Deutschlands Abschiebepartnerschaft mit den Taliban

Die Bundesregierung intensiviert ihre Kooperation mit den Taliban, um ihre Pläne zur Abschiebung von Afghanen voranzutreiben. Das Bundesaufnahmeprogramm für bedrohte Afghanen hingegen soll „soweit wie möglich“ abgeschafft werden.

BERLIN/KABUL (Eigener Bericht) – Eine Einigung der Bundesregierung mit den Taliban auf die Abschiebung von Afghanen steht kurz bevor. Entsprechende Absprachen wurden laut Berichten während des Aufenthalts einer deutschen Ministerialdelegation am Wochenende in Kabul getroffen. Weil im Zusammenhang mit dem Deal auch erste Taliban-Vertreter in Deutschland als Diplomaten akkreditiert wurden, hat vergangene Woche die gesamte Belegschaft des afghanischen Generalkonsulats in Bonn gekündigt. Nach Angaben des amtierenden Generalkonsuls stellt das Vorgehen Berlins eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der in Deutschland lebenden Afghanen dar. Bereits in den vergangenen zwölf Monaten hat die Bundesregierung erste Abschiebungen nach Afghanistan durchführen lassen; zudem strebt sie „so weit wie möglich“ die Abschaffung des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanen an, das 2022 ins Leben gerufen wurde, um die Aufnahme von Afghanen zu regeln und damit kontrollierbar zu machen. Es hat bislang zur Aufnahme von nur wenigen Afghanen geführt, da es sowohl unter verfahrenstechnischen Komplikationen als auch unter mangelndem politischen Willen leidet. Unterdessen nehmen wegen des Programms die Spannungen zwischen Islamabad und Berlin zu.

Gefahr für Taliban-Gegner

Alle Mitarbeiter des afghanischen Generalkonsulats in Bonn haben in der vergangenen Woche gekündigt. Grund war Protest gegen die Entscheidung Deutschlands, zwei Taliban-Vertreter zu akkreditieren.[1] Die Akkreditierung erfolgte, während Berlin ein Abkommen mit den afghanischen Behörden vorantrieb, um tatsächliche oder angebliche afghanische Straftäter aus Deutschland abzuschieben. Laut Stefan Kornelius, einem Sprecher der Bundesregierung, werden die beiden neuen Repräsentanten bei der Koordinierung der Abschiebeflüge helfen. Dieser Schritt wird jedoch von Hamid Nangialay Kabiri, dem bisherigen amtierenden Konsul, als „ernsthafte Bedrohung” für die Sicherheit der in Deutschland lebenden afghanischen Staatsangehörigen kritisiert, da er den Taliban Zugang zu sensiblen Dokumenten und Informationen über sie verschafft. Rund 442.000 afghanische Staatsangehörige leben in Deutschland; davon sind etwa 36.000 [2] seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 in die Bundesrepublik gezogen. Am Wochenende hielten sich nun, wie berichtet wird, zwei Beamte aus der Bundespolizei-Abteilung des Bundesinnenministeriums in Kabul auf, um praktische Absprachen für künftige Abschiebungen voranzutreiben. Der Abschluss eines Abschiebedeals steht demnach kurz bevor.[3]

Zurück zur Abschiebung

Als die Taliban an die Macht gekommen waren, hatte die Bundesregierung die Abschiebung von Afghanen zunächst ausgesetzt. Jedoch hat die Ampel-Regierung die sogenannten Rückführungen wieder aufgenommen; Ende vergangenen Jahres wurden 28 Afghanen, die wegen Straftaten verurteilt worden waren, abgeschoben.[4] Die neue Bundesregierung führte dann im Juli dieses Jahres die zweite solche Maßnahme durch und schob 81 Afghanen ab. Die Abschiebungen stehen nun sogar vor einer massiven Ausweitung, auf die sich CDU/CSU und SPD in der Koalitionsvereinbarung geeinigt haben.[5] Im Sommer setzte die Regierung zudem vorübergehend das Aufnahmeverfahren für afghanische Ortskräfte aus[6] Die Aussetzung wurde dann allerdings vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg für rechtmäßig erklärt, nachdem eine afghanische Familie sie angefochten hatte, deren Visumantrag das Auswärtige Amt abgelehnt hatte. Die aktuelle Bundesregierung will nun noch einen Schritt weiter gehen und das Bundesaufnahmeprogramm „soweit wie möglich” beenden.

