Folgen der Hochrüstung

Ökonomen kritisieren die Fokussierung Deutschlands und der EU auf die Rüstungsindustrie als wirtschaftlich nachteilig und weisen darauf hin, dass sie auf lange Sicht zum Abstieg eines Landes beitragen kann.

BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Die Fokussierung einer Regierung auf die Rüstungsindustrie bringt ökonomisch ernste Nachteile mit sich und kann auf lange Sicht zum Niedergang eines Landes beitragen. Dies bestätigt der französische Ökonom Claude Serfati im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Wie Serfati konstatiert, der am Pariser Institut de recherches économiques et sociales (IRES) tätig ist, ist es leicht nachvollziehbar, dass Rüstungsausgaben weniger Wachstum und weniger Arbeitsplätze generieren als Investitionen etwa in zivile Infrastruktur oder in das Gesundheitswesen: Während letztere Vorteile für die Produktion anderer Güter brächten oder auch die menschliche Arbeitskraft stärkten, hätten Waffen keinerlei produktives Potenzial. Serfati weist darauf hin, dass Frankreich trotz – bzw. wegen – seiner traditionellen Fokussierung auf Rüstung sowie auf militärische Technologie längst ökonomisch zurückfällt: Der Gedanke, Paris könne „auf Dauer“ dank seines Militärs seinen ökonomischen Rückstand gegenüber Deutschland ausgleichen und „Großmacht“ bleiben, habe sich als Irrtum erwiesen. Ein ähnlicher Plan treibt gegenwärtig die Versuche Berlins an, der Wirtschaftskrise zu entkommen.

In der Krise

Die Krise der deutschen Wirtschaft dauert an. Der Kfz-Industrie gelingt es nicht, sich aus ihrer desolaten Lage zu lösen; aktuell droht der Konflikt um den chinesischen Chipproduzenten Nexperia, über den vor kurzem die Regierung der Niederlande in einem bislang beispiellosen Verfahren die Kontrolle übernommen hat, die Versorgung der Branche mit Halbleitern empfindlich einzuschränken und damit die Krise noch weiter zu verschärfen.[1] Auch die Chemiebranche kämpft mit heftigen Problemen, die zur Zeit durch den Zolldeal der EU mit den Vereinigten Staaten weiter verschlimmert werden: Weil US-Chemikalien aufgrund des Deals zollfrei in die EU gelangen, konkurrieren sie nun mit deutschen Chemikalien, die wegen der hierzulande höheren Erdgas- bzw. Energiepreise unter Druck geraten.[2] Die Bundesregierung hofft für kommendes Jahr auf ein Wachstum von wenigstens 1,3 Prozent; dabei beruht die Hoffnung vor allem auf den milliardenschweren Infrastrukturausgaben, die der Wirtschaft einen kleinen Schub verleihen sollen. Mit langfristigen Effekten rechnen Experten allerdings nicht, da die Infrastruktur lediglich instandgesetzt und nicht um neue Elemente erweitert werden soll. Wachstum verzeichnet gegenwärtig lediglich die Rüstungsbranche, die von Berlin gleichfalls gezielt mit Milliardenbeträgen gefördert wird.[3]

„Risiko mit niedriger Rendite“

Ökonomen warnen dabei immer wieder, Rüstungsausgaben seien erheblich schlechter geeignet, um Wachstum zu fördern, als Ausgaben für andere Bereiche. Im Juni etwa kam eine an der Universität Mannheim erstellte Untersuchung zu dem Ergebnis, der sogenannte Fiskalmultiplikator liege bei Aufwendungen für die Streitkräfte bei 0,5; das bedeute, dass jeder investierte Euro lediglich zusätzliche Wirtschaftsaktivitäten im Wert von 50 Cent auslöse.[4] Erheblich höhere Erträge ließen sich mit staatlichen Investitionen nicht nur in neue Infrastruktur, sondern auch in Kinderbetreuung oder Bildung erzielen, urteilen die Autoren; einer von ihnen stellt fest: „Aus ökonomischer Sicht ist die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite.“ In der vergangenen Woche kam eine Auswertung diverser Studien zum Ertrag von Rüstungsinvestitionen ebenfalls zu dem Resultat, die Fiskalmultiplikatoren auf anderen Investitionsfeldern seien deutlich vorteilhafter als diejenigen in der Rüstungsindustrie. Bei Rüstungsinvestitionen lägen sie ein einer „Spanne zwischen 0,4 und 1,5“, heißt es, während sie bei Investitionen in neue Infrastruktur Werte „zwischen 1,8 bis 2,5“ erreichten.[5]

