Kabul im Fokus

Deutschland baut seine Beziehungen zu Afghanistan vorsichtig aus – zu einem Zeitpunkt, zu dem die Taliban sich aus ihrer diplomatischen Isolation zu lösen beginnen. Zuletzt hatte US-Präsident Trump eine Air Base in Afghanistan gefordert.

KABUL/BERLIN (Eigener Bericht) – Deuschland baut seine Beziehungen zu Afghanistan unter den Taliban vorsichtig aus – zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Taliban aus ihrer weltweiten diplomatischen Isolation zu lösen beginnen. Berlin hat kürzlich zwei Vertreter der Taliban offiziell als Diplomaten akkreditiert; diese haben nun angekündigt, über Afghanistans Botschaft in Berlin die Taliban-Flagge hissen zu wollen. Bereits im Juli hatte Russland die Taliban förmlich als rechtmäßige Regierung Afghanistans anerkannt. Im September hatte US-Präsident Donald Trump deutlich gemacht, seine Regierung habe ein Interesse an einer erneuten Übernahme der Luftwaffenbasis Bagram nördlich von Kabul. Der Schritt gilt als Versuch der Vereinigten Staaten, ihre schwindende Präsenz in Zentralasien wieder zu stärken und sich zudem eine Militärbasis in der Nähe Chinas und Irans zu sichern. Dagegen sprachen sich allerdings zehn Staaten der Region in einer gemeinsamen Erklärung aus; sie sind nicht bereit, eine erneute US-Präsenz am Hindukusch zu dulden. Unterdessen kommt es an der pakistanisch-afghanischen Grenze zu den tödlichsten Kämpfen seit langer Zeit, die die Lage gefährlich destabilisieren.

Hunderte Tote

Pakistan und Afghanistan haben am Wochenende ihre bislang wohl tödlichsten Kämpfe an ihrer gemeinsamen Grenze erlebt. Die Kämpfe, die Berichten zufolge mindestens Dutzende, vermutlich sogar Hunderte Todesopfer forderten, brachen los, nachdem Pakistan am vergangenen Donnerstag drei Luftangriffe auf mutmaßliche Terrorstandorte der pakistanischen Taliban (Tehrik-e-Taliban Pakistan, TTP) im Nachbarland durchgeführt hatte.[1] Die TTP führt seit langem einen bewaffneten Kampf in Pakistan selbst mit dem Ziel, die pakistanische Regierung zu stürzen und ein streng islamistisches Gesetz nach afghanischem Vorbild einzuführen. Islamabad wirft Kabul vor, der TTP afghanisches Territorium zur Vorbereitung von Terroranschlägen zur Verfügung zu stellen und sie dabei als Stellvertreter in dem alten afghanisch-pakistanischen Grenzkonflikt zu benutzen.[2] Es versucht seit Jahren, Druck auf Afghanistan auszuüben, um die dortige Taliban-Regierung zu einem harten Vorgehen gegen die TPP zu bewegen. Nach Angaben des pakistanischen Militärs wurden bei Angriffen der TTP allein in diesem Jahr bereits 384 pakistanische Soldaten und Polizisten sowie 132 Zivilisten getötet.[3] Vergangene Woche gingen die pakistanischen Streitkräfte nun gegen mutmaßliche TPP-Standorte vor, worauf die TPP am Wochenende mit blutigen Angriffen reagierten.

„Schlimme Dinge”

