Streit um den 28-Punkte-Plan

Deutschland, Frankreich und Großbritannien suchen in Verhandlungen mit den USA in Genf zentrale Elemente des 28-Punkte-Plans für einen Waffenstillstand zu verändern – im Interesse nicht zuletzt ihrer Rüstungsindustrie.

BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Deutschland, Frankreich und Großbritannien suchen in Verhandlungen mit den USA in Genf die Kernelemente des 28-Punkte-Plans für einen Waffenstillstand in der Ukraine umfassend zu verändern. Zum einen geht es dabei um die Frage, wofür genau das in der EU eingefrorene russische Auslandsvermögen verwendet wird, zum anderen darum, welche Einschränkungen den ukrainischen Streitkräften auferlegt werden. Während es in Berlin und Brüssel offiziell heißt, man mache sich für die Interessen der Ukraine stark, geht es tatsächlich um Interessen Deutschlands und der EU. So plant die EU die Nutzung des russischen Auslandsvermögens zur Aufrüstung der Ukraine mit Waffen aus ihrer eigenen Produktion, was einen Ausbau der EU-Rüstungsindustrie begünstigt. Der 28-Punkte-Plan sieht die Nutzung der Mittel für den Wiederaufbau der Ukraine vor. Darüber hinaus enthält er Einschränkungen für die Streitkräfte der Ukraine, die womöglich mit den Plänen mehrerer EU-Staaten für profitable Rüstungsexporte in das Land kollidieren. Gelingt es Berlin und Brüssel, sich mit ihren Forderungen durchzusetzen, droht der 28-Punkte-Plan zu scheitern. Der Krieg dauerte dann weiter an.

„Eine Geisterdebatte“

Der aktuelle Plan für einen Waffenstillstand in der Ukraine durchkreuzt zentrale Vorhaben Deutschlands und der anderen großen NATO-Staaten Europas in mehrfacher Hinsicht. Zum einen hat Anfang September eine von Frankreich und Großbritannien geführte „Koalition der Willigen“ mitgeteilt, zur Absicherung eines Waffenstillstands Truppen auf ukrainischem Territorium auf Dauer stationieren zu wollen (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Die westeuropäische Truppenpräsenz würde auf lange Sicht militärischen Druck auf Russland erzeugen – ein Element des Machtkampfs gegen Moskau, den zu führen die großen Staaten Westeuropas weiterhin fest entschlossen sind. Experten mit einem gewissen Abstand zur operativen Politik hatten von vorneherein erklärt, das Vorhaben werde einen Waffenstillstand faktisch unmöglich machen; so hatte etwa der frühere Spitzendiplomat und heutige Präsident des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, geurteilt, weil Moskau der Stationierung ohnehin nicht zustimmen werde, handle es sich dabei lediglich um eine „Geisterdebatte“.[2] Dies bestätigt sich nun: Der 28-Punkte-Plan schließt explizit den Aufenthalt auswärtiger Streitkräfte auf ukrainischem Territorium aus.[3]

Das russische Auslandsvermögen

Zum anderen hebelt der Waffenstillstandsplan Vorhaben der westeuropäischen Staaten für ihre Aufrüstung aus – auch dies in mehrfacher Hinsicht. So will die EU künftig nicht nur die Zinserträge, sondern große Teile des in Europa liegenden russischen Auslandsvermögens der Ukraine übertragen – widerrechtlich. Dem widersetzt sich Belgien, das als Standort des größten Teiles des russischen Vermögens von zu erwartenden Entschädigungsforderungen hauptsächlich betroffen wäre. Allerdings steigt der Druck auf die Regierung des Landes, sich dem Schritt nicht mehr in den Weg zu stellen, kontinuierlich. Die EU hat vor, 140 Milliarden Euro zu entnehmen und sie Kiew vor allem zur Deckung seiner Militärausgaben zur Verfügung zu stellen (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Damit könnte die Ukraine insbesondere Waffen aus westeuropäischer Produktion beschaffen. So äußerte etwa Präsident Wolodymyr Selenskyj am vergangenen Montag auf der Luftwaffenbasis Villacoublay bei Paris, er setze darauf, russische Vermögenswerte auf die eine oder andere Weise heranziehen zu können, um die Finanzierung des Kaufs von 100 Rafale-Kampfjets, von Drohnen, von Flugabwehrsystemen SAMP/T und weiteren teuren Rüstungsgütern aus französischer Produktion zu ermöglichen.[5]