Ökonomisch nicht hilfreich

Zu identischen Ergebnissen kommt der französische Ökonom Claude Serfati, der am Pariser Institut de recherches économiques et sociales (IRES) tätig ist. Serfati zeigt, dass nicht nur das Wachstum, das aus Rüstungsausgaben resultiert, geringer ist als dasjenige, das aus zivilen Investitionen erwächst.[6] Er weist zudem nach, dass staatliche Ausgaben für die Rüstung viel geringere Privatinvestitionen nach sich ziehen als etwa staatliche Ausgaben für die Umwelt, Gesundheit oder Soziales. Außerdem belegt ein Vergleich von Statistiken aus Deutschland, Italien und Spanien, dass sich mit Ausgaben für die Umwelt, für Bildung und für Gesundheit jeweils erheblich mehr Arbeitsplätze schaffen lassen als mit Ausgaben für die Rüstung. Im Gespräch mit german-foreign-policy.com weist Serfati darauf hin, es sei ohnehin offensichtlich, dass „die Militärausgaben nicht zum Wachstum des Reichtums beitragen“: „Ein Panzer, eine Rakete, ein Kampfflugzeug kehren nicht in den Prozess der makroökonomischen Reproduktion zurück, wie es beispielsweise ein Ausrüstungsgut tut oder eine Maschine, die verwendet wird, um andere Güter herzustellen“.[7] Auch Löhne seien rein ökonomisch nützlicher als Rüstung, denn „sie werden für den Verbrauch genutzt oder zur Reproduktion der Arbeitskraft“.

Eine Propagandabehauptung

Serfati weist nicht nur darauf hin, dass auch der Beitrag der Rüstung zum technologischen Fortschritt oft überschätzt wird. So sei zwar etwa die Entwicklung des Internet vom Pentagon finanziert worden, um die interne Kommunikation innerhalb des US-Militärs zu verbessern. Doch seien bald zivile Forschungsinstitute und Universitäten in seine Weiterentwicklung eingestiegen und hätten dabei „die Initiative übernommen“. Die Behauptung, es gebe eine „entscheidende Rolle der Militärtechnologie“, ignoriere komplett die Art und Weise, „wie die Innovation voranschreitet“; sie sei „eine Propagandabehauptung“.[8]

Trügerische Hoffnung

Auch ganz allgemein zeige sich, dass die Konzentration auf Rüstung und auf militärische Technologien Staaten nicht nütze, sondern ihnen auf lange Sicht sogar sehr deutlich schade, urteilt Serfati gegenüber german-foreign-policy.com. So habe Frankreich schon zu Zeiten von Charles de Gaulle stark auf die Rüstung und auf die Entwicklung von Militärtechnologie gesetzt.[9] Paris habe damit lange die Hoffnung verbunden, es könne „seinen relativen Vorteil in der Verteidigung“, in der es – neben Großbritannien – die stärkste Macht in Europa sei, einsetzen, „um seine industrielle Schwäche gegenüber Deutschland auszugleichen“. Das sei jedoch nicht gelungen. Es zeige sich, dass man „nicht auf Dauer nur dank seines Militärs eine Großmacht sein“ könne. Genau diesen Versuch – die industrielle Schwäche durch gewaltige Militarisierung auszugleichen und gleichzeitig zur Großmacht aufzusteigen – unternimmt gegenwärtig Deutschland.

 

Bitte lesen Sie unser Interview mit Claude Serfati.

 

[1] S. dazu Der Kampf um Nexperia.

[2] S. dazu Wirtschaftsmacht im Abstieg.

[3] S. dazu Wohin ein solcher Wahnsinn führt.

[4] Rüstung ohne Rendite: Warum der wirtschaftliche Effekt ausbleibt. uni-mannheim.de 30.06.2025.

[5] Stephan Lorz: Rüstungsausgaben als Technologiebooster der Wirtschaft. boersen-zeitung.de 14.10.2025.

[6] Claude Serfati: Union européenne : Des dividendes de la guerre… mais pour qui ? Chronique internationale de l’IRES. No. 190. Juin 2025.

[7], [8], [9] S. dazu « Des ponctions sur les richesses ».


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