Das größte Aufrüstungsprogramm
Die NATO-Verteidigungsminister haben das größte Aufrüstungsprogramm des Militärbündnisses seit 1990 beschlossen. Die zu beschaffenden Waffensysteme wurden aus Operationsszenarien für einen Krieg gegen Russland abgeleitet.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die NATO-Verteidigungsminister haben das größte Aufrüstungsprogramm des Militärbündnisses seit dem Ende des Kalten Krieges beschlossen. Wie es nach dem Treffen der Minister am gestrigen Donnerstag in Brüssel hieß, werden die NATO-Staaten künftig fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Aufrüstung stecken – 3,5 Prozent des BIP unmittelbar in ihre Militäretats, 1,5 Prozent des BIP in weitere Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung, etwa in den Bau militärisch notwendiger Infrastruktur. Über die Konsequenzen des Beschlusses äußerte Verteidigungsminister Boris Pistorius: „Die Entscheidungen von heute werden uns bis weit in die Dreißigerjahre leiten.“ Abgeleitet wurden die NATO-Aufrüstungspläne von konkreten Operationsszenarien für einen Krieg mit Russland. Die Bundeswehr wird nicht zuletzt fünf bis sechs zusätzliche schwer bewaffnete Kampfbrigaden in einer Stärke von jeweils rund 5.000 Soldaten aufbauen. Laut Pistorius soll dazu die Anzahl der Soldaten um bis zu 60.000 aufgestockt werden. Berlin sucht die NATO-Aufrüstung zu nutzen, um die Bundeswehr in die konventionell stärksten Streitkräfte des europäischen Kontinents zu transformieren – noch vor der Armee Frankreichs.
60.000 Soldaten mehr
Zur höheren Zahl von Soldaten, die die Bundeswehr in Zukunft umfassen soll, hatte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits vor dem gestrigen Treffen mit seinen NATO-Amtskollegen geäußert. Bislang lautete der Plan, bis 2031 eine Stärke von mindestens 203.000 Soldaten zu erreichen. Aktuell ist dies nicht in Sicht. Zuletzt ging die Gesamtzahl von 181.500 Ende 2023 auf 181.150 Ende 2024 sogar zurück.[1] Hatte Berlin im Frühjahr 2022 noch gehofft, der Ukraine-Krieg könne die Zahl der Wehrwilligen in Deutschland erhöhen, so zeigt sich nun: Abgesehen von einem kleinen Schub in der ersten Jahreshälfte 2022 war und ist das nicht der Fall. Pistorius hatte unlängst erklärt, zwar benötige man insgesamt ungefähr 460.000 Militärs. Davon könnten allerdings 260.000 Reservisten sein. Das hat der Minister nun revidiert. Wie er gestern sagte, benötige die Bundeswehr „rund 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten in den stehenden Streitkräften mehr“. Das bedeutet einen Aufwuchs der Truppe um ungefähr ein Drittel, wobei die angestrebte Gesamtgröße weiterhin bei 460.000 einschließlich Reservisten liegt. In Berlin mehren sich die Stimmen, denen zufolge der angestrebte Aufwuchs der Bundeswehr ohne eine künftig einzuführende Wehrpflicht nicht zu erreichen sein wird.
Neue Kampfbrigaden
Gegenstand des gestrigen Treffens der NATO-Verteidigungsminister war unter anderem die Frage, welche Mitgliedstaaten in den kommenden Jahren welche Waffensysteme beschaffen sollen. Die Antwort wurde aus den sogenannten Verteidigungsplänen abgeleitet, die die NATO seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 entwickelt und auf dem Gipfeltreffen im Juli 2023 in Vilnius formell beschlossen hat.[2] In ihnen sind konkrete Operationsszenarien für den Fall eines Krieges zwischen der NATO und Russland festgelegt. Welche Waffensysteme dafür benötigt werden und daher nun beschafft werden sollen, wird ebenso geheimgehalten wie die „Verteidigungspläne“ selbst. Pistorius äußerte in Brüssel, die Bundesrepublik werde wie gewohnt „das zweitgrößte Paket an Fähigkeiten innerhalb der NATO“ beschaffen.[3] Unter anderem werde sie „die Großverbände des Heeres“ und dabei besonders die Kampfbrigaden, deren Waffensysteme derzeit rotieren, in den nächsten Jahren „voll ausstatten“. Wie berichtet wird, soll die Bundeswehr nicht zuletzt fünf bis sechs neue Kampfbrigaden mit jeweils ungefähr 5.000 Soldaten aufstellen, zusätzlich zu den acht schon bestehenden und zwei weiteren, von denen eine im Aufbau, die zweite in Planung ist.[4] Es kommen unter anderem Fregatten, Kampfjets, Hubschrauber und Flugabwehrsysteme hinzu.
