Noch immer kein Take-off
Merz und Macron vertagen Lösung im Streit um den deutsch-französischen Kampfjet der sechsten Generation (FCAS) bis Ende August. Das Projekt ist von ungelösten Differenzen und von britischer Konkurrenz bedroht.
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben die Lösung des sich zuspitzenden Streits um den deutsch-französischen Kampfjet FCAS (Future Combat Air System) bis Ende August verschoben. Die Entscheidung fiel bei einem Treffen von Merz und Macron am Mittwochabend angesichts zunehmender Ungewissheit über die Zukunft des Jets der modernsten sechsten Generation, der ab 2040 einsatzbereit sein soll. Das 2017 gestartete Projekt kostet mehr als 100 Milliarden Euro; es zielt darauf ab, Europas Abhängigkeit von den USA bei den modernsten Kampfjets zu beenden und die strategische Autonomie der EU im Rüstungsbereich voranzutreiben. Allerdings war das Vorhaben von Anfang an von Verzögerungen und Kontroversen geprägt, die vor allem auf Streitigkeiten über die Aufteilung von Projektmitteln und technologischen Filetstücken zwischen Deutschland und Frankreich zurückzuführen sind. Gleichzeitig schreitet die von Großbritannien angeführte Entwicklung eines konkurrierenden Kampfjets der sechsten Generation schneller voran; der „Tempest“ soll bereits ab 2035 einsatzbereit sein. Ein Scheitern des FCAS wäre ein schwerer Rückschlag für das Streben der EU nach strategischer Autonomie.
In stürmischen Gewässern
Deutschland und Frankreich haben die Lösung des Konflikts um Entwicklung und Produktion des Kampfjets FCAS bis Ende August verschoben.[1] Dies ist eines der Ergebnisse des Treffens von Merz und Macron am Mittwochabend in der Villa Borsig bei Berlin. Zuletzt hatte erhöhte Unsicherheit die Zukunft des europäischen Programms für Kampfflugzeuge der sechsten Generation überschattet. Jüngsten Berichten zufolge strebt Frankreich einen höheren Anteil an Entwicklung und Produktion an; zuweilen war von 80 Prozent die Rede. Zugleich machten Meldungen die Runde, Deutschland könne den Kauf von weiteren 15 F-35-Kampfjets in den USA in Erwägung ziehen – zusätzlich zu den 35, die bereits bestellt wurden. Damit würde die Zukunft des FCAS-Programms in Frage gestellt.[2] Kurz vor dem Treffen zwischen Merz und Macron in Berlin hatte Éric Trappier, der Vorsitzende des französischen FCAS-Teilnehmers Dassault, vor einem möglichen Scheitern des gesamten Projekts gewarnt. Eine Lösung soll nun bis zur gemeinsamen deutsch-französischen Kabinettssitzung am 28./29. August im südfranzösischen Toulon gefunden werden.
Europas Kampfjet der sechsten Generation
Das 2017 offiziell angekündigte FCAS-Projekt [3] arbeitet an einem Luftkampfsystem, dessen Kernstück – ein Kampfflugzeug der sechsten Generation – im Verbund mit anderen Jets, Lenkwaffen, Drohnen und Drohnenschwärmen operieren soll.[4] Dabei soll durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) im Air Cloud Computing ein hoher Automatisierungsgrad erreicht werden. Laut der ursprünglichen Vereinbarung sollte der französische Konzern Dassault unter Beteiligung von Airbus (Deutschland, Spanien) für die Entwicklung und den Bau des Kampfflugzeugs verantwortlich sein, während Thales (Frankreich) die Entwicklung der Triebwerke leiten sollte. Airbus Defence and Space (Deutschland) war für die Entwicklung der Begleitdrohnen und der Cloud-Lösungen vorgesehen. Spanische Unternehmen wiederum sind führend in der Entwicklung der Sensortechnologie (Indra Sistemas) und der Tarnung (Airbus) tätig, während der siebte Pfeiler (Simulation) gemeinsam von Unternehmen aus allen drei beteiligten Ländern angegangen wird. Die Kosten des Projekts werden auf über 100 Milliarden Euro geschätzt; es soll ab 2040 einsatzbereit sein.
