„Der automatisierte Seeluftkrieg“

Deutsche Marine nimmt führend an NATO-Großmanöver in der Ostsee teil, wo die NATO die Spannungen mit Russland eskaliert. Marine-Strategiepapier sieht umfassende Aufrüstung vor – auch mit Drohnen und Künstlicher Intelligenz (KI).

ROSTOCK (Eigener Bericht) – Vor dem Hintergrund von ihr selbst eskalierter Spannungen führt die NATO in der Ostsee seit der vergangenen Woche ihr jährliches Marinegroßmanöver BALTOPS zur Vorbereitung auf einen Krieg gegen Russland durch. Geprobt werden neben der Abwehr feindlicher Luft- und Unterwasserangriffe etwa Drohnenoperationen, das Anlanden an fremden Küsten und die Bewältigung sogenannter großer Verletztenlagen. An dem Manöver sind über 9.000 Soldaten mit mehr als 50 Kriegsschiffen sowie 25 Flugzeugen aus 17 NATO-Staaten beteiligt. Zentrum ist Rostock mit seinem Marinekommando, in dem Militärs aus mehreren weiteren NATO-Ländern stationiert sind; Letzteres untersagt der Zwei-plus-Vier-Vertrag. Das Manöver sieht Szenarien vor, wie sie etwa auch dem Strategiepapier „Kurs Marine“ zugrunde liegen. Es ist kürzlich von den deutschen Seestreitkräften publiziert worden und skizziert neben Operationsschauplätzen – von der Ostsee über den Nordatlantik bis zum Pazifik – auch Aufrüstungspläne, etwa die Beschaffung von „Drohnenflotten in allen Dimensionen“ sowie von weitreichenden Waffen zum Beschuss von Zielen im Feindstaat. Zugleich warnt das Papier vor feindlichem Beschuss von Zielen im eigenen Land.

„Dreh- und Angelpunkt der NATO“

Beim diesjährigen NATO-Marinegroßmanöver BALTOPS, das am vergangenen Donnerstag begonnen hat und bis Freitag kommender Woche andauert, hat die Deutsche Marine eigenen Angaben zufolge „eine Führungsrolle“ inne.[1] Sie nimmt unter anderem mit der Fregatte Bayern, den Korvetten Braunschweig und Magdeburg, dem Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main sowie weiteren Booten und Flugzeugen an der Kriegsübung teil. Die USA haben mit der USS Mount Whitney und der USS Paul Ignatius zwei Zerstörer entsandt. Neu ist, dass das bereits seit 1971 regelmäßig abgehaltene BALTOPS-Manöver in Rostock begann und vom dortigen Marinehauptquartier aus gesteuert wird. Rostock sei zum „Dreh- und Angelpunkt der Bündnisverteidigung in der Ostsee“ geworden, konstatiert die Bundeswehr. Vom Marinehauptquartier Rostock aus plant und leitet der Führungsstab DEU MARFOR (German Maritime Forces) Operationen der Deutschen Marine. Zugleich fungiert er unter der Bezeichnung Commander Task Force (CTF) Baltic als regionales taktisches Hauptquartier der NATO, etwa bei der NATO-Operation Baltic Sentry.[2] Entsprechend sind dort auch Militärs aus anderen NATO-Staaten stationiert.[3] Damit bricht Berlin den Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem es heißt (Artikel 5, Absatz 3), in den neuen Bundesländern würden „ausländische Streitkräfte ... weder stationiert noch dorthin verlegt“.[4]