Die pakistanischen Luftangriffe und die auf sie folgenden Kämpfe begannen wenige Tage nach einem bemerkenswerten diplomatischen Erfolg der afghanischen Taliban-Regierung. Am 18. September hatte US-Präsident Donald Trump in einem Versuch, den US-Einfluss in der Region zu stärken, erklärt, die USA wollten die Bagram Air Base in der Nähe von Kabul wieder übernehmen. Trump verwies dabei ausdrücklich auf sein Bestreben, China unter Druck zu setzen; er erklärte, die Basis sei „nur eine Stunde von dem Ort entfernt ..., an dem [China] seine Atomwaffen herstellt”.[4] Zwei Tage später verlieh er seiner Forderung Nachdruck und erklärte, es würden „schlimme Dinge passieren“, wenn Afghanistan den Luftwaffenstützpunkt nicht „zurückgibt“. Die Taliban-Regierung lehnte Trumps Forderung wiederholt ab, da eine Übergabe von Bagram an die USA ihre Legitimität untergrübe: Die Bewegung, die sie an die Macht gebracht hat, baut zum großen Teil auf der Idee des Kampfes gegen ausländische Besatzung auf. Unklar ist allerdings, ob die Vereinigten Staaten es wirklich auf den Luftwaffenstützpunkt abgesehen haben oder ob sie die Forderung als Druckmittel nutzen, um etwa ein Mineralienabkommen mit Afghanistan zu schließen. Das Land verfügt über wichtige Ressourcen wie Seltene Erden oder Lithium im Wert von vielen Milliarden US-Dollar.[5]

Die Moscow Format Consultations

Bereits im September hatten sich Pakistan, Iran, China und Russland am Rande der UN-Generalversammlung gegen eine erneute US-Militärpräsenz in Afghanistan ausgesprochen. Am 7. Oktober kamen nun Repräsentanten von insgesamt neun Staaten der Region in Moskau zusammen, um sich gegen die US-Pläne für Bagram auszusprechen.[6] Zu den Staaten, die am vergangenen Dienstag an den Moscow Format Consultations (MFC) teilnahmen, gehörten außer Afghanistan Russland, China, Indien, Pakistan, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan. Das 2017 eingeführte Format ist eine multilaterale Plattform, auf der sich die Länder der Region versammeln, um ihren praktischen Umgang mit Afghanistan zu koordinieren.[7] Ohne die USA namentlich zu nennen, bezeichneten die Teilnehmer der MFC in einer nach der Konsultationsrunde veröffentlichten gemeinsamen Erklärung „die Versuche von Ländern, ihre militärische Infrastruktur nach Afghanistan zu verlegen, als inakzeptabel“, da dies „nicht den Interessen des Friedens und der Stabilität in der Region dient“.[8]

Gegen eine US-Militärbasis

In der bemerkenswert einheitlichen Erklärung aus Moskau spiegeln sich unterschiedliche Interessen der beteiligten Staaten wider, die sich zwar alle gegen jegliche Einmischung der USA aussprechen, dabei aber zugleich unterschiedlichen Motiven folgen.[9] Russland bot das Treffen eine Gelegenheit zu zeigen, dass es weiterhin Einfluss in der Region hat; dieser war seit dem Sturz der Assad-Regierung in Syrien verstärkt in Frage gestellt worden. China und Iran wiederum lehnen – sich darin mit Russland einig – die Präsenz einer US-Militärbasis in ihrer Nähe ab, da sie sich in heftigen Spannungen mit den USA befinden. Die zentralasiatischen Länder Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan, die poröse Grenzen zu Afghanistan haben, befürchten ihrerseits, ihr Territorium könnte von gewalttätigen Gruppen in der Region genutzt werden, die durch die Rückkehr des US-Militärs neuen Auftrieb erhielten. Darüber hinaus sind sie bemüht zu vermeiden, in die Rivalität der USA mit China und Russland hineingezogen zu werden.

Indien vs Pakistan

Indiens Widerspruch gegen eine US-Militärpräsenz in der Region wiederum kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Beziehungen zwischen New Delhi und den USA aufgrund der Einführung von US-Zöllen in Höhe von 50 Prozent auf Importe aus Indien verschlechtert haben. Vergangene Woche empfing New Delhi den afghanischen Außenminister Amir Khan Muttaqi zu einem einwöchigen Besuch, den beide Seiten nutzten, um diplomatische, handelspolitische und wirtschaftliche Beziehungen zu diskutieren.[10] Im Anschluss an das Treffen bezeichnete Muttaqi Indien als „engen Freund”, während sein indischer Amtskollege Subrahmanyam Jaishankar New Delhis „uneingeschränktes Bekenntnis zur Souveränität, territorialen Integrität und Unabhängigkeit Afghanistans” bekräftigte. Indien versucht schon lange, in Afghanistan den Einfluss Pakistans auszustechen, das seit je als Verbündeter der afghanischen Taliban gilt. Deren Rückkehr an die Macht in Kabul im August 2021 wurde denn auch zunächst als Sieg für Pakistan wahrgenommen, bevor der Konflikt um die TTP die afghanisch-pakistanischen Beziehungen verschlechterte.[11] Beobachter gehen davon aus, dass Pakistan nach den Kämpfen vom Wochenende sein Verhältnis zu den afghanischen Taliban wieder verbessern wollen wird.