Das „Bundesaufnahmeprogramm”

Unmittelbar nach dem chaotischen Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan im Jahr 2021 waren mehr als 30.000 Afghanen, darunter auch ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr, nach Deutschland ausgereist. Um den zunächst spontan verlaufenen Prozess in geordnete – und damit kontrollierbare – Bahnen zu lenken, startete die Ampel-Regierung im Oktober 2022 das „Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan”.[7] Im Rahmen dieses Programms konnte aus Afghanistan heraus ein Online-Asylantrag bei den deutschen Behörden gestellt werden. Bei Annahme des Antrags erhielt der Antragsteller in der deutschen Botschaft in Pakistans Hauptstadt Islamabad Einreisedokumente, um legal nach Deutschland einzureisen. Auf diese Weise behielt die Bundesregierung die Kontrolle darüber, wer nach Deutschland kam. Die bevorzugte Zielgruppe Berlins waren insbesondere Frauen und Personen, die, wie es hieß, sich den westlichen Werten verbunden fühlen. Das Programm hatte das ambitionierte Ziel, jeden Monat tausend Afghanen aufzunehmen, die dann nach Deutschland geflogen werden sollten. Allerdings haben fast drei Jahre nach dem Start des Programms nur rund 3.000 eine Zusage erhalten; von ihnen ist zudem nur die Hälfte tatsächlich nach Deutschland gelangt.[8]

Komplexe Bürokratie

Das Bundesaufnahmeprogramm ist hochkompliziert. Prinzipiell fallen Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen in Afghanistan unter die Schutzkategorien des deutschen Asylrechts. Um die hohe Zahl von Anträgen zu bearbeiten und herauszufinden, wessen Bedrohung durch die Taliban sich beim besten Willen nicht abstreiten lässt, wurden eine Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen in das Programm einbezogen, die über langjährige Erfahrung in Afghanistan verfügen. Trotz der Unterstützung dieser Organisationen kamen die deutschen Behörden der hohen Nachfrage nach Visa nicht nach. Zudem wurde der gesamte Prozess dadurch erschwert, dass mehrere Ministerien und Behörden, darunter das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Sicherheitsbehörden, mit all ihren unterschiedlichen politischen Zielen und Mentalitäten zusammenarbeiten mussten. Öffentlich geäußerte Kritik trug dazu bei, das Programm weiter zu torpedieren. Als beispielsweise das Magazin „Cicero” im März 2023 behauptete, ein „Shariarichter” sei über ein Vorgängerprogramm des Bundesaufnahmeprogramms nach Deutschland gekommen, wurde das gesamte Verfahren von der rot-grün-gelben Regierung gestoppt. Es wurde erst wieder aufgenommen, nachdem im gesamten Prozess noch stärkere Restriktionen eingeführt worden waren.

Abwehrversuche

Zuweilen nahm die Bundesregierung auch innenpolitische Ereignisse zum Anlass, die – behördlich bereits genehmigte – Einreise von Afghanen zu unterbinden. So wurde im September 2024 ein geplanter Flug aus Afghanistan kurzfristig abgesagt, da die Bundesregierung vorgab, der Zeitpunkt sei angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern und der absehbaren Wahlerfolge der AfD zu heikel.[9] Im Laufe der Zeit wurden dann Stimmen laut, die eine komplette Abschaffung des Programms forderten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann versprach sogar, „diese Flieger aus Afghanistan” würden nicht mehr nach Deutschland kommen, sobald eine von der Union geführte Bundesregierung an die Macht käme. Der Koalitionsvertrag spricht nun davon, das Programm „soweit wie möglich” abzuschaffen; bereits eingegangene Verpflichtungen könnten rechtlich gesehen nicht einfach widerrufen werden, heißt es. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) hat dennoch angekündigt, jede Zusage werde jetzt noch einmal „ganz genau” geprüft, um herauszufinden, ob es Spielraum für eine Ablehnung gebe. Wirklich neu ist diese Haltung nicht: Auch die Ampel-Regierung hat mehrmals die Einreise von Afghanen verhindert und sogar die erste Abschiebung seit der Machtübernahme der Taliban durchgeführt.[10]