Krankenhäuser im Krieg

Nach dem Abschluss von BALTOPS stehen Rostock in diesem Sommer noch zwei weitere Manöver bevor. Zum einen hat die Bundeswehr die Übung Roll to Sea angekündigt, bei der sie, wie es heißt, „eine Massenverletzung auf See simulieren“ will [5] – ein Hinweis darauf, dass ein Seekrieg, wie er in diesen Tagen etwa im Rahmen von BALTOPS geprobt wird, zahllose Verletzte und Todesopfer fordern wird. Weil die Sanitätskräfte der Bundeswehr nicht in der Lage sein werden, die erwartete immense Zahl an Opfern zu versorgen, sollen im Kriegsfall zivile medizinische Strukturen eingebunden werden. In Rostock gilt dies für die Universitätsklinik wie auch für das Klinikum Südstadt, die Berichten zufolge in das Manöver Roll to Sea integriert werden: Während der Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main die Verletzten aufnehmen soll, werden ihr Weitertransport mit Helikoptern in den Hafen sowie ein anschließender Straßentransport in die Krankenhäuser geübt. Auf Roll to Sea (18. bis 29. August) folgt ab dem 29. August das Manöver Northern Coasts, in dessen Rahmen unter anderem zwei NATO-Fregatten die Verlegung von Panzern aus Rostock ins Baltikum sichern sollen [6] – zur Unterstützung möglicher Operationen des westlichen Militärbündnisses im Baltikum mit schweren Landstreitkräften gegen Russland.

Die Kontrolle der Ostsee

Der Stellenwert, den Operationen der Deutschen Marine in der Ostsee in den Planungen der Bundeswehr und der NATO innehaben, lässt sich dem neuen Strategiepapier „Kurs Marine“ der deutschen Seestreitkräfte entnehmen. Demnach ist die Ostsee eine ihrer zwei Schwerpunktregionen, in denen es darum geht, die russischen Streitkräfte zurückzudrängen. „Im Ostseeraum“ verfüge Russland, dabei „gestützt auf die Regionen Kaliningrad und St. Petersburg“, „über umfassende luft-, land- und seegestützte Fähigkeiten“, mit denen es dem westlichen Militärbündnis das Eindringen in seinen Luftraum verwehren wolle („Anti-Access/Area Denial“, A2/AD), heißt es in dem Papier. Darüber hinaus könne Russland „die vitalen Nachschubwege der Alliierten im Baltikum und Skandinavien ... stören“, eventuell gar die baltischen Staaten besetzen.[7] Um dagegen vorzugehen, solle die Deutsche Marine fähig sein, gemeinsam mit verbündeten Staaten die Ostsee zu kontrollieren. Zugleich müsse sie „im Nordatlantik“ – insbesondere im Seegebiet zwischen Grönland, Island und dem Vereinigten Königreich („GIUK-Lücke“) [8] – das Vordringen russischer U-Boote, darunter nuklear bewaffnete, in den zentralen Atlantik verhindern; dies auch, um Nachschub aus Nordamerika nach Europa gegen potenzielle russische Angriffe zu schützen.

„Maritimer Jagdkampf“

Um sich – auch im Rahmen der NATO – dauerhafte militärische Überlegenheit zu sichern, plant die Deutsche Marine umfassende Aufrüstungsmaßnahmen. So soll beispielsweise die Zahl ihrer Fregatten von aktuell elf auf bis zu 19 im Jahr 2035 erhöht werden. Für die U-Boote ist eine Aufstockung von aktuell sechs auf bis zu zwölf geplant. „Kurs Marine“ listet für das Jahr 2035 einen Bestand von mehr als 160 Schiffen, Booten, U-Booten und allerlei unbemannten Systemen über und unter Wasser auf. Einerseits müssten „im weitgehend automatisierten Seeluftkrieg der Zukunft“ parallel „Flugkörper und Kleinstziele abgewehrt sowie Drohnenschwärme gestört werden können“. Andererseits müsse die Deutsche Marine in der Lage sein, „mlitärisch relevante Positionen oder Räume“ zu gewinnen, „die in gegnerischer Reichweite liegen“. Dazu solle „die Fähigkeit gestärkt werden, in küstennahen Räumen von See aus auf umkämpftem Territorium“ zu agieren.[9] Letzteres erfordere eine Neuausrichtung der Marineinfanterie, „hin zu offensiven Einsatzverfahren im Ostseeraum“: zum „maritimen Jagdkampf“. Ergänzend solle die seegestützte „Bekämpfung von Zielen an Land“ optimiert werden („Maritime Strike“) – gerichtet gegen „militärische Strukturen des Gegners tief im Landesinneren“.

