Befehlskette bis nach Damaskus
Pogromartige Massengewalt erschüttert zum wiederholten Mal Syrien unter dem von Berlin, der EU und den USA unterstützten Regime von Ahmed al Sharaa. Mit dessen Hilfe sucht der Westen Russland aus Syrien zu drängen.
DAMASKUS/BERLIN (Eigener Bericht) – Zum wiederholten Mal erschüttert eine Welle pogromartiger Massengewalt gegen eine Minderheit Syrien unter seinem neuen, von Berlin und der EU unterstützten Regime. In den vergangenen Tagen kamen bei Angriffen islamistischer Banden auf die Minderheit der Drusen im Süden des Landes mindestens 350 Menschen zu Tode, darunter zahllose Zivilisten. Schon im März waren bei pogromartiger Massengewalt mehr als 1.500 Angehörige der Minderheit der Alawiten ermordet worden. Beobachter urteilen, das im Dezember durch den Sturz von Präsident Bashar al Assad an die Macht gelangte Regime unter dem langjährigen, angeblich geläuterten Jihadisten Ahmed al Sharaa sei dabei, Syrien auf einen stark islamistischen Kurs festzulegen und dabei „die Dämonisierung von Alawiten, von Drusen“ und weiteren Minderheiten bewusst zu dulden – um Widerstände gegen seinen Kurs auszuräumen. Demnach haben die Pogrome gegen Minderheiten System. Die Bundesregierung hatte nicht nur Al Sharaa und seinen Jihadisten in den Jahren von 2017 bis 2024 das Überleben in Idlib erleichtert; sie zielt im Verein mit anderen westlichen Staaten darauf ab, Syrien unter seiner Herrschaft an den Westen zu binden und Russland zu verdrängen.
Islamistische Normen
In Syrien verfestigt sich unter der Herrschaft von Ahmed al Sharaa zunehmend ein autoritär-islamistisches Regime. Die neue syrische Übergangsverfassung, die im März in Kraft gesetzt wurde, zentralisiert alle Macht bei Präsident Al Sharaa, einem langjährigen Jihadisten. Die Mitglieder des Parlaments werden zu einem Drittel vom Präsidenten ernannt sowie zu zwei Dritteln von einem Komitee, das seinerseits vom Präsidenten eingesetzt wurde. Islamisches Recht wird in der Übergangsverwaltung nicht mehr als „eine zentrale“, sondern als „die zentrale Quelle der Gesetzgebung“ genannt.[1] Beobachter widmen den Rechten von Frauen spezielle Aufmerksamkeit, da sie als Gradmesser für die Durchsetzung islamistischer Normen gelten. Unter massivem äußeren Druck hat Al Sharaa eine einzige Frau in seine 23-köpfige Regierung aufgenommen, eine im westlichen Ausland gut vernetzte Christin. Vor einem Monat hat die Regierung begonnen, Kleidungsvorschriften für Frauen zu erlassen. Demnach müssen Frauen, wenn sie an Stränden oder in Schwimmbädern ins Wasser gehen, einen sogenannten Burkini tragen.[2] In jenen Jahren, in denen Al Sharaa im nordwestsyrischen Gouvernement Idlib herrschte, galten dort sogar noch striktere Kleidungsnormen sowie eine harte Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit.[3]
Massenmord an Alawiten
Experten sind überzeugt, Al Sharaa erhöhe im Zuge der Durchsetzung eines islamistischen Regimes auch den Druck auf nichtsunnitische Minderheiten wie etwa die Alawiten oder auch die Drusen. So urteilt etwa der Syrien-Experte Joshua Landis vom Center for Middle East Studies an der University of Oklahoma, Al Sharaa lasse „die Dämonisierung von Alawiten, von Drusen“ und von weiteren Minderheiten in der Öffentlichkeit bewusst zu – und zwar mit dem Ziel, „sie zu disziplinieren und bei ihnen Furcht zu erzeugen, damit sie nicht ihr Haupt erheben“.