Das Ringen um technologische Vorherrschaft
EU-Denkfabrik fordert umfassende staatliche Förderung für private Innovationsforschung zivil-militärischer Ausrichtung. Ein „dual use Tech-Boom“ soll Abhängigkeiten der EU von anderen Großmächten verringern, insbesondere von den USA.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – In der EU häufen sich Forderungen nach der Gründung einer zivil-militärischen High-Tech-Forschungsagentur nach dem Vorbild der vom Pentagon finanzierten US-Agentur DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency). Mit Hilfe der DARPA fördert das US-Verteidigungsministerium schon seit Ende der 1950er Jahre risikoreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte privater Unternehmen, die neben zivilem auch militärischen Nutzen haben. Auf diesem Wege hätten die USA die Basis für ihre militärische Überlegenheit ebenso gelegt wie für ihre globale IT-Dominanz, urteilt das EU-Institut für Sicherheitsstudien (EUISS), eine Denkfabrik der EU. Technologische Abhängigkeiten – etwa von den USA – schwächten die EU im globalen Machtkampf militärisch wie ökonomisch. Die EU benötige deshalb eine eigene DARPA. Erste Schritte haben die EU und einige Mitgliedstaaten bereits vor Jahren eingeleitet. Seit 2020 besteht etwa der Europäische Innovationsrat (EIC), dessen erklärtes Ziel es ist, der EU die globale Technologieführerschaft zu sichern. Aus einer deutsch-französischen Initiative von 2018 ist die Initiative JEDI hervorgegangen, die explizit beansprucht, Vorläufer einer europäischen DARPA zu sein.
US-Vorbild: DARPA
Die Defense Advanced Research Projects Agency, kurz: DARPA, ist eine Agentur des US-Verteidigungsministeriums zur Förderung von Innovationsforschung mit hohem finanziellen Risiko zum Nutzen des US-Militärs. Die Gründung der Agentur im Jahr 1958 sei eine Reaktion auf den technologischen Vorsprung der Sowjetunion in Sachen Raumfahrt gewesen, heißt es auf der offiziellen Webseite der Agentur. Ein Jahr zuvor hatte die Sowjetunion das Wettrennen mit den Vereinigten Staaten um die Entwicklung des ersten Satelliten gewonnen und Sputnik 1 ins All geschickt. Erklärtes Ziel der DARPA ist es, die USA auf Weltebene als führende Kraft bei strategischen technologischen Innovationen zu positionieren. Es gehe um nichts Geringeres als um „weltverändernde“ Militärtechnologien, die nicht selten auch das zivile Leben nachhaltig veränderten, heißt es. Die DARPA hat unter anderem zur Entwicklung des Internets, von GPS, von Präzisionswaffen und Stealth-Technologie, von automatisierter Spracherkennung und -übersetzung, von mRNA-Impfstoffen und SpaceX beigetragen. Heute fördert sie beispielsweise die Entwicklung und Forschung im Bereich autonomes Fahren im städtischen Raum sowie neue Raketentechnologien.[1]
Auf dem Weg zur europäischen DARPA
In einem aktuellen Papier fordert das in Paris ansässige Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union (European Union Institute for Security Studies, EUISS) die Gründung einer „europäischen DARPA“ nach dem Vorbild der US-Agentur. „Sicherheit und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit“ der EU stünden zunehmend unter Druck – durch Russland, China und die USA, heißt es in dem Dokument. „Europa“ dürfe „seinen Rivalen“ nicht erlauben, im Wettrennen um die neuesten Technologien die Führung zu behaupten. Um mit den Großmächten mithalten zu können, sei ein „dual-use … tech boom“ notwendig, der nicht weniger als eine vierte Industrielle Revolution bringen solle. Mit „dual use“ sind Technologien gemeint, die einen doppelten Nutzen haben – neben einem militärischen auch einen zivilen. Ein Beispiel ist die Navigationstechnologie GPS. Staatsfinanzierte DARPA-Investitionen in risikoreiche private Technologieentwicklung hätten nicht nur neue Waffentechnologien geschaffen, sondern auch „signifikante ökonomische Vorteile“ gebracht, schreibt das EUISS – etwa die Massenproduktion von Computern, Smartphones, Gaming-Konsolen und Herzschrittmachern. Für bahnbrechende Technologiesprünge sei eine hohe „Risikoakzeptanz“ notwendig; und da private Investoren dazu in der Regel nicht bereit seien, müsse der Staat einspringen. Würden etwa die EU-Staaten in Sachen Cybersicherheit ihre Abhängigkeit von den USA abbauen, wäre das nicht nur ein Schritt in Richtung machtpolitische Unabhängigkeit; auch europäische Firmen würden profitieren.[2]
Die Innovationslücke schließen