Spannungen mit Islamabad

Unterdessen nehmen die Spannungen zwischen Deutschland und Pakistan zu. Da Afghanen, die ein Visum beantragen, für die eigentliche Prüfung der Dokumente nach Islamabad reisen müssen, benötigen sie ein Visum für Pakistan. Da jedoch das deutsche Visumverfahren dort endlos hinausgezögert wird, laufen die Visa für Pakistan ab – und sie werden nur selten verlängert. Aus diesem Grund müssen sich viele Afghanen in ihren Unterkünften verstecken, um nicht von den pakistanischen Behörden aufgegriffen zu werden, die regelmäßig Razzien durchführen, um diejenigen zu fassen, deren Visa abgelaufen sind.[11] Islamabad wirft Berlin vor, seine Forderung nach einer Beschleunigung des Visumverfahrens für Afghanen regelmäßig zu ignorieren.[12] Im August kam es zu einer Eskalation, als Pakistan rund 435 Afghanen festnahm und 210 von ihnen nach Afghanistan abschob. Pakistan war erst bereit, sie zurückzunehmen, nachdem Deutschland zugesagt hatte, ihnen bis Ende des Jahres endlich Visa auszustellen. Doch die Geduld in Islamabad schwindet. Derzeit halten sich noch rund 2.280 Afghanen im Rahmen des deutschen Aufnahmeprogramms in Pakistan auf.[13] Verzögert die Bundesregierung ihre Aufnahme lange genug, werden auch sie nach Afghanistan zurückgeschoben.

 

[1] Sarah Marsh, Kirsti Knolle: Afghanistan’s Bonn consulate staff resign over accreditation of Taliban-appointed officials. reuters.com 02.10.2025.

[2] Marion MacGregor: Germany: Former interior minister Seehofer defends Afghanistan relocation process. infomigrants.net 08.11.2024.

[3] Matthias Gebauer, Paul-Anton Krüger: Mitarbeiter des Innenministeriums führen Gespräche mit Taliban. spiegel.de 06.10.2025.

[4] Stefanie Dazio: Germany deports 28 Afghan nationals to their homeland, the first since the Taliban takeover in 2021. apnews.com 30.08.2024.

[5] Eva Maria Braungart: Bericht: Ministerium führt Gespräche mit Taliban über Abschiebungen nach Afghanistan. berliner-zeitung.de 14.09.2025.

[6] Eva Maria Braungart: Berliner Gericht: Afghanen mit Aufnahmezusage erhalten doch kein Visum. berliner-zeitung.de 01.09.2025.

[7] Friederike Böge, Alexander Haneke: Warten auf die E-Mail, die nicht kommt. faz.net 11.03.2024.

[8], [9] Alexander Haneke: Wie ein Rettungsprogramm für Afghanen zur Falle wurde. faz.net 15.06.2025.

[10] Friederike Böge, Mona Jaeger: Sie kommen, weil deutsche Gerichte entschieden haben. faz.net, 01.09.2025.

[11] Alexander Haneke: Wie ein Rettungsprogramm für Afghanen zur Falle wurde. faz.net 15.06.2025.

[12] Friederike Böge, Marlene Grunert: Pakistan stellt der Bundesregierung eine Bedingung. faz.net 02.09.2025.

[13] Friederike Böge, Mona Jaeger: Sie kommen, weil deutsche Gerichte entschieden haben. faz.net, 01.09.2025.


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