[4] Seit Jahresbeginn heizte sich die Stimmung zunächst gegen die Alawiten immer weiter auf. Zunehmend kam es zu Übergriffen gegen sie bis hin zu Morden, bis Anfang März sunnitische Milizen – darunter Jihadisten –, bewaffnete Banden sowie Teile der offiziellen Sicherheitskräfte in einem mehrtägigen Pogrom mehr als tausend alawitische Zivilisten ermordeten.[5] Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf rund 1.500; zudem gelten Dutzende Alawiten als verschollen. Reuters konnte aufzeigen, dass sich die Befehlskette von den mordenden Milizen in den Wohngebieten der Alawiten an der syrischen Küste bis ins unmittelbare Umfeld der neuen Machthaber in Damaskus um Al Sharaa zurückverfolgen ließ.[6]
Massenmord an Drusen
Inzwischen werden immer mehr auch die syrischen Drusen zur Zielscheibe islamistischer Gewalt. Bereits Ende April und Anfang Mai griffen sunnitische Banden drusische Zivilisten in mehreren Vororten von Damaskus an; in der mehrere Tage lang währenden Gewaltwelle kamen mehr als 130 Menschen zu Tode. Angezettelt worden waren die pogromartigen Übergriffe laut einem Bericht „von islamistischen Bewaffneten mit losen Verbindungen zur Regierung“.[7] Am Wochenende flammten heftige Kämpfe zwischen sunnitischen Banden und Drusen in der südsyrischen Stadt Suweida auf, der Hochburg der syrischen Drusen. Bis zum Beginn eines Waffenstillstands am Mittwoch kamen jüngsten Angaben zufolge wohl mehr als 350 Menschen zu Tode.[8] Verkompliziert wurde die Lage dadurch, dass die syrischen Regierungstruppen, denen die Drusen mit deutlichem Misstrauen begegnen, nach Suweida einrückten – angeblich, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, tatsächlich jedoch mutmaßlich, um die Kontrolle über die Stadt zu erlangen, die sich dem Zugriff der neuen Regierung bisher entzog.[9] Die Spannungen dauern an. Brutalste Gewalt gegen Drusen ist nicht nur von islamistischen Banden, sondern auch von den offiziellen Repressionskräften belegt, die der Regierung von Al Sharaa in Damaskus unterstehen.
„Wir haben die Kontakte“
Für die Entwicklung in Syrien trägt Deutschland Mitverantwortung. So hat Berlin in den Jahren von 2017 bis 2024 geholfen, die Herrschaft der Jihadistenmiliz Hayat Tahrir al Sham (HTS) unter Al Sharaa im nordwestsyrischen Gouvernement Idlib mit Hilfsgeldern zu stabilisieren. Als sich Al Sharaa im Dezember 2024 in Damaskus an die Macht gebracht hatte, äußerte die damalige Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD): „Wir haben die Kontakte, wir kennen viele Akteure, auf die es jetzt ankommt“.[10] Zudem beteiligte die Bundesregierung sich aktiv an den Bestrebungen, Syriens Wirtschaft während der Ära von Präsident Bashar al Assad mit überaus harten Sanktionen zu ruinieren. Im Hinblick auf die darbende Bevölkerung hieß es exemplarisch im Jahr 2020 in der öffentlich-rechtlichen Tagesschau: „Armut und Not machen Syrer mutig“.[11] Gemeint war der deutsche Versuch, die syrische Bevölkerung in eine Hungerrevolte gegen Assad zu treiben. All dies geschah, während die Herrschaftsmethoden der Jihadistenmiliz HTS in Idlib keinerlei Zweifel zuließen: Dort wurden Alawiten sowie Drusen, die sunnitischen Islamisten als vom Islam Abgefallene gelten, entrechtet, zwangskonvertiert sowie offen misshandelt (german-foreign-policy.com berichtete [12]).