Das EUISS steht mit seiner Forderung nicht alleine da. Der EU drohe eine „technologische Abhängigkeit, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sicherheitspolitische Folgen hat“, warnte im Mai etwa das „Handelsblatt“.[3] Die Zeitung berief sich dabei auf eine von der Bocconi-Universität, dem Ifo-Institut und der Toulouse School of Economics gemeinsam erstellte Studie, die staatliche Investitionen auf EU-Ebene in die Entwicklung von Schlüsseltechnologien fordert – orientiert am „Goldstandard des US-Darpa-Modells“, hieß es. Die EU-Mitgliedstaaten müssten sich dabei „aus Fragen der Verteilung der Mittel heraushalten“. In den Politischen Richtlinien der EU-Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heißt es, im globalen „Kampf um Technologievorsprung“ verschwimme die Linie zwischen Wirtschaft und Sicherheitspolitik.[4] Auch in der Debatte anlässlich des vielbeachteten Berichts über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit von Ex-EZB-Präsident Mario Draghi aus dem Jahr 2024 häuften sich – gestützt auf den Bericht – die Forderungen nach einer Europäischen DARPA. Lang etablierte Geschäftsmodelle stünden in Frage, erklärte Draghi; ökonomische Abhängigkeiten entwickelten sich zu „geopolitischen Schwachstellen“. Die EU-Staaten verzeichneten zusammengenommen zwar die zweitgrößten Militärausgaben weltweit nach den USA, versäumten es aber, ihre Rüstungs- und Weltraumindustrie angemessen auszubauen. Die „übermäßige Fragmentierung der industriellen Basis“ sei eine „Schlüsselschwachstelle“ der EU-Staaten. Die EU müsse die „Innovationslücke“ mit den USA und China schließen.[5]
Erste konkrete Schritte
Mittlerweile sind erste konkrete Schritte in Richtung auf die Schaffung einer „europäischen DARPA“ eingeleitet worden. Bereits 2020 hatte die EU den Europäischen Innovationsrat (European Innovation Council, EIC) eingerichtet. Dieser solle nun – inspiriert durch „Elemente des DARPA-Modells“ – weiterentwickelt werden und sich künftig durch „erhöhte Risikobereitschaft“ auszeichnen, heißt es im „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ der EU-Kommission.[6] Ekaterina Zaharieva, EU-Kommisarin für Start-Ups, Forschung und Innovation, kündigt an, mit dem EIC werde die EU „ihre technologische Souveränität sichern – auch im Verteidigungsbereich“.[7] Der EIC verfügt im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon Europe über ein zweistelliges Milliardenbudget und verkündet auf seiner Webseite, er strebe an, „Europa“ als „globalen Marktführer“ in Sachen technologische Innovation zu positionieren.[8]
„Make Europe Great Again!“
Neben dem EIC erhebt die deutsch-französische Initiative JEDI (Joint European Disruptive Initiative) aus dem Jahr 2018 den Anspruch, Vorläufer einer europäischen DARPA zu sein, wenn auch ohne eine formelle Fokussierung auf Militär und Rüstung; bei JEDI ist von einer „ARPA“ die Rede. Ein Blick auf die Projekte, die die JEDI zur Zeit fördert, zeigt allerdings zahlreiche dual use-Technologien – so etwa Projekte zu strategischer Kommunikation, Künstlicher Intelligenz (KI), Cybersicherheit und einem Nachfolgesystem für GPS. Deutschland und Frankreich als „die schnellsten und mutigsten“ EU-Staaten müssten „Führung zeigen“ und dazu beitragen, dass der Staatenbund nicht zu einem bloßen „Zulieferer von unglaublichem Talent“ bzw. zu „einem riesigen Markt“ für Tech-Konzerne aus den USA und Asien werde, heißt es in der Gründungserklärung der JEDI.[9] Ziel der Initiative sei es, auf Weltebene die „Technologieführerschaft zurückzugewinnen und damit unsere strategische und ökonomische Unabhängigkeit wiederherzustellen“. Auf der offiziellen Webseite dere JEDI können Interessenten das sogenannte JEDI-Gelübde unterzeichnen. Darin heißt es, technologischer Fortschritt sei ein Kernaspekt der Geopolitik: „Make Europe Great Again!“ Zu den Unterstützern der JEDI zählen unter anderen die deutsche Cyberagentur, der KI-Bundesverband, die BMW Foundation und das Saarland.[10]
Mehr zum Thema: Die digitale Basis der Weltpolitik.
[1] About DARPA. darpa.mil.
[2] When stars align: Leveraging European defence budgets to drive a dual-use tech boom. iss.europa.eu 03.07.2025.
[3] Jakob Hanke Vela, Olga Scheer: Europas Sputnik-Moment – Wie die EU im Tech-Wettlauf aufholen kann. handelsblatt.com 23.05.2025.
[4] Ursula von der Leyen: Europe’s Choice: Political Guidelines for the Next European Commission 2024-2029. commission.europa.eu 18.07.2024..
[5] Address by Mr. Draghi – Presentation of the report on the Future of European competitiveness – European Parliament – Strasbourg – 17 September 2024.
[6] Kompass für Wettbewerbsfähigkeit. commission.europa.eu.
[7] Jakob Hanke Vela, Olga Scheer: Europas Sputnik-Moment – Wie die EU im Tech-Wettlauf aufholen kann. handelsblatt.com 23.05.2025.
[8] About the European Innovation Council. eic.ec.europa.eu.
[9] André Loesekrug-Pietri: Kernaussagen. Joint European Disruptive Initiative. 17.05.2018.
[10] The European ARPA. jedi.foundation.

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