Rezension: Der Tech-Krieg
Wolfgang Hirn analysiert den Kampf zwischen den Vereinigten Staaten und China um die globale technologische Führungsposition und die Stellung Europas, das technologisch längst zurückfällt – ohne es wirklich zu realisieren.
Aktueller könnte es kaum sein, das Motto, mit dem der Publizist Wolfgang Hirn das zehnte Kapitel seines jüngsten Buchs „Der Tech-Krieg“ überschrieben hat. „Der Wettbewerb um nationale Stärke ist auch ein Wettbewerb um Talente“, lautet es: „Wer die besten Talente an sich binden kann, wird in diesem Wettbewerb einen Vorteil haben.“ Denn die komplexen modernen Technologien, die allein – das stellt Hirn schon in der Einleitung zu seinem Buch fest – „eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und ein starkes Militär“ möglich machen, müssen erdacht, praktisch entwickelt und anschließend produziert werden; und dafür benötigt man, wie könnte es anders sein, hochqualifiziertes Personal in großer Zahl. Manche halten die Säuberungen, denen US-Präsident Donald Trump die US-Elitehochschulen unterzieht, und die immer drastischeren Schikanen gegenüber ausländischen Studierenden für den auf lange Sicht vielleicht schwersten Fehler des Mannes, der Amerika „great“ machen will, aber möglicherweise gerade dabei ist, seine Zukunft zu ruinieren. Kaum jemand hat ein Land als Studien- und Forschungsstandort schneller unattraktiv gemacht als Trump die USA. Das eingangs zitierte Motto, nebenbei, stammt von Chinas Präsident Xi Jinping.
Dass Technologie eine zentrale Rolle in Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Staaten einnimmt, weil sie, wie Hirn konstatiert, „über die Stärke eines Landes“ entscheidet, ist nicht neu. Auch die Vereinigten Staaten, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Westen, spätestens seit den 1990er Jahren global die technologisch dominierende Macht, sind als solche mehrmals herausgefordert worden – von Deutschland und Frankreich etwa mit dem Airbus, von Japan in den 1980er Jahren etwa in der Kfz-Industrie. Es gelang ihnen stets, ihre Rivalen einzuhegen und zu verhindern, dass sie ihnen auf allzu vielen Technologiefeldern gefährlich wurden – bis schließlich China erstarkte. Die Volksrepublik, das belegt Hirn, hat inzwischen in zahlreichen wichtigen Bereichen aufgeholt: in der Künstlichen Intelligenz (KI) etwa, beim autonomen Fahren, auch in der Quantentechnologie. In „Der Tech-Krieg“ beschreibt Hirn den Aufholprozess anhand zahlreicher Beispiele von der Digitalisierung über die Raumfahrt, in der die Volksrepublik nach Auffassung mancher sogar schon vorn liegt, bis hin zur Rüstungsproduktion. „Erstmals“, hält er fest, „werden die USA ... gleichzeitig in vielen Hightech-Industrien attackiert“.
Selbstverständlich haben die Vereinigten Staaten den Kampf aufgenommen; freiwillig treten sie ihre Position als globale technologische Führungsmacht nicht ab. Hirn erinnert daran, wie die USA in Trumps erster Amtszeit rabiat wurden, Zölle oktroyierten, erste umfassende Sanktionen verhängten, etwa gegen Huawei. Dabei blieb es nicht. Unter Präsident Joe Biden, stellt Hirn fest, „wurde der Anti-China-Kurs fortgeführt, ja noch verstärkt“ – allerdings „strategischer“ als unter dem „erratische[n] Trump“: Biden ging dazu über, der Volksrepublik den Zugang zu den modernsten Halbleitern zu verwehren, um sie technologisch auf Abstand zu halten. Trump ist seit Beginn seiner zweiten Amtszeit bestrebt, den Kurs noch weiter zu verschärfen, wobei er zuletzt eine – zumindest vorläufige – Niederlage hinnehmen musste: Beijing gelingt es aktuell, mit seinen Exportkontrollen auf Seltene Erden eine Dämpfung des US-Wirtschaftskriegs zu erzwingen. Dabei wird der Machtkampf um die Tech-Dominanz, wie Hirn schreibt, „gerne ideologisch aufgeladen: Demokratie versus Autoritarismus.“ „Aber das ist nur eine vordergründige Etikettierung“, heißt es in „Der Tech-Krieg“: Den USA gehe es „nicht um die Verteidigung westlicher Werte“, sondern „um die Weltmacht“ – darum, weiterhin „die globale Nummer eins“ zu sein.