„Lackmustest“ für „strategische Autonomie“
Als rein europäisches Projekt zielt das FCAS darauf ab, einen Nachfolger für den Eurofighter und die französische Rafale zu entwickeln, um die Abhängigkeit von den USA zu verringern. In diesem Sinne erklärte Dassault-Chef Trappier offen, Ziel sei es, die „europäische Souveränität“ und die „strategische Autonomie“ der EU zu stärken; dies sei nur auf der Grundlage „unabhängiger europäischer Lösungen“ möglich.[5] Ähnliche Einschätzungen wurden auf deutscher Seite von der in Berlin ansässigen Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geäußert, die das Projekt als einen „Lackmustest dafür“ einstufte, „inwiefern Europa in der Lage ist, sicherheitspolitisch zusammenzuarbeiten, eigene Fähigkeiten zu entwickeln und zu diesem Zweck nationale Interessen in den Hintergrund zu stellen“.[6] Das FCAS ist dabei mehr als nur ein weiteres Rüstungsprojekt. Die im Rahmen des FCAS entwickelten Cloud Computing-Fähigkeiten etwa könnten das EU-Projekt „Gaia-X” vorantreiben, ein von Berlin und Paris gemeinsames geführtes Projekt zur Entwicklung einer unabhängigen Cloud-Initiative, das bislang allerdings wenig erfolgreich ist. Derzeit sind Unternehmen aus Deutschland und der EU in hohem Maße von US-amerikanischen Cloud-Diensten abhängig.[7] Ebenso sind die unbemannten autonomen Flugfähigkeiten, die im Rahmen des FCAS entwickelt werden sollen, auch für zivile Zwecke relevant.
Tiefe Widersprüche
Von Anfang an war das FCAS-Projekt von Kontroversen überschattet. Aufgrund der hohen Kosten müssen die Ausgaben durch den Export des Systems an Drittstaaten ausgeglichen werden. Die Weigerung Deutschlands, den Export von Waffen mit deutschen Komponenten in Länder wie etwa Saudi-Arabien zu genehmigen, stellt entsprechend ein Hindernis für den Kostenausgleich dar.[8] Der Hauptstreitpunkt zwischen Frankreich und Deutschland ist jedoch die Aufteilung der Projektaufgaben. Die diesbezüglichen Spannungen eskalierten mit der Aufnahme Spaniens im Jahr 2019, die von Deutschland vorangetrieben wurde.[9] Die neue Dreierkonstellation ist ein taktischer Vorteil für Deutschland, da für Spanien neben Indra Sistemas auch der spanische Airbus-Ableger beteiligt ist; dadurch nimmt das Gewicht von Airbus – und damit das deutsche Gewicht – im Gesamtprojekt zu. Dies ist nachteilig für Frankreich, das großen Wert auf Unabhängigkeit in der Rüstungsindustrie legt und auch die Fähigkeit dazu unter Beweis gestellt hat: Frankreich hat den Kampfjet Rafale ausschließlich mit seinen nationalen Kapazitäten produziert. Auch beim FCAS bringt Dassault den größten Teil des Know-hows ein.[10] Bereits 2021 sprach Konzernchef Trappier davon, Dassault könne auch einen „Plan B“ in die Tat umsetzen und die Entwicklung der Plattform der sechsten Generation im Alleingang vorantreiben. Experten urteilen, dazu sei der Konzern durchaus in der Lage.
