„Kein Platz für Brandmauern“ (II)
Wachsende Teile der deutschen Wirtschaft öffnen sich für die AfD, vor allem der Mittelstand. Der Fall der „Brandmauer“ im Europaparlament begünstigt dies. Teile der AfD setzen, um regierungsfähig zu werden, auf Trump statt Russland.
BERLIN (Eigener Bericht) – Wachsende Teile der deutschen Wirtschaft öffnen sich für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Dies geht aus einem Bericht des Onlinemagazins The Pioneer hervor. Demnach lädt der stark, wenngleich nicht ausschließlich mittelständisch geprägte Verband Die Familienunternehmer mittlerweile Abgeordnete der AfD zu Parlamentarischen Abenden ein. „Wir verabschieden uns von den Brandmauern“, heißt es aus dem Verband. Im Mittelstand ist zu hören, beispielsweise in Sachsen sympathisiere inzwischen „jeder zweite“ Unternehmer mit der AfD – besonders, weil diese wirtschaftsfreundliche Positionen vertrete, wie man sie einst bei der FDP vorgefunden habe. Aus Großunternehmen heißt es, man habe „keine prinzipiellen AfD-Berührungsängste“. Sollte die Partei an der Regierung beteiligt werden, könne es „ganz schnell“ zur Kooperation kommen. Begünstigend wirkt, dass in der vergangenen Woche die „Brandmauer“ im Europaparlament gefallen ist – „für Europas Wirtschaft“, wie der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber konstatiert. Die AfD ist nun auch dabei, ein zentrales Koalitionshindernis – ihre Russland-Nähe – zu relativieren und stattdessen auf eine Kooperation mit der Trump-Administration zu orientieren.
AfD: „Note 5“
Noch kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 hatten sich zwei einflussreiche Denkfabriken der deutschen Wirtschaft ganz offen gegen die AfD ausgesprochen. So erklärte etwa Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin, die AfD verspreche „181 Milliarden Euro an Steuersenkungen pro Jahr“, was „nur durch eine massive Staatsverschuldung“ finanzierbar sei. Fratzscher gab sich ablehnend.[1] Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln schrieb, die AfD ziehe immer noch einen Austritt aus dem Euro oder sogar aus der EU in Betracht; „die Kosten eines Dexit“ aber „würden nach nur fünf Jahren 5,6 Prozent des realen Bruttoinlandsprodukts“ betragen, alles in allem rund 690 Milliarden Euro, und „die ökonomischen Folgen eines Austritts aus der Gemeinschaftswährung kämen noch hinzu“.[2] „Problematisch“ sei darüber hinaus „die Wirkung der AfD auf potenzielle Zuwanderer“, die man benötige, um „die Demografiekrise“ auszugleichen. In der Energiepolitik gäben Unternehmer der AfD glatt die „Note 5“, teilte das IW mit: Die Kombination von „Windrad-Abbau, Kernenergie-Wiedereinstieg“ sowie einer „Reparatur von Nordstream II mit Abgaben und Steuerentlastungen“ überzeuge nicht.
Ersatz für die FDP
Inzwischen beginnt sich die Stimmung zu wandeln – nicht unbedingt in den Denkfabriken, aber doch in den mittelständisch geprägten Verbandsstrukturen der deutschen Wirtschaft. Das gilt etwa für den Verband Die Familienunternehmer, dem rund 6.500 meist mittelständische Unternehmen angehören, daneben aber auch familiengeführte Großkonzerne von Oetker über Merck bis BMW. So erklärt etwa Albrecht von der Hagen, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, der kürzlich AfD-Bundestagsabgeordnete zu einem Parlamentarischen Abend in Berlin lud: „Diese Brandmauer zur AfD … hat nichts gebracht. … Wir verabschieden uns von den Brandmauern.“[3] Laut Mathias Hammer, einem Unternehmer aus Sachsen, der über ein Votum für die AfD bei der nächsten Wahl nachdenkt, sympathisiert in seinem Bundesland „jeder zweite“ Unternehmer mit der AfD. Grund sei, dass die Partei viele Positionen mit der FDP teile, die sich allerdings in der Ampelkoalition verschlissen habe. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wird mit der Aussage zitiert: „Wir merken auch immer stärker, dass sich uns mittlerweile Wirtschaftsvertreter zuwenden, die früher in Hoffnung auf eine vernünftige Wirtschaftspolitik vor allem auf die FDP gesetzt haben.“ Fast ein Drittel der abwandernden FDP-Wähler wählte am 23. Februar die AfD.
Modell Zuckerberg
Die Sympathien für die AfD in der Wirtschaft haben noch Grenzen. Zum einen geht es um Programmatik. Dass die AfD etwa ein Rentenniveau von 70 Prozent verlange, sei „nicht finanzierbar“, urteilt der Hauptgeschäftsführer der Familienunternehmer, von der Hagen. Das Ziel der Partei, Frauen „wieder an den Herd“ zu zwingen, sei „für die Betriebe“, von denen viele auf erwerbstätige Frauen angewiesen seien, „das Ende“. Man gehe deshalb mit AfD-Politikern „in den Fachaustausch“.[4] Zurückhaltung üben zudem führende Repräsentanten von Großkonzernen. Diese hätten zwar „keine prinzipiellen AfD-Berührungsängste“, heißt es in einem aktuellen Bericht; schließlich kooperierten sie in anderen Ländern mit Personen wie „der Postfaschistin Giorgia Meloni“. Gegenwärtig sei freilich noch, sollten Kontakte zur AfD öffentlich bekannt werden, mit einem gravierenden Imageschaden zu rechnen. „Momentan möchte niemand den ersten Schritt Richtung AfD gehen, weil das Reputationsrisiko zu hoch ist“, wird ein Spitzenlobbyist zitiert; seine „Vermutung“ sei freilich: „Sollte die AfD regieren, wird alles ganz schnell gehen.“ Ein Beispiel dafür biete Meta-Chef Mark Zuckerberg in den USA, der Donald Trump 2021 noch von Facebook verbannt, sich ihm aber nach der Wahl Ende 2024 öffentlich angedient habe.
