Den eigenen Gipfel boykottiert

Zahlreiche EU-Staats- und Regierungschefs, darunter Kanzler Merz, sind am Sonntag kurzfristig ihrem Gipfeltreffen mit dem lateinamerikanischen Zusammenschluss CELAC ferngeblieben – aus Furcht vor Repressalien der Trump-Administration.

SANTA MARTA/BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Mit einem massiven Affront haben zahlreiche EU-Staats- und Regierungschefs, darunter Kanzler Friedrich Merz, am Sonntag den Gipfel der EU mit dem lateinamerikanischen Staatenbündnis CELAC torpediert. Die EU hatte eigentlich großen Wert auf den Gipfel gelegt, um ihren schwindenden Einfluss in der Region wieder zu stärken und dem wachsenden Einfluss Chinas entgegenzutreten. Man lobe „die Stärke und die Vitalität der Partnerschaft“ mit dem Subkontinent, hieß es vorab. Kurz vor dem Gipfel sagten nun jedoch Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und andere EU-Staats- und Regierungschefs ihre Teilnahme ab. Hintergrund ist die US-Gewaltkampagne in der Karibik, in der die Trump-Administration immer wieder Boote versenkt und Dutzende Menschen ermordet. Weil der Gastgeber des EU-CELAC-Gipfels, Kolumbiens Präsident Gustavo Petro, Kritik daran geübt hat, haben die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen ihn verhängt. Viele Spitzenfunktionäre der EU und ihrer Mitgliedstaaten haben nun Petro und damit ihren eigenen Gipfel boykottiert – in vorauseilendem Gehorsam und aus Furcht vor Repressalien der Trump-Administration.

„Zurück in Lateinamerika“

Die EU hatte im Bemühen, ihren Einflussverlust gegenüber China in Lateinamerika und der Karibik rückgängig zu machen, nach Gründung der CELAC im Jahr 2010 zwei Gipfeltreffen mit ihr abgehalten, in den Jahren 2013 und 2015. Anschließend flaute ihr Streben nach einer Intensivierung der Kooperation allerdings ab. Ihren nächsten Anlauf plante die EU erst Mitte 2022, als sich gezeigt hatte, dass die CELAC-Staaten sich trotz massiven Drucks nicht dazu bewegen ließen, sich an den Russland-Sanktionen der NATO-Staaten zu beteiligen.[1] Die neue Lateinamerika-Offensive der EU führte wie üblich zur stolzen Präsentation eines neuen Strategiepapiers für den Umgang mit der Region – im Juni 2023 [2] – und zur Mitteilung der EU-Kommissionspräsidentin im Verlauf einer Reise dorthin – im Juli 2023 –, „Europa“ melde sich „zurück in Lateinamerika“: Es sei „an der Zeit“, die „strategische Partnerschaft“ zwischen beiden Seiten „auf die nächste Stufe zu heben“. Immerhin war es der EU gelungen, ihren Güter- und Dienstleistungshandel mit der CELAC zusammengenommen von 2013 bis 2024 um 45 Prozent auf gut 395 Milliarden US-Dollar zu erhöhen.[3] Zum Vergleich: Im selben Zeitraum verdoppelte China allein seinen Warenhandel mit der CELAC auf satte 515 Milliarden US-Dollar.

„Starke Partnerschaft“

Auf den dritten EU-CELAC-Gipfel, der im Juli 2023 in Brüssel abgehalten wurde [4], folgte jetzt am gestrigen Sonntag im kolumbianischen Santa Marta der vierte. Die EU kündigte ihn, wie üblich, mit markigen Worten an. So hieß es, man wolle „die langjährige Partnerschaft stärken“ und „gemeinsam globale Herausforderungen angehen“.[5] EU-Ratspräsident António Costa ließ sich mit der Äußerung zitieren, der Gipfel bekräftige „die Stärke und die Vitalität der Partnerschaft der EU mit Lateinamerika und der Karibik“.[6] Das „Bündnis“ zwischen den beiden Seiten gründe „in einer geteilten Geschichte und geteilten Werten“. Die „geteilte Geschichte“ bestand in einer mehr als drei Jahrhunderte andauernden kolonialen Ausplünderung des Subkontinents durch die Staaten Europas, die bis heute nicht beendet ist: Frankreich, die Niederlande sowie das Nicht-EU-Mitglied Großbritannien halten bis heute diverse Territorien in Lateinamerika und der Karibik in ihrem Besitz. Costa war bemüht, nicht nur die koloniale Ausplünderung der Großregion zu beschweigen, sondern zugleich die EU gegen die Vereinigten Staaten in Stellung zu bringen: Während andere „zu Zöllen und Protektionismus“ griffen, setze die EU auf Freihandel, erklärte er.[7]