Wiederaufbau statt Aufrüstung

Daraus würde mit dem 28-Punkte-Plan nichts. Dieser sieht vor, dass die Ukraine – dies mit expliziter russischer Zustimmung und somit legal – 100 Milliarden US-Dollar aus dem russischen Auslandsvermögen erhält, dass sie diese allerdings in US-geführte Projekte zum Wiederaufbau investieren muss. Womöglich daraus resultierende Gewinne müssen zur Hälfte in die Vereinigten Staaten abgeführt werden.[6] Die EU soll sich dazu verpflichten, weitere 100 Milliarden US-Dollar zum Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Dazu ist sie nicht bereit. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte am Wochenende, „die zentrale Rolle der Europäischen Union bei der Sicherung des Friedens für die Ukraine“ müsse sich im Waffenstillstandsplan „uneingeschränkt widerspiegeln“. Dies lasse sich, konstatiert ein gut vernetzter Journalist, „als Hinweis auf die Verwendung von in der EU eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank verstehen“.[7]

Einschränkungen für die Rüstungsindustrie

Folgen hätte ein Ende des Krieges darüber hinaus für die im Entstehen begriffene deutsche Drohnenindustrie. Diese finanziert sich nicht nur zum guten Teil durch den Drohnenexport in die Ukraine. Sie profitiert auch davon, dass sie – in enger Kooperation mit den ukrainischen Streitkräften – unmittelbaren Nutzen aus den Erfahrungen des Drohnenkriegs ziehen, diese unmittelbar in die Weiterentwicklung der Waffensysteme einbinden und auf dieser Grundlage eine führende Stellung auf dem Weltmarkt erreichen und halten kann (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Unklar ist, inwieweit sie nach einem möglichen Ende der Kämpfe auf der Basis des 28-Punkte-Plans ihre Kooperation mit den ukrainischen Streitkräften und ihre Fertigung in der Ukraine aufrechterhalten darf. Dies hängt von der Ausformulierung der Beschränkungen für die ukrainische Aufrüstung ab, die in allgemeiner Form in der vorliegenden Version des Plans enthalten ist; weitreichende Waffensysteme wären dem Plan zufolge nicht erlaubt. Unklar ist zudem, ob die geplante Lieferung der 100 Rafale-Kampfjets unter den Bedingungen des 28-Punkte-Plans gestattet ist. Für Dassault, einen der führenden französischen Rüstungskonzerne, geht es dabei um erhebliche Exportprofite.

„Nicht akzeptabel“

Entsprechend waren Repräsentanten Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens am gestrigen Sonntag in Genf bemüht, Einfluss auf die dortigen Verhandlungen zu nehmen, die vor allem zwischen den USA und der Ukraine geführt werden. Die USA haben dazu Außenminister Marco Rubio und den Sondergesandten Steve Witkoff entsandt. Die Ukraine wiederum ist mit dem Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, vertreten. Für Deutschland ist der außen- und militärpolitische Berater von Bundeskanzler Friedrich Merz, Günter Sautter, an den Gesprächen beteiligt. Details über mögliche Zwischenresultate wurden noch nicht bekannt. Explizit als „nicht akzeptabel“ stufte Merz die Festlegungen in dem 28-Punkte-Plan für die Verwendung des russischen Auslandsvermögens ein; dieses liege in der EU, weshalb die USA nicht über es verfügen könnten, erklärte Merz. Wieso allerdings die EU über es verfügen können soll, ist nicht ersichtlich: Es handelt sich um russisches Eigentum. Auch die Forderung, die EU müsse zusätzlich 100 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen, ist laut Aussage des Bundeskanzlers „nicht zustimmungsfähig“.[9]

 

[1], [2] S. dazu Gefährliche Sicherheitsgarantien.

[3] Barak Ravid, Dave Lawler: Trump’s full 28-point Ukraine-Russia peace plan. axios.com 20.11.2025.

[4] S. dazu Russisches Staatsvermögen im Visier.

[5] Michaela Wiegel: Finanzierung ungeklärt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.11.2025.

[6] Barak Ravid, Dave Lawler: Trump’s full 28-point Ukraine-Russia peace plan. axios.com 20.11.2025.

[7] Mit dem Herzchen in der Hand. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.11.2025.

[8] S. dazu Die Drohnenkrise (II).

[9] „Sehr produktives Treffen“. tagesspiegel.de 23.11.2025.


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