der Nordsee. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.10.2025.
[2] Hans Kristensen: New Nuclear Bomb Training At Dutch Air Base. fas.org 13.12.2023.
[3] S. dazu Die Drohnenkrise (I).
[4] How the US Air Force brought nuclear weapons to Lakenheath air base: The inside story. nukewatch.org.uk 22.07.2025.
[5] S. dazu Festtage für die Rüstungsindustrie (II).
[6] Matthias Gebauer: Fliegerhorst für F-35-Kampfjets wird deutlich teurer als geplant. spiegel.de 25.07.2025.
[7] Matthias Gebauer: Pistorius will weitere F-35-Kampfjets in den USA bestellen. spiegel.de 20.10.2025.
[8] Le couple franco-allemand va entamer un « dialogue stratégique » sur la dissuasion nucléaire. france24.com 29.08.2025.
[9] S. dazu Der Weg zur Bombe.
[10] Kathrin Witsch: Braucht Deutschland eigene Atomwaffen? handelsblatt.com 07.08.2025.
[11] Arnfrid Schenk: Die Jungen wollen die Bombe. zeit.de 25.06.2025.

ex.klusiv
Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.
Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.
Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)
Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.
Die Redaktion
P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)