Und Europa? Es „spielt in diesem Tech-Krieg zwischen China und den USA ... nur eine zuschauende Rolle“, konstatiert Hirn; es „hängt bei vielen Zukunftstechnologien hinter den USA und China hinterher“. Was ist mit KI? Nun, aktuell führende Konzerne haben ihren Sitz in den USA (OpenAI mit ChatGPT) oder in China (DeepSeek). Die Digitalisierung? Da mögen manche kleinere EU-Staaten etwa im Baltikum halbwegs auf der Höhe der Zeit sein – vor allem Deutschland, selbstgefühlte Führungsmacht des Kontinents, liegt weit zurück. Die Raumfahrt? Da fehle schon „eine Trägerrakete“, bilanziert Hirn; „von einer eigenständigen Raumfahrtpolitik“ sei die EU „Lichtjahre entfernt“. Sogar die stolze deutsche Kfz-Branche ist in der Elektromobilität sowie beim autonomen Fahren in die zweite Reihe zurückgefallen. Halbleiter? Nicht einmal zehn Prozent der globalen Produktion kommen aus Europa; die deutschen Versuche, US-Chiphersteller mit Milliardensubventionen anzulocken – Intel etwa, Wolfspeed –, sind krachend gescheitert. Warum? Auch, „weil wir Europäer von falschen Voraussetzungen ausgehen“, heißt es trocken in „Der Tech-Krieg“; viele hätten schlicht „ein antiquiertes China-Bild“.
Das da wäre? „Viele denken immer noch, China sei das Land der Kopierer“, schreibt Hirn; sie glaubten, „dass die Chinesen ... nicht innovativ sein können“, weil „ihr autoritäres System Kreativität unterdrücke, weil sie in den Schulen nur zum Auswendiglernen erzogen würden“. Nichts sei falscher. Zugleich meinten hierzulande viele unverändert, „wir Deutschen und Europäer seien immer noch in vielen Bereichen führend“ oder könnten „mit ein paar Milliarden Euro ... wieder an die Spitze zurückkommen“. Hirn erinnert an die „Lissabon-Strategie“, in der die EU-Staats- und Regierungschefs im März 2000 verkündeten, sie würden die EU bis 2010 zum „wettbewerbsfähigksten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ machen. Daraus wurde bekanntlich nichts. Und dennoch: Bis heute würden in Brüssel „dauernd ... große Ziele proklamiert, die nicht eingehalten werden“, schreibt Hirn; auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bleibe strikt „in dieser Tradition“: „Große Ankündigungen durchziehen ihre Reden, verbunden mit viel Selbstlob.“ Er sei skeptisch, ob die Aufholjagd in Sachen Technologie gelinge, „denn es fehlt in erster Linie an Einsicht“ – an der „Erkenntnis“, Europa stehe technologisch längst klar „hinter China und den USA“.
Hirn rät zu einem Kurswechsel. Gegenüber China benötige man „mehr Kooperation statt Fragmentierung oder gar Konfrontation“; nur damit könne man technologisch den Anschluss halten. Dazu freilich sei „ein starkes Europa“ nötig, das sich vom antichinesischen Kurs der Vereinigten Staaten absetze, „gegenüber den USA selbstbewusst auftritt, das seine Interessen definiert und artikuliert“ – und diese seien nun mal „nicht immer identisch mit denen der USA“. Hirns Argumentation ähnelt hier derjenigen des SPD-Politikers Klaus von Dohnanyi, dessen Buch „Nationale Interessen“ er zitiert. Er warnt, eine weitere Schädigung des Handels mit China werde „gravierende Folgen vor allem für die deutsche Wirtschaft“ haben, die „viel exportabhängiger als die USA“ sei; auch bei zentralen Zukunftsaufgaben wie dem Kampf gegen den Klimawandel komme man ohne eine Zusammenarbeit mit der Volksrepublik nicht voran. Dass die EU sich „eine stetige Eskalation“ gegenüber China erlaube, sei ein ernster Fehler; das zeige schon das brandgefährliche „Wettrüsten zwischen den USA (plus Japan) und China“: Die Gefahr eines Krieges zwischen den zwei Mächten, an dem sich Deutschland und die EU auf Seiten der USA beteiligen könnten, sei ernst.
Wolfgang Hirn: Der Tech-Krieg. China gegen USA – Und wo bleibt Europa? Frankfurt/New York (Campus) 2024. 275 Seiten. 29,- Euro.

ex.klusiv
Den Volltext zu diesem Informationsangebot finden Sie auf unseren ex.klusiv-Seiten - für unsere Förderer kostenlos.
Auf den ex.klusiv-Seiten von german-foreign-policy.com befinden sich unser Archiv und sämtliche Texte, die älter als 14 Tage sind. Das Archiv enthält rund 5.000 Artikel sowie Hintergrundberichte, Dokumente, Rezensionen und Interviews. Wir würden uns freuen, Ihnen diese Informationen zur Verfügung stellen zu können - für 7 Euro pro Monat. Das Abonnement ist jederzeit kündbar.
Möchten Sie dieses Angebot nutzen? Dann klicken Sie hier:
Persönliches Förder-Abonnement (ex.klusiv)
Umgehend teilen wir Ihnen ein persönliches Passwort mit, das Ihnen die Nutzung unserer ex.klusiven Seiten garantiert. Vergessen Sie bitte nicht, uns Ihre E-Mail-Adresse mitzuteilen.
Die Redaktion
P.S. Sollten Sie ihre Recherchen auf www.german-foreign-policy.com für eine Organisation oder eine Institution nutzen wollen, finden Sie die entsprechenden Abonnement-Angebote hier:
Förder-Abonnement Institutionen/Organisationen (ex.klusiv)