„Drohnenflotte in allen Dimensionen“

Neben einer überaus stark gesteigerten Reaktionsschnelligkeit („Fight tonight!“), die zum Beispiel gefragt wäre, sollten die gegenwärtig von der NATO eskalierten Spannungen in der Ostsee (german-foreign-policy.com berichtete [10]) zum Krieg mit Russland eskalieren, dringt „Kurs Marine“ auf eine rasante technologische Innovation in der Rüstungsentwicklung. So führten schon heute „Fortschritte in der Sensorik sowie in der ... Aufklärung“ dazu, dass auch der maritime „Operationsraum zunehmend gläsern“ werde.[11] Zudem entwickle sich „die maritime Drohnentechnologie ... rasant“. Auch im Hinblick auf einschlägige Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg heißt es: „Innovationszyklen von wenigen Monaten erfordern eine stetige Weiterentwicklung und schnelle Anpassung der eigenen Fähigkeiten.“ Wer da nicht mithalte, werde „im Kampf unterliegen“. „Handlungsleitend“ gerade auch für die Deutsche Marine hätten „die konsequente Automatisierung von Waffensystemen und die Nutzung Künstlicher Intelligenz“ zu sein. Unumgänglich sei dabei der Aufbau einer „Drohnenflotte in allen Dimensionen“.

Weltweite Operationen

„Kurs Marine“ hält darüber hinaus noch zweierlei fest. Zum einen heißt es, Europas Marinen, also etwa die deutsche, müssten „auch künftig die Freiheit der Seewege weltweit überwachen und sichern können“. Dabei seien „aus deutscher Sicht ... insbesondere die Arktis und der Indo-Pazifik von hoher strategischer Bedeutung“.[12] Bei etwaigen Operationen in der Arktis handelt es sich vorzugsweise um Operationen vor den Küsten Nordeuropas gegen Russland. Bei Einsätzen im Indischen oder im Pazifischen Ozean geht es um eine Beteiligung an einem eventuellen Krieg der USA gegen China. Zum anderen erinnert das Strategiepapier daran, dass im Kriegsfall das eigene Land zur Zielscheibe gegnerischer Angriffe wird. In speziellem Maße gelte dies im Fall der Seestreitkräfte für „Marinestützpunkte, Werften, Munitionsdepots und Arsenale“, wie sie an den Küsten der Nord- und der Ostsee zahlreich zu finden sind. Zu den zentralen Zielen „gegnerischer Aktivitäten“ zähle zweifellos „die Führungsfähigkeit“, die „deshalb widerstandsfähig aufgestellt sein“ müsse. Dies gilt insbesondere für das deutsche Marinehauptquartier in Rostock mit seinem NATO-Führungsstab.

 

[1] Florian Stöhr: Präsenz zeigen und abschrecken – das Marinemanöver BALTOPS hat begonnen. bundeswehr.de 06.06.2025.

[2] S. dazu Die Ostsee-Wache.

[3] Commander Task Force Baltic Established. mc.nato.int 22.10.2024.

[4] Zu weiteren Verstößen gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag und Überlegungen, gänzlich aus ihm auszusteigen, s. auch Das Fünf-Prozent-Ziel der NATO und Alte Fesseln lösen.

[5], [6] Juliane Mau: Drei Marinemanöver in Rostock: NATO startet BALTOPS und zwei Übungen. ndr.de 28.04.2025.

[7] Kurs Marine. Rostock, 14.05.2025.

[8] S. dazu Im Hohen Norden gegen Russland und Der Kampf um Grönland (I).

[9] Kurs Marine. Rostock, 14.05.2025.

[10] S. dazu Piraterie in der Ostsee (II).

[11], [12] Kurs Marine. Rostock, 14.05.2025.


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