Das Ende der Isolation

Die jüngsten internationalen Auseinandersetzungen um Afghanistan zeigen, dass die Taliban der weltweiten diplomatischen Isolation zu entkommen beginnen, der sie sich nach ihrer Machtübernahme im August 2021 zunächst gegenübersahen. Bereits am 3. Juli 2025 hatte Russland als erstes Land der Welt die Taliban offiziell als legitime Regierung Afghanistans anerkannt.[12] Dann verlieh die Moskauer Erklärung vom 7. Oktober der Legitimität der Taliban einen weiteren Schub. Selbst Trumps Forderung, die Bagram Air Base erneut zu übernehmen, wird als indirektes Signal der US-Regierung gewertet, sie sei offen für eine gewisse Zusammenarbeit mit den Taliban.[13] Indien, das seine Beziehungen zu Afghanistan unter den Taliban mit dem Empfang für deren Außenminister Muttaqi verbessert hat, hat zudem beschlossen, seine Botschaft in Kabul wieder zu eröffnen.[14] In dieser Situation beginnt auch Deutschland, seine Beziehungen zu den Taliban zu intensivieren; es hat erst kürzlich zwei Taliban-Vertreter als Diplomaten am afghanischen Generalkonsulat in Bonn akkreditiert. Die Akkreditierung erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Berlin ein Abkommen mit den afghanischen Behörden vorantreibt, um tatsächliche oder angebliche afghanische Straftäter aus Deutschland abzuschieben – german-foreign-policy.com berichtete. [15]

 

[1] Arooj Fatima, Huzaifa Qamarm Usaid Siddiqui: Updates: Afghanistan’s Taliban, Pakistan say border clashes killed dozens. aljazeera.com 12.10.2025.

[2] Ejaz Haider: The Durand Line and Afghanistan. dawn.com 12.01.2025.

[3] News Desk: Pakistan accuses Afghanistan of sheltering TTP militants following Kabul strike. thecradle.co 10.10.2025.

[4] Abid Hussain: No to Trump: Why Afghanistan’s neighbours have opposed US Bagram plan. aljazeera.com 09.10.2025.

[5] The Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation: Press release on the meeting of the Moscow Format Consultations on Afghanistan. mid.ru 04.10.2024.

[6] Abid Hussain: No to Trump: Why Afghanistan’s neighbours have opposed US Bagram plan. aljazeera.com 09.10.2025.

[7] Ruchi Kumar: Afghanistan’s Bagram airbase: Why is Trump desperate to take it back? aljazeera.com 29.09.2025.

[8] Syed Ata Hasnain: A US return to Afghanistan’s Bagram airbase could reshape region’s strategic calculus. indianexpress.com 13.10.2025.

[9] Abid Hussain: No to Trump: Why Afghanistan’s neighbours have opposed US Bagram plan. aljazeera.com 09.10.2025.

[10] Yashraj Sharma: Afghan foreign minister in India: Why New Delhi is embracing Taliban now. aljazeera.com 14.10.2025.

[11] Abdul Rehman, Wang Mingjin: Pakistan and the Taliban: A Strategic Asset Turned Strategic Predicament. Asia Policy, Volume 19, Number 3. 30.07.2024.

[12] Flora Drury, Tabby Wilson: Russia becomes first state to recognize Afghanistan’s Taliban government. bbc.com 04.07.2025.

[13] Ruchi Kumar: Afghanistan’s Bagram airbase: Why is Trump desperate to take it back? aljazeera.com 29.09.2025.

[14] Afghanistan welcomes upgraded diplomatic ties with neighbouring Pakistan, aljazeera.com 31.05.2025.

[15] S. dazu Deutschlands Abschiebepartnerschaft mit den Taliban.


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