Ein britischer Konkurrent
Während das FCAS mit zahlreichen ungelösten Problemen zu kämpfen hat, die das Projekt weiter verzögern – Insider sprechen zur Zeit von fünf Jahren –, verspricht ein anderes, von dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems geführtes Vorhaben zur Entwicklung und Produktion eines Kampfjets der sechsten Generation größere Aussichten auf Erfolg. Das Projekt mit dem Namen Tempest, das 2018 initiiert wurde – ein Jahr nach dem Start des FCAS –, hat ebenfalls das erklärte Ziel, einen Kampfjet der sechsten Generation mit einem kompletten Unterstützungssystem, bestehend unter anderem aus Drohnen und Drohnenschwärmen, herzustellen. Ihm haben sich Italien mit seinem Rüstungskonzern Leonardo und Japan mit Mitsubishi Heavy Industries angeschlossen. Der Tempest soll bis zum Jahr 2035 einsatzbereit sein – also mindestens fünf Jahre vor dem FCAS.[11] Die Einbeziehung Japans erweitert den Absatzmarkt für den Tempest, was für die Amortisierung der hohen Kosten von entscheidender Bedeutung ist. Damit stellt das britisch-italienisch-japanische Projekt eine ernsthafte Konkurrenz für das FCAS dar – auch, da es unwahrscheinlich ist, dass genügend Käufer für beide Kampfflugzeugplattformen gefunden werden.
Unabhängigkeit steht auf dem Spiel
Deutschlands Position bei der Beschaffung von Kampfjets ist mit Widersprüchen behaftet. Während das FCAS darauf abzielt, unabhängige europäische Rüstungsfähigkeiten zu entwickeln und der Abhängigkeit von amerikanischen F-35 und damit von den USA entgegenzuwirken, gehört Deutschland zu denjenigen europäischen Ländern, die in den vergangenen Jahren F-35-Jets beschafft bzw. bestellt haben. Der deutsche Rüstungsriese Rheinmetall sicherte sich im Jahr 2023 den Auftrag zur Herstellung von Rumpfteilen für Exportexemplare der F-35 und hat dazu eine Fabrik im westdeutschen Weeze gesichert, was der deutschen Rüstungsindustrie neue Möglichkeiten eröffnet, zugleich aber auch ihre Bindung an die USA verstärkt.[12] Die F35-Jets sollen von der Bundeswehr unter anderem für die „nukleare Teilhabe” genutzt werden, in deren Rahmen deutsche Kampfjets im Kriegsfall die in Büchel (Eifel) gelagerten US-Atombomben zu einem Zielort fliegen sollen. Geld, das Berlin für die F-35 ausgibt, fehlt beim FCAS. Ein Scheitern des FCAS-Programms wäre jedoch ein großer Verlust für das Streben nach Unabhängigkeit in der Rüstungsindustrie: Es würde nicht nur bedeuten, dass die US-amerikanische F-35 den europäischen Rüstungsmarkt gänzlich erobern könnte [13], sondern auch, wie es in einer Stellungnahme aus der SWP heißt, dass „große gemeinsame Rüstungsanstrengungen in Europa” dann „zunehmend unwahrscheinlich” würden.[14]
[1] Merz und Macron demonstrieren Einigkeit. handelsblatt.com 24.07.2025.
[2] Chris Lunday, Josh Groeneveld: Germany weighs buying more F-35 fighter jets from the US. politico.eu 10.07.2025. Germany has no plans to buy additional F-35 fighter jets, defence ministry says. reuters.com 11.07.2025.
[3] S. dazu Deutscher und europäischer Erfolg.
[4] S. dazu Milliarden für künftige Kriege.
[5] Airbus and Dassault Aviation join forces on Future Combat Air System. airbus.com 25.04.205.
[6] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.
[7] S. dazu Die europäische Cloud.
[8] S. dazu Deutsche Hybris.
[9] S. dazu Rivalitäten in der EU-Rüstungsindustrie.
[10] S. dazu Der High-Tech-Kampfjet der EU.
[11] S. dazu Das Mittelstreckenwaffenbündnis.
[12] High tech transfer: Rheinmetall plans to build state-of-the-art F-35 fuselage factory in Weeze, Germany. rheinmetall.com 04.07.2025.
[13] Sebastian Sprenger: Airbus teilt französischer Legislative mit, dass es keinen „Plan B“ für FCAS gibt. defensenews.com 18.03.2021.
[14] Dominic Vogel: Future Combat Air System: Too Big to Fail. SWP-Aktuell Nr. 98. Berlin, Dezember 2020.

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