„Für die Wirtschaft geliefert“
Einen Beitrag dazu, in der Wirtschaft die Bereitschaft zum Einreißen der Brandmauer zu stärken, hat in der vergangenen Woche die konservative EVP-Fraktion im Europaparlament geleistet. Am Donnerstag stimmte sie gemeinsam mit den Rechtsaußen-Fraktionen der EKR (Europäische Konservative und Reformer), der PfE (Patriots for Europe) und des ESN (Europa der Souveränen Nationen) für eine massive Aufweichung der Lieferkettenrichtlinie, die zuvor an Abgeordneten der traditionellen Koalition aus Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten gescheitert war (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Innerhalb der ESN-Fraktion stimmten auch Abgeordnete der AfD dafür. Es war das erste Mal, dass das Europaparlament mit ultrarechter Mehrheit eine Entscheidung von nicht begrenzter, sondern grundsätzlicher, weitreichender Bedeutung beschlossen hat. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), der als Architekt des Schrittes gilt – er hat bereits 2022 im Wahlkampf in Italien die Weichen für die derzeitige Rechtsaußenregierung dort zu stellen geholfen [6] –, erklärte zu der Abstimmung, das Europaparlament habe damit nur „für Europas Wirtschaft geliefert“ [7].
Russland als Hemmschuh
Lässt die wachsende Zustimmung in der Wirtschaft die Wahrscheinlichkeit steigen, dass die Brandmauer gegenüber der AfD in nicht allzu ferner Zukunft eingerissen wird, so sind Teile der AfD gegenwärtig bestrebt, ein weiteres Hindernis für die Einbindung der Partei in eine Regierungskoalition aus dem Weg zu räumen: ihre allzu enge Bindung an Russland. Aktuell entzündet sich heftige Kritik an einer Reise dreier AfD-Politiker nach Sotschi, wo sie an einem Treffen namens „BRICS Europe“ teilnehmen; anders als der Name es suggeriert, ist das Event keine reguläre Veranstaltung des BRICS-Bündnisses. Während gegen die nach Sotschi gereiste Delegation eine heftige Medienkampagne entbrannt ist, suchen AfD-Chefin Weidel und mehrere weitere AfD-Politiker dies zu nutzen, um die an Russland orientierte Parteifraktion zurückzudrängen. „Ich selbst würde dort nicht hinreisen“, erklärte Weidel; sie „würde es auch niemandem empfehlen, weil ich nicht weiß, was letztendlich das Ergebnis sein soll“.[8] Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Oberst a.D. Rüdiger Lucassen, äußerte, Russland zeige „keine Bereitschaft …, in Richtung Frieden zu gehen“; es sei daher wenig sinnvoll, nach Sotschi zu reisen.[9]
Anschlussfähig werden
Der Konflikt zwischen beiden Flügeln der AfD wird als heftig beschrieben. Vor allem in den ostdeutschen AfD-Landesverbänden gelten die Bindungen an Russland als stark, in den westdeutschen dagegen weniger. Andererseits werden Wahlen auf Bundesebene nicht in den relativ bevölkerungsschwachen östlichen Bundesländern gewonnen, sondern in den deutlich bevölkerungsstärkeren westdeutschen wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Dort ist die Kooperation mit der MAGA-Rechten in den USA ziemlich populär, die mittlerweile von der Trump-Administration forciert wird (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Der Flügel um Weidel zielt deshalb darauf ab, die Russland-Beziehungen auf „Gesprächskanäle“ zu reduzieren und stattdessen die Zusammenarbeit mit der MAGA-Rechten in den Vordergrund zu rücken. Dabei spiele auch das Vorhaben eine Rolle, „für die Union und ihre Anhänger anschlussfähig“ zu werden, heißt es.[11]
[1] Marcel Fratzscher: Die Wirtschaftspolitik der AfD führt in die Katastrophe. diw.de 21.02.2025.
[2] Knut Bergmann, Matthias Diermeier: Rechtsaußen-Erstarken: AfD schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. iwkoeln.de 18.02.2025.
[3], [4] Johann Paetzold: Wie sich die Wirtschaft der AfD annähert. thepioneer.de 16.11.2025.
[5] S. dazu Die ultrarechte Renaissance des Westens.
[6] S. dazu „Wächter der pro-europäischen Politik“.
[7] EU-Parlament entschärft Lieferkettengesetz. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.11.2025.
[8] Chrupalla verteidigt Putin. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2025.
[9] AfD streitet über Verhältnis zu Russland. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.11.2025.
[10] S. dazu „Kein Platz für Brandmauern“.
[11] Friederike Haupt, Friedrich Schmidt: Russlandreise mit Hindernissen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.11.2025.