Geostrategische Ziele
Aktuell beteiligt sich die Bundesregierung an den Bestrebungen der westlichen Staaten, Syrien unter Al Sharaa aus geostrategischen Gründen eng an den Westen anzubinden. So hat US-Präsident Trump bei einem Treffen mit dem syrischen Machthaber Mitte Mai in der saudischen Hauptstadt Riad angekündigt, die US-Sanktionen gegen das Land aufzuheben. Inzwischen hat er das vollzogen. Trump ist zudem bemüht, Syrien zu einem Abkommen mit Israel zu nötigen – nach dem Vorbild der Abraham Accords, die Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und Sudan geschlossen hat. Al Sharaa, sehr stark unter westlichem Druck stehend, ist offenbar dazu bereit, sich auf eine formale Kooperation mit Israel einzulassen.[13] Auch die EU hat im Mai ihre Sanktionen gegen Syrien weitgehend aufgehoben (german-foreign-policy.com berichtete [14]). Sie verbindet damit auch das Ziel, Russlands Einfluss endgültig aus Syrien zu verdrängen. Die russischen Streitkräfte nutzen bislang noch die Flottenbasis Tartus und die Luftwaffenbasis Hmeimim nahe Latakia. Brüssel und Berlin üben starken Druck auf Damaskus aus, die letzten Bindungen zu Russland zu kappen. Irans Einfluss in Syrien ist auf westliches Drängen inzwischen weitgehend abgedrängt worden.
„Sofort eliminieren“
Die wiederholten Pogrome und Massaker an Minderheiten in Syrien lassen einen erneuten Bürgerkrieg inzwischen als nicht unrealistische Perspektive erscheinen. Damit gefährden sie auch die geostrategischen Pläne des Westens. Entsprechend hat die Trump-Administration massiven Druck auf Damaskus ausgeübt, die Kämpfe gegen die Drusen zu stoppen. Am Mittwoch führte dies, zumindest vorläufig, zum Erfolg. Allerdings ist völlig unklar, ob der Waffenstillstand hält. Dies umso mehr, als Israel längst militärisch in Syrien interveniert. So hält es nicht nur weiterhin die völkerrechtswidrig annektierten Golan-Höhen besetzt. Es hat zudem eine daran angrenzende Pufferzone okkupiert – und führt unter dem Vorwand, als Schutzmacht der Drusen aufzutreten, regelmäßig Angriffe auf Ziele in Syrien durch. In den vergangenen Tagen bombardierten die israelischen Streitkräfte zunächst syrische Panzer, die auf dem Weg aus Damaskus nach Suweida waren; danach griffen sie – bereits zum zweiten Mal – ein Ziel in unmittelbarer Nähe zum Präsidentenpalast in Damaskus an und beschossen dort außer dem Hauptquartier der Armee auch das Verteidigungsministerium.[15] Israels Diasporaminister Amichai Chikli verlangt, Al Sharaa solle „sofort eliminiert werden“.[16] Damit bringt die israelische Regierung Syrien ein Stück weiter in Richtung Implosion.
[1] S. dazu „Syrien eine Chance geben“.
[2] Rosaleen Carroll: Syria mandates Burkini for women at public beaches: What to know. al-monitor.com 11.06.2025.
[3] S. dazu Umwälzungen in Syrien (II).
[4] Adam Lucente: As Druze come under fire in south, clashes raise fears of Syria civil war. al-monitor.com 03.05.2025.
[5] S. dazu Massaker in Syrien.
[6] Maggie Michael: Syrian forces massacred 1,500 Alawites. The chain of command led to Damascus. reuters.com 30.06.2025.
[7] Dutzende Tote bei Kämpfen im Süden Syriens. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.07.2025.
[8] Adam Lucente: Syria says army withdrawing from Suwayda after deadly clashes with Druze. al-monitor.com 16.07.2025.
[9] Christoph Ehrhardt, Christian Meier: Gefährlicher Machtkampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.2025.
[10] S. dazu Wettlauf um Syrien.
[11] Jürgen Stryjak: Armut und Not machen Syrer mutig. tagesschau.de 15.06.2020.
[12] S. dazu Umwälzungen in Syrien (II).
[13] Ben Caspit: Will Israel seize opportunity for rapprochement with Syria? al-monitor.com 11.07.2025.
[14] S. dazu „Syrien eine Chance geben“.
[15] Israel hits Syrian army HQ, near Damascus palace as Suwayda fighting rages. aljazeera.com 16.07.2025.
[16] Christoph Ehrhardt, Christian Meier: Gefährlicher Machtkampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.2025.

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