Fünf Prozent des BIP
Das, wie es heißt, „größte Aufrüstungsprogramm seit dem Kalten Krieg“ [5] erfordert eine dramatische Aufstockung der Militärhaushalte sämtlicher NATO-Mitgliedstaaten. Die NATO-Verteidigungsminister gingen am gestrigen Donnerstag von einer Aufstockung auf insgesamt fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, die sich dabei aus zwei Komponenten zusammensetzen soll: aus einer Aufstockung der traditionellen Wehretats auf 3,5 Prozent des BIP und aus weiteren Ausgaben im Wert von 1,5 Prozent des BIP, mit denen unter anderem die Modernisierung militärisch erforderlicher Infrastruktur und Maßnahmen zur Verbesserung der Cybersicherheit finanziert werden sollen. In Deutschland kommt etwa die Renovierung von Straßen, Brücken und Schienen – ganz besonders solche, die nach Osten führen – in Betracht.[6] Die Bundesregierung plant, die derzeitigen Militärausgaben, die mit 2,1 Prozent des BIP beziffert werden, jährlich um 0,2 Prozentpunkte aufzustocken; das wären – berechnet auf Grundlage des BIP von 2024 – jährlich jeweils 8,5 Milliarden Euro mehr. Im Jahr 2032 läge das deutsche Militärbudget dann bei mehr als 150 Milliarden Euro; hinzu kämen 65 Milliarden Euro für militärisch benötigte Infrastruktur. Zum Vergleich: Zur Zeit beläuft sich das Budget des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf 180 Milliarden Euro.
Die Rolle der Rüstungsindustrie
Als entscheidend gilt vielen in Brüssel und Berlin dabei keineswegs die Frage, ob sich die beispiellose Aufstockung der Militärhaushalte realisieren und gegen etwaige Widerstände aus der Bevölkerung durchsetzen lässt. Die geplante massive Steigerung der Aufrüstung könne nur dann gelingen, wenn man es schaffe, die erforderlichen rüstungsindustriellen Kapazitäten aufzubauen, heißt es. Bereits jetzt haben Waffenschmieden wie Rheinmetall, Diehl oder Hensoldt begonnen, ihre Fabriken zu erweitern, neue zu errichten sowie das benötigte neue Personal einzustellen.[7] Die Übernahme von Kfz-Werken, die von den schrumpfenden Autoherstellern und ihren Zulieferern nicht mehr benötigt werden, ist geplant. Als Vorteil gilt dabei, dass sich die Arbeitsabläufe zum Teil ähneln und in der Kfz-Industrie die Kenntnisse vorhanden sind, die die Rüstungsbranche zur Automatisierung der Fertigungsabläufe braucht. Zusätzlich zum Ausbau deutscher Waffenschmieden setzt die Bundesregierung darauf, die Beschaffungsprozesse unter den europäischen NATO-Staaten zu koordinieren und die Waffen in Zukunft nach Möglichkeit in internationaler Kooperation zu entwickeln und herzustellen. Als Vorteil gilt dabei, dass es Berlin gelungen ist, mit Generalmajor André Denk erstmals einen deutschen Militär als Exekutivdirektor der Europäischen Rüstungsagentur zu installieren.[8]
Deutschlands Aufholjagd
Die Bundesregierung nutzt dabei die dramatische Aufrüstung im NATO-Rahmen, um ihr erklärtes Ziel zu erreichen, die Bundeswehr in die stärkste konventionelle Streitmacht ganz Europas zu transfomieren. Beim Waffenbestand liegt die Bundeswehr noch teils deutlich hinter den Streitkräften anderer europäischer NATO-Staaten zurück. So verfügt sie laut einer aktuellen Aufstellung über 313 Kampfpanzer – mehr als Frankreich (200), aber weniger als Polen (662).[9] Mit 226 Kampfflugzeugen liegt sie hinter Frankreich (238). Die Deutsche Marine kann mit elf Zerstörern und Fregatten nicht mit Italien (17) oder Frankreich (21) mithalten. Auch bei den U-Booten liegt sie mit 6 hinter Italien (8) und Frankreich (9). Ganz weit vorne liegt jeweils die Türkei mit etwa 2378 Kampfpanzern, 293 Kampfflugzeugen und13 U-Booten. Die Aufholjagd hat mit mehreren Rüstungsvorhaben im Rahmen des 100 Milliarden Euro schweren „Sondervermögens“ vom Februar 2022 bereits begonnen. Im NATO-Rahmen wird sie nun fortgesetzt.
Mehr zum Thema: Militärrepublik Deutschland.
[1] Pistorius will bis zu 60.000 zusätzliche Soldaten. tagesschau.de 05.06.2025.
[2] S. dazu Der Gipfel von Vilnius.
[3] NATO-Verteidigungsministerinnen und -minister beschließen neue Fähigkeitsziele. bmvg.de 05.06.2025.
[4], [5] Thomas Gutschker: Das größte Aufrüstungsprogramm. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.06.2025.
[6] S. dazu Damit die Panzer rollen.
[7] S. dazu Konversion rückwärts.
[8] Generalmajor André Denk wird Chief Executive der EDA. esut.de 07.05.2025.
[9] Gregor Grosse: Mission Merz. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.05.2025.

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