US-Umsturzkampagne

Der EU-CELAC-Gipfel, zu dem Costa am gestrigen Sonntag in Santa Marta eintraf, findet vor dem Hintergrund einer US-Umsturzkampagne gegen die Regierung Venezuelas statt, die von offenen Drohungen mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begleitet wird. Die Trump-Administration hat sich – nach anfänglichen Verhandlungen mit Venezuelas Präsident Nicolás Maduro – festgelegt, ihn stürzen zu wollen. Sie hat ein Kopfgeld auf seine Ergreifung, das bereits die Biden-Administration auf 25 Millionen US-Dollar erhöht hatte, auf 50 Millionen US-Dollar verdoppelt. Sie hat zudem Berichten zufolge die CIA ermächtigt, Operationen auf venezolanischem Territorium durchzuführen, die unmittelbar auf Maduro zielen.[8] Sie hat insbesondere begonnen, Boote in der Karibik anzugreifen und zu zerstören, von denen sie behauptet, mit ihnen würden Drogen geschmuggelt. Bislang sind mindestens 18 Boote versenkt worden; dabei kamen mindestens 69 Zivilisten zu Tode. Die Exekution von Menschen ohne Gerichtsverfahren ist Mord. Zumindest ein Überlebender wurde von der Justiz seines Landes, Ecuador, von jedem Vorwurf freigesprochen.[9] US-Medien zitieren regelmäßig Insider mit der Bestätigung, die Kampagne ziele in Wahrheit nicht auf Drogenhändler, sondern auf Maduros Sturz.

Modell Panama

Dies bestätigt der jüngste Aufmarsch der US-Streitkräfte in der Karibik, darunter zahlreiche Kriegsschiffe. Der US-Flugzeugträger Gerald R. Ford, der als modernster der U.S. Navy gilt, wird diese Woche vor der venezolanischen Küste erwartet. Längst werden Vergleiche mit der Vorbereitung des US-Überfalls auf Panama im Jahr 1989 gezogen, mit dem Washington den ihm missliebig gewordenen panamaischen Staatschef Manuel Noriega entmachtete.[10] Gegen Kritiker geht Trump mit drakonischen Maßnahmen vor. Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro hatte der US-Administration vorgeworfen, in zumindest einem Fall einen völkerrechtswidrigen Angriff in den Hoheitsgewässern seines Landes verübt zu haben; dabei konstatierte Petro zutreffend, bei den beschönigend als „außergerichtliche Hinrichtungen“ bezeichneten Verbrechen handele es sich um Mord. Daraufhin verhängte Trump Sanktionen gegen den kolumbianischen Präsidenten und kündigte an, umgehend alle Hilfsleistungen für Kolumbien einzustellen.[11] Die Sanktionen haben schon jetzt Konsequenzen. Berichten zufolge weigerten sich die zuständigen Stellen in Kap Verde vor einigen Tagen, ein Flugzeug aufzutanken, in dem Petro nach Saudi-Arabien einreiste. Der Pilot hatte einen Tankstop in dem Inselstaat eingelegt.[12]

„Geteilte Werte“

In dieser Situation hat am gestrigen Sonntag in Santa Marta an Kolumbiens Karibikküste der vierte EU-CELAC-Gipfel stattgefunden. Nicht nur Präsident Petro steht unter Druck; die US-Gewaltpolitik wirkt sich auch auf die Bevölkerung Santa Martas und nahegelegener Orte aus: Dort trauen sich Fischer nicht mehr, ihre üblichen Fahrten auf hohe See durchzuführen, da sie fürchten müssen, bei der Ausübung ihres Berufs von US-Militärs ermordet zu werden.[13] Könnte nicht nur die Regierung Kolumbiens, sondern auch die Zivilbevölkerung des Landes in dieser Lage zumindest etwas symbolische Unterstützung gut gebrauchen, so verweigern ihnen die führenden Politiker der EU und ihrer Mitgliedstaaten diese. Um nicht mit dem von willkürlichen US-Sanktionen getroffenen Präsidenten Petro gemeinsam auftreten zu müssen, haben Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und andere EU-Staats- und Regierungschefs ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt. Auf die Frage, ob von der Leyens Fernbleiben etwas mit Trumps Gewaltpolitik zu tun habe, verweigerte ihr Sprecher eine Antwort.[14] Bei der EU ist dessen ungeachtet weiterhin von „langjähriger Partnerschaft“ mit Lateinamerika und „geteilten Werten“ die Rede.

 

[1] S. dazu Die Lateinamerika-Offensive der EU.

[2] S. dazu Die Lateinamerika-Offensive der EU (II).

[3] President Costa to travel to Latin America for COP30 and EU-CELAC summits. consilium.europa.eu 04.11.2025.

[4] S. dazu Das BRICS-Bündnis als Alternative.

[5] EU-CELAC summit, 9 November 2025. consilium.europa.eu.

[6], [7] President Costa to travel to Latin America for COP30 and EU-CELAC summits. consilium.europa.eu 04.11.2025.

[8] Julian E. Barnes, Tyler Pager: Trump Administration Authorizes Covert C.I.A. Action in Venezuela. nytimes.com 15.10.2025.

[9] Vanessa Buschschlüter: Ecuador releases survivor of US strike on ‘drug sub’ in Caribbean. bbc.co.uk 21.10.2025.

[10] Tom Phillips: US military buildup off Venezuela coast stirs echos of 1989 Panama invasion. theguardian.com 06.11.2025.

[11] Julie Turkewitz: U.S. Imposes Sanctions on Colombia’s Leader, One of Trump’s Harshest Critics. nytimes.com 24.10.2025.

[12] Henry Foy, Anne-Sylvaine Chassany, Michael Stott: EU leaders to skip summit in Colombia after Trump sanctions. ft.com 04.11.2025.

[13] Marie-Kristin Boese, Anne Demmer: Ein Treffen überschattet von Trump. tagesschau.de 09.11.2025.

[14] Jorge Liboreiro: Europeans largely skip Latin American summit under Donald Trump’s shadow. euronews.com 08.11.2025.


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